Was wir jetzt tun müssen, um 2050 noch gesund leben zu können
Deutschland wird 2050 ein anderes Land sein, denn Hitzewellen und Stürme werden normal sein. Wie bereiten wir uns auf den Klimaumbruch vor? Fünf Vorschläge von Christian Schulz, Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Der habilitierte Facharzt verrät, wie wir trotz Klimaveränderungen gesund bleiben.
Wir haben die häufigsten Fragen für Sie hier beantwortet.
Im Sommer 2050 wird es zwischen Flensburg und Konstanz nicht nur trocken, sondern auch an vielen Tagen gefährlich heiß sein. In einigen Regionen wird das Trinkwasser knapp sein. Rettungsdienste und Katastrophenschutz werden stark gefordert sein.
Die Klimaveränderungen der nahen Zukunft sind vorgezeichnet durch die Treibhausgase, die bereits heute in der Atmosphäre sind. Könnten wir sofort den Ausstoß aller Treibhausgase stoppen, würde die durchschnittliche globale Erdtemperatur dennoch einige Jahre weiter steigen. Stoßen wir Treibhausgase aus wie bisher, wird die durchschnittliche Erdtemperatur rasant ansteigen und damit bis Ende des 21. Jahrhunderts immer mehr Regionen der Erde für Menschen unbewohnbar machen.
Wir haben jetzt die Wahl: Begegnen wir der Erderwärmung planvoll und bereiten uns auf die künftigen Bedingungen vor? Oder lassen wir der Klimakatastrophe freien Lauf, sodass die Lebensbedingungen immer unkontrollierbarer und chaotischer werden? „Wir können heute dafür sorgen, die Klimaveränderungen zu verlangsamen. Jedes Zehntelgrad zählt, um Zeit zu gewinnen. Und die brauchen wir, um uns an die künftigen Gegebenheiten anzupassen“, sagt Christian Schulz. Er ist Professor und Facharzt für Anästhesiologie und Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Schulz blickt für AufRuhr in die Zukunft und formuliert Ziele. Zu den fünf Rettungswegen für 2050 geht es hier lang:
1. Gut leben trotz Hitze
Momentan sind unsere Städte nicht gut an hohe Temperaturen über 30 Grad angepasst. Die Folge: Bei jeder Hitzewelle sterben viele Menschen. Vor allem Kinder, Vorerkrankte und ältere Menschen sind gefährdet. Als Ziel für die kommenden Jahre formuliert Christian Schulz deshalb: „Alle Menschen in Deutschland wissen, was zu tun ist, wenn die nächste Hitzewelle anrollt. Zum Beispiel, sich vor der Hitze zu schützen, indem wir unsere Tagesabläufe ändern oder unsere Ernährung und Trinkgewohnheiten anpassen. Und dass wir besonders achtgeben auf Ältere, Vorerkrankte, Kleinkinder und Schwangere.“
Wenn uns die Energiewende und die Mobilitätswende gelingen, dann sind 2050 Dächer und Fassaden begrünt. Es gibt schattige Parks statt Parkplätze. Der Individualverkehr geschieht mit Muskelkraft oder elektrisch, der ÖPNV bringt jede*n schnell ans Ziel, nirgendwo riecht es nach Benzin oder Diesel, die Flächen sind entsiegelt, Bäume spenden Schatten und verbessern die Luftqualität. Die Stadt atmet. Die Nutzung von Trinkwasser ist streng geregelt. Die meisten Menschen wohnen und arbeiten in gut isolierten Gebäuden. „Weil die Städte sich weniger aufheizen, gibt es weniger Hitzetote. Es sterben auch weniger Menschen an Luftverschmutzung. Dadurch wird das Gesundheitssystem entlastet“, sagt Schulz. Krankenhäuser, Pflegeheime und Arztpraxen sind klimatisiert. Der Strom kommt zu 100 Prozent aus regenerativen Energien, die Geräte sind hoch effizient. Gute Luft, Ruhe und Platz für Mensch und Natur entlasten die Städter*innen.
2. Tschüss, Volkskrankheiten: klimagerecht leben hilft, gesund zu bleiben
„Bewegungsmangel durch Autofahren, Fleischkonsum und eine hohe Luftverschmutzung machen die Krankenhäuser heute voller, als sie sein müssten – Stichwort Volkskrankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck“, sagt Christian Schulz. Der Arzt ist sich sicher: „Nur wenn wir in den nächsten Jahren die Voraussetzungen für eine kluge Gesundheitsprävention schaffen, wird 2050 ein gesundes Leben und ein funktionierendes Gesundheitssystem möglich sein.“
Sein Ziel: Menschen leben in einer Umgebung, in der die gesündeste Alternative die naheliegendste ist.
Dafür müssen sich die Verhältnisse ändern. Gesunde Lebensmittel steuerlich zu entlasten und ungesunde Nahrungsmittel angemessen zu besteuern, wäre eine Idee, um auf den Zusammenhang zwischen Armut und Übergewicht zu reagieren. Schulz hält es auch für nötig, das Bildungssystem weiterzuentwickeln. Kinder müssen vorbereitet sein auf schwierigere Rahmenbedingungen. Das beinhaltet, dass die unauflösbare Abhängigkeit der menschlichen Gesundheit von der Intaktheit der Ökosysteme nicht nur vermittelt, sondern gelebt wird. „2050 werden die allermeisten Kinder zu Fuß in die Kita oder Schule gehen, weil sie dadurch langfristig Überlebensvorteile haben“, sagt Schulz.
