Anwältin der Sterne: Ferechta Paiwand kämpft für Chancengleichheit im Weltraum
Am Himmel wird es eng: Tausende Satelliten umkreisen die Erde. Umso wichtiger ist ein internationales Weltraumrecht. Wie das aussehen könnte, erforscht Ferechta Paiwand während ihres Mercator Kollegjahres. Die Anwältin plädiert für einen nachhaltigen und fairen Zugang zum Weltraum für alle Staaten.
Mit zwölf Jahren stand für sie fest: Sie möchte UN-Generalsekretärin werden. Das sei schon ein bisschen „speziell“ gewesen, gibt sie rückblickend zu. Doch daran war nicht zu rütteln. Dem kleinen Mädchen ging es damals bereits um den Weltfrieden. Schließlich stammten seine Eltern aus Afghanistan. Ferechta Paiwand wurde 1990 in Hamburg geboren. „In unserer Familie wurde oft darüber geredet, wie Frieden in Afghanistan möglich sein könnte.“ Ihr ganzes Leben – insbesondere ihre beruflichen Entscheidungen – ist eng verbunden mit dem Wunsch nach internationalem Wirken und Gerechtigkeit für alle.
Vom Traum zum Plan: Karriere als Anwältin der Sterne – für die Menschen
Ferechta Paiwand ist heute 33 und Rechtsanwältin. Dieser Weg war ihr von Kindesbeinen an klar: „Für mich gab es keine Alternative zu einem Studium der Rechtswissenschaften.“ Studiert hat sie in ihrer Heimatstadt Hamburg, in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn – „dort sind viele UN-Organisationen ansässig“ – sowie im französischen Aix-en-Provence. Ihre Karriere hat sie gut geplant und früh auf Internationalität ausgerichtet.
Ihr erster Auslandsaufenthalt gleich nach dem Abitur: Für ein Freiwilliges Soziales Jahr war sie Teil eines Frauenrechtsprojektes in Indonesien. Es folgten das Jurastudium und das erste Staatsexamen 2016. Im anschließenden Referendariat kamen weitere internationale Erfahrungen hinzu: Sie arbeitete in der deutschen Botschaft in Sambia und in der Rechtsabteilung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Bonn. 2020, den Anwaltstitel in der Tasche, heuerte sie bei einer großen Wirtschaftskanzlei an. „Um Geld zu verdienen“, wie sie trocken sagt. „Ich habe dort klassisch juristisch ohne internationalen Bezug gearbeitet.“ Soll heißen: Das war nicht ihr Ding und allenfalls temporär.
Begeisterung für den Weltraum – eine Hausarbeit als Auslöser
Sie kündigte, um sich ihrem Herzensthema zu widmen, das ähnlich ungewöhnlich anmutet wie der Berufswunsch der damals Zwölfjährigen: Ferechta Paiwand wollte sich dem Weltraum widmen. Wieso gerade dieser Fokus? „Ausschlaggebend war eine Examenshausarbeit, für die ich erstmals zum Thema ,Der völkerrechtliche Zugang zum Weltraum‘ recherchierte.“ Das war 2014, kurz zuvor war zum ersten Mal eine chinesische Sonde auf dem Mond gelandet. In der politischen Diskussion ging es wieder einmal um Verteilungskämpfe: mehr denn je um Rohstoffe, Vormachtstellung und Kolonisierung jener Domänen, für die keine Verhaltensregeln existieren. Zu diesen Räumen außerhalb der Gerichtsbarkeit von Nationalstaaten zählen gemeinhin die Meere, die Pole, das Internet und auch der Weltraum – allesamt „Global Commons“, globale öffentliche Güter. Ferechta Paiwand war fasziniert vom Universum und der Nutzung der Erdumlaufbahnen, das Thema lässt die Juristin seither nicht mehr los.
Ohne den Weltraum könnten wir unser modernes Leben gar nicht führen.
Seit Oktober 2022 hat sie nun die Chance, sich im Mercator Kolleg für internationale Aufgaben ein Jahr lang mit ihrem Projekt „Space for all“ zu befassen. Ihr großes Ziel ist es, der Freibeuterei im All Einhalt zu gebieten, einen Kodex zu schaffen und so den Weltraum als Allgemeingut – zugänglich für alle Staaten der Erde, ungeachtet ihrer ökonomischen oder politischen Stärke – zu erhalten. Eigentlich ist dies im Weltraumvertrag von 1967 so dargelegt, doch der wird von Staaten unterschiedlich ausgelegt. Und welche Instanz überwacht schon, was im Orbit de facto vor sich geht?
