Von Mut
und Wut

Ein Junge hält den Planeten Erde im Arm und schreit.
Von Mut
und Wut
Autor: Uli Hauser 16.12.2019

Warum ich, wenn ich das Wort Klimawandel höre, immer an Onkel Werner denken muss: Mercator Fellow Uli Hauser erzählt, wie er dazu kam, sich für Klimaschutz einzusetzen.

Meine erste Klima-Krise hatte ich vor über 45 Jahren. Ich war vielleicht zehn Jahre alt und saß nach der Schule mit meinen Geschwistern beim Mittagessen in der kleinen Küche meiner Eltern hinter unserem kleinen Milchladen in Orsoy am schönen Niederrhein. Jeden Tag kam Onkel Werner, der lebenslustige Friseur von nebenan, für eine Stunde vorbei und verbrachte seine Mittagspause bei uns. Hustend, prustend, rauchend. Er erzählte Witze, verschluckte die Pointe, und trotz aller Heiterkeit fühlte ich mich machtlos: Denn keiner von uns wollte, dass Onkel Werner raucht und unsere Luft verpestet. Aber wir wagten nicht, dies zu sagen. Meine Mutter, freundlich und gutmütig und zugewandt, auch nicht. Die Aufforderung, bitte draußen oder am liebsten gar nicht zu schloten, hätte die Gastfreundschaft gestört. Allen Gästen erweise man die angemessene Ehre, so hatten wir es auch im Religionsunterricht gelernt. Als Messdiener zogen wir über den Wall und sangen: Wir sind nur Gast auf Erden.

Jetzt, mit 57 Jahren, fällt mir die Geschichte von Onkel Werner fast jeden Tag wieder ein. Als Parabel, wenn man so will, auf die Verhältnisse von heute. Denn einmal fasste ich den Mut, ihm als kleiner Junge ins Gesicht zu sagen: Bitte, Onkel Werner, hör auf zu qualmen, uns wird schlecht dabei. Und Onkel Werner hörte auf: weil auch der Arzt ihm gesagt hatte, wenn er nicht sofort aufhöre, werde er sterben. Leider geschah dies sehr viel früher, als es ihm und uns allen lieb war.

Die großen Dinge wagen

Das Fellowship bei der Stiftung Mercator war der Anlass, dass ich den Mut fasste, einen über die vielen Jahre lieb gewonnenen Job zu verlassen. Nach 27 Jahren als stern-Reporter und 40 Jahren als Journalist, angefangen bei der Neuen Ruhr Zeitung in Essen, habe ich meinen spannenden Job bei der Weltpresse – komm, kann man mal sagen – gegen den spannenden Job des Weltrettens getauscht. Und den Kolleginnen und Kollegen gesagt: Leute, wir müssen alle mehr tun, lauter werden, radikaler, entschlossener. Die großen, nicht die kleinen Dinge wagen.

Meine dicke Haut ist dünn geworden.

Und während ich mich so reden hörte, war ich schon draußen. Nicht mehr im Schreibbüro, sondern auf der Straße. Nicht mehr als Reporter, der Worte wägt und beobachtet, sich immer wieder zur Neutralität verpflichtet. Sondern als jemand, der sich einmischt und verletzlich macht.

Ich hatte nicht gedacht, dass ich mit 57 Jahren noch so aus meiner Haut fahren kann, was habe ich gebrüllt in den vergangenen Monaten. Meine dicke Haut ist dünn geworden.

Und was habe ich gelacht und geweint. Weil ich so viele großartige und bewegte Menschen getroffen und lieb gewonnen habe. Menschen, die verzweifeln, Menschen, die noch hoffen, Menschen, die sich gegen die schlechten Nachrichten verbünden. Junge Menschen, alte Menschen, die alles sind – außer gleichgültig, oder zynisch, Achselzucker oder Abwinker.

Manchmal schon müde

Hallelujah: Was für ein Abenteuer, zum Beispiel die Sommerkonferenz der Fridays for Future-Bewegung in Dortmund mit organisieren zu dürfen! Wie einfach und so schön. Eine Idee, ein Anruf. Beim Stadtdirektor von Dortmund, einem alten jungen Freund, der sagt: Klar, Uli, machen wir. Dann der nächste Anruf, bei Ragna aus Göttingen, 18 Jahre jung und schon so weise. Vor einem Jahr organisierte und mobilisierte sie auch mit wenigen Anrufen 40 Menschen. Dann 100. Dann 1000. Dann 2000 in Dortmund. Dann 1,3 Millionen, beim ersten weltweiten Klimastreik. Ragna, Jakob, Helena, Arne, Maximilian, Linus, Luise und Luisa und all die anderen, jung und schlau und schnell, begeistern und begleiten mich bis heute, und sie machen und sie tun und sie sind verzweifelt und sie sind laut und sie wollen erst gar keine Umwege machen, und in keine Sackgasse geraten und müde werden über die Verhältnisse.

