Ferda Ataman: „Daten haben ein hohes Diskriminierungs­potenzial“

Wie gegen digitale Diskriminierung vorgehen? Ferda Ataman gibt Antworten.
Ferda Ataman: „Daten haben ein hohes Diskriminierungs­potenzial“
Autorin: Elisabeth Krainer 23.04.2024

Ferda Ataman arbeitet daran, Wissen über digitale Diskriminierung zu verbreiten. Im Interview spricht die Unabhängige Bundes­beauftragte für Anti­diskriminierung von rechtlichen Grauzonen, persönlichen Erfahrungen und warum es Offenheit braucht, um Diskriminierung zu verringern.

Am 23. April 2024 ist Ataman mit anderen Expert*innen zu Gast beim Mercator Forum „Digitale (Ohn-)Macht – Teilhabe und Zusammen­halt in der digitalisierten Gesellschaft“.

Frau Ataman, Sie sind Anti­diskriminierungs­beauftragte des Bundes. Das heißt, Sie beschäftigen sich mit Macht­dynamiken – auch im digitalen Raum. Inwiefern beeinflussen die digitalen Entwicklungen der letzten Jahre Ihre Arbeit?

Wir arbeiten auf Grundlage des Allgemeinen Gleich­behandlungs­gesetzes (AGG), das sich auf das Arbeits­leben und den Zugang zu Dienst­leistungen und Gütern bezieht – zum Beispiel, wenn Menschen eine Wohnung mieten oder Bahn fahren wollen. Die Digitalisierung spielt in allen Lebens­bereichen eine immer größere Rolle. Insofern sind automatisierte Entscheidungs­systeme, algorithmische Entscheidungen und Künstliche Intelligenz für uns auch zunehmend relevant. Digitalisierung erleichtert nicht nur das Leben, sondern leider auch die Diskriminierung.

Wie unterscheidet sich Anti­diskriminierungs­arbeit digital und analog?

Es macht für diskriminierte Personen keinen Unterschied, ob sie analog oder digital diskriminiert werden. Das Ergebnis ist das gleiche. Die Frage, die sich im digitalen Raum stellt, lautet: Was kann ich tun, wenn mich nicht ein Mensch, sondern ein digitales Instrument diskriminiert hat? Das ist eine rechtliche Grauzone. Wir müssen Menschen darüber aufklären, damit sie sich wehren können. Das findet bisher nicht statt. Unser nächster Schritt ist es, Anlaufstellen zu schaffen und das Bewusstsein für Diskriminierung im digitalen Raum zu stärken.

Ferda Ataman
© Sarah Eick

Ferda Ataman wurde 1979 in Stuttgart geboren. Die Politik­wissenschaftlerin arbeitete als Reden­schreiberin, wechselte dann in den Journalismus und schrieb Artikel und Kolumnen über Migration, Diversität und Diskriminierung. Sie gründete 2008 mit Kolleg*innen den Verein „Neue deutsche Medien­macher*innen“. Seit 2010 hat Ataman verschiedene Funktionen bei der Anti­diskriminierungs­stelle des Bundes inne. Seit 2022 ist sie Unabhängige Bundes­beauftragte für Anti­diskriminierung.

Warum lässt sich digitale Ungleichbehandlung so schwer erkennen?

Nehmen wir das Thema Wohnungssuche. Wenn ich mich online für eine Besichtigung anmelde, weiß ich nicht, ob meine Nachricht bei der Person landet, die die Anzeige verwaltet, oder ob da vielleicht ein automatisiertes Entscheidungs­system alle Anfragen filtert. Insofern wissen Menschen nicht, ob sie überhaupt diskriminiert wurden – und wenn ja, aufgrund welcher Merkmale oder Informationen. Das ist ein Problem, denn wir haben in Deutschland ein Anti­diskriminierungs­recht, das voraus­setzt, dass man als Betroffene*r sehr klare Belege für diskriminierendes Verhalten haben muss. Hat man diese Belege nicht, kann man nicht dagegen vorgehen.

Das bedeutet: Computersysteme verschleiern Diskriminierung. Und Algorithmen großer Tech­unternehmen agieren meist intransparent und vervielfältigen diskriminierende Strukturen. Welche Ansätze gibt es, um dieses Problem zu lösen?

Vollständige Transparenz ist das eine. Zusätzlich wäre es sinnvoll, Technologien von Anfang an mit Maßnahmen zum Diskriminierungs­schutz auszustatten. Künstliche Intelligenz arbeitet zum Beispiel auf Grundlage schon bestehender Daten. Das heißt, man müsste schon beim Training der Software diskriminierungs­sensibel entscheiden, um strukturelle Nachteile nicht einfach zu reproduzieren. Daten haben großes Diskriminierungs­potenzial. Sie sind nicht neutral, wie viele Menschen denken.

