Wie die Medizinerin Bea Albermann weltweite Krisen behandeln will

Bea Albermann ist Ärztin und Klimagerechtigkeitsaktivistin aus der Schweiz. Die 25-Jährige widmet sich als „Systemärztin“ den Ursachen der planetaren Krisen. Sie ist Mitbegründerin des Netzwerkes Health for Future Switzerland. Wie will sie unsere Lebensgrundlagen retten?
Während die meisten, wenn sie „Gesundheitskrise“ hören, erst einmal an die Coronapandemie denken, widmet sich Bea Albermann dem gesundheitlichen Notfall der planetaren Krisen: der Klimakrise, dem Artensterben und der Umweltverschmutzung. Für die Medizinerin ist klar: Diese Krisen gefährden unsere Gesundheit. Als Ärztin und Aktivistin für Klima- und Gesundheitsgerechtigkeit setzt sie sich für die planetare Gesundheit und eine lebenswerte Zukunft ein. Das Konzept der Planetaren Gesundheit befasst sich mit den Zusammenhängen zwischen menschlicher Gesundheit und den ökologischen, politischen, ökonomischen und sozialen Systemen sowie den Ressourcen unseres Planeten. Seit Oktober 2022 ist Bea Albermann Mercator Kollegiatin am Centre for Planetary Health Policy (CPHP) in Berlin. Das Zentrum bietet wissenschaftliche Politikberatung zur planetaren Gesundheit. Zudem forschen die Mitarbeiter*innen in Kooperation mit anderen Instituten sowie der WHO und veröffentlichen aktuelle Analysen.
Für Albermann ist die Teilnahme an nationalen und internationalen Konferenzen und Meetings ein Teil des Arbeitstages. Oft sei es herausfordernd, angesichts der durch die Umweltkrisen bedrohten Menschenleben der Untätigkeit von Politik und Wirtschaft mit Empathie und Geduld zu begegnen, erzählt sie.

Von Forbes ausgezeichnet – „Under 30-Liste“
Zusammen mit Ärzt*innen aus aller Welt hat Bea Albermann im November 2022 die Weltklimakonferenz in Scharm al-Scheich in Ägypten besucht. Sie haben mit vielen Entscheidungsträger*innen gesprochen, um auf die Wichtigkeit des 1,5-Grad-Ziels und des Ausstiegs aus allen fossilen Energien für die menschliche Gesundheit aufmerksam zu machen. Bei der Konferenz sei es oftmals absurd gewesen, einerseits mit Kolleg*innen zu sprechen, die aus den besonders betroffenen Gebieten stammten und Geschichten ihrer Patient*innen erzählten, und zugleich die vermeintlichen Erklärungen von Vertreter*innen der Industriestaaten zu hören, warum nicht mehr gegen die Umweltzerstörung unternommen würde, erzählt sie.



Wie die Spielregeln des Systems verändern?
In Ägypten erreichte sie aber auch eine gute Nachricht: Von der deutschsprachigen Ausgabe des Wirtschaftsmagazins Forbes wurde Albermann ausgezeichnet und landete auf der „Under 30-Liste“. „Es ist ein großes Privileg, auf dieser Liste zu stehen und diese Auszeichnung zu erhalten. Jedoch bin ich nicht allein. Es stecken unzählige Leute dahinter, und was wir erreicht haben, ist ein Ergebnis von unglaublichem gemeinsamen Engagement. Für mich kam mit der Auszeichnung auch die Frage auf, wie diese Sichtbarkeit genutzt werden kann, um den Menschen eine Stimme zu geben, die von den planetaren Krisen besonders betroffen sind. Aktuell mangelt es an Diversität in der medialen Öffentlichkeit, und Medienanfragen bekommen meistens junge weiße Frauen und Männer – daher meine Frage: Wie tanze ich mit den Spielregeln des Systems, um sie zu verändern?“, erzählt die Aktivistin. Sozusagen als „Systemärztin“ arbeitet sie aktuell nicht im Krankenhaus, sondern widmet sich Vollzeit den systemischen Ursachen der planetaren Krisen.
Bea Albermann macht im Gespräch immer wieder deutlich, dass sie sich mit ihren Privilegien als Medizinerin und Aktivistin aus der Schweiz und der damit einhergehenden Verantwortung intensiv auseinandersetzt. Anstelle der Forbes-Auszeichnung nennt sie einen anderen „magischen Moment“, den sie in Ägypten erlebt hat: An einem frühen Morgen vor der Klimakonferenz ging sie schnorcheln, als plötzlich eine große Meeresschildkröte nah an ihr vorbeischwamm. „In diesem Augenblick wurde mir wieder bewusst, wie wichtig es ist, sich auch für diejenigen einzusetzen, die selbst nicht am Verhandlungstisch mitdiskutieren können.“

