Eine Augenbraue gegen Hate Speech
Franzi von Kempis setzt sich online als „Besorgte Bürgerin“ gegen Hate Speech und Verschwörungstheorien im Netz ein. Eine Frau, die nicht aufgibt, auch wenn es wehtut.
Das mit der Augenbraue, sagt Franzi von Kempis, habe sie lange trainiert. Sie hat sie hochgeschoben, im Bus, in der Vorlesung, hat nachts mit Tesafilm geschlafen. Sie wollte sie gekonnt ungläubig hochziehen können, wenn ihr nichts Schlagfertiges einfiel. Damit ihr Gegenüber an dieser Mimik ihren Widerspruch erkannte, ihren Unglauben, ihre Abgrenzung zum Gesagten. Das ist zehn Jahre her. Und Franzi von Kempis widerspricht immer noch –jetzt noch stärker als mit einer Braue. Nämlich oft, laut, öffentlich. Die 35-Jährige widerlegt im Internet als „Besorgte Bürgerin“ Verschwörungstheorien, sie stellt sich gegen Hate Speech und Hetze. Sie zieht auf Social Media Grenzen, die, wie sie findet, mehr und mehr verschwinden. Von Kempis ist Teil der Community von „Das NETTZ“, einer Vernetzungsstelle gegen Hate Speech im Internet. 2019 erschien ihr Buch „Anleitung zum Widerspruch: Klare Antworten auf populistische Parolen, Vorurteile und Verschwörungstheorien”. Die Augenbraue geht an diesem lauen Sommerabend im Gleisdreieckpark in Berlin noch ein paar Mal hoch, die Bewegung ist zum Reflex geworden. Der Widerspruch auch, doch der hat mehr Hass auf von Kempis gerichtet, als sie geglaubt hätte.
Gesteigerter Hass im Netz
Und der Hass im Netz nimmt zu. Aktuell untersucht die Uni Leipzig mit dem Forschungsprojekt „Der strafrechtliche Umgang mit Hate Speech im Internet“ das Ausmaß der Online-Hetze. Die Ergebnisse einer ersten Befragung zeigen: Fast jede*r fünfte (18 Prozent) Internetnutzer*in war schon selbst von Hate Speech im Internet betroffen. Unter den 16- bis 30-Jährigen liegt der Anteil bei 32 Prozent, in der noch jüngeren „Generation Z“ sogar bei 37 Prozent. Vier von fünf Befragten (79 Prozent) finden, dass die Kommentare im Netz in den vergangenen fünf Jahren aggressiver geworden sind. Gleichzeitig verbreiten sich Fake News und Verschwörungstheorien online schneller als Nachrichten aus seriösen Quellen. Eine aktuelle Studie der britischen Oxford-Universität zeigt: Fake News, Meinungsmache und populistische Inhalte werden im englischsprachigen Raum Europas auf Facebook öfter geteilt, kommentiert oder gelikt als Beiträge aus verlässlichen Quellen – nämlich viermal so oft. In Deutschland kommen auf eine Interaktion mit echten News sogar sechs mit Fake News.
„Man muss auch einfach Fakten kennen bei beliebten Themen. Manches ist einfach faktisch falsch!“ In ihren Videos sagt von Kempis daher auch oft zu Beginn „Das ist falsch!“. Falsch, dass die Bundesrepublik besetzt sei. Falsch, dass die BRD eine Firma sei. Falsch, wenn pauschal gesagt wird: Geflüchtete bekommen mehr Geld als Arbeitslose, wobei in solchen Vergleichen oft pauschal der Begriff „Deutsche“ für derlei Gruppierungen fällt. Von Kempis hat die „Besorgte Bürgerin” eher zufällig ins Leben gerufen, als sie vor sechs Jahren als Chefredakteurin der Medieninitiative MESH Collective gezielt nach weiblichen politischen Influencern für ein Video suchte – und wenige fand. „Als Frau im Netz ist man – gerade bei politischen Themen – einfach besonders im Hass-Fokus.“ Um die Situation weiblicher Influencer besser verstehen zu können, stellte sich von Kempis selbst vor die Kamera. Allerdings war sie, damals Ende 20, nicht auf die Reaktionen im Netz vorbereitet.
