So kommt der Salat klima­freundlich ins Haus

So kommt der Salat klima­freundlich ins Haus
Autorin: Bettina Brakelmann Fotos: Ina Fassbender 21.03.2023

Wie kann Nachhaltigkeit zum wirtschaftlichen Erfolgs­faktor werden? AufRuhr spricht mit Arne Strauss von der WHU – Otto Beisheim School of Management über die Theorie des „Sustainable Transport“ und schnuppert Praxisluft in der Essener Pottsalat-Filiale. Gründer Ben Küstner sorgt dafür, dass jeder Schritt in der Liefer­kette so nach­haltig wie möglich ist.

Zweimal Super Caesar Salad, eine Fitte Gitte vegan, eine Lecko Fanni Bowl und eine Tom Kha Bowl mit doppelt Garnelen: So sieht eine typische Bestellung beim Online­liefer­dienst Pottsalat aus. Bestellt und bezahlt wird per Klick im Internet, geliefert wird mit E-Bike, E-Roller oder E-Auto. Es ist 12 Uhr mittags: Im Essener Pottsalat-Headquarter geht es zu wie in einem Bienen­stock. Rushhour! Im Akkord werden hier hoch konzentriert Zutaten für zig verschiedene Salate und Bowls geschnippelt, abgewogen, in Pappschalen gefüllt und in Papier­tüten gepackt. Jeder Handgriff sitzt. Durch eine Seiten­tür rauscht ein Fahrer in neon­grüner Pottsalat-Jacke herein, greift sich mehrere Tüten und verstaut sie in einer Box hinten auf seinem E-Roller. Während er vom Hof düst, kommt schon der nächste Fahrer und holt sich seine Fuhre.

Ben Küstner, Mitgründer des nachhaltigen Lieferservices "Pottsalat"
Ben Küstner, Mitgründer des nach­haltigen Liefer­services „Pottsalat“. © Ina Fassbender
Der Status aller Bestellungen ist auf einem digitalen Stadtplan zu sehen
Der Status aller Bestellungen ist auf einem digitalen Stadtplan zu sehen. © Ina Fassbender

Auslastung is King

Ben Küstner zeigt auf einen großen Bildschirm, auf dem, verteilt über einen Stadtplan von Essen, viele grüne, mehrere gelbe und einige wenige rote Punkte leuchten. Der 38-Jährige erklärt das Prinzip: Die grünen Punkte sind Adressen, die aktuell und innerhalb der nächsten Stunde beliefert werden. Bei den roten ist es höchste Zeit, die gelben werden später versorgt. Das gesamte Stadt­gebiet ist in Zonen eingeteilt, je nach Himmels­richtung und Entfernung von der Filiale. „Die Software dazu haben wir selbst entwickelt. So sehen wir auf einen Blick, welche Lieferungen miteinander verbunden werden können. Ziel ist es, möglichst effizient zu liefern, also die Fahrzeuge bestenfalls voll auszulasten.“ Ein*e Fahrer*in nimmt meist vier bis sechs Bestellungen mit und steuert möglichst mehrere nah beieinander­liegende Adressen an. Dass das nachhaltiger und effizienter ist, als vier- bis sechsmal mit je einer Bestellung los­zu­fahren, liegt auf der Hand.

Arne Strauss
Arne Strauss ist Wirtschafts­mathe­matiker und Inhaber des Lehrstuhls für „Demand Management & Sustainable Transport“ an der renommierten inter­nationalen Wirtschafts­hoch­schule WHU – Otto Beisheim School of Management. © WHU/Kai Müller

Aus wissenschaftlicher Sicht kann Wirtschafts­mathematiker Arne Strauss diese Einschätzung nur bestätigen. Strauss ist Inhaber des Lehrstuhls für „Demand Management & Sustainable Transport“ an der WHU – Otto Beisheim School of Management. An der renommierten internationalen Wirtschafts­hochschule wird vor allem mit Formeln und Rechen­modellen gearbeitet: „Als einzelnes Unternehmen kann ich Kosten senken, wenn ich die Ware nicht zu den Kund*innen liefere, sondern sie abholen lasse. So senke ich für meine Firma die Kosten und Emissionen. Aber“, gibt Strauss zu bedenken, „ab einer gewissen Menge kippt diese Rechnung, und es kommen in der Summe durch mehr Individualverkehr viel mehr Emissionen zustande. Studien haben gezeigt, dass die erst­genannte Kalkulation nur bei geringem Kunden­volumen aufgeht. Bei höherem Volumen ist es besser, die Ware zu den Kund*innen zu liefern.“ Der Experte resümiert: „Wenn ich durch die beste Auslastung eines Fahrzeuges erreiche, dass ich viele Getränke­kisten statt nur zwei in meinen Laster packe und mehrere Liefer­adressen mit einer Tour abdecke, dann ist das in der Tat effizienter und nachhaltiger, als wenn jede*r sich einzeln ins Auto setzt und zwei Kästen Bier holt. Solche sogenannten Konsolidierungs­effekte können wir mithilfe von Rechen­modellen nachweisen.“

