„Kein Klimaschutz ohne Verkehrswende“
Mobilitätsexpertin Dr. Wiebke Zimmer bewertet Bundeswirtschaftsminister Robert Habecks Sofortmaßnahmen und beantwortet drei Fragen zum dreifachen Klimaschutz-Tempo.
Dreimal schneller soll der Klimaschutz laut dem zuständigen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gehen. Das kündigte er Anfang des Jahres an. Denn: Die Bundesrepublik hat sich durch das internationale Paris-Abkommen verpflichtet, bis 2030 den CO2-Ausstoß um 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Um dieses Ziel – in acht Jahren – noch zu erreichen, müsste der Ausstoß ab sofort um 40 Millionen Tonnen pro Jahr sinken. Aktuell sind es lediglich 15 Millionen Tonnen.
Angegangen werden soll diese Aufgabe mit zwei Gesetzespaketen, einem „Osterpaket“ und einem „Sommerpaket“, wie der Minister erläuterte: „Im ersten Gesetzespaket, das um Ostern herum durchs Kabinett soll, bündeln wir die Maßnahmen mit prioritärer Wirksamkeit.“ Will heißen: Dinge, die schnell auf den Weg gebracht werden können. Im zweiten Gesetzespaket sollen dann Klimaschutzinstrumente verabschiedet werden, für die man die Zuarbeit aus anderen Ministerien braucht, wie das von den Grünen geführte Landwirtschaftsministerium und das Verkehrsministerium, das die FDP innehat. Bislang gibt sich die Bundesregierung beim Thema Verkehr betont leise.
Zwei Prozent der Fläche sollen laut Minister Habeck für Windräder reserviert werden – auch weil bis 2030 bereits 15 Millionen E-Autos auf Deutschlands Straßen rollen sollen. Ist die Verkehrswende denn allein damit gemacht, Millionen von Verbrennern durch Millionen von E-Autos zu ersetzen?
Dr. Wiebke Zimmer: Das E-Auto-Ziel der Bundesregierung ist zunächst einmal ein sehr starkes Signal für die Verkehrswende in Deutschland. Denn die Elektrifizierung des Straßenverkehrs ist ein wesentlicher Hebel, um klimaschädliche Emissionen zu senken. Die Bundesregierung muss jetzt zeigen, wie sie dieses Ziel erreichen will. Dafür braucht es ein Gesamtkonzept, das alle erforderlichen Maßnahmen berücksichtigt – von ambitionierteren CO2-Flottengrenzwerten für Pkw über faire Preise, Steuern und Abgaben bis zu einem Masterplan für den Ausbau der Ladeinfrastruktur.
Wiebke Zimmer ist seit Anfang Januar neue stellvertretende Direktorin des Thinktanks Agora Verkehrswende. Sie ist promovierte Physikerin und Diplomchemikerin.
Aber: E-Autos allein werden natürlich nicht reichen. Die Umstellung auf elektrische Antriebe verstehen wir nur als eine von zwei Säulen der Verkehrswende. Die zweite Säule ist die Mobilitätswende, also die Verlagerung von motorisiertem Individualverkehr auf Bus, Bahn und Fahrrad oder auch auf geteilte Fahrzeuge und Fußverkehr. Damit wird die Zahl der Pkw insgesamt und deren Anteil an der Verkehrsleistung sinken. Das bringt nicht nur etwas für den Klimaschutz, sondern auch für die Lebensqualität, gerade in den Städten. Ein Gesamtkonzept der Bundesregierung für die Verkehrswende muss also beide Säulen berücksichtigen: die Energiewende im Verkehr und die Mobilitätswende.
Gegenwind beim Klimaschutz erfährt der Minister nicht nur vom eigenen Koalitionspartner FDP, sondern auch von Menschen im ländlichen Raum, die nicht auf Windparks blicken wollen – vor allem, wenn der Strom daraus in die E-Autos der Städter*innen fließt. Bei der Verkehrswende stößt der Umbruch in dünn besiedelten Gegenden auf ähnliche Probleme. Wie kann die Verkehrswende den Menschen auf dem Land helfen?
Zimmer: Die Verkehrswende kann auch für die Menschen auf dem Land ein Gewinn sein. Leider findet dieser Aspekt in der Debatte bisher wenig Aufmerksamkeit. Dabei sieht die Lage hier anders aus. Wir können nicht einfach Konzepte für die Ballungsräume auf das Land übertragen. Eine besondere Herausforderung sind etwa die vielfältigen Pendelverflechtungen zwischen Städten und Umland.
Zum privaten Auto haben die Menschen auf dem Land bisher kaum eine Alternative. Das muss besser werden. Dafür braucht es einen dicht getakteten öffentlichen Verkehr mit Regionalbahnen und Bussen, ergänzt durch flexible Kleinbusse und neue Dienste für gemeinsames Fahren. Deswegen werden wir beispielsweise in einem neuen Projekt untersuchen, welche Potenziale On-Demand-Ridepooling-Dienste mit Kleinbussen im ländlichen Raum haben können.
Auch das Potenzial für Fahrräder und E-Bikes ist noch lange nicht ausgeschöpft. Am Ende wird aber das Auto auf dem Land weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Hier lassen sich auch gut Synergien nutzen zwischen lokaler Erzeugung von Wind- und Solarstrom, Batteriespeicherung und Digitalisierung. Die Zukunft des Automobils ist also nicht nur elektrisch, sondern auch ländlich.
Beim generellen Tempolimit auf Autobahnen mussten die Grünen einstecken. Was erwarten Sie von der Regierung für Maßnahmen im Bereich Verkehr, damit die Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens eingehalten werden? Oder umgekehrt: Welche roten Linien dürfen nicht überschritten werden?
Zimmer: Ein Tempolimit auf Autobahnen wird kommen. Das ist nur eine Frage der Zeit. Die Vorteile sind bekannt und offensichtlich: deutlich weniger Tote und Schwerverletzte, besserer Verkehrsfluss, sofortige CO2-Einsparung, keine Kosten in der Umsetzung. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung dafür ist. Und schlussendlich ist es auch ein Zukunfts- und Digitalisierungsthema: Automatisierte batterieelektrische Fahrzeuge funktionieren am besten in einem System mit klar festgelegten Höchstgeschwindigkeiten. Wie lange kann sich eine Bundesregierung dagegen verschließen?
Wichtig ist aber jetzt erst einmal das erwähnte Gesamtkonzept. Der Koalitionsvertrag lässt da noch vieles offen. Gerade im Verkehrssektor müssen viele verschiedene Instrumente und Maßnahmen gut aufeinander abgestimmt und zeitnah umgesetzt werden. Umso mehr sollte die Bundesregierung einen klaren Kompass haben. Für uns kommt es vor allem auf drei Prinzipien an: ökologische Effektivität, ökonomische Effizienz und soziale Ausgewogenheit. Nur so können wir eine breite Mehrheit für diese große Transformation gewinnen. Und nur so können wir auch die Freiheit und die Mobilität kommender Generationen sichern.
Agora Verkehrswende
Agora Verkehrswende will zusammen mit zentralen Akteurinnen und Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft die Grundlagen dafür legen, dass der Verkehrssektor bis 2050 vollständig dekarbonisiert ist.
https://www.agora-verkehrswende.de