„Du wachst morgens auf und hast plötzlich 7.000 Nachrichten. Da weißt du, das wird nicht schön. Und das macht natürlich etwas mit einem.“ Da wünschten ihr Unbekannte Unaussprechliches. „Das hat mich hart getroffen, das tut schon weh, wenn sich Menschen die Mühe machen, meinen Lebenslauf zu fälschen oder ekelhafte Fotomontagen mit mir zu posten.“ Dabei kann jede*r frei zugänglich im Internet ihre Vita nachlesen: Die Video-Journalistin und Buchautorin war bis Ende 2019 als Chefin vom Dienst für Video bei t-online.de. Heute leitet sie das „Daimler Mobility Lab“ und verantwortet den Bereich „Gesellschaftspolitischer Dialog“ beim Autohersteller.
Anzeigen, blockieren, darüber reden
Aus professioneller Sicht wusste von Kempis, was zu tun ist. Sie hatte es selbst Kolleg*innen geraten. Nicht an sich ranlassen. Nicht persönlich nehmen. Sich klar darüber sein, dass man nur Projektionsfläche ist. „Aber das ist super schwer, wenn es du bist, die plötzlich die Projektionsfläche ist“, gibt sie heute zu. Wenn Drohungen kommen wie „Blondchen, du bist die Nächste“ und „Hier ist eine Kugel mit deinem Namen drauf“.
„Und ich dachte auch, selbst schuld, wenn du so ein Video hochlädst, bekommst du Reaktionen.“ Aber heute weiß sie: „Es ist falsch! Ich muss mit Kritik rechnen, ich muss aber nicht akzeptieren, dass mich Leute dafür hassen und bedrohen.“ Stattdessen: anzeigen, blockieren, die Kommentare auch mal Freund*innen überlassen, die sich die Sachen angucken, antworten, löschen. „Und darüber reden! Ich habe es anfangs zu stark mit mir alleine ausgemacht.“
Frauen als Zielscheibe
Das Internet filtert nicht. Und daher will von Kempis ein Zeichen setzen, ein Stoppsignal senden. Auch weil sie eine Frau ist. Weil sie erlebt, dass es weiblichen Akteuren schwerer gemacht wird, sich zu äußern, das eigene Gesicht herzugeben, eine Meinung zu haben. „Natürlich spielt es beim Hass im Netz eine Rolle, dass ich eine Frau bin“, sagt von Kempis. Da kommt schnell: „Wie fett bist du denn?“, „Du bist nicht geschminkt“ oder „Du trägst zu viel Schminke“, „Zurück an den Herd“. Auch mehr als 100 Jahre nach dem Frauenwahlrecht, so scheint es ihr, werde Frauen immer noch längst nicht von allen eine politische Meinung zugetraut.
Ihr ist wichtig: „Du musst es nicht aushalten, du darfst dich zurückziehen, keiner hat ein Recht auf deinen politischen Aktivismus – und solche Pausen sind wichtig.“ Auch von Kempis gönnt der „Besorgten Bürgerin” gerade eine Verschnaufpause, doch auch diese wird, wie schon häufig, nicht lang dauern, sagt sie. „Es gibt immer Menschen und Themen, für die es sich lohnt zu kämpfen. Ob es die Menschen sind, die mitlesen, oder Menschen, die marginalisiert sind und für die sich viel zu wenig eingesetzt wird.“
Franzi von Kempis erzählt das im Spätsommer im Gleisdreieckpark im Herzen der Hauptstadt. Wenige Tage später werden Tausende Pandemie-Leugner*innen, Verschwörungstheoretiker*innen, Impfgegner*innen und Esoteriker*innen zusammen mit Rechtsextremist*innen nur wenige Kilometer entfernt hinter dem Brandenburger Tor gegen die Corona-Regeln der Regierung demonstrieren. In ihren Filterblasen haben sie sich eine eigene Wirklichkeit, eine Parallelwelt geschaffen, in der sie sich gegenseitig mit Fake News versorgen. In diesen Echokammern werden die Demonstrant*innen abstruse Teilnehmerzahlen von 1,3 Millionen verbreiten. Das Problem bei diesen Filterblasen: Es widerspricht keiner. Nicht mal mit der Augenbraue. Franzi von Kempis hat noch lange nicht Feierabend.
Das NETTZ
Das NETTZ ist eine Vernetzungsstelle gegen Hate Speech und unterstützt die Arbeit von Akteur*innen und Initiativen, die sich gegen Hass im Netz engagieren, indem es fachlichen Austausch und Kooperation zwischen ihnen ermöglicht.
www.das-nettz.de