Was wir jetzt tun müssen, um 2050 noch gesund leben zu können

Was wir jetzt tun müssen, um 2050 noch gesund leben zu können
Autorin: Valeska Zepp 04.07.2023

Deutschland wird 2050 ein anderes Land sein, denn Hitze­wellen und Stürme werden normal sein. Wie bereiten wir uns auf den Klima­umbruch vor? Fünf Vorschläge von Christian Schulz, Geschäfts­führer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Der habilitierte Facharzt verrät, wie wir trotz Klima­veränderungen gesund bleiben.

Wir haben die häufigsten Fragen für Sie hier beantwortet.

Im Sommer 2050 wird es zwischen Flensburg und Konstanz nicht nur trocken, sondern auch an vielen Tagen gefährlich heiß sein. In einigen Regionen wird das Trink­wasser knapp sein. Rettungs­dienste und Katastrophen­schutz werden stark gefordert sein.

Die Klimaveränderungen der nahen Zukunft sind vorgezeichnet durch die Treib­haus­gase, die bereits heute in der Atmosphäre sind. Könnten wir sofort den Ausstoß aller Treib­haus­gase stoppen, würde die durch­schnittliche globale Erd­temperatur dennoch einige Jahre weiter steigen. Stoßen wir Treib­haus­gase aus wie bisher, wird die durch­schnittliche Erd­temperatur rasant ansteigen und damit bis Ende des 21. Jahr­hunderts immer mehr Regionen der Erde für Menschen unbewohnbar machen.

Wir haben jetzt die Wahl: Begegnen wir der Erderwärmung planvoll und bereiten uns auf die künftigen Bedingungen vor? Oder lassen wir der Klima­katastrophe freien Lauf, sodass die Lebens­bedingungen immer unkontrollierbarer und chaotischer werden? „Wir können heute dafür sorgen, die Klima­veränderungen zu verlangsamen. Jedes Zehntel­grad zählt, um Zeit zu gewinnen. Und die brauchen wir, um uns an die künftigen Gegebenheiten anzupassen“, sagt Christian Schulz. Er ist Professor und Facharzt für Anästhesiologie und Geschäfts­führer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Schulz blickt für AufRuhr in die Zukunft und formuliert Ziele. Zu den fünf Rettungs­wegen für 2050 geht es hier lang:

1. Gut leben trotz Hitze

Momentan sind unsere Städte nicht gut an hohe Temperaturen über 30 Grad angepasst. Die Folge: Bei jeder Hitze­welle sterben viele Menschen. Vor allem Kinder, Vorerkrankte und ältere Menschen sind gefährdet. Als Ziel für die kommenden Jahre formuliert Christian Schulz deshalb: „Alle Menschen in Deutschland wissen, was zu tun ist, wenn die nächste Hitzewelle anrollt. Zum Beispiel, sich vor der Hitze zu schützen, indem wir unsere Tages­abläufe ändern oder unsere Ernährung und Trink­gewohnheiten anpassen. Und dass wir besonders achtgeben auf Ältere, Vorerkrankte, Kleinkinder und Schwangere.“

Begrünte Häuser helfen für ein gutes Klima in der Stadt.
Begrünte Häuser helfen für ein gutes Klima in der Stadt. © alamy

Wenn uns die Energiewende und die Mobilitäts­wende gelingen, dann sind 2050 Dächer und Fassaden begrünt. Es gibt schattige Parks statt Parkplätze. Der Individual­verkehr geschieht mit Muskel­kraft oder elektrisch, der ÖPNV bringt jede*n schnell ans Ziel, nirgendwo riecht es nach Benzin oder Diesel, die Flächen sind entsiegelt, Bäume spenden Schatten und verbessern die Luft­qualität. Die Stadt atmet. Die Nutzung von Trink­wasser ist streng geregelt. Die meisten Menschen wohnen und arbeiten in gut isolierten Gebäuden. „Weil die Städte sich weniger aufheizen, gibt es weniger Hitzetote. Es sterben auch weniger Menschen an Luft­verschmutzung. Dadurch wird das Gesundheits­system entlastet“, sagt Schulz. Kranken­häuser, Pflegeheime und Arztpraxen sind klimatisiert. Der Strom kommt zu 100 Prozent aus regenerativen Energien, die Geräte sind hoch effizient. Gute Luft, Ruhe und Platz für Mensch und Natur entlasten die Städter*innen.