Potenziale des Weltraums: Vom Schutz vor Naturkatastrophen bis zur Revolution des Internets
Aber warum ist ihr die gerechte Nutzung des Weltraums so wichtig? Bietet nicht die Erde genügend Konfliktherde? Der Weltraum sei besonders, „denn ohne ihn könnten wir unser modernes Leben gar nicht führen“, sagt die Juristin. Mehr noch: Im All, davon ist die 33-Jährige felsenfest überzeugt, entscheide sich die Zukunft des Planeten. Es gehe auch um die Technologieführerschaft. Gleichzeitig, und das sei das Dilemma, wisse kaum jemand etwas über diese Rolle, die dem Weltraum für das Leben auf der Erde zukomme. Er ist heute längst nicht mehr nur ein Abenteuer. Auch wenn es Jahrzehnte entfernt scheint: Leben auf dem Mars wird bereits ernsthaft diskutiert. Und die NASA plant ein dauerhaftes Basislager auf dem Mond.
Aus dem All dokumentieren schon Satelliten die Zerstörung der Erde. Diese Satelliten ermöglichen Kommunikation und Navigation. Sie liefern Daten und Bilder, etwa von Veränderungen der Atmosphäre und der Umwelt. Paiwand erzählt: Im Weltraum könne man Naturkatastrophen vorab detektieren, bei Wasserknappheit auf alternative Versorgungsquellen verweisen oder sogar Verschüttete nach Erdbeben orten. Von der Revolution des Internets, das künftig über Satelliten und nicht mehr über Glasfaser laufen werde, profitiere die Menschheit.
„Doch was passiert“, fragt Ferechta Paiwand engagiert, „wenn wieder nur ein Bruchteil der Staaten sich den technologischen Fortschritt zu eigen machen kann?“ Die Antwort liegt auf der Hand: Länder des globalen Südens, die von den Folgen der Klimakatastrophen am stärksten betroffen sind, blieben außen vor. Etwa der Tschad, dem das Wasser ausgehe. Oder Regionen wie der Amazonas, in denen bis dato so gut wie keine Telekommunikation stattfinde. „Die Welt wird immer weiter vernetzt, aber welche Welt ist das denn? Die, die davon abgeschnitten sind, bleiben weiterhin abgetrennt. Für mich ist Teilhabe eine absolute Gerechtigkeitsfrage.“
Weltweite Herausforderungen: Das Unwissen über die Weltraumbedeutung
Ferechta Paiwand spricht druckreif. Das verwundert nicht, denn als Juristin ist sie analytisch unterwegs, Sprache ist ihr Werkzeug. Die beiden Eigenschaften, die ihr allerdings zuerst zur Beschreibung ihres Charakters einfallen, sind: „Durchsetzungsstark und ausdauernd. Ich will niemandem meine Meinung aufdrücken. Aber man muss schon überzeugen können in dem Job.“ Sie versuche, Dinge im Kontext zu verstehen, dafür benötige man oft den historischen Hintergrund. Und so kommt es, dass sie neben gelegentlichem Segeln als liebste Freizeitbeschäftigung „viel lesen“ angibt. Auch ihre private Lektüre – am liebsten liegend in einem grünen Park – kreist um gesellschaftspolitische Zukunftsfragen: Wie verändern wir unsere Welt nachhaltig? Wie sehen alternative Wirtschaftssysteme aus? Romane lese sie nur, wenn geschichtliches Wissen vermittelt werde. Wirtschaft, Gesellschaft und Politik hätten sie bereits in der Schulzeit fasziniert, und ja, auch der Physikunterricht sei ihr leichtgefallen. Die technische Begabung habe sie von ihren Eltern, beide seien Ingenieur*innen. Das technische Verständnis bei der hochkomplexen Betrachtung der Umlaufbahnen – des erdnahen „LEO“ und des über 35.000 Kilometer entfernten „GEO“ – komme ihr jetzt zugute. „Deshalb ist das Weltraumrecht das perfekte Thema für mich.“
Präsenz im Weltraum bedeutet Macht, Machterhalt und Machtausweitung.
