Sein Weg ist das Wir: Gregor Christiansmeyer

Der Begriff „Jugendaustausch“ klingt für manche seltsam verstaubt nach Pfadfindertreffen. Aber wenn sich bereits junge Menschen in den Austausch mit anderen begeben, vielleicht sogar ins Ausland reisen, kann das persönlich extrem bereichern und die Gesellschaft voranbringen. Davon ist Politikwissenschaftler und Historiker Gregor Christiansmeyer überzeugt.
Wer sich mit Gregor Christiansmeyer unterhält, darf sich auf einen interessanten Austausch freuen. Denn der 25-Jährige erzählt charmant und unterhaltsam, egal, ob es um eigene Erfahrungen, Weltpolitik oder Corona geht. Er bleibt keine Antwort schuldig, achtet aber ebenso auf sein Gegenüber. „Wenn Sie Interesse haben, führe ich meine Gedanken weiter aus“, sagt er beim Thema Jugendaustausch, er war in seiner Schulzeit in Litauen, Spanien, Japan und Norwegen. „Aber“, warnt er und lacht vergnügt, „wenn ich dabei einmal aushole, kann es dauern.“ Der studierte Historiker und Politikwissenschaftler erzählt gerne. Genauso begeistert hört er jedoch auch zu. „Merke ich, dass meine Gesprächspartner*innen und ich unterschiedliche Standpunkte vertreten, stelle ich manchmal die erste halbe Stunde einfach nur Fragen. Am besten Warum-Fragen – so wie Kinder es machen. Denn dadurch signalisiere ich das Interesse, das ich wirklich an den anderen habe. Und anschließend kann man seine eigene Sicht darlegen und sich ohne verhärtete Fronten näherkommen. Und das ist es ja, was ich möchte.“



Guter Jugendaustausch ist mehr als eine gemeinsame Busfahrt
Verstehen. Perspektiven wechseln. Mit Empathie aufeinander zugehen und sich im besten Sinne des Wortes austauschen: Für Gregor Christiansmeyer ist das privat genauso wichtig wie im Job. Bis vor Kurzem war er für eine von drei Stationen während des zwölfmonatigen Mercator Kollegs im albanischen Tirana. In der Hauptstadt des kleinen Landes auf der Balkanhalbinsel neben Montenegro, dem Kosovo, Nordmazedonien und Griechenland beschäftigte er sich mit der Frage, welchen Beitrag internationaler Jugendaustausch zu Verständigung und nachhaltigem Frieden leisten kann.
Er war dort beim Regional Youth Cooperation Office (RYCO), einer unabhängigen, internationalen Organisation, die von den westlichen Balkanstaaten anlässlich der Westbalkan-Konferenz 2016 in Paris mit dem Ziel gegründet wurde, den Geist der Versöhnung und der Zusammenarbeit zwischen den Jugendlichen in der Region durch Jugendaustauschprogramme zu fördern. Gregor Christiansmeyer wirkte konkret an der Ausformulierung der neuen RYCO-Strategie mit, die bis 2025 umgesetzt werden soll. Grundlage hierfür waren unter anderem Gespräche mit Jugendlichen, Multiplikator*innen und Mitarbeiter*innen von lokalen RYCO-Niederlassungen in Sarajevo, Skopje, Pristina, Belgrad und Podgorica zur Jugendarbeit im westlichen Balkan.
Außerdem engagierte er sich in Tirana für die neue Jugend-Medienplattform Hajde!, auf der sich seit Ende 2021 junge Menschen aus dem Westbalkan kennenlernen und über berufliche Möglichkeiten oder Veranstaltungen in der Region informieren können. „Ich bin vom großen Potenzial von Austauschprogrammen überzeugt“, so Christiansmeyer, und sein Enthusiasmus steckt an. „Wenn Jugendarbeit gut gemacht ist und sich nicht nur auf Integrationsspiele oder Busfahrten beschränkt, auf denen die beteiligten Gruppen letztlich doch unter sich bleiben, kann sie viel für die Gesellschaft tun.“ Denn die am Jugendaustausch Beteiligten lernen, mit anderen Meinungen offen und konstruktiv umzugehen – und damit eine wichtige Grundlage für Demokratie.

Toleranz im Kleinen fördert Toleranz im Großen
Der Grundstein für Gregor Christiansmeyers Freude am Austausch wurde bereits im Elternhaus in Nordrhein-Westfalen gelegt. Sein Vater erinnert sich gerne an einen Aufenthalt mit dem deutsch-französischen Jugendwerk in Frankreich. Und innerhalb der eigenen Familie gingen sie mit Verständnis aufeinander zu. „Hatten meine jüngere Schwester und ich mal einen Streit, bei dem wir die Eltern auf die jeweils eigene Seite ziehen wollten, was ja typisch für Geschwister ist, hieß es immer: ‚Klärt das doch mal untereinander.‘ Und dafür mussten wir miteinander sprechen“, erzählt er.