2. Tschüss, Volkskrankheiten: klima­gerecht leben hilft, gesund zu bleiben

„Bewegungsmangel durch Autofahren, Fleischkonsum und eine hohe Luft­verschmutzung machen die Kranken­häuser heute voller, als sie sein müssten – Stichwort Volks­krankheiten wie Diabetes und Blut­hoch­druck“, sagt Christian Schulz. Der Arzt ist sich sicher: „Nur wenn wir in den nächsten Jahren die Voraus­setzungen für eine kluge Gesund­heits­prävention schaffen, wird 2050 ein gesundes Leben und ein funktionierendes Gesundheits­system möglich sein.“

Sein Ziel: Menschen leben in einer Umgebung, in der die gesündeste Alternative die nahe­liegendste ist.

Kleine Orte für große Gartenfreund*innen gibt es auch im urbanen Raum
Kleine Orte für große Gartenfreund*innen gibt es auch im urbanen Raum. © Getty Images

Dafür müssen sich die Verhältnisse ändern. Gesunde Lebensmittel steuerlich zu entlasten und ungesunde Nahrungs­mittel angemessen zu besteuern, wäre eine Idee, um auf den Zusammen­hang zwischen Armut und Über­gewicht zu reagieren. Schulz hält es auch für nötig, das Bildungs­system weiter­zu­entwickeln. Kinder müssen vorbereitet sein auf schwierigere Rahmen­bedingungen. Das beinhaltet, dass die unauflösbare Abhängigkeit der menschlichen Gesundheit von der Intaktheit der Ökosysteme nicht nur vermittelt, sondern gelebt wird. „2050 werden die allermeisten Kinder zu Fuß in die Kita oder Schule gehen, weil sie dadurch langfristig Überlebens­vorteile haben“, sagt Schulz.

Ein Ziel für 2050 lautet: Die Menschen ernähren sich größtenteils pflanzlich
Ein Ziel für 2050 lautet: Die Menschen ernähren sich größtenteils pflanzlich. © Getty Images

3. Mehr Platz für die Natur schützt uns vor Pandemien

Klimakrise, Verlust an Biodiversität und letztlich die zunehmende Land­nutzung der auf tierischen Nahrungs­mitteln basierenden Ernährungs­systeme machen Zoonosen wahrscheinlicher – also Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen über­springen. „Wenn wir der Natur mehr Raum geben und weniger in sie eingreifen, senken wir das Risiko von Pandemien“, sagt Christian Schulz. Schaffen können wir das, indem wir uns gesünder ernähren.

Das Ziel lautet: Die Menschen ernähren sich größten­teils pflanzlich. Haben wir das 2050 erreicht, beziehen wir unsere Grund­nahrungs­mittel überwiegend von Land­wirt*innen, die ihre Felder ökologisch bewirtschaften. Ein Teil ihrer Aufgabe ist dann auch der Aufbau gesunder Acker­böden und die Moor­pflege, wodurch wir CO2 binden und die Artenvielfalt stärken.

Weil wir nicht mehr so viel Platz für Tierhaltung brauchen, stehen der Natur mehr Flächen zur Verfügung. Auf diese Weise können wir der Atmosphäre das CO2 wieder entziehen, und wir erhalten die Bio­diversität. Es gibt noch genug Insekten, die unsere Obst­bäume und Gemüse­pflanzen bestäuben. Die pflanzliche Ernährung hätte weitere Vorteile, zum Beispiel eine größere Nahrungs­mittel­sicherheit durch regionale Wirtschafts­kreis­läufe trotz Dürre­perioden und Stark­regen. „Und wir hätten eine geringere Krank­heits­last durch Fehl­ernährung“, sagt Schulz.