Gerade hospitiert Ferechta Paiwand beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Bonn. Die Vorbereitungen für das World Space Forum, das Deutschland im Dezember 2024 ausrichtet, laufen, und sie kann an der Konzeption des zweitägigen Programms mitarbeiten. Im Frühsommer durfte sie die deutsche Delegation zur großen Konferenz des UN Committee on the Peaceful Uses of Outer Space (COPUOS) nach Wien begleiten. Ihr Learning daraus? „Präsenz im Weltraum bedeutet Macht, Machterhalt und Machtausweitung.“ Auf gut Deutsch: Im Weltraum wird geopolitisch die Zukunft der Erde entschieden. Der Weltraum gewinne allein schon durch die stetig wachsende Anzahl von privaten kommerziellen Unternehmen wie die der Milliardäre Elon Musk (SpaceX) und Jeff Bezos (Amazon) sowie von staatlichen Akteuren (besonders USA, Kanada, Japan, China, Russland und Europa) an Bedeutung. Doch wer übernimmt die Verantwortung?
Nationales Weltraumgesetz: Eine unerfüllte Forderung und ihre Folgen
Ein bisschen Frust lässt sich aus ihren Worten heraushören. „Wir in Deutschland haben immer noch kein nationales Weltraumgesetz“, empört sie sich. „Wie kann das sein? Wir haben das Wissen, wir haben die Mittel, die Start-ups, wir sind größter Geldgeber der ESA.“ Die Ausarbeitung eines solchen Gesetzes, so ihre Kritik, werde von einer Regierungsperiode in die nächste geschoben. „Ein nationales Weltraumgesetz ist allein schon aus Haftungsgründen schlicht unabdingbar”, bringt Ferechta Paiwand Erkenntnisse aus vielen Gesprächen mit der nationalen Space-community auf den Punkt. Vier Stationen hat sie sich in ihrem Mercator Kollegjahr ausgesucht. Bonn ist bereits die dritte Station. Zuvor war sie in der National Space Agency in Indonesien und im European Space Policy Institute in Wien.
Initiative „Courts of Space“: Eine Lösung für Konflikte im Weltraum?
Im Herbst wird sie sich zu ihrer letzten Station aufmachen, nach Dubai auf der arabischen Halbinsel. Dort besucht sie die Initiative „Courts of Space“, die strittige Verfahren auf internationaler Ebene lösen möchte. „Das ist was ganz Neues“, freut sie sich. Denn allein in der kurzen Zeitspanne der letzten beiden Jahre wurden in den 550 Kilometer entfernten Orbit LEO rund 5.000 Satelliten geschossen. Bei so viel Verkehr auf den Erdumlaufbahnen sei es quasi unumgänglich, dass es irgendwann zu Kollisionen komme. Ohnehin schwirrt bereits jetzt eine große Menge Weltraummüll im All herum. Schon im Jahr 2009 berichtete das US Space Command von 18.000 Satellitenpartikeln in den verschiedenen Orbitsphären. Wer entsorgt diesen Müll? Wer übernimmt Verantwortung? Im Orbit herrscht eine Wildwestmentalität, eine sanktionierende Instanz fehlt (noch). Reagieren wir erst, wenn zwei Himmelskörper, künstliche oder natürliche, kollidieren? Oder – und hier hört man wieder die Anwältin plädieren – „gelingt es uns als internationale Staatengemeinschaft, einen Regulierungsrahmen zu schaffen, der eine Kollision verhindern kann, weil der Kodex im Vorhinein fair und gleichberechtigt ist?“
Streitbeilegung ist der exakte juristische Terminus dafür. Und wie so eine Regelung abgefasst sein müsste, arbeitet Ferechta Paiwand unter anderem an ihrem Schreibtisch im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Bonn aus. Als zugelassene Rechtsanwältin könnte Streitbeilegung im Weltraum, so ihre Überlegung, auch eine Berufsperspektive für die Zeit nach dem Mercator Kollegjahr darstellen. Denn wie es für sie beruflich weitergeht, steht – Achtung, Wortspiel – noch in den Sternen. Sich als „Space Lawyer“ zu etablieren, wäre ihr absoluter Traum, womöglich als Beraterin für das Auswärtige Amt. Oder doch wie in ihrer Kindheitsvision für die UN? Ihrem zwölfjährigen Ich würde dieser Zielpunkt, nach einem kleinen Umweg durchs All, sicher gefallen.
Mercator Kolleg
Das Mercator Kolleg für internationale Aufgaben fördert jährlich 25 engagierte deutschsprachige Hochschulabsolvent*innen und junge Berufstätige aller Fachrichtungen, die für unsere Welt von morgen Verantwortung übernehmen.