3. Mehr Platz für die Natur schützt uns vor Pandemien
Klimakrise, Verlust an Biodiversität und letztlich die zunehmende Landnutzung der auf tierischen Nahrungsmitteln basierenden Ernährungssysteme machen Zoonosen wahrscheinlicher – also Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen überspringen. „Wenn wir der Natur mehr Raum geben und weniger in sie eingreifen, senken wir das Risiko von Pandemien“, sagt Christian Schulz. Schaffen können wir das, indem wir uns gesünder ernähren.
Das Ziel lautet: Die Menschen ernähren sich größtenteils pflanzlich. Haben wir das 2050 erreicht, beziehen wir unsere Grundnahrungsmittel überwiegend von Landwirt*innen, die ihre Felder ökologisch bewirtschaften. Ein Teil ihrer Aufgabe ist dann auch der Aufbau gesunder Ackerböden und die Moorpflege, wodurch wir CO2 binden und die Artenvielfalt stärken.
Weil wir nicht mehr so viel Platz für Tierhaltung brauchen, stehen der Natur mehr Flächen zur Verfügung. Auf diese Weise können wir der Atmosphäre das CO2 wieder entziehen, und wir erhalten die Biodiversität. Es gibt noch genug Insekten, die unsere Obstbäume und Gemüsepflanzen bestäuben. Die pflanzliche Ernährung hätte weitere Vorteile, zum Beispiel eine größere Nahrungsmittelsicherheit durch regionale Wirtschaftskreisläufe trotz Dürreperioden und Starkregen. „Und wir hätten eine geringere Krankheitslast durch Fehlernährung“, sagt Schulz.
4. Schwammstädte trotzen dem Starkregen
Die Erderwärmung macht das Wetter unberechenbar – mal regnet es viel zu viel, dann wieder gar nicht. Starkregen ist heute schon ein großes Problem. Straßen und Gebäude versiegeln den Boden. Regen kann nicht versickern, und die Kanalisation ist nicht auf große Wassermengen in kurzer Zeit ausgerichtet. „Ein interessantes Konzept gegen die Überflutung heißt Schwammstadt. Sie sorgt zugleich für ein gesünderes Mikroklima in der Stadt“, sagt Christian Schulz.
Das Ziel lautet: 2050 sind die meisten Städte in Deutschland Schwammstädte. Regen versickert an Ort und Stelle. Das Wasser wird entweder von speziellen Materialien oder Böden gespeichert oder kann über Pflanzen verdunsten. Die Pflanzen spenden Schatten, und Verdunstungskälte macht die Hitze im Sommer erträglicher.
Das Konzept wird gerade in Städten wie Berlin und Hamburg erprobt. Bestandteile einer Schwammstadt sind beispielsweise Gründächer mit einer zusätzlichen Schicht zum Wasserspeichern, ein spezieller Straßenuntergrund, in dem Bäume wurzeln können, und trockenheitsresistente Staudengärten zwischen Gebäuden.
5. Zukunft – die können wir lebenswert gestalten
Deutschland plant, bis 2045 treibhausgasneutral zu werden. Viele Städte wollen Klimaneutralität schon früher erreichen. „Das bedeutet sehr viel Veränderung in kurzer Zeit. Aber wir können nur gewinnen und haben ein positives Ziel vor Augen, nämlich gesunde Menschen auf einer gesunden Erde. Wenn wir es schaffen, dieses Ziel in die Gesellschaft zu tragen, und Wege aufzeigen, wie die Maßnahmen umsetzbar sind, dann schützen wir die mentale Gesundheit der Bevölkerung und wirken der Polarisierung entgegen“, sagt Christian Schulz.
Sein Ziel: 2050 haben wir alle Wenden geschafft – die Mobilitätswende, die Energiewende, die Ernährungswende, die Finanzwende und die Bauwende. Und wir haben es geschafft, fast alle Menschen hinter diesem Ziel zu versammeln und auf diese Weise zuversichtlich zu bleiben.
„Im Moment ist die mentale Gesundheit der Bevölkerung durch die vielen Krisen stark beeinträchtigt“, sagt Schulz. Er ist aber auch überzeugt: „Wenn immer mehr den Weg nach vorne sehen, setzt das auch immer stärkere Kräfte frei.“
Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e. V. (KLUG)
Akteur*innen aus dem Gesundheitsbereich gründeten im Oktober 2017 das Netzwerk KLUG – die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit. Ziel ist es, deutlich zu machen, welche weitreichenden Folgen die Klimakrise auf die Gesundheit hat. KLUG fühlt sich der Idee der „Planetary Health“ verpflichtet: Wenn die Erde krank ist, kann der Mensch nicht gesund sein. Inzwischen unterstützen viele medizinische Fachgesellschaften, Forschungsinstitute und NGOs das Netzwerk.