Hilfe, Hitze! Unser Gesundheitssystem in Zeiten des Klimawandels

Der Klimawandel hat Folgen für unsere Gesundheit. Vor allem Hitzewellen belasten nicht nur den einzelnen Menschen, sondern das Gesundheitssystem als Ganzes. Dazu befragen wir die Gesundheitswissenschaftlerin Maike Voss, die das Planetary Health Forum ins Leben gerufen hat – die erste Konferenz für planetare Gesundheit in Deutschland.
Wie bringen Sie beim Planetary Health Forum die beiden Themen Klimaschutz und Gesundheit zusammen?
Maike Voss: Menschen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, sprechen inzwischen immer öfter über Klimaschutz – und diejenigen, die im Bereich Umweltschutz aktiv sind, nehmen die Gesundheit des Menschen immer stärker in den Blick. Bislang kommen die beiden Gruppen aber noch viel zu wenig zusammen. Das wollen wir mit dem Planetary Health Forum ändern. Von der ärztlichen Praxis bis zur Umweltschutzorganisation: Wir wollen den Kontakt intensivieren und eine politische Signalwirkung erzeugen.
Sie befassen sich mit den Wechselwirkungen zwischen Gesundheit, Klimawandel und Sicherheit. Wie wirkt sich der Klimawandel denn genau auf unsere Gesundheit aus?
Auf vielfältige Art und Weise. Am meisten bewegt uns derzeit das Thema Hitze. Der europäische Kontinent heizt sich im weltweiten Vergleich am schnellsten auf. Insbesondere Deutschland ist aber nicht gut auf Extremhitze vorbereitet. Sie belastet unsere Organe, aber auch unsere Psyche. Wir sehen beispielsweise, dass Menschen bei hohen Temperaturen aggressiver, aber auch unkonzentrierter werden, sodass mehr Unfälle passieren. Mit dem Klima verändern sich aber auch die Flugzeiten von Pollen – infolge milder Winter und immer früherer Blütezeiten werden vermehrt Allergien auftreten. Hitze wirkt sich außerdem auf Infektionskrankheiten aus, die sich über Insekten oder Nagetiere verbreiten: Ein wärmer werdender Norden bietet ihnen immer bessere Überlebensbedingungen.

Maike Voss ist geschäftsführende Direktorin des Centre for Planetary Health Policy, eines von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) gegründeten Thinktanks. Sie studierte Public Health in Bremen und arbeitete unter anderem für die Stiftung Wissenschaft und Politik.
Wie bereiten wir uns und die Gesellschaft auf diese Veränderungen vor?
Es gibt vier große Herausforderungen: Erstens müssen wir möglichst viel über Ursachen und Wirkungen dieser Veränderungen wissen – hier sind wir schon sehr weit. Zweitens müssen wir eine gemeinsame Zukunftsvision entwickeln. Drittens geht es um die Umsetzung von Maßnahmen, wobei hier natürlich unterschiedliche Ansichten aufeinandertreffen. Die vierte Herausforderung schließlich betrifft die Akzeptanz in der Bevölkerung. Wir wissen aus Untersuchungen, dass die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen größer ist, wenn diese mit Gesundheitsnarrativen verbunden werden – vor allem wenn die Kommunikator*innen aus den Gesundheitsberufen kommen. Den Vertrauensvorschuss und die Wirkung von Ärzt*innen, Pflegepersonal und Physiotherapeut*innen als Multiplikator*innen sollten wir nutzen.
Deutschland ist nicht gut auf Extremhitze vorbereitet.
Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf das Gesundheitssystem – und wie können wir das Gesundheitswesen klimaresilienter machen?
Im Gesundheitswesen fällt besonders auf, dass die Anpassungen an das sich ändernde Klima nur unzureichend stattfinden. Während Hitzewellen füllen sich die Notaufnahmen und die hausärztlichen Praxen mit Menschen, die etwa an Überhitzung leiden. Die Zahl von Todesfällen in Alten- und Pflegeheimen an heißen Tagen ist erschreckend. Diese Effekte belasten das Gesundheitswesen dreifach: Ein höheres Patient*innenaufkommen trifft das System in einer ohnehin angespannten Situation – und nicht zuletzt leidet auch das Personal unter der Hitze. Wir brauchen Schutzkonzepte für Gesundheitseinrichtungen. Manchmal reichen einfache Maßnahmen, die nicht mal viel Geld kosten: etwa mehr Getränke anbieten oder auch einfache Verhaltensänderungen. Aber es braucht auch bauliche Maßnahmen, die wiederum viel Geld kosten können.

