„Mit Klimazielen schmücken Politiker sich gerne“
Bis 2020 will Deutschland 40 Prozent der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 einsparen. Inzwischen ist klar: Das schaffen wir nicht. Woran liegt es, und was hätte anders laufen müssen? Darüber sprechen wir mit Felix Creutzig vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change.
Herr Creutzig, Deutschland wird es bis 2020 nicht schaffen, die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent zu reduzieren. Sind wir Versager?
Felix Creutzig: (lacht) Ja, wobei ich denke, dass das Versagen hauptsächlich aufseiten der Politik liegt. Sie ist die Instanz, die die nötigen Maßnahmen ergreifen kann.
Was ist der Grund, warum es „nur“ etwa 32 Prozent weniger Emissionen werden?
Creutzig: Man kann nicht sagen, dass ein einzelner Sektor allein verantwortlich ist – in allen Bereichen hätte mehr getan werden müssen. Den dominantesten Anteil hat der Kohleausstieg beziehungsweise der schnellere Umstieg auf erneuerbare Energien. Das ist ein großer Batzen, der am günstigsten und schnellsten zu haben wäre, und hier hätte sicherlich mehr passieren können.
Es fehlen etwa acht von den geplanten 40 Prozent. Könnte man sie bis Silvester noch aufholen?
Creutzig: Es geht tatsächlich mehr, als man denkt. Deutschland produziert zum Beispiel einen Stromüberschuss. Man könnte die Herstellung innerhalb des Landes also reduzieren. Ich denke, dass wir etwa vier bis fünf Prozent erreichen könnten, indem wir einige Braunkohlekraftwerke stilllegen. Um die ganzen acht Prozent zu schaffen, müssten aber etwa 14 solcher Kraftwerke außer Betrieb gesetzt werden. Dann kämen wir allerdings in einen Versorgungsengpass, da der Ausbau der erneuerbaren Energien relativ langsam vorangeht, und so viel kann man dann doch nicht auffangen.
Wie viel könnten Einzelpersonen zu den acht Prozent noch beitragen? Das Engagement ist derzeit ja sehr hoch.
Creutzig: Die Motivation ist sicherlich vorhanden, ja. Allerdings können wir als Einzelpersonen nur Dinge ändern, die unter unserer eigenen Kontrolle liegen. Am einfachsten geht das über Nahrungsmittel. Weniger Fleisch und Milchprodukte zu konsumieren senkt den CO2-Ausstoß tatsächlich. Eine andere Möglichkeit ist die individuelle Mobilität – dass wir zum Beispiel öfter aufs Fahrrad umsteigen und in den öffentlichen Nahverkehr. Für diese Bereiche gilt aber: Das alleine reicht auf Dauer nicht aus und ist auch nicht der alleinige Weg. Wir können nicht sämtliche Verantwortung auf die Individuen schieben. Gerade unsere Mobilität wird sehr stark von den Strukturen geformt. Daran können wir nicht viel ändern und wenn, dann nur unter erheblichem Einsatz. Hier ist es eher wichtig, dass die Einzelnen politisch aktiv werden, sich also organisieren und darauf hinwirken, dass beispielsweise in Mensen kein Rindfleisch mehr angeboten wird oder dass Städte die Fahrradinfrastruktur verbessern. Unsere eigene Verantwortung ist somit, aktiv zu werden und konkrete Forderungen an die Politik zu stellen.
Allerdings können wir als Einzelpersonen nur Dinge ändern, die unter unserer eigenen Kontrolle liegen.
Das heißt, der Einzelne erreicht irgendwann eine Grenze …
Creutzig: Genau. Das Interessante ist aber: Wenn wir zum Beispiel weniger Fleisch essen oder mehr Fahrrad fahren, dann sehen andere, dass das möglich und gut ist und ziehen nach. So entsteht eine soziale Norm, die tatsächlich auch eine politische Funktion hat.
Als Ursache für das Verfehlen des Etappenziels für 2020 nennt die Bundesregierung höhere Emissionen in den Sektoren Verkehr und Gebäude. Was ist hier schiefgelaufen?
Creutzig: Was den Verkehr betrifft, ist eine grundlegende Ursache, dass es einfach mehr gibt. Die Zersiedelung spielt hier eine Rolle, also dass zusätzlicher Wohnraum oft in den peri-urbanen Räumen mit schlechterem Nahverkehrsanschluss entsteht. Der andere Aspekt ist, dass der Verkehrsbereich vor allem auf EU-Ebene reguliert wird. Es gibt zum Beispiel die Treibstoffeffizienzstandards. Sie werden nach einem gewissen Testzyklus gemessen – und der ist leicht zu manipulieren, was auch gemacht wurde. Das ist zwar nicht illegal, aber illegitim, denn so werden die CO2-Ziele unterlaufen. Auch schwere Fahrzeuge wie SUVs werden in diesen Effizienzstandards bevorzugt. Eine Detailregulierung, die problematisch ist.