Ferda Ataman
Ferda Ataman in ihrer Position als Antidiskriminierungsbeauftragte. © Getty Images

Sie sind in den sozialen Medien sichtbar. Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit digitaler Diskriminierung gemacht?

Ich nehme sehr viel ungebremsten Hass und Grenz­verletzungen wahr. Das ist jedoch nicht Diskriminierung im rechtlichen Sinn. Grundsätzlich müssen wir leider feststellen, dass Menschen mit Diskriminierungs­merkmalen wie trans* Personen, Menschen mit Rassismus- oder Anti­semitismus­erfahrungen, Menschen mit Behinderung oder auch queere Personen mit Hass und Hetze zugeschüttet werden. Mir bereitet das große Bauchschmerzen.

Der Schutz von Menschen steht immer an erster Stelle, auch wenn man die Wirtschaft schützen oder die Digitalisierung vereinfachen will.

Ferda Ataman

Wie müsste das Allgemeine Gleich­behandlungs­gesetz angepasst werden, um den digitalen Raum diskriminierungs­frei zu gestalten?

Diskriminierung im digitalen Raum müsste als Anwendungs­bereich in Paragraf 3 des AGG aufgenommen werden. Zudem braucht es eine Offen­legungs- und Auskunfts­pflicht für Betreibende von Plattformen. So hätten Menschen Anspruch auf Auskunft über die Funktions­weise des Systems, wenn sie Fragen haben. Um sich auch außer­gerichtlich einigen zu können, sind unabhängige Schlichtungs­stellen nötig. Bisher gibt es für die Anti­diskriminierungs­stelle jedoch kein verpflichtendes Schlichtungs­verfahren im AGG. Menschen müssen also allein vor Gericht ziehen, alle Kosten und Risiken tragen. Um Betroffene dabei zu unter­stützen, ihre Rechte durch­zu­setzen, braucht es ein Verbands­klage­recht. Nicht jede*r hat die finanziellen Mittel, Zeit oder Kraft, sich großen Konzernen entgegen­zu­stellen.

Was sollte die deutsche Digital­politik ändern?

Vor Kurzem wurden verschiedene Gesetze verabschiedet, zum Beispiel der Digital Services Act (DSA), in dem Diskriminierungs­schutz jedoch kaum berücksichtigt wird. Das halte ich für einen Fehler. Der Schutz von Menschen steht immer an erster Stelle, auch wenn der Staat die Wirtschaft schützen oder die Digitalisierung vereinfachen will. Wenn wir die Grund­werte unserer Verfassung konsequent weiter­denken, müsste das zu Maßnahmen führen, die auch im digitalen Raum Gleichheit, Freiheit und die Würde des Menschen wahren. Mein Eindruck ist, dass dieses Bewusst­sein bei vielen Verantwortlichen in der Politik durchaus gegeben ist. Aber in den rechtlichen Papieren ist das noch nicht ausreichend berücksichtigt.

Wie müssen Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zusammen­arbeiten, um die neuen Macht­dynamiken in der digitalen Transformation für Menschen bestmöglich zu steuern?

Die Wirtschaft wird häufig in die Gesetzgebung des Staates eingebunden, die Gesellschaft weniger. Dabei sehen wir häufig in Gesprächen mit Unternehmen, dass der Wirtschaft daran gelegen ist, diskriminierungs­frei zu arbeiten. Es fehlt nicht am Willen, sondern eher an praktischen Zugängen. Deshalb ist es so wichtig, dass Staat und Wirtschaft eng mit der Zivil­gesellschaft zusammen­arbeiten – dort werden die relevanten Erfahrungen gesammelt. Dieses Wissen kann dann in die Gesetz­gebung einfließen. Dafür braucht es Offenheit. Es geht darum, mit Diskriminierung zu rechnen und Lösungswege zu finden.


Mercator Forum 2024

Das Mercator Forum 2024 widmet sich dem Thema „Digitale (Ohn-)Macht – Teilhabe und Zusammenhalt in der digitalisierten Gesellschaft“.

Die Geschäftsmodelle und die Dominanz einzelner großer Techkonzerne machen uns anfällig für Manipulation, schaffen neue Abhängigkeits­verhältnisse und schwächen damit nicht nur die europäische Wirtschaft, sondern auch unsere Demokratie. Kurzum: Das Macht­verhältnis zwischen Staat, Individuum und Unternehmen wird durch den digitalen Wandel fundamental verändert.
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