Hilfe, Hitze! Unser Gesund­heits­system in Zeiten des Klima­wandels

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Hilfe, Hitze! Unser Gesund­heits­system in Zeiten des Klima­wandels
Autorin: Anja Reiter 21.11.2023

Der Klimawandel hat Folgen für unsere Gesundheit. Vor allem Hitze­wellen belasten nicht nur den einzelnen Menschen, sondern das Gesundheits­system als Ganzes. Dazu befragen wir die Gesundheits­wissen­schaftlerin Maike Voss, die das Planetary Health Forum ins Leben gerufen hat – die erste Konferenz für planetare Gesundheit in Deutschland.

Wie bringen Sie beim Planetary Health Forum die beiden Themen Klima­schutz und Gesundheit zusammen?

Maike Voss: Menschen, die im Gesundheits­bereich arbeiten, sprechen inzwischen immer öfter über Klima­schutz – und diejenigen, die im Bereich Umwelt­schutz aktiv sind, nehmen die Gesundheit des Menschen immer stärker in den Blick. Bislang kommen die beiden Gruppen aber noch viel zu wenig zusammen. Das wollen wir mit dem Planetary Health Forum ändern. Von der ärztlichen Praxis bis zur Umwelt­schutz­organisation: Wir wollen den Kontakt intensivieren und eine politische Signal­wirkung erzeugen.

Sie befassen sich mit den Wechsel­wirkungen zwischen Gesundheit, Klimawandel und Sicherheit. Wie wirkt sich der Klima­wandel denn genau auf unsere Gesundheit aus?

Auf vielfältige Art und Weise. Am meisten bewegt uns derzeit das Thema Hitze. Der europäische Kontinent heizt sich im welt­weiten Vergleich am schnellsten auf. Insbesondere Deutschland ist aber nicht gut auf Extrem­hitze vorbereitet. Sie belastet unsere Organe, aber auch unsere Psyche. Wir sehen beispiels­weise, dass Menschen bei hohen Temperaturen aggressiver, aber auch unkonzentrierter werden, sodass mehr Unfälle passieren. Mit dem Klima verändern sich aber auch die Flug­zeiten von Pollen – infolge milder Winter und immer früherer Blüte­zeiten werden vermehrt Allergien auftreten. Hitze wirkt sich außerdem auf Infektions­krankheiten aus, die sich über Insekten oder Nagetiere verbreiten: Ein wärmer werdender Norden bietet ihnen immer bessere Über­lebens­bedingungen.

Maike Voss
© Ben Mangelsdorf

Maike Voss ist geschäfts­führende Direktorin des Centre for Planetary Health Policy, eines von der Deutschen Allianz Klima­wandel und Gesundheit (KLUG) gegründeten Think­tanks. Sie studierte Public Health in Bremen und arbeitete unter anderem für die Stiftung Wissenschaft und Politik.

Wie bereiten wir uns und die Gesellschaft auf diese Veränderungen vor?

Es gibt vier große Heraus­forderungen: Erstens müssen wir möglichst viel über Ursachen und Wirkungen dieser Veränderungen wissen – hier sind wir schon sehr weit. Zweitens müssen wir eine gemeinsame Zukunfts­vision entwickeln. Drittens geht es um die Umsetzung von Maßnahmen, wobei hier natürlich unter­schiedliche Ansichten auf­einander­treffen. Die vierte Heraus­forderung schließlich betrifft die Akzeptanz in der Bevölkerung. Wir wissen aus Unter­suchungen, dass die Akzeptanz von Klima­schutz­maßnahmen größer ist, wenn diese mit Gesundheits­narrativen verbunden werden – vor allem wenn die Kommunikator*innen aus den Gesundheits­berufen kommen. Den Vertrauens­vorschuss und die Wirkung von Ärzt*innen, Pflege­personal und Physio­therapeut*innen als Multiplikator*innen sollten wir nutzen.

Deutschland ist nicht gut auf Extremhitze vorbereitet.

Maike Voss, geschäftsführende Direktorin des Centre for Planetary Health Policy

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf das Gesundheits­system – und wie können wir das Gesundheits­wesen klima­resilienter machen?

Im Gesundheitswesen fällt besonders auf, dass die Anpassungen an das sich ändernde Klima nur unzureichend stattfinden. Während Hitzewellen füllen sich die Not­auf­nahmen und die haus­ärztlichen Praxen mit Menschen, die etwa an Über­hitzung leiden. Die Zahl von Todes­fällen in Alten- und Pflege­heimen an heißen Tagen ist erschreckend. Diese Effekte belasten das Gesundheits­wesen dreifach: Ein höheres Patient*innen­auf­kommen trifft das System in einer ohnehin angespannten Situation – und nicht zuletzt leidet auch das Personal unter der Hitze. Wir brauchen Schutz­konzepte für Gesundheits­einrichtungen. Manchmal reichen einfache Maßnahmen, die nicht mal viel Geld kosten: etwa mehr Getränke anbieten oder auch einfache Verhaltens­änderungen. Aber es braucht auch bauliche Maßnahmen, die wiederum viel Geld kosten können.

Beweis per Wärmebildkamera: Dicht bebaute Städte sind besonders stark von Hitzewellen betroffen.
Beweis per Wärmebildkamera: Dicht bebaute Städte sind besonders stark von Hitzewellen betroffen. © stocksy

Sie schlagen drei Maßnahmen vor, um die Transformation voran­zu­bringen. Welche sind das?