Mehr Nachhaltigkeit dank Digitalisierung

Genau solche Überlegungen treiben den studierten Wirtschafts­wissen­schaftler Ben Küstner und sein Team um. Pottsalat arbeitet mit Liefer­zeit­fenstern von 20 Minuten. Für den Fall, dass auf der Liefer­strecke etwas früher bereits ein*e Fahrer*in unterwegs ist, gibt es auf dem Bestell­formular das Kästchen „Kann auch früher geliefert werden“, das die Kund*innen ankreuzen können oder eben nicht. „Anfangs haben wir sie einzeln angerufen und gefragt, ob die Bestellung auch etwas früher kommen darf. Das kostete sehr viel Zeit. Durch diese Option im digitalen Bestell­formular wurde unsere Logistik noch effizienter“, so Küstner.

Mit dem E-Roller quer durch die Stadt
Mit dem E-Roller quer durch die Stadt © Ina Fassbender

Pottsalat setzte von Anfang an auf E-Fahrzeuge, die ausschließlich mit Ökostrom fahren. „Bei größeren, alt­ein­gesessenen Unternehmen ist das natürlich nicht so einfach möglich“, gibt Arne Strauss zu bedenken. „Wir hatten in England einen Workshop mit Vertreter*innen der Royal Mail. Wenn so ein Riesen­unternehmen auf eine E-Flotte umstellt, bringt das viele Fragen mit sich: Wo können die Fahrzeuge geladen werden? Woher kommt der Strom? Wie lange dauert die Aufladung? Verkürzen sich dadurch die Reich­weiten? Welche Auswirkungen hat das wiederum auf die Fahrten­pläne oder die Fahrer­schichten? Da wird es dann wirklich sehr komplex.“

Arne Strauss rechnet weiter vor: „In Europa ist der Straßen­verkehr verantwortlich für 70 Prozent der gesamten Transport­emissionen. Es hat in den vergangenen 20 Jahren ein dramatisches Wachstum allein im Bereich Klein­transporter gegeben, getrieben durch den zunehmenden Online­handel. Das lässt sich nicht von heute auf morgen ändern. Aber zum Beispiel am Konsolidierungs­grad kann jedes Unternehmen drehen und sich überlegen: Wie kann ich die Fahrzeuge besser auslasten und damit insgesamt die Zahl der Fahrzeuge auf den Straßen reduzieren? Dafür ist insbesondere eine bessere Koordination innerhalb eines Unternehmens wichtig.“

Da hatte es Pottsalat deutlich einfacher. Ben Küstner, der das Unternehmen 2017 gemeinsam mit zwei Freundinnen gründete, erinnert sich, dass Nach­haltig­keit bei allen Entscheidungen ein wichtiger Faktor war: „Damals gab es in den USA einen regelrechten Food-Delivery-Hype, viele Start-ups wurden gegründet. Es war klar, dass dieser Trend bald zu uns herüber­schwappen würde. Aber wir wollten keinen x-beliebigen Lieferdienst, sondern eben einen nach­haltigen, der auf gesundes Essen spezialisiert ist. Und einen, bei dem nicht telefonisch, sondern übers Internet bestellt wird.“ Los ging’s mit einem selbst gebastelten Online­shop, drei analogen Fahrrädern und ganz viel Enthusiasmus.

Bis zu acht Bestellungen passen in die Lieferbox
Bis zu acht Bestellungen passen in die Lieferbox © Ina Fassbender
Nachhaltig bis ins Detail: Salat- und Bowlschalen von Pottsalat
Nachhaltig bis ins Detail: Salat- und Bowlschalen von Pottsalat © Ina Fassbender

Klimafreundlicher Kapitalismus – geht das?