Sie schlagen drei Maßnahmen vor, um die Transformation voranzubringen. Welche sind das?
Erstens muss das Thema Hitzeschutz Teil des neuen Bundes-Klimaanpassungsgesetzes werden. Zusammen mit einem Bündnis aus Gesundheitsorganisationen und Sozialverbänden schlagen wir hier ein Sondervermögen für Klimaanpassung vor. Zweitens müssen wir die Luftverschmutzung bekämpfen. Die Richtwerte müssen dringend angepasst werden, am besten auf Basis der WHO-Luftqualitätsleitlinien. Drittens braucht es eine stärkere finanzielle Unterstützung durch den Bund und die Länder, damit Hitzeaktionspläne auch umgesetzt werden können: Alle Kommunen, Länder, aber auch Arbeitgeber müssen sich konkrete Gedanken machen, wie Mitarbeiter*innen, Kinder und ältere Leute gesund durch die nächste Hitzewelle kommen.

Sie sind auch Gründungsmitglied von Women in Global Health Germany. Warum sind Frauen vom Klimawandel stärker betroffen
Einerseits erleiden Schwangere während Hitzewellen häufiger Früh- und Totgeburten. Frauen sind auch öfter in die Versorgung und Pflege von Angehörigen eingebunden. Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen können zu zusätzlichen Pflegebelastungen für sie führen, insbesondere wenn ältere Menschen oder Menschen mit besonderen Bedürfnissen betroffen sind. Meistens fällt der Genderaspekt aber mit anderen Merkmalen zusammen: Wie können wir eine ältere alleinstehende Dame mit Migrationshintergrund in einer dicht bebauten, aufgeheizten Großstadt vor den Klimawandelfolgen schützen? Wir müssen darüber nachdenken, wie wir klar definierte, schutzbedürftige Personengruppen am besten erreichen können, etwa über Postbot*innen oder ärztliche Praxen. Nicht zuletzt erlebe ich, dass Frauen auf dem Feld der planetaren Gesundheit besonders aktiv sind. Das finde ich toll!
Planetary Health Forum
Anmeldung zur kostenfreien Online-Teilnahme Planetary Health Forum am 30. November und 1. Dezember in Berlin.

Beim Planetary Health Forum sollen „ungewöhnliche Partnerschaften“ geknüpft werden. Welche Allianz fänden Sie spannend?
Wir wollen Räume schaffen, in denen sich Akteur*innen unterschiedlicher Interessen zusammenfinden und diskutieren. Wir haben das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesumweltministerium für eine Schirmherrschaft für die Veranstaltung gewonnen, was uns ganz besonders freut. Gesundheitsminister Karl Lauterbach wird beim Forum in Berlin sein und die Begrüßungsrede halten. Wir werden dort viele ungewöhnliche Perspektiven zusammenbringen: Klimaaktivist*innen wie Luisa Neubauer oder Arzt und Moderator Eckart von Hirschhausen, Jurist*innen und Umweltakteur*innen, Krankenkassen und Wissenschaftler*innen, Sozialorganisationen wie der AWO Bundesverband und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Nun haben wir viel über Deutschland geredet. Welche Regionen und Länder sind besonders in Not, wenn es um solche Gesundheitsrisiken geht – können und müssen wir dort helfen?
Natürlich gibt es Länder, die Extremwetterereignissen wie Überschwemmungen und Stürmen viel stärker ausgesetzt sind als Deutschland, zum Beispiel die Ostküste Afrikas oder Südostasien. Weil wir hierzulande die Folgen des Klimawandels immer mehr spüren, gelangt das Thema endlich immer öfter auf die politische Agenda – auch mit Blick auf den Globalen Süden, also in der internationalen Zusammenarbeit. Allerdings fehlt es in der globalen Gesundheitsstrategie der Bundesregierung oder in den Projekten der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit weiterhin vor allem an finanziellen Mitteln. Wenn Deutschland in puncto planetarer Gesundheit international – zum Beispiel bei den internationalen Klimaverhandlungen bei der anstehenden UN-Klimakonferenz COP28 – mitspielen möchte, müssen wir noch eine Schippe drauflegen.
Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit und Centre for Planetary Health Policy
Akteur*innen aus dem Gesundheitsbereich gründeten im Oktober 2017 das Netzwerk KLUG – die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit. Ziel ist es, deutlich zu machen, welche weitreichenden Folgen die Klimakrise auf die Gesundheit hat. KLUG fühlt sich der Idee der Planetary Health verpflichtet: Wenn die Erde krank ist, kann der Mensch nicht gesund sein. KLUG rief 2021 den Thinktank Centre for Planetary Health Policy (CPHP) ins Leben. Inzwischen unterstützen viele medizinische Fachgesellschaften, Forschungsinstitute und NGOs das Netzwerk.
cphp-berlin.de