Du sollst vergleichen!
Warum Vergleiche zwischen Klima- und Corona-Krise dem Denken auf die Sprünge helfen: Carel Mohn von klimafakten.de über die Möglichkeit, die einschneidend veränderten Lebensumstände als Chance nutzen zu können.
Eine der großen Streitlinien in der Debatte über den Klimawandel ist die Frage, um was für eine Art von Problem es sich eigentlich handelt. Geht es bei der Erderhitzung um ein zwar ernstes, letztlich aber mit den Mitteln der Tagespolitik zu behandelndes Problem? Ein Problem, das man parallel zu anderen politischen Aufgaben angehen und bei dem man einen „vernünftigen Ausgleich“ zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Belangen finden müsse? Diese Lesart ist populär bei Wirtschaftspolitikern aller Couleur. Ihr scheint auch die europäische Automobilindustrie zu folgen, die nach einem Bericht der FAZ angesichts der für sie besonders schmerzhaften Corona-Krise für „Flexibilität“ beim Erreichen der Emissionsziele wirbt – und „einige Anpassungen“ an den Zeitplänen fordert.
Carel Carlowitz Mohn
Seit 2011 ist Carel Carlowitz Mohn Chefredakteur und Projektleiter des Projekts klimafakten.de.
There are no jobs on a dead planet
Oder handelt es sich beim Klimawandel nicht eher um ein Problem alles überragender Bedeutung, das vor allen anderen zu behandeln ist, eine Art „Oberproblem“ also? Dieser Interpretation folgt nahezu einhellig nicht nur die Klimaforschung. Auch in der Klimabewegung sieht man das so, getreu dem unter Klimaschützern populären Diktum „Mit der Physik kann man nicht verhandeln“ oder der ebenso beliebten Parole: „There are no jobs on a dead planet.“
Betrachtet man also die Klimadebatte als Auseinandersetzung entlang dieser Frontlinie, so verwundert es kaum, mit welcher Intensität aktuell darüber debattiert wird, inwieweit es Parallelen zwischen dem Umgang mit der Corona- und der Klimakrise gibt, welche Lehren aus der einen für die andere zu ziehen sind. Nicht zuletzt scheinen sich in Sachen Corona ja (fast) alle dem Urteil der Epidemiologen anschließen zu wollen, mit dem Virus könne man nicht verhandeln – und auch bei der Akzeptanz drastischer Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung gilt leicht abgewandelt wohl die Ansage „There are no jobs for dead patients.“
Auf der Suche nach klugen klimapolitischen Strategien haben wir noch lange nicht ausgelernt!
Indes folgte auf den naheliegenden Impuls, Corona- und Klimakrise miteinander zu vergleichen, sehr rasch der Gegenimpuls, der eben hiervor warnte. Zu unterschiedlich seien die nötigen Strategien zur Krisenbewältigung, zu verschieden auch Ausmaß und Unmittelbarkeit der Bedrohung. Und in der Tat: Angesichts verheerender sozialer und wirtschaftlicher Folgen ist es ebenso unpassend wie kurzsichtig, wenn in Social-Media-Kanälen mit klammheimlicher Freude festgestellt wird, wie gut fürs Klima doch Reisebeschränkungen oder Flugverbote seien.
Und doch helfen Vergleichsverbote nicht weiter. Vielmehr hindern Sie uns daran, die plötzlich einschneidend veränderten Lebensumstände auch als Chance nutzen zu können, die Dinge in ganz anderer Perspektive sehen zu können.
Schädlicher Normalzustand
Kommen wir noch einmal auf die am Boden gebliebenen Flugzeuge zurück: Sie erinnern eben durchaus daran, dass der allseits ersehnte „Normalzustand“ unserer Wirtschaft und unseres gesellschaftlichen Lebens bisher in viel zu vielen Lebensbereichen damit verbunden war, die Grundlagen eben dieses Lebens zu schädigen. Noch inmitten der Krise kann hier also ein Vergleich helfen, das vermeintlich Normale mit anderen Augen zu sehen.
