Wie die Medizinerin Bea Albermann weltweite Krisen behandeln will

Wie die Medizinerin Bea Albermann weltweite Krisen behandeln will
Autorin: Anna E. Poth Fotos: Philip Frowein 11.04.2023

Bea Albermann ist Ärztin und Klima­gerechtig­keits­aktivistin aus der Schweiz. Die 25-Jährige widmet sich als „System­ärztin“ den Ursachen der planetaren Krisen. Sie ist Mitbegründerin des Netzwerkes Health for Future Switzerland. Wie will sie unsere Lebens­grund­lagen retten?

Während die meisten, wenn sie „Gesund­heits­krise“ hören, erst einmal an die Corona­pandemie denken, widmet sich Bea Albermann dem gesundheitlichen Notfall der planetaren Krisen: der Klimakrise, dem Arten­sterben und der Umwelt­verschmutzung. Für die Medizinerin ist klar: Diese Krisen gefährden unsere Gesundheit. Als Ärztin und Aktivistin für Klima- und Gesundheits­gerechtig­keit setzt sie sich für die planetare Gesundheit und eine lebens­werte Zukunft ein. Das Konzept der Planetaren Gesundheit befasst sich mit den Zusammen­hängen zwischen menschlicher Gesundheit und den ökologischen, politischen, ökonomischen und sozialen Systemen sowie den Ressourcen unseres Planeten. Seit Oktober 2022 ist Bea Albermann Mercator Kollegiatin am Centre for Planetary Health Policy (CPHP) in Berlin. Das Zentrum bietet wissenschaftliche Politik­beratung zur planetaren Gesundheit. Zudem forschen die Mitarbeiter*innen in Kooperation mit anderen Instituten sowie der WHO und veröffentlichen aktuelle Analysen.

Für Albermann ist die Teilnahme an nationalen und inter­nationalen Konferenzen und Meetings ein Teil des Arbeits­tages. Oft sei es heraus­fordernd, angesichts der durch die Umwelt­krisen bedrohten Menschen­leben der Untätigkeit von Politik und Wirtschaft mit Empathie und Geduld zu begegnen, erzählt sie.

Bea Albermann: „Wir könnten es ziemlich schön haben, wenn wir uns jetzt gemeinsam dafür einsetzen.“
Bea Albermann: „Wir könnten es ziemlich schön haben, wenn wir uns jetzt gemeinsam dafür einsetzen.“ © Philip Frowein

Von Forbes ausgezeichnet – „Under 30-Liste“

Zusammen mit Ärzt*innen aus aller Welt hat Bea Albermann im November 2022 die Welt­klima­konferenz in Scharm al-Scheich in Ägypten besucht. Sie haben mit vielen Entscheidungs­träger*innen gesprochen, um auf die Wichtigkeit des 1,5-Grad-Ziels und des Ausstiegs aus allen fossilen Energien für die menschliche Gesundheit aufmerksam zu machen. Bei der Konferenz sei es oftmals absurd gewesen, einerseits mit Kolleg*innen zu sprechen, die aus den besonders betroffenen Gebieten stammten und Geschichten ihrer Patient*innen erzählten, und zugleich die vermeintlichen Erklärungen von Vertreter*innen der Industrie­staaten zu hören, warum nicht mehr gegen die Umwelt­zerstörung unternommen würde, erzählt sie.

Mehr als 1,5 Grad wäre „Sabotage unserer Gesundheit“ – Medizinerin Bea Albermann protestiert im Ärzt*innenkittel
Mehr als 1,5 Grad wäre „Sabotage unserer Gesundheit“ – Medizinerin Bea Albermann protestiert im Ärzt*innenkittel. © Bettina Graml
Wieder unterwegs, um auf die Gesundheitskrise aufmerksam zu machen – Bea Albermann auf dem Onkologiepflege-Kongress in Bern im März.
Wieder unterwegs, um auf die Gesundheitskrise aufmerksam zu machen – Bea Albermann im März auf dem Onkologiepflege-Kongress in Bern. © Philip Frowein
Die Aktivistin ist derzeit viel in der Schweiz unterwegs – reist für Vorträge und Workshops zu lokalen Initiativen, klärt über den gesundheitlichen Notfall der planetaren Krisen auf.
Die Aktivistin ist derzeit viel in der Schweiz unterwegs – reist für Vorträge und Workshops zu lokalen Initiativen, klärt über den gesundheitlichen Notfall der planetaren Krisen auf. © Philip Frowein

Wie die Spielregeln des Systems verändern?