Bea Albermann beim Europa Forum
Zurück in Europa, ist Bea Albermann als Mercator Fellow wieder auf Konferenzen und spricht beispielsweise beim Europa Forum in Luzern mit Politiker*innen und CEOs von Schweizer Großunternehmen über die gesundheitlichen Auswirkungen ihrer Entscheidungen. Auch mit der Weltgesundheitsorganisation erarbeitet Albermann als Mercator Fellow am Center for Planetary Health Policy politische Strategien, um den Umwelt- und Gesundheitsschutz in den Mitgliedsstaaten zu fördern. Aktuell arbeitet sie remote für das Büro in Berlin und reist für Vorträge und Workshops durch die Schweiz. So möchte sie Brücken zwischen internationalen und lokalen Initiativen stärken und Gesundheits- und Klimaschutzmaßnahmen international und in der Schweiz fördern. Darüber hinaus beschäftigt sie sich intensiv mit der Frage, wie ein Wirtschaftssystem aussehen könnte, das nicht auf grenzenlosem Wachstum, sondern auf Fürsorge basiert und den Menschen und die Gesundheit in den Mittelpunkt stellt.
Chancengerechter Zugang zu einem gesunden Leben für alle
„Wir können nicht immer weiterwachsen und immer mehr Ressourcen verbrauchen. Auch nicht im Gesundheitswesen. Obwohl das Schweizer Gesundheitssystem mittlerweile das teuerste Europas ist, fließen viel zu wenig Gelder in die Prävention und Gesundheitsförderung, aktuell nur etwa zwei Prozent aller Gesundheitsausgaben. Zur wachsenden Zahl an Behandlungen kommt der immer größer werdende Mangel an ausgebildeten Ärzt*innen und Pflegefachkräften hinzu. Im Laufe ihres Arbeitslebens erleidet fast die Hälfte aller Ärzt*innen ein Burn-out. Da hilft keine Pflästerchen-Politik mehr, wir müssen die systemischen Rahmenbedingungen ändern“, meint Bea Albermann.
Seit dem Beginn ihres Medizinstudiums setzt sie sich ehrenamtlich für einen chancengerechten Zugang zu einem gesunden Leben für alle ein. Sie hat sich für die Aufnahme der Fächer Gendermedizin und planetare Gesundheit in den Studiengang Humanmedizin stark gemacht. Zusammen mit dem Verein Health for Future Switzerland erhebt sie gerade, in welchen Teilen der Schweiz die planetare Gesundheit jetzt schon im Schweizer Lehrplan für angehende Mediziner*innen unterrichtet wird.

