Sein Weg ist das Wir: Gregor Christiansmeyer

Sein Weg ist das Wir: Gregor Christiansmeyer
Autorin: Carola Hoffmeister Fotos: Alexander Körner 01.03.2022

Der Begriff „Jugendaustausch“ klingt für manche seltsam verstaubt nach Pfadfinder­treffen. Aber wenn sich bereits junge Menschen in den Austausch mit anderen begeben, vielleicht sogar ins Ausland reisen, kann das persönlich extrem bereichern und die Gesellschaft voran­bringen. Davon ist Politik­wissenschaftler und Historiker Gregor Christiansmeyer überzeugt.

Wer sich mit Gregor Christiansmeyer unterhält, darf sich auf einen interessanten Austausch freuen. Denn der 25-Jährige erzählt charmant und unter­haltsam, egal, ob es um eigene Erfahrungen, Weltpolitik oder Corona geht. Er bleibt keine Antwort schuldig, achtet aber ebenso auf sein Gegen­über. „Wenn Sie Interesse haben, führe ich meine Gedanken weiter aus“, sagt er beim Thema Jugend­aus­tausch, er war in seiner Schulzeit in Litauen, Spanien, Japan und Norwegen. „Aber“, warnt er und lacht vergnügt, „wenn ich dabei einmal aushole, kann es dauern.“ Der studierte Historiker und Politik­wissenschaftler erzählt gerne. Genauso begeistert hört er jedoch auch zu. „Merke ich, dass meine Gesprächs­partner*innen und ich unter­schiedliche Stand­punkte vertreten, stelle ich manchmal die erste halbe Stunde einfach nur Fragen. Am besten Warum-Fragen – so wie Kinder es machen. Denn dadurch signalisiere ich das Interesse, das ich wirklich an den anderen habe. Und anschließend kann man seine eigene Sicht darlegen und sich ohne verhärtete Fronten näher­kommen. Und das ist es ja, was ich möchte.“

Ein Mann macht handschriftliche Notizen
Ob im Wald auf der Mackeloh in der Nähe seines Eltern­hauses oder im Nationalpark auf dem Dajti, dem Hausberg der albanischen Haupt­stadt Tirana ... © Alexander Körner
Wanderschuh
© Alexander Körner
Gregor Christiansmeyer
... Gregor Christiansmeyer zieht es häufig zum Wandern in die Natur. © Alexander Körner

Guter Jugend­aus­tausch ist mehr als eine gemeinsame Bus­fahrt

Verstehen. Perspektiven wechseln. Mit Empathie aufeinander zugehen und sich im besten Sinne des Wortes austauschen: Für Gregor Christiansmeyer ist das privat genauso wichtig wie im Job. Bis vor Kurzem war er für eine von drei Stationen während des zwölf­monatigen Mercator Kollegs im albanischen Tirana. In der Hauptstadt des kleinen Landes auf der Balkan­halb­insel neben Montenegro, dem Kosovo, Nord­mazedonien und Griechenland beschäftigte er sich mit der Frage, welchen Beitrag inter­nationaler Jugend­aus­tausch zu Verständigung und nach­haltigem Frieden leisten kann.

Er war dort beim Regional Youth Cooperation Office (RYCO), einer unabhängigen, inter­nationalen Organisation, die von den westlichen Balkan­staaten anlässlich der Westbalkan-Konferenz 2016 in Paris mit dem Ziel gegründet wurde, den Geist der Versöhnung und der Zusammen­arbeit zwischen den Jugendlichen in der Region durch Jugend­aus­tausch­programme zu fördern. Gregor Christiansmeyer wirkte konkret an der Ausformulierung der neuen RYCO-Strategie mit, die bis 2025 umgesetzt werden soll. Grundlage hierfür waren unter anderem Gespräche mit Jugendlichen, Multi­plikator*innen und Mit­arbeiter*innen von lokalen RYCO-Nieder­lassungen in Sarajevo, Skopje, Pristina, Belgrad und Podgorica zur Jugend­arbeit im westlichen Balkan.

