Umwelt­bewusstes Gesundheits­wesen: Wie Kranken­häuser klima­neutral werden

Umwelt­bewusstes Gesundheits­wesen: Wie Kranken­häuser klima­neutral werden
Autorin: Janina Schrupp Fotos: Alexander Scheuber 02.05.2024

Von Narkose bis Strahlentherapie: Krankenhäuser sind große CO2-Erzeuger, auch die Universitäts­medizin Essen. Um grüner zu werden, setzt der Klinik­verbund auf ein bundes­weites Netzwerk, auf nachhaltige Ernährung und die Kraft aus den eigenen Reihen. Ein Besuch bei der hauseigenen Klima­offensive.

In der Lehrküche der Universitäts­medizin in Essen (UME) herrscht gute Laune. Ein fünf­köpfiges Team bereitet gerade Bratäpfel mit Vanille­soße zu und gibt sich gegen­seitig Anweisungen: „Du kannst schon mal die Äpfel schneiden“, „Jetzt bist du mal mit Rühren dran“, „Die Schale kann in den Ofen“. Die Gruppe ist stolz auf das, was sie hier am Zentrum für Natur­heil­kunde und Planetare Gesundheit aufbaut. Der Direktor, eine Ernährungs­medizinerin, eine Forschungs­leiterin und eine Social-Media-Beauftragte arbeiten daran, Mahlzeiten für Patient*innen und Mitarbeitende gesünder, leckerer und vor allem umwelt­freundlicher zu machen – erst in Essen und perspektivisch in ganz Deutschland. Kameras stehen bereit, um die Schulungen für einen geplanten YouTube-Kanal aufzuzeichnen. Mit seinem Engagement stößt das Team auch bei anderen Kliniken auf offene Ohren. Immer mehr Einrichtungen würden ihre Rolle im Klima­wandel erkennen, sagt Tobias Emler, der in der Stabs­stelle Medizinische Planung und Strategische Unternehmens­entwicklung am UME arbeitet. 2020 ließ sich der Betriebs­wirt im Zuge einer vom Bund geförderten Initiative zum Klima­schutz­manager weiter­bilden. „Das hat mich wach­gerüttelt“, so der 35-Jährige. „Vorher war weder mir noch den anderen Teil­nehmer*innen bewusst, wie groß der CO2-Fußabdruck von Kranken­häusern eigentlich ist.“ Seitdem bemüht er sich, das Thema Nachhaltigkeit in den 32 Kliniken und 24 Instituten der UME zu verankern.

Das gemeinsame Kochen in der Lehrküche soll den Speiseplan verbessern. © Alexander Scheuber
Tobias Emler setzt sich für klimafreundliche Krankenhausgerichte ein. © Alexander Scheuber

Treibhausgastreiber Krankenhaus

Hightech-OP-Säle, Tausende warme Mahlzeiten, tonnen­weise Einweg-OP-Besteck: Kliniken sind Giganten, was Energie­bedarf und Müll­erzeugung angeht. So verbraucht ein einzelnes Kranken­haus­bett laut einer 2022 veröffentlichten Studie des Deutschen Kranken­haus­instituts (DKI) pro Jahr doppelt so viel Strom wie ein Familien­haushalt ab drei Personen und erzeugt über 1.400 Kilogramm an Abfall – dreimal mehr als eine Person in einem Privat­haushalt. Insgesamt ist das Gesundheits­system somit für 5,2 bis 6,7 Prozent der jährlichen Treib­haus­gas­emissionen in Deutschland verantwortlich. Auch wenn knapp 70 Prozent der Kliniken in der DKI-Befragung angaben, Klimaschutz strategisch mitzudenken, fehle es oft am notwendigen Know-how, meint Matthias Albrecht. Er ist Geschäfts­führer des Kompetenz­zentrums für klima­resiliente Medizin und Gesundheits­einrichtungen (KliMeG) und baut momentan ein Netzwerk aus Akteuren auf, die das Thema Nachhaltigkeit an ihrem Arbeits­platz voran­treiben wollen. Es gehe darum, bereits gesammeltes Wissen aus­zu­tauschen, Erfahrungen zu teilen und so das Ziel Klima­neutralität schneller zu erreichen. Zudem bündelt das 2023 gegründete Zentrum Anliegen der Teilnehmer um sie an die Politik heran­zu­tragen. „Über 190 Häuser machen bereits mit. Große Universitäts­kliniken ebenso wie kleine Pflege­heime und Kranken­häuser“, berichtet Albrecht. Einer der ersten im Verbund war Tobias Emler als Stell­vertreter für die UME. Er freut sich darüber, wie die Allianz seit ihrem Beginn gewachsen ist. „Je größer die Plattform wird, desto mehr Power wird KliMeG haben.“

Klimafreundliche Süßspeise

In der Lehrküche duftet es inzwischen nach Zimt und warmer Mandel­milch. Die Brat­äpfel, gefüllt mit Datteln, Nussmus und Rosinen, sind angerichtet. Den Köch*innen ist es wichtig, vorwiegend pflanzliche Zutaten zu verwenden, die einen möglichst geringen CO2-Fußabdruck haben. Immerhin geht es hier nicht um reinen Genuss, sondern um einen Lehr- und Forschungs­auftrag.