„Der Klimawandel ist eines unserer akutesten Probleme“, ist Küstner überzeugt. „Salat an sich ist schon nachhaltiger als fleisch­lastiges Essen, E-Fahrzeuge nach­haltiger als benzin­betriebene. Aber klar“, fügt er hinzu, „geht Nachhaltigkeit eigentlich noch viel weiter.“ Als Nächstes hat sich Pottsalat die Verpackungen angeschaut. „Unsere Ein­weg­verpackungen sind aus recyclebarem Material beziehungs­weise aus recyceltem PET hergestellt, aber eben zum Wegwerfen. Wie seit Jahres­beginn vorgeschrieben, arbeiten wir seitdem auch mit einem Mehr­weg­system. Wir haben Behältnisse eingeführt, die aus nach­haltig erwirtschaftetem Holz und biobasiertem Kunststoff aus wieder­verwertbaren pflanzlichen Stoffen bestehen.“

Wie gehen für Arne Strauss Profitsteigerung und Nachhaltigkeit zusammen? „Ich sehe da keinen Widerspruch. Durch profit­orientierte Rechnerei können Lösungen entwickelt werden, die zu niedrigeren Emissionen führen. An meinem Lehrstuhl beschäftigen wir uns intensiv mit solchen Fragen: Wie kann ich durch Algorithmen automatisiert ein Verhalten beeinflussen, sodass ich insgesamt eine höhere Effizienz erreiche? Gemeint ist Effizienz im Sinne von weniger Kosten und im Sinne von geringeren Emissionen. Das geht für mich Hand in Hand.“ Hinzu komme, dass gerade größere Unternehmen einem enormen Kosten­druck und hohen Erwartungen aus der Öffentlichkeit ausgesetzt seien. Strauss: „Auch in der städtischen Logistik wird zunehmend auf E-Mobilität gesetzt, schon weil viele Städte den Zugang für Diesel­fahr­zeuge beschränkt haben. In London zum Beispiel gibt es eine Low Emission Zone, da müssen Unternehmen entweder emissions­arme Fahr­zeuge benutzen oder hohe Strafgebühren in Kauf nehmen. Die Städte und die Politik können durch solche Verordnungen die Umstellung deutlich beschleunigen.“

Nachhaltigkeit ist ein großes Thema für Manager*innen von morgen

An der WHU Business School studieren die Manager*innen der Zukunft. Wie groß ist deren Interesse an nach­haltiger Logistik? „Sehr groß!“, freut sich Strauss. „Unser Kurs ,Sustainable Urban Transport‘ ist stets ausgebucht. In diesem Themen­bereich werden viele Bachelor- und Master­arbeiten geschrieben, häufig von Leuten, die nach dem Studium ein entsprechendes Unternehmen gründen möchten. Einer meiner Studenten schreibt gerade seine Abschluss­arbeit zum Thema intelligente Park­leit­systeme und möchte in dem Bereich eine Firma gründen.“ An der WHU nimmt Nach­haltigkeit immer größeren Raum ein. In einer neu gegründeten Arbeits­gruppe überlegt Arne Strauss mit Kolleg*innen, wie in Lehre und Forschung und darüber hinaus an der Hochschule die eigene Nachhaltigkeit noch gesteigert werden kann. Angedacht ist die Schaffung eines „Sustainability Centers“, das Aktivitäten in diesem Bereich bündelt und vorantreibt.

Besser werden – das liegt auch im Interesse von Ben Küstner: „Wir positionieren uns als nachhaltigen Liefer­dienst für gesundes Essen am Markt, müssen aber als Firma am Ende des Tages Geld verdienen. Das bedeutet in der Praxis, Wirtschaftlichkeit und den Umwelt- und Klima­schutz immer wieder neu in Einklang zu bringen und unsere Angebote und unser Handeln noch nach­haltiger zu gestalten.“


Demand Management & Sustainable Transport

Der Mercator Stiftungslehrstuhl für „Demand Management & Sustainable Transport“ an der WHU konzentriert sich auf die Entwicklung innovativer digitaler Technologien, um einen nach­haltigen Transport zu ermöglichen. In Lehre und Forschung geht es um Planungs- und Steuerungsprobleme der urbanen Logistik, der Mobilität sowie des Luft­verkehrs­managements. Die WHU ist eine der renommiertesten inter­nationalen Wirtschafts­hoch­schulen in Europa.

www.whu.edu/supply-chain-management-group/demand-management-and-sustainable-transport/