Ein Stadtteil wird nachhaltig

Ein Stadtteilverein aus Wuppertal möchte Vorreiter in Sachen Klimaneutralität und Nachhaltigkeit werden. Die ersten Projekte zeigen bereits Erfolg. Nun schauen auch andere auf den Arrenberg in Wuppertal. Wie hat der Verein das geschafft – ohne große finanzielle Mittel und personelle Ressourcen?
Die Sonne scheint. Die Stromampel steht auf Grün. Um Punkt 16 Uhr gehen in den Haushalten am Arrenberg, einem Stadtteil im Südwesten Wuppertals, die Waschmaschinen und Trockner an – und sparen dadurch CO2. So könnte Nachhaltigkeit schon bald funktionieren, wenn es nach dem Verein „Aufbruch am Arrenberg“ geht. Am Arrenberg selbst ist die Zukunft nämlich gar nicht mehr so fern.
In dem Pilotprojekt „WSW: Wuppertal spart Watt“ der Stadtwerke Wuppertal in Zusammenarbeit mit der Bergischen Universität Wuppertal und dem Arrenberger Verein soll durch einen gezielteren Stromverbrauch CO2 eingespart werden. Denn Strom aus der Steckdose ist mal mehr, mal weniger nachhaltig. Zum Teil kommt er aus dem Windrad oder der Solaranlage, dann wieder aus dem Kohle- oder Gaskraftwerk. Das Ziel ist, den Strom in dem Moment zu verbrauchen, wenn er gerade aus regenerativen Energien gewonnen wird. „Ein Haushalt könnte mit diesem Modell bis zu 60 Kilogramm CO2 im Jahr einsparen. Für den Arrenberg wäre dadurch eine CO2-Reduktion von bis zu 150 Tonnen möglich, für Wuppertal sogar eine Verringerung von bis zu 9.000 Tonnen“, erklärt Pascal Biesenbach, Vorstandsmitglied und Geschäftsstellenleiter von „Aufbruch am Arrenberg“. Das erscheint angesichts der gut zweieinhalb Millionen Tonnen jährlich, die in Wuppertal in die Atmosphäre wandern, auf den ersten Blick nicht viel – doch irgendwo muss man anfangen.


Pascal Biesenbach gegenüber sitzen heute Wissenschaftler*innen vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie – dem wissenschaftlichen Partner des Vereins bei seinen Nachhaltigkeitsprojekten – und vom GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften. Sie sind hier in die Geschäftsstelle des Vereins gekommen und hören aufmerksam zu, wenn Biesenbach von dem Potenzial des Projekts und seinen ersten Erfolgen berichtet.
Aktuell liegt der Arrenberg bei der CO2-Einsparung in Wuppertal vorne – auch aufgrund der vielen Teilnehmer*innen bei der gezielten Stromnutzung. Die Zeitpunkte, wann der Strom gerade nachhaltig ist, zeigt eine Ampel auf der dazugehörigen Website an, den Verbrauch messen spezielle Stromzähler. „Wir zeigen ganz anschaulich, wie Klimapolitik im kleinen Rahmen funktioniert: nicht über Verbote, sondern über Anreize und Innovation“, so Biesenbach. Die hohe Teilnehmer*innenzahl sei ein Verdienst der Vereinsmitglieder, die mit den Strommessgeräten von Tür zu Tür gelaufen sind und das Projekt vorgestellt haben. „Auch wenn sich nicht alle über unseren Besuch gefreut und uns die Tür vor der Nase zugeknallt haben: Mit Flyern lässt sich keine Energiewende einleiten.“
Ausgelacht und abgetan
Biesenbach erzählt ganz ungeniert, wie der Verein anfangs für seine Ideen und sein Vorhaben in Sachen Nachhaltigkeit von den „Großen“ ausgelacht und abgetan wurde, etwa bei der Suche nach Fördermitteln. Inzwischen sitzen die „Großen“ immer öfter mit Biesenbach an einem Tisch und sprechen miteinander über das „grüne Engagement“ des Vereins. Auch die beiden Institute, die heute zu Gast sind, scheinen angetan: Einen Stadtteil nachhaltig zu entwickeln, da gehört schon viel dazu.