Ganze 17 Prozent der Treib­haus­gas­werte eines Kranken­hauses entstehen einer Schweizer Studie zufolge durch das Essens­angebot. Vor allem der hohe Fleisch­konsum in vielen Häusern verschlechtert die Klimabilanz. „Um mehr Bewusst­sein zu schaffen, wollen wir die Leute animieren, was Neues auszuprobieren, und ihnen zeigen, wie lecker pflanzliches Essen sein kann“, sagt die Ernährungs­medizinerin Kristin Hünninghaus, während sie selbst einen Bissen von ihrem dampfenden Bratapfel kostet.

Patient*innen können in der Lehrküche an Kursen teilnehmen und Rezepte ausprobieren, die sowohl ihrer Gesundheit als auch der Umwelt zugutekommen. Auch bei der Essens­ausgabe im Klinik­betrieb an über 70.000 stationäre Patient*innen und etwa 11.000 Mitarbeitende will das Team um Hünninghaus durch guten Geschmack überzeugen. „Niemand soll gezwungen werden, auf Fleisch oder andere tierische Produkte zu verzichten“, so die Ärztin. Um dennoch einen kleinen Anreiz zu schaffen, werden pflanzen­basierte Gerichte ganz oben auf den Menü­plan platziert. „So stieg der Anteil derjenigen, die sich für ein rein pflanzliches Gericht entscheiden, bereits um mehr als fünf Prozent an“, berichtet die Medizinerin.

Frische Bratäpfel aus der Lehrküche des Krankenhauses. © Alexander Scheuber

Nachhaltiges Miteinander

Mitarbeiter*innen wie Hünninghaus einzubinden, war die erste Maßnahme, die Tobias Emler in seinem Amt als Klima­manager veranlasste. Seitdem gibt es 130 Nach­haltig­keits­beauftragte an der Universitäts­medizin, über alle Abteilungen hinweg verteilt. „Es ist der erste und einfachste Schritt, den jede Klinik gehen kann“, sagt der in Essen lebende Familien­vater. „Und es ist toll, zu sehen, mit wie viel Engagement die Leute mitmachen, wenn man sie nur lässt.“

Ein Besuch auf dem Solarzellen-Dach des Klinikgebäudes. © Alexander Scheuber

Nach einem letzten Lob an das Koch­team fährt Emler im E-Dienst­wagen weiter zum West­deutschen Protonen­therapie­zentrum (WPE) der UME, um Stefanie Schulze Schleithoff zu treffen. Sie ist eine der 130 Nach­haltig­keits­beauftragten und denkt Klima­schutz im Kleinen. Zusätzlich zur Leitung des Studien- und Patienten­managements am WPE achtet sie auf Müll­trennung, erinnert Kolleg*innen abends daran, das Licht aus­zu­schalten und sorgt für den Einkauf von recyceltem Drucker­papier. „Ich mache das gerne“, meint Schulze Schleithoff. „So habe ich das Gefühl, einen Teil zur Veränderung beizutragen.“ Und es verschafft ihr die Möglichkeit, Gäst*innen mit aufs Dach des Gebäudes zu nehmen, um eine weitere Nach­haltig­keits­maßnahme am WPE zu demonstrieren. Über eine wacklige Leiter führt eine Luke hinaus in die kalte Winterluft. Oben angekommen, offenbart sich ein Teppich aus dunkel glänzenden Solarmodulen. „Das ist unsere Fotovoltaik­anlage“, erklärt Emler. Der so erzeugte Strom fließt direkt in das Netz des WPE ein. Er schmälert den hohen Energie­bedarf einer besonders schonenden Form der Strahlen­therapie, die Krebs­patient*innen hier angeboten wird. Die hochmoderne Anlage verbraucht laut Selbst­auskunft der Klinik jährlich so viel Energie wie 1.756 Haushalte und hat einen CO2-Fuß­abdruck von über 2.000 Tonnen. „Um das zu kompensieren, bräuchte es einen ganzen Windpark“, meint der Klima­schutz­manager. Mit der Foto­voltaik­anlage und der Nutzung von Ökostrom sei immerhin ein Anfang getan. „Für den großen Wurf fehlt uns jedoch das Geld“, sagt der Betriebs­wirt. Bauliche Maßnahmen zur effizienteren Gebäude­dämmung, weitere erneuerbare Energie­träger, wasser­sparende Systeme – all das zu implementieren, habe seinen Preis. Alle Kranken­häuser in Deutschland energetisch zu sanieren, erfordert laut Schätzungen des DKI einen mittleren zwei­stelligen Milliarden­betrag. „Die notwendigen Mittel können Kliniken kaum aus eigener Tasche auftreiben“, so KliMeG-Geschäfts­führer Albrecht. „Es bräuchte ein staatliches Sonder­programm, um sämtliche Investitions­kosten abzudecken.“ Bis so ein Topf zur Verfügung steht, helfen die Expert*innen von KliMeG teil­nehmenden Gesundheits­einrichtungen bei der Suche nach möglichen Förder­mitteln.

