Umweltbewusstes Gesundheitswesen: Wie Krankenhäuser klimaneutral werden
Von Narkose bis Strahlentherapie: Krankenhäuser sind große CO2-Erzeuger, auch die Universitätsmedizin Essen. Um grüner zu werden, setzt der Klinikverbund auf ein bundesweites Netzwerk, auf nachhaltige Ernährung und die Kraft aus den eigenen Reihen. Ein Besuch bei der hauseigenen Klimaoffensive.
In der Lehrküche der Universitätsmedizin in Essen (UME) herrscht gute Laune. Ein fünfköpfiges Team bereitet gerade Bratäpfel mit Vanillesoße zu und gibt sich gegenseitig Anweisungen: „Du kannst schon mal die Äpfel schneiden“, „Jetzt bist du mal mit Rühren dran“, „Die Schale kann in den Ofen“. Die Gruppe ist stolz auf das, was sie hier am Zentrum für Naturheilkunde und Planetare Gesundheit aufbaut. Der Direktor, eine Ernährungsmedizinerin, eine Forschungsleiterin und eine Social-Media-Beauftragte arbeiten daran, Mahlzeiten für Patient*innen und Mitarbeitende gesünder, leckerer und vor allem umweltfreundlicher zu machen – erst in Essen und perspektivisch in ganz Deutschland. Kameras stehen bereit, um die Schulungen für einen geplanten YouTube-Kanal aufzuzeichnen. Mit seinem Engagement stößt das Team auch bei anderen Kliniken auf offene Ohren. Immer mehr Einrichtungen würden ihre Rolle im Klimawandel erkennen, sagt Tobias Emler, der in der Stabsstelle Medizinische Planung und Strategische Unternehmensentwicklung am UME arbeitet. 2020 ließ sich der Betriebswirt im Zuge einer vom Bund geförderten Initiative zum Klimaschutzmanager weiterbilden. „Das hat mich wachgerüttelt“, so der 35-Jährige. „Vorher war weder mir noch den anderen Teilnehmer*innen bewusst, wie groß der CO2-Fußabdruck von Krankenhäusern eigentlich ist.“ Seitdem bemüht er sich, das Thema Nachhaltigkeit in den 32 Kliniken und 24 Instituten der UME zu verankern.
Treibhausgastreiber Krankenhaus
Hightech-OP-Säle, Tausende warme Mahlzeiten, tonnenweise Einweg-OP-Besteck: Kliniken sind Giganten, was Energiebedarf und Müllerzeugung angeht. So verbraucht ein einzelnes Krankenhausbett laut einer 2022 veröffentlichten Studie des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) pro Jahr doppelt so viel Strom wie ein Familienhaushalt ab drei Personen und erzeugt über 1.400 Kilogramm an Abfall – dreimal mehr als eine Person in einem Privathaushalt. Insgesamt ist das Gesundheitssystem somit für 5,2 bis 6,7 Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich. Auch wenn knapp 70 Prozent der Kliniken in der DKI-Befragung angaben, Klimaschutz strategisch mitzudenken, fehle es oft am notwendigen Know-how, meint Matthias Albrecht. Er ist Geschäftsführer des Kompetenzzentrums für klimaresiliente Medizin und Gesundheitseinrichtungen (KliMeG) und baut momentan ein Netzwerk aus Akteuren auf, die das Thema Nachhaltigkeit an ihrem Arbeitsplatz vorantreiben wollen. Es gehe darum, bereits gesammeltes Wissen auszutauschen, Erfahrungen zu teilen und so das Ziel Klimaneutralität schneller zu erreichen. Zudem bündelt das 2023 gegründete Zentrum Anliegen der Teilnehmer um sie an die Politik heranzutragen. „Über 190 Häuser machen bereits mit. Große Universitätskliniken ebenso wie kleine Pflegeheime und Krankenhäuser“, berichtet Albrecht. Einer der ersten im Verbund war Tobias Emler als Stellvertreter für die UME. Er freut sich darüber, wie die Allianz seit ihrem Beginn gewachsen ist. „Je größer die Plattform wird, desto mehr Power wird KliMeG haben.“
Klimafreundliche Süßspeise
In der Lehrküche duftet es inzwischen nach Zimt und warmer Mandelmilch. Die Bratäpfel, gefüllt mit Datteln, Nussmus und Rosinen, sind angerichtet. Den Köch*innen ist es wichtig, vorwiegend pflanzliche Zutaten zu verwenden, die einen möglichst geringen CO2-Fußabdruck haben. Immerhin geht es hier nicht um reinen Genuss, sondern um einen Lehr- und Forschungsauftrag.
