Von Vorurteilen und Verschwörungs­theorien

Corona-Pandemie
Von Vorurteilen und Verschwörungs­theorien
Autor: Matthias Klein 28.04.2020

Die Coronakrise sei wie geschaffen für Verschwörungstheorien und Rassismus, sagt Mercator Fellow Beate Küpper im Interview. Rechtspopulisten nutzten das gezielt. „Das ist gefährlich, denn Krisen begünstigen diese Akteure.“

Rassismus im Zusammenhang mit dem Coronavirus war bereits früh ein Thema. Zunächst kam es zu rassistischen Anfeindungen gegenüber Menschen asiatischer Herkunft. Wie hat sich das entwickelt, Frau Küpper?

Beate Küpper: Stereotype und Vorurteile gegenüber Personen asiatischer Herkunft beziehungsweise asiatischen Aussehens sind uralt und tief in unsere Kulturgeschichte eingeprägt. Sie können leicht reaktiviert werden. In der Kolonialzeit wurden Chinesen beispielsweise als „gelbe Gefahr“ bezeichnet.

Auch wenn diese alten Ressentiments zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten sind, wurden sie in modernisiertem Gewand bis heute weitertransportiert. Als der „Spiegel“ zu Beginn der Coronakrise in gelber Schrift „Made in China“ titelte, knüpfte er genau an diese alten Bedrohungsmythen an. Und weil sie so bekannt sind, funktionieren sie so schnell und gut – leider. Im Ergebnis sehen sich nun asiatisch aussehende Menschen Beleidigungen oder gar Bedrohungen ausgesetzt. Am Anfang der Coronakrise wurde sogar suggeriert, nur Asiat*innen könnten sich anstecken, also müsse man möglichst viel Abstand zu ihnen halten. Inzwischen dürfte den meisten Menschen hoffentlich klar sein, dass das Blödsinn ist.

Beobachten Sie neue Vorurteilsmuster?

Küpper: Mittlerweile sind auch Vorurteile gegenüber den südeuropäischen Ländern zu hören. Diese kennen wir schon aus der Finanz- und Wirtschaftskrise vor rund zehn Jahren. Den Menschen werden Attribute wie „unordentlich, schlecht organisiert, disziplinlos“, manchmal sogar „dreckig, kriminell“ zugeschrieben – das sind typisch rassistische Stereotype.

Beate Küpper
© Peter Gwiazda

Beate Küpper

Beate Küpper ist ehemalige Mercator Fellow. In ihrem Fellowship untersuchte sie die Einflussnahme rechtspopulistischer Positionen in Deutschland. Sie ist Professorin für Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen an der Hochschule Niederrhein.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die öffentliche Debatte, ob Erntehelfer*innen aus den südosteuropäischen Ländern nach Deutschland kommen dürfen. Es ging immer nur darum, dass diese Menschen hier niemanden anstecken. Zum Zeitpunkt der Debatte vor einigen Wochen waren aber die Infektionszahlen in Deutschland höher als in den Ländern, aus denen die Erntehelfer*innen kommen. Man hätte also eher darüber nachdenken und sprechen sollen, wie man es verhindern kann, dass sie sich in Deutschland anstecken und das Virus später nach Hause tragen. Das hätte aber nicht so gut zu den Stereotypen gepasst, dass es hierzulande immer so sauber und ordentlich zugeht.

Verschwörungsmythen liefern eine Rechtfertigung dafür, sich nicht mehr an die Regeln halten zu müssen.

Inzwischen tauchen auch immer wieder Verschwörungstheorien auf. Was bedeutet das?

Küpper: Corona ist leider wie geschaffen für Verschwörungsmythen. Es ist potenziell lebensbedrohlich, dabei kann man es aber nicht sehen und riechen, es verbreitet sich auf noch wenig bekanntem Weg, hat ein globales Ausmaß, bringt frustrierende Verhaltensregeln für die eigene Lebensführung und ist für den Laien nur schwer zu verstehen. Dies alles sind leider die besten Voraussetzungen dafür, an Verschwörungsmythen zu glauben. Denn sie erklären scheinbar die Welt. Damit geben sie auch scheinbar eigene Kontrolle und Macht zurück – man teilt sozusagen ein Geheimwissen, ist schlauer als der Rest und dadurch überlegen.

Wie gefährlich sind diese Theorien?

Küpper: Verschwörungstheorien rund um Corona sind sehr gefährlich. Sie unterminieren das aktuell so wichtige Vertrauen, die Zurückhaltung jedes Einzelnen und die gesellschaftliche Solidarität. Verschwörungsmythen liefern eine Rechtfertigung dafür, sich nicht mehr an die Regeln halten zu müssen, auch dafür, sich egoistisch zu verhalten, beispielsweise keine Maske aufzusetzen oder sich nicht an das Abstandsgebot zu halten.