Echte Energiefresser: Beatmungsgeräte im OP. © Alexander Scheuber
Neue Narkoseverfahren können den CO2-Fußabdruck stark reduzieren. © Alexander Scheuber

Umweltbelastende Narkose

Ein großes Projekt kann die UME schon angehen: das Einfangen von klima­schädlichem Narkosegas. Der Treib­haus­effekt von inhalativen Anästhetika übertrifft den von CO2 erheblich. Derzeit werden die Gase bei einer OP vollständig an die Atmosphäre abgegeben. Wie groß die Umwelt­belastung eines Kranken­hauses durch die Narkose genau ist, kommt sehr auf das verwendete Mittel und Verfahren an. Einen ungefähren Wert gibt die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensiv­medizin in einem Positions­papier von 2020 an. Demnach entstünden bei 10.000 durch­schnittlichen Anästhesien pro Jahr ein jährlicher CO2-Fußabdruck, der gleichwertig mit dem von bis zu 200 Bundes­bürger*innen ist.

Ein einfacher weißer Plastik­aufsatz soll das künftig verhindern. „Hier steckt ein Aktiv­kohle­filter drin“, erklärt Sabine Fandel. Die Fachärztin für Anästhesie deutet auf den flaschen­förmigen Behälter an einem Narkose­gas­gerät in der Kardio­chirurgie. „Über einen Schlauch fließt das Anästhetikum durch den Filter und wird dort gebunden. Dann gelangt nur noch das Gas in die Atmosphäre, das die Patient*innen nach dem Eingriff abatmen.“ Geplant ist, die Filter im Laufe des Frühjahres an allen 80 Maschinen des Klinik­verbundes zu installieren. „Das wird auf jeden Fall einen großen Unterschied in unserer CO2-Bilanz machen“, so der Klima­manager. „Genau beziffern können wir ihn allerdings nicht. Dafür fehlen uns momentan noch die Zahlen.“ Emler ist gerade dabei, sämtliche Verbrauchs­daten und Emissions­werte des UMEs zu sammeln. Mithilfe des KliMeG-CO2-Rechners lässt sich anschließend eine detaillierte Klimabilanz erstellen. KliMeG-Geschäfts­führer Albrecht: „Dieses Tool haben wir gemeinsam mit den Universitäten Freiburg und Heidelberg entwickelt und stellen es unseren Mitgliedern zur Verfügung.“ Anhand der Ergebnisse könne man genau belegen, welche Maßnahmen und Investitionen sich im jeweils untersuchten Kranken­haus am meisten lohnen.

„Bis uns das vorliegt, nutzen wir auf jeden Fall weiter unser Netzwerk und tüfteln an kleinen wie großen Projekten“, sagt Betriebs­wirt Emler. „Auch wenn es noch viel zu tun gibt – es stimmt mich optimistisch, wie sich die ganze Branche gerade auf den Weg macht.“

KliMeG

Das von der Stiftung Mercator geförderte Kompetenz­zentrum für klima­resiliente Medizin und Gesundheits­einrichtungen, kurz KliMeG, ist eine strategische Allianz von Kliniken, die den Klima­schutz im Gesundheits­wesen voran­treiben wollen. Teilnehmer*innen haben die Möglichkeit, sich welt­weit mit Klima­expert*innen zu vernetzen und voneinander zu lernen. Darüber hinaus bietet KliMeG Material, Workshops und Fort­bildungen für die ersten Schritte zur Klima­transformation in einer Einrichtung an.
klimeg.de