Liegen die höheren Emissionen nur an Autos?
Creutzig: Die zusätzlichen Kilometerleistungen der Pkw spielen in der Tat eine Rolle. Dazu kommt aber noch der Flugverkehr. Hier sind die Emissionen relativ dramatisch, da sich der Effekt von CO2 in den oberen Luftschichten verschlimmert. Zudem steigt der Flugverkehr sehr stark an, schneller als der auf der Straße. Er wird in Zukunft eines der größten Probleme sein und kommt gleichzeitig finanziell am günstigsten weg. Es gibt keine Kerosinsteuer, keine vernünftige Bepreisung – im Gegensatz zur Bahn, die voll bepreist wird. Hier werden also die umweltschädlichsten Verkehrsmittel bevorzugt. Das ist eine Perversion der deutschen, aber auch der europäischen Anreizregulierung durch Preisinstrumente.
Warum ist das so?
Creutzig: Es gibt einen historischen Grund. Vor sechzig, siebzig Jahren wurden bilaterale Abkommen geschlossen, die von einer Kerosinsteuer absahen. Das basierte auf der guten Idee, dass es mehr Austausch, Völkerverständigung und Handelsmöglichkeiten geben sollte. Damals war das Klima auch noch kein Thema. Jetzt ist es sehr schwierig, solche Abmachungen rückgängig zu machen. Es ist jedoch möglich, innereuropäische Flüge mit einer relevanten Kerosinsteuer von etwa 33 Cent pro Liter zu belegen, wie es der belgische Vorschlag nahelegt.
Welchen Anteil an diesen Entwicklungen tragen die Verbraucher*innen? Wir sind es ja, die ins Auto steigen und Flüge buchen.
Creutzig: Ich glaube, es gibt bei fast allen eine große Bereitschaft, sich umweltfreundlich zu verhalten. Bloß heißt es bei vielen „Ich muss halt mit dem Auto fahren, weil ich keine andere Möglichkeit habe.“ Wir sprechen zwar überall über Klimaschutz, über Kohleausstieg und effizientere Fahrzeuge, aber es wird wenig über Infrastruktur gesprochen, etwa den Straßen- und Schienenausbau. Auf den haben Verbraucher kaum Einfluss. Auf politischer Seite gibt es Instrumente wie den Bundesverkehrswegeplan, der Investitionen in Verkehrswege festlegt. Nur wird er überhaupt nicht aus der Klimaperspektive durchgedacht und läuft im Ergebnis konträr zu den Klimaschutzzielen. Es gäbe also insgesamt viel Potenzial, Investitionen auf politischer Ebene dramatisch umzulenken.
Der Sektor Energie soll bis 2030 ca. 62 Prozent weniger Emissionen produzieren (gegenüber 1990). Der Kohleausstieg soll hier maßgebend wirken. Ist er der Heilsbringer?
Creutzig: Der Großteil der Emissionen in Deutschland kommt aus der Kohle, deshalb ist der Kohleausstieg absolut elementar und wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Ziele für 2030 zu erreichen. Alleine reicht der Kohleausstieg aber nicht aus, weil indirekt dadurch die Emissionen in anderen EU-Ländern steigen und diese sogar den Klimagewinn negieren könnten.
Was bedeutet das für die kohleproduzierenden Regionen? Ein umfassender Strukturwandel muss gestemmt werden, den die Bevölkerung tragen muss …
Creutzig: Es fließen ja schon 40 Milliarden in die Braunkohlegebiete Mitteldeutschlands und der Lausitz. Die Frage ist, wie man die Mittel am besten einsetzt. Ich glaube, dass Geld nicht mal das Allerwichtigste ist, obwohl es natürlich gebraucht wird. Es geht hier eher um Anerkennung. Den Kohlearbeitern wird einfach gesagt: „Schön und gut, aber ihr werdet jetzt nicht mehr gebraucht.“ Das ist eine Botschaft, die überhaupt nicht gut ankommt – egal, was dazu an Geld fließt. Der Fokus sollte darauf liegen, wie man Expertise nutzen kann und welche Potenziale es in den Regionen gibt, zum Beispiel in der CO2-Abspeicherung, und dann gezielt Arbeitsplätze zu schaffen oder dahingehend umzuwandeln.
Die CO2-Steuer wird heiß diskutiert. Kann eine Steuer Emissionen senken?