4. Schwammstädte trotzen dem Starkregen

Die Erderwärmung macht das Wetter unberechenbar – mal regnet es viel zu viel, dann wieder gar nicht. Stark­regen ist heute schon ein großes Problem. Straßen und Gebäude versiegeln den Boden. Regen kann nicht versickern, und die Kanalisation ist nicht auf große Wasser­mengen in kurzer Zeit ausgerichtet. „Ein interessantes Konzept gegen die Über­flutung heißt Schwamm­stadt. Sie sorgt zugleich für ein gesünderes Mikroklima in der Stadt“, sagt Christian Schulz.

Das Ziel lautet: 2050 sind die meisten Städte in Deutschland Schwamm­städte. Regen versickert an Ort und Stelle. Das Wasser wird entweder von speziellen Materialien oder Böden gespeichert oder kann über Pflanzen verdunsten. Die Pflanzen spenden Schatten, und Verdunstungs­kälte macht die Hitze im Sommer erträglicher.

Weniger Flächenversiegelung und mehr Grünflächen, Berlin arbeitet gerade an einem Konzept für eine Schwammstadt, also urbane Räume, die Starkregen besser aufnehmen können – etwa mittels begrünter Dächer.
Weniger Flächenversiegelung und mehr Grünflächen, Berlin arbeitet gerade an einem Konzept für eine Schwammstadt, also urbane Räume, die Starkregen besser aufnehmen können – etwa mittels begrünter Dächer. © picture alliance

Das Konzept wird gerade in Städten wie Berlin und Hamburg erprobt. Bestandteile einer Schwamm­stadt sind beispiels­weise Grün­dächer mit einer zusätzlichen Schicht zum Wasser­speichern, ein spezieller Straßen­unter­grund, in dem Bäume wurzeln können, und trocken­heits­resistente Stauden­gärten zwischen Gebäuden.

5. Zukunft – die können wir lebens­wert gestalten

Deutschland plant, bis 2045 treib­haus­gas­neutral zu werden. Viele Städte wollen Klima­neutralität schon früher erreichen. „Das bedeutet sehr viel Veränderung in kurzer Zeit. Aber wir können nur gewinnen und haben ein positives Ziel vor Augen, nämlich gesunde Menschen auf einer gesunden Erde. Wenn wir es schaffen, dieses Ziel in die Gesellschaft zu tragen, und Wege aufzeigen, wie die Maßnahmen umsetzbar sind, dann schützen wir die mentale Gesundheit der Bevölkerung und wirken der Polarisierung entgegen“, sagt Christian Schulz.

Die Sonne wird 2050 eine große Rolle bei unserer Energieversorgung spielen.
Die Sonne wird 2050 eine große Rolle bei unserer Energieversorgung spielen. © Getty Images

Sein Ziel: 2050 haben wir alle Wenden geschafft – die Mobilitäts­wende, die Energie­wende, die Ernährungs­wende, die Finanz­wende und die Bauwende. Und wir haben es geschafft, fast alle Menschen hinter diesem Ziel zu versammeln und auf diese Weise zuversichtlich zu bleiben.

„Im Moment ist die mentale Gesundheit der Bevölkerung durch die vielen Krisen stark beeinträchtigt“, sagt Schulz. Er ist aber auch über­zeugt: „Wenn immer mehr den Weg nach vorne sehen, setzt das auch immer stärkere Kräfte frei.“


Deutsche Allianz Klima­wandel und Gesundheit e. V. (KLUG)

Akteur*innen aus dem Gesund­heits­bereich gründeten im Oktober 2017 das Netzwerk KLUG – die Deutsche Allianz Klima­wandel und Gesundheit. Ziel ist es, deutlich zu machen, welche weit­reichenden Folgen die Klima­krise auf die Gesundheit hat. KLUG fühlt sich der Idee der „Planetary Health“ verpflichtet: Wenn die Erde krank ist, kann der Mensch nicht gesund sein. Inzwischen unter­stützen viele medizinische Fach­gesellschaften, Forschungs­institute und NGOs das Netzwerk.

www.klimawandel-gesundheit.de

FAQ: Von Hitzeaktionsplan bis Schwammstadt – AufRuhr erklärt die wichtigsten Begriffe