Prägend während der Schulzeit waren auch die Aufenthalte im Ausland, allen voran in Litauen. In der achten Klasse hatte Gregor Christiansmeyer erstmals die Möglichkeit, mit einem Austauschprojekt nach Ignalina in Litauen zu reisen. Vor Ort und auf Ausflügen zum Beispiel in die litauische Hauptstadt mit den barocken Gebäuden merkte er schnell, warum es sich lohnt, Englisch zu lernen: Er konnte es gut gebrauchen, wenn er sich in dem südlichsten der drei europäischen Baltikumstaaten mit gleichaltrigen Schüler*innen unterhalten wollte.
Darüber hinaus machte er die Erfahrung, wie sehr es den eigenen Denkhorizont öffnet, sich auf andere Menschen und eine fremde Kultur einzulassen. Litauen stand damals kurz vor der Einführung des Euro. Gregor Christiansmeyer war ein Fan der europäischen Wertegemeinschaft und der einheitlichen Währung, schließlich war er seit der Jahrtausendwende in Deutschland damit vertraut. Doch in Vilnius begegnete er Teenagern, die gegen den Euro waren. Warum das? Das konnte er nur im Gespräch herausfinden. „Wir haben dann die Kosten von Produkten in einem deutschen und einem litauischen Supermarkt miteinander verglichen. Die Lebensmittel in Litauen waren natürlich viel günstiger als bei uns, und viele hatten deshalb Angst, dass der Euro zum ‚Teuro‘ wird“, berichtet Christiansmeyer. „Für mich war das ein echter Learning-Moment. Denn ohne selbst gegen den Euro zu sein, konnte ich plötzlich nachvollziehen, was das Problem der Litauer*innen war. Dabei habe ich bewusst gemerkt: Es gibt nicht nur richtige und falsche Positionen. Vielmehr basieren Positionen auf historisch gewachsenen Erfahrungen, und die sind bereits innerhalb Europas von Land zu Land oder sogar lokal verschieden.“

Etwas von den eigenen Möglichkeiten an andere weitergeben
Seit diesem ersten Jugendaustausch hat Gregor Christiansmeyer immer wieder erlebt, dass es sich lohnt, zuzuhören und den Dialog zu suchen – etwa in Spanien, wo er eigentlich besser Spanisch lernen wollte und dann aber durch Zufall bei einer katalanischen, separatistischen Gastfamilie gelandet war. Oder in Italien: Dort konnten die Menschen während seines Aufenthalts 2016 über eine Reform der Verfassung abstimmen, es war eine Entscheidung zwischen etablierten Parteien und populistischen Kräften in Europa. Gregor Christiansmeyer hörte zu und diskutierte, damals wie heute. Nur bei Menschen, die Minderheiten diskriminieren und antidemokratische Tendenzen vertreten, hört seine Toleranz auf. „Da distanziere ich mich in Gesprächen ganz klar.“
Denn die Chancen, wie sie sich mir innerhalb meiner Ausbildung geboten haben, möchte ich auch anderen jungen Menschen eröffnen.
Ein Austauschprogramm mit Japan führte ihn zu vielen politischen Institutionen im Pazifikstaat und bewog ihn schlussendlich dazu, Politikwissenschaften zu studieren. Zunächst an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit einem Auslandssemester in Florenz. Dann im Masterstudiengang in globaler Politik und Globalgeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen, den er in Globalgeschichte mit einer Arbeit über das deutsch-polnische Jugendwerk und die Frage abschloss, wie der Zweite Weltkrieg und der Holocaust dort thematisiert und aufgearbeitet werden. Während seines Studiums koordinierte er außerdem das junge Redaktionsteam des EUSTORY History Campus. Das Netzwerk der Körber-Stiftung setzt sich aus jungen Menschen aus ganz Europa zusammen und fördert die Auseinandersetzung mit wichtigen Fragen der europäischen Geschichte. Für Gregor Christiansmeyer war sein Einsatz hier eine weitere Möglichkeit des Austauschs. Und er konnte hier, genau wie bei der Organisation von Jugendarbeit, Wissen teilen und auf diesem Weg etwas zurückgeben. „Denn die Chancen, wie sie sich mir innerhalb meiner Ausbildung geboten haben, möchte ich auch anderen jungen Menschen eröffnen.“
Klar: Wer sich so gerne vernetzt und unterhält, ist ein guter Teamplayer und angenehmer Kollege. Gregor Christiansmeyer hat in Tirana vier Tage wöchentlich im Regional Youth Cooperation Office gearbeitet, das sich gegenüber der deutschen Botschaft in der Innenstadt befindet. Einen Tag blieb er in der WG im Homeoffice, dort war er in Gesellschaft einer guten Freundin und Kollegin. In seiner Freizeit zog er gerne die Wanderschuhe an und erkundete die schöne Gegend rund um die Hauptstadt, fuhr etwa mit der Seilbahn in den Nationalpark auf den wildromantischen Hausberg, den etwa 1.600 Meter hohen Dajti. Am liebsten mit Freunden und Freundinnen, denn auch der Austausch über die Natur macht gemeinsam noch mehr Spaß, sagt er.
Mercator Kolleg
Das Mercator Kolleg für internationale Aufgaben fördert jährlich 25 engagierte deutschsprachige Hochschulabsolvent*innen und junge Berufstätige aller Fachrichtungen, die für unsere Welt von morgen Verantwortung übernehmen.
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