Volle Terminpläne, diverse Anliegen der Nachbar*innen und der anderen Vereinsmitglieder, dazu Anfragen von Projektpartnern und Presse – für „Aufbruch am Arrenberg e. V.“ ist das Alltag. Das wird in den letzten Minuten im vormittäglichen Meeting deutlich. Bis 2030 will der Arrenberg klimaneutral sein; diese Absicht hat in den letzten Jahren für viel Aufsehen und mediale Beachtung gesorgt. Was die Kapazitäten betrifft, stoßen der Verein und viele seiner rund 200 ehrenamtlichen Mitglieder da immer wieder an ihre Grenzen – trotz mittlerweile acht hauptamtlicher Mitarbeiter*innen. Zahlreiche Projekte zu den Themen Ernährung, Energie und Mobilität laufen parallel und sollen Grundsteine für die nachhaltige Entwicklung des Stadtteils sein. „Wir müssen darauf achten, dass wir auch in Zukunft beides hinkriegen: unsere Nachhaltigkeitsprojekte und die Stadtteilarbeit“, sagt Pascal Biesenbach.


Biesenbach ist nach außen hin das Gesicht und Sprachrohr des Vereins – dabei ist er mit 35 Jahren sehr jung für ein Mitglied in einem Stadtteilverein. „Wir sind da etwas anders. Unsere Leute sind in der Regel jünger, so zwischen 30 und 50 Jahre, und stehen mit beiden Beinen voll im Beruf“, so Biesenbach. „Aber alle hier sind Macher, die wollen was tun und freuen sich über die Gestaltungsräume, die wir haben. Das liegt auch an der Geschichte.“
Stadtteilarbeit als Quartiersaufwertung
Diese Geschichte führt zurück in die Zeit um die Jahrtausendwende. Misswirtschaft habe den Stadtteil heftig getroffen, erklärt Biesenbach. „Der Arrenberg wurde zu einer richtigen No-go-Area.“ Viele Wohnungen waren in einem desolaten Zustand, viele standen leer. Wer konnte, zog weg.
Die, die blieben, wollten nicht länger zusehen. Die Gründung des Vereins im Jahr 2008 war die Reaktion einiger Bewohner*innen. Sie wollten sich engagieren und das Quartier aufwerten. Innerhalb von rund zehn Jahren ist das gelungen: „Mittlerweile ist der Stadtteil einer der beliebtesten in Wuppertal und damit auch ein Vorzeigeprojekt.“
Probleme selbst anzugehen und eigene Lösungen zu finden, das steckt in der DNA des Vereins und seiner Mitglieder. Aus einem kleinen Kreis von engagierten Leuten ist über die Jahre eine starke Gemeinschaft geworden. „Durch die vielen kleinen und großen Projekte merken die Menschen, dass bei uns viel passiert und netten Worten auch Taten folgen. Jeder, der sich engagieren will, findet in dem Verein Strukturen, die genau das ermöglichen“, so Biesenbach.
Die Farmbox: Ein Zukunftsmodell?
Nicht weit entfernt vom Arrenberg steht die Farmbox – wieder ein Vorzeigeprojekt. Die Farmbox ist für den Verein ein Testobjekt. Mit ihr wird erprobt, wie Selbstversorgung effektiv gestaltet werden kann. Konkret handelt es sich bei der Box um einen alten Schiffscontainer, in dem ein Mikrokreislauf eingebaut ist: Unten im Container ist in Wassertanks eine Fischzucht untergebracht, das Obergeschoss beherbergt ein Gewächshaus, beides zusammen ergibt einen geschlossenen Nährstoff- und Wasserkreislauf. Darüber hinaus versorgt sich die gesamte Farmbox selbst mit Energie und liefert mit ihrer Photovoltaik- und Schwachwindanlage außerdem noch genug Strom für eine Pedelec-Ladestation. „Wir haben ein Modell einer Kreislaufwirtschaft geschaffen, mit dem wir Alternativen zu den ganzen Einbahnstraßen in der Wirtschaft aufzeigen wollen“, berichtet Biesenbach, der durch die Farmbox führt. „Leider sind uns nach der letzten Hitzewelle einige der Pflanzen eingegangen, aber auch das war uns eine Lehre: Die Arbeit hier kostet Zeit – mehr, als wir selber haben. Jetzt unterstützt uns ein Gärtner ehrenamtlich.“