Gegen das patriarchal geprägte Gesundheitssystem
Darüber hinaus geht es ihr um bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen. Albermann beschreibt das Schweizer Gesundheitssystem – ähnlich wie das deutsche – als von Grund auf patriarchal geprägt. Zusammen mit weiteren Medizinstudentinnen hat sie eine Umfrage zu Sexismus und Diskriminierung im Medizinstudium in Zürich gestartet. „Die Umfrageergebnisse zeigen uns deutlich, dass im Alltag insbesondere junge Frauen von Sexismus betroffen und die Verursacher hauptsächlich männliche Ärzte einer höheren Hierarchiestufe oder Professoren sind. Wenn weitere Faktoren wie Rassismus oder eine Migrationsgeschichte hinzukommen, nimmt die alltägliche Diskriminierung noch weitaus größere Ausmaße an.“
Bea Albermann setzt sich für Chancengerechtigkeit und einen Wandel der patriarchal geprägten Strukturen und Verhaltensmuster ein. Ein Beispiel für diese ist auch der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen. Der Gender-Pay-Gap zwischen Ärztinnen und Ärzten liegt in der Schweiz bei 30 Prozent – genauso wie in Deutschland. Der Pay-Gap in der Medizin ist in keinem anderen Land höher, selbst in den Vereinigten Staaten liegt er bei 24,7 Prozent. Für Albermann hängt der Aktivismus für eine lebenswerte Zukunft, der Umweltschutz und der intersektionale Feminismus stark zusammen. „Weltweit leisten Frauen in Krisensituationen und im Gesundheitswesen über 80 Prozent der Care-Arbeit. Daher müssen wir für ihre Rechte kämpfen, für die Anerkennung und Aufwertung von Care-Arbeit und feministische Lösungen zur Klimakrise vorantreiben.“
„Happy, thank you, more please“
Durch die Zusammenarbeit von Bea Albermann und anderen Mitstreiter*innen findet diesen Sommer erstmals in der Schweiz eine Konferenz für ein nachhaltiges Gesundheitswesen statt, die die Schweizer Akademie der Medizinischen Wissenschaften ausrichtet. Für die Aktivistin ist das nur ein erster Schritt: „Ich habe die Einstellung: Happy, thank you, more please. Wenn wir eine eintägige Konferenz organisieren, ist das ein einziger Tag im Jahr mit ein paar Keynote-Speeches und ein wenig Raum für Diskussionen und Austausch. Um gemeinsam die notwendigen Veränderungen voranzutreiben, müssen die Diskussionen über diesen Tag hinaus weitergeführt und in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden.“
Dank Albermanns Engagement und dem ihrer Kolleg*innen in den Jahren zuvor hat die Schweizer Ärztekammer FMH im Oktober 2020 die Klimakrise zum gesundheitlichen Notfall erklärt und im Herbst 2021 die schweizweit erste Planetary-Health-Strategie verabschiedet. Albermann hat neben zahlreichen Vorträgen auch zwei TEDx Talks zur Planetary Health an der Universität St. Gallen gehalten.

Alle sollten sich die Zeit nehmen, unsere Lebensgrundlagen zu retten
Mit ihren Initiativen möchte Albermann einen Appell an alle senden, die es sich leisten können, in Teilzeit zu arbeiten und sich politisch zu engagieren. „Zeit ist unser kostbarstes Gut, das wir jetzt investieren müssen, um Leben zu retten und uns die Möglichkeit für eine lebenswerte Zukunft zu verschaffen. Eine Rente mit einem entspannten Leben und Skifahren auf Gletschern, wie sie in vielen Schweizer Köpfen sein mag, wird es für meine Generation nicht mehr geben. Also nehme ich jetzt meine Zeit und leiste meinen Beitrag, um den Status quo zu ändern, die planetaren Krisen nicht weiter eskalieren zu lassen und die Gesundheit von jetzigen und künftigen Generationen zu schützen. Wir könnten es ziemlich schön haben, wenn wir uns jetzt gemeinsam dafür einsetzen.“
In ihrer Freizeit geht Bea Albermann gerne in die Berge und im Winter auf Skitour und schöpft so neue Kraft. Fast so gut wie ein Hafer-Cappuccino am Morgen ist für sie das Schwimmen im Zürichsee bei Sonnenaufgang. Nach ihrem Fellowship beim Centre for Planetary Health Policy wird sie bei der Weltgesundheitsorganisation in Genf weiter an den Themen Umwelt und Gesundheit arbeiten.
„Aktuell bin ich viel im politischen Bereich unterwegs, und teilweise diskutieren wir fernab von den täglichen Herausforderungen der Menschen. Da denke ich mir manchmal: Jetzt wäre ein Einsatz auf der Notfallstation für alle ein guter Realitätscheck.“
Mercator Kolleg
Das Mercator Kolleg für internationale Aufgaben fördert jährlich 25 engagierte deutschsprachige Hochschulabsolvent*innen und junge Berufstätige aller Fachrichtungen, die für unsere Welt von morgen Verantwortung übernehmen.
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