In Ägypten erreichte sie aber auch eine gute Nachricht: Von der deutsch­sprachigen Ausgabe des Wirtschafts­magazins Forbes wurde Albermann ausgezeichnet und landete auf der „Under 30-Liste“. „Es ist ein großes Privileg, auf dieser Liste zu stehen und diese Auszeichnung zu erhalten. Jedoch bin ich nicht allein. Es stecken unzählige Leute dahinter, und was wir erreicht haben, ist ein Ergebnis von unglaublichem gemeinsamen Engagement. Für mich kam mit der Auszeichnung auch die Frage auf, wie diese Sichtbarkeit genutzt werden kann, um den Menschen eine Stimme zu geben, die von den planetaren Krisen besonders betroffen sind. Aktuell mangelt es an Diversität in der medialen Öffentlichkeit, und Medien­anfragen bekommen meistens junge weiße Frauen und Männer – daher meine Frage: Wie tanze ich mit den Spiel­regeln des Systems, um sie zu verändern?“, erzählt die Aktivistin. Sozusagen als „System­ärztin“ arbeitet sie aktuell nicht im Krankenhaus, sondern widmet sich Vollzeit den systemischen Ursachen der planetaren Krisen.

Bea Albermann macht im Gespräch immer wieder deutlich, dass sie sich mit ihren Privilegien als Medizinerin und Aktivistin aus der Schweiz und der damit einher­gehenden Verantwortung intensiv aus­einander­setzt. Anstelle der Forbes-Auszeichnung nennt sie einen anderen „magischen Moment“, den sie in Ägypten erlebt hat: An einem frühen Morgen vor der Klima­konferenz ging sie schnorcheln, als plötzlich eine große Meeres­schild­kröte nah an ihr vorbei­schwamm. „In diesem Augenblick wurde mir wieder bewusst, wie wichtig es ist, sich auch für diejenigen einzusetzen, die selbst nicht am Verhandlungs­tisch mitdiskutieren können.“

Fahrradtasche
Albermann bezeichnet sich selbst als Millennial-Ärztin, Feministin und Fahrradliebhaberin, geht gerne zu Fuß oder reist mit dem Zug. © Philip Frowein

Bea Albermann beim Europa Forum

Zurück in Europa, ist Bea Albermann als Mercator Fellow wieder auf Konferenzen und spricht beispiels­weise beim Europa Forum in Luzern mit Politiker*innen und CEOs von Schweizer Groß­unternehmen über die gesundheitlichen Auswirkungen ihrer Entscheidungen. Auch mit der Welt­gesundheits­organisation erarbeitet Albermann als Mercator Fellow am Center for Planetary Health Policy politische Strategien, um den Umwelt- und Gesundheits­schutz in den Mitglieds­staaten zu fördern. Aktuell arbeitet sie remote für das Büro in Berlin und reist für Vorträge und Workshops durch die Schweiz. So möchte sie Brücken zwischen inter­nationalen und lokalen Initiativen stärken und Gesundheits- und Klima­schutz­maßnahmen inter­national und in der Schweiz fördern. Darüber hinaus beschäftigt sie sich intensiv mit der Frage, wie ein Wirtschafts­system aussehen könnte, das nicht auf grenzen­losem Wachstum, sondern auf Fürsorge basiert und den Menschen und die Gesundheit in den Mittelpunkt stellt.

Chancengerechter Zugang zu einem gesunden Leben für alle

„Wir können nicht immer weiterwachsen und immer mehr Ressourcen verbrauchen. Auch nicht im Gesundheits­wesen. Obwohl das Schweizer Gesundheits­system mittler­weile das teuerste Europas ist, fließen viel zu wenig Gelder in die Prävention und Gesundheits­förderung, aktuell nur etwa zwei Prozent aller Gesundheits­ausgaben. Zur wachsenden Zahl an Behandlungen kommt der immer größer werdende Mangel an ausgebildeten Ärzt*innen und Pflege­fach­kräften hinzu. Im Laufe ihres Arbeitslebens erleidet fast die Hälfte aller Ärzt*innen ein Burn-out. Da hilft keine Pflästerchen-Politik mehr, wir müssen die systemischen Rahmen­bedingungen ändern“, meint Bea Albermann.

Seit dem Beginn ihres Medizinstudiums setzt sie sich ehrenamtlich für einen chancen­gerechten Zugang zu einem gesunden Leben für alle ein. Sie hat sich für die Aufnahme der Fächer Gendermedizin und planetare Gesundheit in den Studiengang Human­medizin stark gemacht. Zusammen mit dem Verein Health for Future Switzerland erhebt sie gerade, in welchen Teilen der Schweiz die planetare Gesundheit jetzt schon im Schweizer Lehrplan für angehende Mediziner*innen unterrichtet wird.

„No planet – no Health“ – kein Planet, keine Gesundheit. So knapp lässt sich der Kampf um die planetare Gesundheit auch zusammenfassen.
„No planet – no Health“ – kein Planet, keine Gesundheit. So knapp lässt sich der Kampf um die planetare Gesundheit auch zusammenfassen. © Philip Frowein

Gegen das patriarchal geprägte Gesundheits­system

Darüber hinaus geht es ihr um bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheits­wesen. Albermann beschreibt das Schweizer Gesundheits­system – ähnlich wie das deutsche – als von Grund auf patriarchal geprägt. Zusammen mit weiteren Medizin­studentinnen hat sie eine Umfrage zu Sexismus und Diskriminierung im Medizin­studium in Zürich gestartet. „Die Umfrage­ergebnisse zeigen uns deutlich, dass im Alltag insbesondere junge Frauen von Sexismus betroffen und die Verursacher hauptsächlich männliche Ärzte einer höheren Hierarchie­stufe oder Professoren sind. Wenn weitere Faktoren wie Rassismus oder eine Migrations­geschichte hinzu­kommen, nimmt die alltägliche Diskriminierung noch weitaus größere Ausmaße an.“