Der Vergleich hilft aber nicht nur dabei, uns in einer Welt zurechtzufinden, die sich für Milliarden von einem Tag auf den anderen radikal verändert haben (und dass hierbei auch manch unangebrachte Analogie gezogen wird, zeigt ja nur, wie schwer es uns fällt, die Orientierung zu finden). Das intensive Bemühen, aus der Corona-Krise Lehren zu ziehen, verweist auch auf die anhaltenden Schwierigkeiten, adäquat auf die Dauerkrise des Klimawandels zu reagieren. Wenn also Vergleiche als eine Art Motor des Verstehens und Lernens gelten können, dann bitte: Auf der Suche nach klugen klimapolitischen Strategien haben wir noch lange nicht ausgelernt! Und vielleicht sind es ja besonders die leicht schrägen Vergleiche, die uns weiterhelfen.
Die historische Erfahrung zeigt, dass Gesellschaften oft gerade nach tiefgreifenden Einschnitten die Kraft aufbringen, mutig nach vorn zu gehen, Dinge zu wagen, die zuvor undenkbar erschienen.
So berichtete vor einigen Tagen anderem die Tagesschau-Redaktion aus einem Strategiepapier des Innenministeriums: „Aus Sicht der Autoren ist es für den Erfolg entscheidend, dass es der Bundesregierung gelingt, die Bevölkerung zu mobilisieren. … es sei daher notwendig, die Menschen noch stärker als bisher vom Ernst der Lage zu überzeugen und mit verbreiteten Fehlvorstellungen aufzuräumen. Zum Irrglauben gehöre es etwa, dass das Virus nur die Alten treffe oder für Kinder harmlos sei.“
Vielleicht handelt es sich ja um eine déformation professionelle eines langjährigen Klimakommunikators, aber in meinem Kopf wurde daraus: „Aus Sicht der Autoren ist es für den Erfolg entscheidend, dass es der Bevölkerung gelingt, die Bundesregierung zu mobilisieren. … es sei daher notwendig, die Politik noch stärker als bisher vom Ernst der Lage zu überzeugen und mit verbreiteten Fehlvorstellungen aufzuräumen. Zum Irrglauben gehöre es etwa, dass der Klimawandel nur die Jungen treffe oder für die Alten harmlos sei.“
Das Beispiel zeigt – bereits ein Verändern weniger Begriffe kann helfen, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen zwei verschiedenen Situationen besser zu erkennen. Das heißt im konkreten Fall: Zu verstehen, um wieviel komplexer die Klimakrise ist und wie ungleich schwerer eine umfassende politische Mobilisierung bei dieser Krise ist.
Dinge wagen, die zuvor undenkbar schienen
Derzeit ist noch völlig unklar, wann die Corona-Pandemie zu Ende gehen wird. Doch wie auch immer dieses Ende aussehen wird, zwei Dinge sind schon jetzt klar: Wir werden es dann immer noch mit der Klimakrise zu tun haben. Und die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen wir uns ihr dann wieder widmen müssen, werden sich erheblich verändert haben. Darin liegt möglicherweise auch eine große Chance. Die historische Erfahrung zeigt, dass Gesellschaften oft gerade nach tiefgreifenden Einschnitten die Kraft aufbringen, mutig nach vorn zu gehen, Dinge zu wagen, die zuvor undenkbar erschienen. Eine Rückkehr zum „Normalzustand“ jedenfalls ist höchst unwahrscheinlich, weder in einem ökonomischen, noch in einem geistig-kulturellen Sinn.
Die Zeit wird wieder kommen, an dem die Seuchenbekämpfung nicht mehr das alles beherrschende politische Thema sein wird. Wer dann dem Klimaschutz neuen Schub geben will, dem sei geraten, auf eine Veränderung der Nach-Corona-Zustände schon jetzt hinzuarbeiten.
klimafakten.de
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