Die Themen Klima und Nachhaltigkeit liegen dem Verein und seinen Mitgliedern schon lange am Herzen. Biesenbach: „Wir haben in unserem Verein die Luxussituation, dass wir im Hinblick auf die Umwelt und Nachhaltigkeit alle ähnlich denken. Bereits vor fünf Jahren, als ich hier anfing, haben wir gesagt: Wenn wir schon den Stadtteil weiterentwickeln, dann unbedingt nachhaltig. Da gab es gar keinen ausschlaggebenden Moment.“ Über das Konzept der Farmbox ist ein Vereinsmitglied durch Zufall gestolpert. Nun soll sie ein Schritt von vielen auf dem Weg zur Klimaneutralität sein.
Dabei geht es auch darum, große ökologische und ökonomische Fragen so weit herunterzubrechen, dass der Verein selbstständig Lösungen direkt vor der Haustür entwickeln kann – die sich nachher wieder auf das große Ganze übertragen lassen. Mit den Erfahrungen des Farmbox-Projekts soll auf diese Weise demnächst eine Stadtteilfarm entstehen.

Ab Oktober fließen immerhin EU-Fördermittel für das Projekt. Auch ein Grund für das steigende Interesse an dem, was in diesem Wuppertaler Mikrokosmos passiert. Die Dynamik in dem Stadtteil macht hier möglich, was andernorts jahrelang auf der Strecke bleibt. „Um die Farmbox zu finanzieren, haben wir zuerst nach Fördermöglichkeiten gesucht und bei der Stadt und größeren Projektpartnern angefragt. Keine Chance. Wer investiert schon mal eben 45.000 Euro in so eine Anlage?“, erinnert sich Biesenbach. „Schließlich haben wir eine Crowdfunding-Kampagne gestartet – und innerhalb von zehn Tagen hatten wir über 60.000 Euro zusammen. Notfalls kriegen wir so etwas also auch alleine hin.“
Serie: Mercator Klima Forum
Wie integrieren Vereine und Institutionen Klimaschutz und Nachhaltigkeit in ihre Arbeit? Darüber berichten wir in unserer Serie zu unserem Mercator Forum „Engagement fürs Klima“
- Das Projekt „Sonne2Go“ nutzt die Sonne und bringt das anderen bei.
- Einen Stadtteil nachhaltig machen – das will der Verein „Aufbruch am Arrenberg“.
- Dirk Tröndle von der Iranischen Gemeinde in Deutschland will die Migrantencommunity für Klimaschutz sensibilisieren .
- Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat erklärt, warum ein kultureller Wandel Voraussetzung für Veränderungen ist.
- Auch Kirchen können nachhaltiger handeln. Wie, das zeigt das Institut für Kirche und Gesellschaft.
- Klima steht bei vielen Organisationen auf der Tagesordnung. Was das bedeutet, erläutert Lilian Schwalb vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE).
Alleingänge hält niemand auf Dauer durch
Dennoch geschieht ein großer Teil der Vereinsarbeit in Kooperation mit anderen Partnern. Viele wissenschaftliche Institute, öffentliche Behörden und Unternehmen unterstützen die Projekte von „Aufbruch am Arrenberg“: Schulklassen züchten Insekten als Fischfutter für die Kreislaufwirtschaft heran, kleine und große Unternehmen aus der Nachbarschaft treten mitunter als Sponsoren auf. „Alleingänge hält niemand auf Dauer durch“, sagt Pascal Biesenbach auf dem Weg durch das Quartier zurück zum Verein. Hier ein Händeschütteln, da ein kurzes Gespräch mit dem Versprechen, sich später zu treffen. Seine Zeit ist knapp, der nächste Termin wartet bereits auf ihn. Nachhaltigkeitsarbeit ist für Biesenbach und seine Kolleg*innen aus der Geschäftsstelle ein Fulltime-Job – meistens sogar mehr als das: „Mit vierzig Stunden komme ich in der Woche selten hin. Aber das Schöne ist, die Klima-Arbeit fühlt sich trotzdem nicht an wie Arbeit.“
Mercator Forum „Engagement fürs Klima“
Der Klimawandel schien lange Zeit ein Thema nur für Umweltverbände zu sein. Heute appellieren auch Kirchen, Gewerkschaften und Unternehmen an die Politik, ambitionierter zu handeln. Wie es gelingen kann, einen größeren Teil der Gesellschaft in einen Austausch zu integrieren und mehr Menschen Möglichkeiten für bürgerschaftliches Engagement aufzuzeigen, diskutieren wir beim Mercator Forum Klima.
https://stiftung-mercator-preevent.plazz.net/