Außerdem engagierte er sich in Tirana für die neue Jugend-Medien­plattform Hajde!, auf der sich seit Ende 2021 junge Menschen aus dem Westbalkan kennen­lernen und über berufliche Möglichkeiten oder Veranstaltungen in der Region informieren können. „Ich bin vom großen Potenzial von Austausch­programmen überzeugt“, so Christiansmeyer, und sein Enthusiasmus steckt an. „Wenn Jugend­arbeit gut gemacht ist und sich nicht nur auf Integrations­spiele oder Busfahrten beschränkt, auf denen die beteiligten Gruppen letztlich doch unter sich bleiben, kann sie viel für die Gesellschaft tun.“ Denn die am Jugend­austausch Beteiligten lernen, mit anderen Meinungen offen und konstruktiv umzugehen – und damit eine wichtige Grundlage für Demokratie.

Gregor Christiansmeyer wuchs im nordrhein-westfälischen Upsprunge bei Salzkotten im Kreis Paderborn auf. Bereits von der Schule aus erhielt er viele Gelegenheiten zum Reisen.
Gregor Christiansmeyer wuchs im nord­rhein-west­fälischen Upsprunge bei Salzkotten im Kreis Paderborn auf. Bereits von der Schule aus erhielt er viele Gelegen­heiten zum Reisen. © Alexander Körner

Toleranz im Kleinen fördert Toleranz im Großen

Der Grundstein für Gregor Christiansmeyers Freude am Austausch wurde bereits im Elternhaus in Nordrhein-Westfalen gelegt. Sein Vater erinnert sich gerne an einen Aufenthalt mit dem deutsch-französischen Jugendwerk in Frankreich. Und innerhalb der eigenen Familie gingen sie mit Verständnis aufeinander zu. „Hatten meine jüngere Schwester und ich mal einen Streit, bei dem wir die Eltern auf die jeweils eigene Seite ziehen wollten, was ja typisch für Geschwister ist, hieß es immer: ‚Klärt das doch mal unter­einander.‘ Und dafür mussten wir miteinander sprechen“, erzählt er.

Remote arbeiten - dank der Digitalisierung kein Problem. Aber der Historiker und Politikwissenschaftler taucht am liebsten vor Ort in andere Kulturen ein und tauscht sich persönlich mit den Menschen aus, denen er begegnet.
Remote arbeiten – dank der Digitalisierung kein Problem. Aber der Historiker und Politikwissenschaftler taucht am liebsten vor Ort in andere Kulturen ein und tauscht sich persönlich mit den Menschen aus, denen er begegnet. © Alexander Körner

Prägend während der Schulzeit waren auch die Aufenthalte im Ausland, allen voran in Litauen. In der achten Klasse hatte Gregor Christiansmeyer erstmals die Möglichkeit, mit einem Austausch­projekt nach Ignalina in Litauen zu reisen. Vor Ort und auf Ausflügen zum Beispiel in die litauische Haupt­stadt mit den barocken Gebäuden merkte er schnell, warum es sich lohnt, Englisch zu lernen: Er konnte es gut gebrauchen, wenn er sich in dem südlichsten der drei europäischen Baltikum­staaten mit gleich­altrigen Schüler*innen unterhalten wollte.

Darüber hinaus machte er die Erfahrung, wie sehr es den eigenen Denk­horizont öffnet, sich auf andere Menschen und eine fremde Kultur einzulassen. Litauen stand damals kurz vor der Einführung des Euro. Gregor Christiansmeyer war ein Fan der europäischen Werte­gemeinschaft und der einheitlichen Währung, schließlich war er seit der Jahr­tausend­wende in Deutschland damit vertraut. Doch in Vilnius begegnete er Teenagern, die gegen den Euro waren. Warum das? Das konnte er nur im Gespräch heraus­finden. „Wir haben dann die Kosten von Produkten in einem deutschen und einem litauischen Super­markt miteinander verglichen. Die Lebens­mittel in Litauen waren natürlich viel günstiger als bei uns, und viele hatten deshalb Angst, dass der Euro zum ‚Teuro‘ wird“, berichtet Christiansmeyer. „Für mich war das ein echter Learning-Moment. Denn ohne selbst gegen den Euro zu sein, konnte ich plötzlich nach­voll­ziehen, was das Problem der Litauer*innen war. Dabei habe ich bewusst gemerkt: Es gibt nicht nur richtige und falsche Positionen. Vielmehr basieren Positionen auf historisch gewachsenen Erfahrungen, und die sind bereits innerhalb Europas von Land zu Land oder sogar lokal verschieden.“