© Getty Images

Das ist in den Augen der Anhänger*innen der Theorien dann ein Akt des „Widerstands“ gegen „das System“, das ja diese Regelungen erlassen hat. Manchmal verknüpfen ihre Anhänger*innen sie auch mit altbekannten Verschwörungstheorien, beispielsweise zur Pharmaindustrie oder zum Geheimdienst CIA.

Und dann ist auch der Schritt zum Antisemitismus nicht weit. Eine prominente Behauptung ist, das Coronavirus wäre in Israel entwickelt worden. Dass es im Zweifelsfall „die Juden“ waren, kennen wir schon aus den Zeiten der Pest. Folge dieser Erzählungen waren die schlimmen Pestpogrome, viele Jüd*innen wurden in Deutschland und andernorts ermordet. Es ist kein Zufall, dass rechtspopulistische und rechtsextreme Akteur*innen auch heute gezielt Verschwörungsmythen nutzen, um Misstrauen zu säen.

Auch der Verfassungsschutz hat vor Verschwörungstheorien gewarnt. Was kann man aus Ihrer Sicht tun?

Küpper: Verschwörungsmythen holen Menschen bei dem ab, was sie kennen. Sie bieten einfache Erklärungen von Gut und Böse an und sie personifizieren Unglück, das „dunklen Mächten“ oder „Rassen“ zugeschrieben wird. Mit Fakten kommt man dagegen nur schwer an. Im Fokus müssen diejenigen stehen, die erreichbar sind. Das ist zum Glück die große Mehrheit. In der Ansprache sollte die Politik die bekannten Fakten, aber auch die Unklarheiten offen benennen. Das geschieht derzeit. Nicht gut ist es, wenn widersprüchliche Einschätzungen nicht erklärt werden – also warum empfehlen manche eine Lockerung der Einschränkungen, während andere davor warnen. Wichtig ist zudem, die Mechanismen von Verschwörungsdenken transparent zu machen, also über den Aufbau und die Wirkungsweisen von Verschwörungsmythen aufzuklären, auch über Akteur*innen, die sie gezielt verbreiten. Geschehen kann dies am besten über Kanäle und Personen, die von den jeweiligen Zielgruppen als vertraut und vertrauenswürdig eingeschätzt werden. Das sind nicht immer staatliche Stellen, sondern zum Beispiel bekannte Persönlichkeiten, Stars, Influencer.

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Wie umgehen mit Rechtspopulismus?

Welche Rolle spielt Hate Speech in sozialen Netzwerken in diesem Zusammenhang?

Küpper: Die anonyme und lockere Kommunikationssituation über das Internet, vor allem in sozialen Medien, verleitet zu besonders drastischen Äußerungen oder erleichtert diese, weil man die Reaktion der Adressierten nicht sieht. Dabei sind es häufig nicht irgendwelche User, die Hass verbreiten, sondern quasi professionelle Hater, manchmal sogar bezahlte Trolle, auch rechtsextreme Aktivist*innen. Genau das sehen wir gerade beim Thema Coronakrise. Sie versuchen den Eindruck zu erwecken, sehr viele seien ihrer Meinung, sehr viele stimmten rassistischen Positionen zu, weil dies Glaubwürdigkeit suggeriert und überzeugend wirkt – was viele meinen, kann angeblich so falsch nicht sein.

Rechtspopulisten scheinen in Deutschland im Diskurs um den Umgang mit dem Coronavirus momentan kaum vorzukommen. Was bedeutet das längerfristig für rechtspopulistische Bewegungen?

Küpper: Das stimmt, Rechtspopulisten sind aus dem Blick geraten. Das ist gefährlich, denn Krisen begünstigen rechtspopulistische Bewegungen. Zu Beginn von Corona hat ganz offensichtlich vielfach die Vernunft überwogen, die meisten Menschen wollten sich an die neuen Regeln halten und taten das auch, viele zeigten eine geradezu staatstragende Haltung. Vielleicht drückt sich darin auch das Bedürfnis aus, nach all der Polarisierung, dem Hass und der Gewalt der vergangenen Jahre gesellschaftlichen Zusammenhalt zu demonstrieren und dazu ganz individuell etwas beizutragen.

Je länger die Situation aber anhält und je dramatischer die Folgen für die wirtschaftliche Lage, desto mehr rechne ich mit starkem Zulauf zu den rechtspopulistischen Bewegungen. Sie könnten von dem Frust profitieren. Ich hoffe deshalb sehr, dass neben all den unschönen bis dramatischen Einschnitten die Zeiten von Corona auch den Wert gegenseitiger Rücksichtnahme und gesellschaftlicher Solidarität spürbar machen – und dass davon etwas bleibt.

Das Mercator Fellowship-Programm bietet seinen Stipendiat*innen den Freiraum, sich explorativ und ideenreich einem Forschungs- oder Praxisvorhaben zu widmen.

www.stiftung-mercator.de