Diese Freundinnen und Freunde sind: ausgeschlafen. Und: doch manchmal schon müde. Weil sie wissen, was getan werden müsste, jetzt und sofort, weil sie nicht ertragen, dass so viele sich ducken und wegschauen und verleugnen. Sie hören gut zu, was die anderen, die Menschen, die Wissen schaffen, Wissenschaftler, ihnen sagen. Die Karen, der Lars, die Maja, der Fritz, der Jörg, der Philip und so viele weitere, die ich bisher kennen und schätzen lernen durfte. Die einen hier, die anderen dort, unermüdlich in ihrem Bemühen und in der Hoffnung, dass bitte bitte noch Hoffnung sein darf.

An dieser Stelle möchte ich ein paar Sätze des geschätzten Kollegen Dirk C. Fleck zitieren, der das hier schreibt: Das Erstaunliche  ist, dass es nicht die Herausforderungen sind, die uns ohnmächtig werden lassen, sondern das verbreitete Gefühl, nicht an der praktischen Umsetzung von Lösungsansätzen teilnehmen zu können. Das Problem ist nicht die Krise! Das wirkliche Problem ist das Gefühl der Machtlosigkeit, dieser Eindruck, mit gebundenen Händen dazustehen und nichts anderes tun zu können. Wie schafft man es nun, angesichts der permanent sich verschlimmernden Zustände nicht verrückt zu werden?

Wir sollen angehen gegen das Lähmende, wo möglich, mit guter Laune.

Der US- amerikanische Umweltaktivist und Autor Derrick Jensen („Endgame“) bringt es auf den Punkt: „Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass unsere Zivilisation nur Wälder kahl schlägt. Sie tut dasselbe mit unserer Psyche. Es wäre verfehlt zu glauben, dass sie nur Flüsse mit Dämmen verbaut. Sie errichtet auch in uns Dämme. Es wäre verfehlt, dass sie nur in den Meeren tote Zonen erzeugt. Sie schafft tote Zonen in unseren Herzen und in unseren Köpfen. Es wäre verfehlt zu glauben, sie würde nur Habitate zerstückeln. Auch wir werden zerstückelt, zertrennt, zerfetzt, zerrissen und zermalmt“.

Heiter werden und verletzlich bleiben

Onkel Werner ging es auch so, am Ende. Vielleicht geht es auch mir so, obwohl ich nicht rauche. Aber ich bin selbst jeden Tag Zerstörung und Bewahrung zugleich, die feinen Linien zwischen gut und böse durchziehen mein Herz, jedes Herz. Und doch sollten wir uns alle auf die helle Seite schlagen. Mehr Licht wagen! Heiter werden und verletzlich bleiben, verlässlich aber und entschlossen. Verachtung und Verleugnung: Schluss damit. Wir brauchen wieder eine Ordnung, eine Struktur. Noch mehr Kinder, die jungen wie die alten, Kinder, die Wahrheit sagen und den Weg weisen, nicht nur am Friday.

So viele, scheinbar erwachsen, haben sich längst von sich selbst verabschiedet. Und wollen uns hineinziehen ins lähmend Bequeme. Der Mensch fühlt sich heute kaum noch als Teil der Natur und empfindet die Natur auch nicht mehr als Teil seiner selbst. Viele Leute wollen nur noch Sonne, und dass die Welt dabei versengt, ist ihnen so lange egal, bis der Hautarzt kommt. Das Tempo der Welt verbrennt nicht nur Wälder, sondern auch uns.

Ulrich Hauser
Uli Hauser © Gregor Schläger

Diese Klimakrise ist auch eine Krise des Menschen.

So müssen wir wieder lernen, die Dinge in einem angemessenen Tempo zu bewältigen. Fahr er langsam, ich habe es eilig, das hat der alte Fritz zu seinem Kutscher gesagt. Lasst uns also alle auf diese Weise in die Bewegung kommen. Wenn nötig, auch mit dem Flieger. Wenn möglich, zu Fuß. Warum, bitte, reden wir von Fußabdruck, wenn es eigentlich um Autoreifen geht? Sollte nicht das neue und alte Mobilitätskonzept dies sein, unter anderem: dass wir wieder die richtigen Schritte machen, in der richtigen Reihenfolge, so wie wir es als Kinder gelernt haben?

Und wir sollten heiter lieben gegen den Hass. Mit innerer Ruhe in aufgeregten Zeiten. Ist schwer, muss aber.

Wir sollen angehen gegen das Lähmende, wo möglich, mit guter Laune. Es geht auch um Schönheit. Welt retten und Spaß dabei: It’s the Beauty, stupid!

Mein Traum: Eine Gesellschaft, in der sich alle wieder auf die Schliche kommen. Sich wandeln, im besten Sinne, im Kleinen wie im Großen. Jetzt ist die Zeit, neue Geschichten zu erzählen. Von Wissen und Wollen. Und machen.

Machen ist wie Wünschen: nur krasser.

Onkel Werner hätte ich gewünscht, dass er früher mehr Mut gehabt hätte. Er würde sich, glaube ich, freuen. Wenn ich ihm später, in 45 Jahren vielleicht, erzählen kann, dass sein Ende für mich ein Anfang war.

Und 2019 das Jahr, in dem ich mich entschloss, noch mehr aus mir herauszugehen.

Mercator Fellowship-Programm

Das Mercator Fellowship-Programm bietet seinen Stipendiat*innen den Freiraum, sich explorativ und ideenreich einem Forschungs- oder Praxisvorhaben zu widmen.

www.stiftung-mercator.de