Creutzig: Ja. Sie ist ein Preissignal und dadurch, dass mit ihr möglichst viele Emissionen quer über alle Sektoren erfasst werden, auch insgesamt das wirksamste Instrument. Für den Autoverkehr bedeutet eine CO2-Abgabe erst mal ein paar Cent mehr an der Zapfsäule, im Energiesektor könnte sie bewirken, dass der Kohleausstieg sogar schneller kommt.
Insgesamt wäre die Steuer also ein Mittel zum Ziel?
Creutzig: Nicht nur ein Mittel, sondern das wichtigste. Obwohl es natürlich nicht das alleinige sein wird.
Die Klimaziele sind abhängig von den politischen Rahmenbedingungen, die man dafür schafft. Warum tut man sich so schwer damit, so zu handeln, wie es die Situation erfordert?
Creutzig: Man muss unterscheiden: Es gibt Klimaziele und Klimaschutzinstrumente. Da besteht eine Riesendiskrepanz. Mit Klimazielen schmücken sich Politiker gerne, und das kommt auch gut an. Aber bezüglich der Klimaschutzinstrumente gibt es auf politischer Seite viel Angst. Sie bedeuten eine Änderung der wirtschaftlichen Strukturen, und hier sind Politiker eher risikoavers, weil sie fürchten, Wähler zu verlieren. Klimaschutzinstrumente müssen daher sehr stark im Einklang mit sozialpolitischen Zielen gedacht werden. Es ist zum Beispiel eine große Frage, wie man damit umgeht, dass eine CO2-Bepreisung die ärmeren Bewohner ländlicher Regionen stärker belastet als die städtischen. Klar könnte eine Abgabe als Klimageld pro Kopf wieder an die Bürger ausgezahlt werden. Härtefälle gibt es dennoch. Beispielsweise ärmere Pendler, die nicht viel verdienen, aber aufs Auto angewiesen sind. Die Politik muss sich Maßnahmen einfallen lassen, um so etwas abzufedern.
Welche drei strukturellen Veränderungen sind unverzichtbar, damit das nächste Etappenziel von 55 Prozent weniger Emissionen bis 2030 erreicht wird?
Creutzig: Das Wichtigste wäre ein CO2-Preis, der bei 50 Euro pro Tonne ansetzt und sich jährlich um 10 Prozent steigert, bis auf 130 Euro im Jahr 2030. Damit wären wir schon ziemlich nah an den 2030er-Zielen. Das Zweite ist eine andere Infrastrukturpolitik: im Verkehrsbereich vor allem eine Ausweitung von umweltfreundlicher Infrastruktur wie Fahrradschnellwegen, zusätzlichen Bahnlinien mit höherer Frequenz und Zuverlässigkeit. Eine Deregulierung und Neuregulierung täten hier gut. Zum Beispiel sollten Carsharing-Anbieter viel einfacher in Städte kommen und Parkplätze generell genehmigungspflichtig sein. Auch der Baubereich bräuchte eine De- und Neuregulierung. Es sollte flexibler und günstiger sein, neue Ideen durchzusetzen, und sowohl Niedrigzementlösungen wie auch die Holzbauweise sollten regulativ überhaupt erst mal ermöglicht werden. Sprich: Sie sollten der Normalfall sein und keine Sondergenehmigung erfordern. Und schließlich wird die Landwirtschaft etwas unterschätzt. Hier gäbe es noch Möglichkeiten, zu handeln, indem man beispielsweise den Einsatz synthetischer Düngemittel reduziert.
Prof. Dr. Felix Creutzig
Prof. Dr. Felix Creutzig leitet im Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) die Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport und lehrt an der Technischen Universität Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören u. a. die Modellierung nachhaltiger urbaner Formen und Transportsysteme sowie die Konzeptualisierung und Quantifizierung der Treibhausgasemissionen globaler Städte.
Gibt es Länder, die vorbildlicher unterwegs sind?
Creutzig: Schweden und die Schweiz. Beide haben einen erheblichen CO2-Peis eingeführt, der sehr wirksam ist. Schweden hat tatsächlich auch zum ersten Mal die innerschwedischen Flüge reduziert – auf Initiative einzelner Personen. Die Schweiz ist vorbildlich, was die Taktung des Bahnverkehrs angeht. Vom Schweizer Modell kann man viel lernen, auch wenn das natürlich nicht ganz einfach auf Deutschland zu übertragen ist.
Was tippen Sie für 2030: Schaffen wir’s oder nicht?
Creutzig: Es liegt in unserer eigenen Hand. Es ist keine Wette, es ist eine Frage unseres politischen Willens.