Warum wissen wir nicht, wie viel ein Auto im Monat kostet?
In unserem Autokostenrechner haben knapp 20.000 AufRuhr-Leser*innen die durchschnittlichen Kosten für den eigenen Pkw geschätzt – und oft ging es markant daneben. 76 Prozent der Autobesitzer*innen haben die Kosten zu tief angesetzt. Wir haben mit Dr. Mark Andor, dem Autor der Studie hinter dem Rechner, darüber gesprochen, warum.
Herr Dr. Andor, unser Autokostenrechner, der seit November 2019 knapp 20.000-mal genutzt wurde, hat ergeben: 76 Prozent der Autobesitzer*innen schätzen die monatlichen Autokosten zu tief ein. Warum ist das so?
Dr. Mark Andor: Die Ergebnisse unserer Studie legen nahe, dass Autobesitzer*innen die regelmäßigen Ausgaben für Benzin beziehungsweise Diesel recht gut einschätzen können. Dagegen gibt es systematische Unterschätzungen bei allen unregelmäßigen Kosten, also dem Wertverlust des Autos, den Reparaturkosten sowie Versicherung und Steuern. Insbesondere der Wertverlust des Autos wird von vielen Autofahrer*innen entweder gar nicht berücksichtigt oder unterschätzt. Zusammengenommen zeigen unsere Ergebnisse, was auch Studien aus anderen Lebensbereichen nahelegen: Sichtbare, regelmäßige Kosten werden gut eingeschätzt, unregelmäßige, eher „versteckte“ Kosten werden weniger berücksichtigt. So fahren die meisten Autobesitzer*innen zum Beispiel sehr regelmäßig zur Tankstelle oder dran vorbei und nehmen die täglichen Treibstoffpreise wahr. Steuern und die Versicherung werden jedoch häufig jährlich bezahlt und oft auch direkt vom Konto abgebucht. Reparaturkosten sind noch unklarer und eher zufällig. Beim Wertverlust verhält es sich wohl so, dass er für die meisten erst ersichtlich wird, wenn das Auto verkauft werden soll – auch wenn es grundsätzlich möglich ist, den Wert und die Wertentwicklung des Autos beispielsweise über Online-Autoverkaufsplattformen grob abzuschätzen.
Dr. Mark Andor
Dr. Mark Andor betreut mit seinem Team das Projekt „Mobilitätsdaten für die Verkehrswende“ am RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.
Durchschnittlich haben die Menschen, die zu tief geschätzt haben, 246 Euro pro Monat zu wenig veranschlagt – also 2.952 Euro im Jahr. Wieso kann diese recht hohe Summe die Menschen nicht vom Auto lösen?
Andor: Es ist eher andersherum: Wenn die Autofahrer*innen sich dieser Kosten nicht bewusst sind, führt dies dazu, dass sie eher am Auto festhalten. Wir sehen es als interessante und vielversprechende Möglichkeit an, die Autofahrer*innen über die „wahren“ Kosten des Autofahrens besser zu informieren (siehe auch Andor et al., 2020a). Dabei könnten beispielsweise Verbraucherschutzorganisationen gemeinsam mit staatlichen Institutionen helfen. Damit ließe sich potenziell ohne große zusätzliche Kosten für den Staat oder die Bürger*innen ein signifikanter Schritt in Richtung einer nachhaltigen Verkehrswende machen.
Der AufRuhr-Autokostenrechner
Wie viel kostet das eigene Auto im Monat? Anhand der Fahrzeugklasse, dem Baujahr und den gefahrenen Kilometern pro Jahr ermittelt das Tool die durchschnittlichen monatlichen Kosten.
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Die Infos darüber, wie teuer ein Auto ist, sind da. Warum erreicht man die Menschen damit nicht?
Andor: Fehleinschätzungen sind kein Ausdruck von Dummheit, sondern ganz normales Navigieren durch den komplexen Alltag. Prinzipiell sind zwar die Informationen zu den tatsächlichen Autokosten für alle relativ leicht verfügbar. Allerdings befinden wir uns auch alle in einem komplexen Alltag mit begrenzten zeitlichen Ressourcen, einer Vielzahl von täglichen Aufgaben und Entscheidungen und einer Fülle von potenziellen Informationen. Daher ist eine gewisse „Unaufmerksamkeit“ sogar vollkommen rational: Man spricht in der Literatur von „rational inattention“. In solchen Situationen können einfache Informationsmaßnahmen dabei helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Beispielsweise könnte beim Autokauf ein verpflichtendes Label mit Angaben zu den Gesamtkosten beim Unterhalt eines Autos informieren. Das funktioniert prinzipiell auch bei anderen Investitionen wie dem Energiewert für Immobilien oder dem Stromverbrauch bei Kühlschränken – und beeinflusst den Konsum deutlich.