Ganze 17 Prozent der Treibhausgaswerte eines Krankenhauses entstehen einer Schweizer Studie zufolge durch das Essensangebot. Vor allem der hohe Fleischkonsum in vielen Häusern verschlechtert die Klimabilanz. „Um mehr Bewusstsein zu schaffen, wollen wir die Leute animieren, was Neues auszuprobieren, und ihnen zeigen, wie lecker pflanzliches Essen sein kann“, sagt die Ernährungsmedizinerin Kristin Hünninghaus, während sie selbst einen Bissen von ihrem dampfenden Bratapfel kostet.
Patient*innen können in der Lehrküche an Kursen teilnehmen und Rezepte ausprobieren, die sowohl ihrer Gesundheit als auch der Umwelt zugutekommen. Auch bei der Essensausgabe im Klinikbetrieb an über 70.000 stationäre Patient*innen und etwa 11.000 Mitarbeitende will das Team um Hünninghaus durch guten Geschmack überzeugen. „Niemand soll gezwungen werden, auf Fleisch oder andere tierische Produkte zu verzichten“, so die Ärztin. Um dennoch einen kleinen Anreiz zu schaffen, werden pflanzenbasierte Gerichte ganz oben auf den Menüplan platziert. „So stieg der Anteil derjenigen, die sich für ein rein pflanzliches Gericht entscheiden, bereits um mehr als fünf Prozent an“, berichtet die Medizinerin.
Nachhaltiges Miteinander
Mitarbeiter*innen wie Hünninghaus einzubinden, war die erste Maßnahme, die Tobias Emler in seinem Amt als Klimamanager veranlasste. Seitdem gibt es 130 Nachhaltigkeitsbeauftragte an der Universitätsmedizin, über alle Abteilungen hinweg verteilt. „Es ist der erste und einfachste Schritt, den jede Klinik gehen kann“, sagt der in Essen lebende Familienvater. „Und es ist toll, zu sehen, mit wie viel Engagement die Leute mitmachen, wenn man sie nur lässt.“
Nach einem letzten Lob an das Kochteam fährt Emler im E-Dienstwagen weiter zum Westdeutschen Protonentherapiezentrum (WPE) der UME, um Stefanie Schulze Schleithoff zu treffen. Sie ist eine der 130 Nachhaltigkeitsbeauftragten und denkt Klimaschutz im Kleinen. Zusätzlich zur Leitung des Studien- und Patientenmanagements am WPE achtet sie auf Mülltrennung, erinnert Kolleg*innen abends daran, das Licht auszuschalten und sorgt für den Einkauf von recyceltem Druckerpapier. „Ich mache das gerne“, meint Schulze Schleithoff. „So habe ich das Gefühl, einen Teil zur Veränderung beizutragen.“ Und es verschafft ihr die Möglichkeit, Gäst*innen mit aufs Dach des Gebäudes zu nehmen, um eine weitere Nachhaltigkeitsmaßnahme am WPE zu demonstrieren. Über eine wacklige Leiter führt eine Luke hinaus in die kalte Winterluft. Oben angekommen, offenbart sich ein Teppich aus dunkel glänzenden Solarmodulen. „Das ist unsere Fotovoltaikanlage“, erklärt Emler. Der so erzeugte Strom fließt direkt in das Netz des WPE ein. Er schmälert den hohen Energiebedarf einer besonders schonenden Form der Strahlentherapie, die Krebspatient*innen hier angeboten wird. Die hochmoderne Anlage verbraucht laut Selbstauskunft der Klinik jährlich so viel Energie wie 1.756 Haushalte und hat einen CO2-Fußabdruck von über 2.000 Tonnen. „Um das zu kompensieren, bräuchte es einen ganzen Windpark“, meint der Klimaschutzmanager. Mit der Fotovoltaikanlage und der Nutzung von Ökostrom sei immerhin ein Anfang getan. „Für den großen Wurf fehlt uns jedoch das Geld“, sagt der Betriebswirt. Bauliche Maßnahmen zur effizienteren Gebäudedämmung, weitere erneuerbare Energieträger, wassersparende Systeme – all das zu implementieren, habe seinen Preis. Alle Krankenhäuser in Deutschland energetisch zu sanieren, erfordert laut Schätzungen des DKI einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag. „Die notwendigen Mittel können Kliniken kaum aus eigener Tasche auftreiben“, so KliMeG-Geschäftsführer Albrecht. „Es bräuchte ein staatliches Sonderprogramm, um sämtliche Investitionskosten abzudecken.“ Bis so ein Topf zur Verfügung steht, helfen die Expert*innen von KliMeG teilnehmenden Gesundheitseinrichtungen bei der Suche nach möglichen Fördermitteln.