Den Kopf frei kriegen - und sich danach wieder mit frischer Energie auf neue Aufgaben konzentrieren. Gregor Christiansmeyer hat den Jahreswechsel in Nordrhein-Westfalen erlebt und ist inzwischen zurück in Albanien.
Den Kopf frei kriegen – und sich danach wieder mit frischer Energie auf neue Aufgaben konzentrieren. Gregor Christiansmeyer hat den Jahreswechsel in Nordrhein-Westfalen erlebt und ist inzwischen zurück in Albanien. © Alexander Körner

Etwas von den eigenen Möglichkeiten an andere weiter­geben

Seit diesem ersten Jugend­aus­tausch hat Gregor Christiansmeyer immer wieder erlebt, dass es sich lohnt, zuzuhören und den Dialog zu suchen – etwa in Spanien, wo er eigentlich besser Spanisch lernen wollte und dann aber durch Zufall bei einer katalanischen, separatistischen Gast­familie gelandet war. Oder in Italien: Dort konnten die Menschen während seines Aufenthalts 2016 über eine Reform der Verfassung abstimmen, es war eine Entscheidung zwischen etablierten Parteien und populistischen Kräften in Europa. Gregor Christiansmeyer hörte zu und diskutierte, damals wie heute. Nur bei Menschen, die Minderheiten diskriminieren und anti­demo­kratische Tendenzen vertreten, hört seine Toleranz auf. „Da distanziere ich mich in Gesprächen ganz klar.“

Denn die Chancen, wie sie sich mir innerhalb meiner Ausbildung geboten haben, möchte ich auch anderen jungen Menschen eröffnen.

Ein Austauschprogramm mit Japan führte ihn zu vielen politischen Institutionen im Pazifik­staat und bewog ihn schluss­endlich dazu, Politik­wissenschaften zu studieren. Zunächst an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit einem Auslands­semester in Florenz. Dann im Master­studien­gang in globaler Politik und Global­geschichte an der Georg-August-Universität Göttingen, den er in Global­geschichte mit einer Arbeit über das deutsch-polnische Jugendwerk und die Frage abschloss, wie der Zweite Weltkrieg und der Holocaust dort thematisiert und aufgearbeitet werden. Während seines Studiums koordinierte er außer­dem das junge Redaktions­team des EUSTORY History Campus. Das Netzwerk der Körber-Stiftung setzt sich aus jungen Menschen aus ganz Europa zusammen und fördert die Aus­einander­setzung mit wichtigen Fragen der europäischen Geschichte. Für Gregor Christiansmeyer war sein Einsatz hier eine weitere Möglichkeit des Austauschs. Und er konnte hier, genau wie bei der Organisation von Jugendarbeit, Wissen teilen und auf diesem Weg etwas zurück­geben. „Denn die Chancen, wie sie sich mir innerhalb meiner Ausbildung geboten haben, möchte ich auch anderen jungen Menschen eröffnen.“

Klar: Wer sich so gerne vernetzt und unterhält, ist ein guter Team­player und angenehmer Kollege. Gregor Christiansmeyer hat in Tirana vier Tage wöchentlich im Regional Youth Cooperation Office gearbeitet, das sich gegen­über der deutschen Botschaft in der Innen­stadt befindet. Einen Tag blieb er in der WG im Home­office, dort war er in Gesellschaft einer guten Freundin und Kollegin. In seiner Freizeit zog er gerne die Wander­schuhe an und erkundete die schöne Gegend rund um die Haupt­stadt, fuhr etwa mit der Seil­bahn in den National­park auf den wild­romantischen Hausberg, den etwa 1.600 Meter hohen Dajti. Am liebsten mit Freunden und Freundinnen, denn auch der Austausch über die Natur macht gemeinsam noch mehr Spaß, sagt er.

Mercator Kolleg

Das Mercator Kolleg für inter­nationale Aufgaben fördert jährlich 25 engagierte deutsch­sprachige Hoch­schul­absolvent*innen und junge Berufs­tätige aller Fach­richtungen, die für unsere Welt von morgen Verantwortung über­nehmen.
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