Erstens muss das Thema Hitzeschutz Teil des neuen Bundes-Klima­anpassungs­gesetzes werden. Zusammen mit einem Bündnis aus Gesundheits­organisationen und Sozial­verbänden schlagen wir hier ein Sonder­vermögen für Klima­anpassung vor. Zweitens müssen wir die Luft­verschmutzung bekämpfen. Die Richtwerte müssen dringend angepasst werden, am besten auf Basis der WHO-Luft­qualitäts­leit­linien. Drittens braucht es eine stärkere finanzielle Unterstützung durch den Bund und die Länder, damit Hitze­aktions­pläne auch umgesetzt werden können: Alle Kommunen, Länder, aber auch Arbeit­geber müssen sich konkrete Gedanken machen, wie Mitarbeiter*innen, Kinder und ältere Leute gesund durch die nächste Hitze­welle kommen.

Auch viel Verkehr trägt zu verstärker Hitze bei. Weil Städte sich vielfach mehr erhitzen als Orte auf dem Land werden sie als Hitzeinseln bezeichnet.
Auch viel Verkehr trägt zu verstärker Hitze bei. Weil Städte sich vielfach mehr erhitzen als Orte auf dem Land werden sie als Hitzeinseln bezeichnet. © stocksy

Sie sind auch Gründungs­mitglied von Women in Global Health Germany. Warum sind Frauen vom Klimawandel stärker betroffen

Einerseits erleiden Schwangere während Hitzewellen häufiger Früh- und Tot­geburten. Frauen sind auch öfter in die Versorgung und Pflege von Angehörigen eingebunden. Extrem­wetter­ereignisse und Natur­katastrophen können zu zusätzlichen Pflege­belastungen für sie führen, insbesondere wenn ältere Menschen oder Menschen mit besonderen Bedürfnissen betroffen sind. Meistens fällt der Gender­aspekt aber mit anderen Merkmalen zusammen: Wie können wir eine ältere allein­stehende Dame mit Migrations­hinter­grund in einer dicht bebauten, aufgeheizten Groß­stadt vor den Klima­wandel­folgen schützen? Wir müssen darüber nach­denken, wie wir klar definierte, schutz­bedürftige Personen­gruppen am besten erreichen können, etwa über Post­bot*innen oder ärztliche Praxen. Nicht zuletzt erlebe ich, dass Frauen auf dem Feld der planetaren Gesundheit besonders aktiv sind. Das finde ich toll!

Planetary Health Forum

Anmeldung zur kostenfreien Online-Teilnahme Planetary Health Forum am 30. November und 1. Dezember in Berlin.

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Beim Planetary Health Forum sollen „ungewöhnliche Partner­schaften“ geknüpft werden. Welche Allianz fänden Sie spannend?

Wir wollen Räume schaffen, in denen sich Akteur*innen unter­schiedlicher Interessen zusammen­finden und diskutieren. Wir haben das Bundes­gesundheits­ministerium und das Bundes­umwelt­ministerium für eine Schirm­herrschaft für die Veranstaltung gewonnen, was uns ganz besonders freut. Gesundheits­minister Karl Lauterbach wird beim Forum in Berlin sein und die Begrüßungs­rede halten. Wir werden dort viele ungewöhnliche Perspektiven zusammen­bringen: Klima­aktivist*innen wie Luisa Neubauer oder Arzt und Moderator Eckart von Hirschhausen, Jurist*innen und Umwelt­akteur*innen, Kranken­kassen und Wissen­schaftler*innen, Sozial­organisationen wie der AWO Bundes­verband und das Bundes­ministerium für Arbeit und Soziales.

Nun haben wir viel über Deutsch­land geredet. Welche Regionen und Länder sind besonders in Not, wenn es um solche Gesundheits­risiken geht – können und müssen wir dort helfen?

Natürlich gibt es Länder, die Extrem­wetter­ereignissen wie Über­schwemmungen und Stürmen viel stärker ausgesetzt sind als Deutschland, zum Beispiel die Ost­küste Afrikas oder Süd­ost­asien. Weil wir hierzulande die Folgen des Klima­wandels immer mehr spüren, gelangt das Thema endlich immer öfter auf die politische Agenda – auch mit Blick auf den Globalen Süden, also in der inter­nationalen Zusammen­arbeit. Allerdings fehlt es in der globalen Gesundheits­strategie der Bundes­regierung oder in den Projekten der Deutschen Gesellschaft für Inter­nationale Zusammen­arbeit weiterhin vor allem an finanziellen Mitteln. Wenn Deutschland in puncto planetarer Gesundheit inter­national – zum Beispiel bei den inter­nationalen Klima­verhandlungen bei der anstehenden UN-Klimakonferenz COP28 – mitspielen möchte, müssen wir noch eine Schippe drauflegen.

Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit und Centre for Planetary Health Policy

Akteur*innen aus dem Gesundheitsbereich gründeten im Oktober 2017 das Netzwerk KLUG – die Deutsche Allianz Klima­wandel und Gesundheit. Ziel ist es, deutlich zu machen, welche weit­reichenden Folgen die Klima­krise auf die Gesundheit hat. KLUG fühlt sich der Idee der Planetary Health verpflichtet: Wenn die Erde krank ist, kann der Mensch nicht gesund sein. KLUG rief 2021 den Thinktank Centre for Planetary Health Policy (CPHP) ins Leben. Inzwischen unter­stützen viele medizinische Fach­gesellschaften, Forschungs­institute und NGOs das Netzwerk.
cphp-berlin.de