Bea Albermann setzt sich für Chancen­gerechtigkeit und einen Wandel der patriarchal geprägten Strukturen und Verhaltens­muster ein. Ein Beispiel für diese ist auch der Lohn­unterschied zwischen Männern und Frauen. Der Gender-Pay-Gap zwischen Ärztinnen und Ärzten liegt in der Schweiz bei 30 Prozent – genauso wie in Deutschland. Der Pay-Gap in der Medizin ist in keinem anderen Land höher, selbst in den Vereinigten Staaten liegt er bei 24,7 Prozent. Für Albermann hängt der Aktivismus für eine lebens­werte Zukunft, der Umweltschutz und der inter­sektionale Feminismus stark zusammen. „Weltweit leisten Frauen in Krisen­situationen und im Gesundheits­wesen über 80 Prozent der Care-Arbeit. Daher müssen wir für ihre Rechte kämpfen, für die Anerkennung und Aufwertung von Care-Arbeit und feministische Lösungen zur Klimakrise vorantreiben.“

„Happy, thank you, more please“

Durch die Zusammenarbeit von Bea Albermann und anderen Mit­streiter*innen findet diesen Sommer erstmals in der Schweiz eine Konferenz für ein nach­haltiges Gesundheits­wesen statt, die die Schweizer Akademie der Medizinischen Wissenschaften ausrichtet. Für die Aktivistin ist das nur ein erster Schritt: „Ich habe die Einstellung: Happy, thank you, more please. Wenn wir eine eintägige Konferenz organisieren, ist das ein einziger Tag im Jahr mit ein paar Keynote-Speeches und ein wenig Raum für Diskussionen und Austausch. Um gemeinsam die notwendigen Veränderungen voran­zu­treiben, müssen die Diskussionen über diesen Tag hinaus weitergeführt und in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden.“

Dank Albermanns Engagement und dem ihrer Kolleg*innen in den Jahren zuvor hat die Schweizer Ärztekammer FMH im Oktober 2020 die Klimakrise zum gesundheitlichen Notfall erklärt und im Herbst 2021 die schweiz­weit erste Planetary-Health-Strategie verabschiedet. Albermann hat neben zahl­reichen Vorträgen auch zwei TEDx Talks zur Planetary Health an der Universität St. Gallen gehalten.

Kurzes Interview am Rande des Protests – auch auf dem Klimagipfel COP27 im ägyptischen Scharm al-Scheich kämpfte Bea Albermann im November 2022 für unsere Lebensgrundlagen
Kurzes Interview am Rande des Protests – auch auf dem Klimagipfel COP27 im ägyptischen Scharm al-Scheich kämpfte Bea Albermann im November 2022 für unsere Lebensgrundlagen. © privat

Alle sollten sich die Zeit nehmen, unsere Lebens­grundlagen zu retten

Mit ihren Initiativen möchte Albermann einen Appell an alle senden, die es sich leisten können, in Teilzeit zu arbeiten und sich politisch zu engagieren. „Zeit ist unser kostbarstes Gut, das wir jetzt investieren müssen, um Leben zu retten und uns die Möglichkeit für eine lebens­werte Zukunft zu verschaffen. Eine Rente mit einem entspannten Leben und Skifahren auf Gletschern, wie sie in vielen Schweizer Köpfen sein mag, wird es für meine Generation nicht mehr geben. Also nehme ich jetzt meine Zeit und leiste meinen Beitrag, um den Status quo zu ändern, die planetaren Krisen nicht weiter eskalieren zu lassen und die Gesundheit von jetzigen und künftigen Generationen zu schützen. Wir könnten es ziemlich schön haben, wenn wir uns jetzt gemeinsam dafür einsetzen.“

In ihrer Freizeit geht Bea Albermann gerne in die Berge und im Winter auf Skitour und schöpft so neue Kraft. Fast so gut wie ein Hafer-Cappuccino am Morgen ist für sie das Schwimmen im Zürichsee bei Sonnen­aufgang. Nach ihrem Fellowship beim Centre for Planetary Health Policy wird sie bei der Welt­gesundheits­organisation in Genf weiter an den Themen Umwelt und Gesundheit arbeiten.

„Aktuell bin ich viel im politischen Bereich unterwegs, und teilweise diskutieren wir fernab von den täglichen Heraus­forderungen der Menschen. Da denke ich mir manchmal: Jetzt wäre ein Einsatz auf der Notfall­station für alle ein guter Realitäts­check.“


Mercator Kolleg

Das Mercator Kolleg für inter­­nationale Aufgaben fördert jährlich 25 engagierte deutsch­sprachige Hoch­schul­absolvent*innen und junge Berufs­­tätige aller Fach­­richtungen, die für unsere Welt von morgen Verantwortung über­nehmen.
www.mercator-kolleg.de