Umweltbelastende Narkose
Ein großes Projekt kann die UME schon angehen: das Einfangen von klimaschädlichem Narkosegas. Der Treibhauseffekt von inhalativen Anästhetika übertrifft den von CO2 erheblich. Derzeit werden die Gase bei einer OP vollständig an die Atmosphäre abgegeben. Wie groß die Umweltbelastung eines Krankenhauses durch die Narkose genau ist, kommt sehr auf das verwendete Mittel und Verfahren an. Einen ungefähren Wert gibt die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin in einem Positionspapier von 2020 an. Demnach entstünden bei 10.000 durchschnittlichen Anästhesien pro Jahr ein jährlicher CO2-Fußabdruck, der gleichwertig mit dem von bis zu 200 Bundesbürger*innen ist.
Ein einfacher weißer Plastikaufsatz soll das künftig verhindern. „Hier steckt ein Aktivkohlefilter drin“, erklärt Sabine Fandel. Die Fachärztin für Anästhesie deutet auf den flaschenförmigen Behälter an einem Narkosegasgerät in der Kardiochirurgie. „Über einen Schlauch fließt das Anästhetikum durch den Filter und wird dort gebunden. Dann gelangt nur noch das Gas in die Atmosphäre, das die Patient*innen nach dem Eingriff abatmen.“ Geplant ist, die Filter im Laufe des Frühjahres an allen 80 Maschinen des Klinikverbundes zu installieren. „Das wird auf jeden Fall einen großen Unterschied in unserer CO2-Bilanz machen“, so der Klimamanager. „Genau beziffern können wir ihn allerdings nicht. Dafür fehlen uns momentan noch die Zahlen.“ Emler ist gerade dabei, sämtliche Verbrauchsdaten und Emissionswerte des UMEs zu sammeln. Mithilfe des KliMeG-CO2-Rechners lässt sich anschließend eine detaillierte Klimabilanz erstellen. KliMeG-Geschäftsführer Albrecht: „Dieses Tool haben wir gemeinsam mit den Universitäten Freiburg und Heidelberg entwickelt und stellen es unseren Mitgliedern zur Verfügung.“ Anhand der Ergebnisse könne man genau belegen, welche Maßnahmen und Investitionen sich im jeweils untersuchten Krankenhaus am meisten lohnen.
„Bis uns das vorliegt, nutzen wir auf jeden Fall weiter unser Netzwerk und tüfteln an kleinen wie großen Projekten“, sagt Betriebswirt Emler. „Auch wenn es noch viel zu tun gibt – es stimmt mich optimistisch, wie sich die ganze Branche gerade auf den Weg macht.“
KliMeG
Das von der Stiftung Mercator geförderte Kompetenzzentrum für klimaresiliente Medizin und Gesundheitseinrichtungen, kurz KliMeG, ist eine strategische Allianz von Kliniken, die den Klimaschutz im Gesundheitswesen vorantreiben wollen. Teilnehmer*innen haben die Möglichkeit, sich weltweit mit Klimaexpert*innen zu vernetzen und voneinander zu lernen. Darüber hinaus bietet KliMeG Material, Workshops und Fortbildungen für die ersten Schritte zur Klimatransformation in einer Einrichtung an.
klimeg.de