Das Tool hat eher Privatleute in den Fokus genommen. Für viele Unternehmen sind eigene Fahrzeuge aber notwendig, um ihren Betrieb zu sichern. Welche Hebel gäbe es hier?
Andor: Auch Unternehmen sollten sich gut über die Gesamtkosten von konventionellen Autos und mögliche Alternativen informieren beziehungsweise informiert werden. Durch Subventionen und geringere variable Kosten kann auch bei Unternehmen ein Wechsel vom Verbrenner zum elektrisch betriebenen Fahrzeug sinnvoll sein. Zudem haben Letztere potenziell auch andere Vorteile wie eine geringere Lärmbelästigung, die dann vielleicht nächtliche Lieferungen und Ähnliches erlauben könnten. Generell gibt es aber nicht die eine verkehrspolitische Maßnahme, die alle Probleme lösen wird. Und es müssen sich natürlich auch nicht alle Betriebe von ihren konventionellen Fahrzeugen trennen. Die Frage ist, wie wir alle gemeinsam zu einer nachhaltigeren Mobilität gelangen – mit weniger Umweltkosten, aber auch mit weniger Staus und Lärm, dafür aber mit lebenswerteren Städten.
Wo kann man überhaupt ansetzen, wenn man die Verkehrswende vorantreiben will und den privaten Autoverkehr reduzieren möchte?
Andor: Es gibt viele mögliche verkehrspolitische Maßnahmen. Um die Einstellung der Bevölkerung zu einigen verkehrspolitischen Handlungsmöglichkeiten zu ermitteln, haben wir zwei große Umfragen durchgeführt und wollten dabei unter anderem wissen, inwieweit die Befragten bestimmte Maßnahmen befürworten oder ablehnen. Wir haben ermittelt, dass die Mehrheit einen kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), reservierte Spuren für Busse und Bahnen auf staubelasteten Straßen sowie den Ausbau der Infrastruktur für Elektromobilität befürwortet. Dagegen stoßen ein Verbot von Neuzulassungen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor ab 2035 sowie höhere Parkgebühren auf Ablehnung.
Neben der Frage der Akzeptanz ist jedoch zentral, wie effektiv die Maßnahmen sind, um eine Verkehrswende zu ermöglichen. Das kann zu durchaus unterschiedlichen Einschätzungen führen. So zeigen beispielsweise Erfahrungen zu kostenlosem ÖPNV, dass dieser zwar durchaus mehr genutzt wird, die Anzahl an Autofahrten jedoch kaum sinkt. Es wäre also voraussichtlich eine recht teure und ineffektive Maßnahme, zumindest zur Reduktion des Autoverkehrs.
Wir würden insgesamt ein experimentelles Vorgehen befürworten, indem Maßnahmen ausgetestet und wissenschaftlich evaluiert werden. Beispielsweise eine Städtemaut in Kombination mit einem vergünstigten ÖPNV. Ergebnisse aus anderen Ländern weisen darauf hin, dass die Akzeptanz für eine Städtemaut nach einer Einführung steigt. Auch autofreie Straßen, eine erhöhte Taktfrequenz von ÖPNV-Linien oder die Förderung von vernetzten Mobilitätsangeboten können und sollten getestet und möglichst rigoros evaluiert werden, bevor es zu finalen Entscheidungen kommt. Nur so können tatsächlich die positiven und negativen Effekte ermittelt und eine abschließende Bewertung vorgenommen werden.
Mobilitätsdaten für die Verkehrswende
Im Rahmen der Studie „Mobilitätsdaten für die Verkehrswende“ erforscht das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung gemeinsam mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) das Mobilitätsverhalten der Bürger*innen und aus welchen Gründen sie bestimmte Verkehrsmittel bevorzugen. Insgesamt wird unter anderem die Rolle der Verkehrsinfrastruktur, die Bereitstellung und Nutzung des ÖPNV sowie die Akzeptanz neuer Infrastrukturpolitiken in Deutschland untersucht.
Literatur
Andor, M. A., Gerster, A., Gillingham, K. T., Horvath, M. (2020a) Running a car costs much more than people think – stalling the uptake of green travel. Nature 580, 453–455.
Andor, M. A., Frondel, M., Horvath, M., Larysch, T., Ruhrort, L. (2020b) Präferenzen und Einstellungen zu vieldiskutierten verkehrspolitischen Maßnahmen: Ergebnisse einer Erhebung aus dem Jahr 2018. List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik 45, 255–280.
Andor, M. A., Fink, L., Frondel, M., Gerster, A., Horvath, M. (2020c) Kostenloser ÖPNV: Akzeptanz in der Bevölkerung und mögliche Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten. Mimeo (Wird in Kürze veröffentlicht).