Der Bau-
Knobler

Bauingenieur Tobias Kuhn auf einer steilen Treppe im Freien.
Der Bau-
Knobler
Autor: Matthias Klein, Fotos: Peter Gwiazda 05.03.2020

Statik und Konstruktion: Bauingenieur Tobias Kuhn mag komplizierte Berechnungen. Bei seinem Studium unterstützte ihn das Bildungsaufsteigerprogramm „Chance hoch 2“. Als erster Teilnehmer strebt der 23-Jährige nun eine Promotion an.

In seinem Kinderzimmer war kaum ein Durchkommen. Auf dem ganzen Fußboden zog sich eine Stadt aus Lego hin. Er konstruierte und baute aus den kleinen farbigen Steinen immer wieder neue Elemente, Gebäude, Straßen, Brücken. „Für mein Klappbett war gerade noch so Platz – es musste abends genau in eine Straße gestellt werden.“ Tobias Kuhn lacht. „Meine Mutter erinnert sich heute noch oft daran.“

Traumhaus gezeichnet

Der 23-Jährige kommt aus einer Arbeiterfamilie, wuchs in Duisburg und Moers bei seiner alleinerziehenden Mutter auf. Dass er das Bauen zum Beruf machen wollte, wusste Kuhn schon früh. In der sechsten Klasse machte er in den Ferien ein freiwilliges Praktikum in einem Architekturbüro. Dort zeichnete er sein Traumhaus. Wie das aussah? „Groß“, sagt er und lacht wieder. „Ich hatte damals noch gar kein Gefühl für Proportionen.“ Seine Leidenschaft war geweckt: „Ich habe sehr viel gelernt. Es hat einfach Spaß gemacht.“

Kuhn war klar: Ich möchte studieren. „Ich konnte mir aber nicht vorstellen, wie das funktionieren könnte.“ In der neunten Klasse brachte sein Klassenlehrer eines Tages Flyer mit, so stieß er auf das Programm „Chance hoch 2“: Jugendliche aus Familien ohne akademischen Bildungshintergrund bekommen Unterstützung auf ihrem Weg zum Abitur und zum Studium. Kuhn bewarb sich erfolgreich.

Profilbild vom Bauingenieur Tobias Kuhn
© Peter Gwiazda

Ich mag es, über Probleme nachzudenken, an Lösungen zu knobeln.

In Deutschland nehmen weniger Jugendliche als in anderen Ländern ein Studium auf. Gerade Kinder aus ökonomisch schwachen Verhältnissen studieren seltener als Kinder von Akademikern. Hier setzt „Chance hoch 2“ an. Kuhn besuchte unter anderem Workshops und schnupperte in das Studentenleben hinein. An die ersten Besuche der Uni erinnert er sich noch heute. „Ich dachte damals, mein Gymnasium sei groß. Aber die Uni war ja nochmal eine ganz andere Größenordnung. Gut, dass ich da nicht allein war.“ Die Unterstützung der Mentoren bestärkte ihn: „Mein Wunsch hat sich verstärkt, auf jeden Fall zu studieren“, berichtet er.

Die Fachrichtung war ihm ja ohnehin klar: Die Arbeit als Bauingenieur findet er besonders interessant. Ein „Chance hoch 2“-Stipendium hatte er dann auch während des Studiums an der Universität Duisburg-Essen. Dazu gehörte eine finanzielle Unterstützung von 300 Euro im Monat. „Dadurch konnte ich mich ganz auf das Studium konzentrieren und musste nicht arbeiten gehen“, sagt Kuhn. Von Anfang an stürzte er sich begeistert in das Lernen: „Ich habe das sehr ernst genommen. Gerade die Grundlagen, die man in den ersten Semestern durchnimmt, sind schließlich sehr wichtig – die brauche ich heute noch oft.“

Bauingenieur Tobias Kuhn auf einer Steilen Treppe im Freien.
© Peter Gwiazda

Auf Baustellen mit riesigen Kränen und lauten Maschinen zog es ihn übrigens nicht so. „Ich mag es, über Probleme nachzudenken, an Lösungen zu knobeln“, erzählt er.

Als Werkstudent arbeitete er bei einer Firma in Duisburg, die Antennen und Teleskope baut. „Das war sehr spannend. Es muss jede Möglichkeit gefunden werden, den Anforderungen gerecht zu werden. Das ist hoch mathematisch – total interessant.“

Komplizierte Algorithmen gefragt

An der Uni fühlte er sich richtig wohl. Und seine positiven Erfahrungen gab er gerne weiter, vier Jahre lang begleitete er als „Chance hoch 2“-Mentor andere Jugendliche.

Nach seinem Abschluss hatte er noch lange nicht genug von der Wissenschaft. „Die Zeit war rasend schnell vergangen. Ich habe so viel Neues gelernt – und große Lust, weiterzumachen.“ Inzwischen ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Statik und Dynamik der Flächentragwerke und will promovieren. „Tobias Kuhn ist der erste Teilnehmer des Programms, der seinen Doktor anstrebt“, freut sich Gabriele Spengler, Leiterin von „Chance hoch 2“.

In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit der Ausbreitung von Wellen im Boden, wie sie zum Beispiel bei Erdbeben vorkommen. Komplizierte Algorithmen sind gefragt – genau das richtige Thema, sagt Kuhn und erzählt begeistert von seinen Überlegungen.

Eine spektakuläre Brücke, ein Hochhaus oder eine Autobahn – gibt es eigentlich irgendetwas, was er gerne einmal bauen würde? „Viele haben so einen Traum. Ich habe kein konkretes Ziel“, sagt Kuhn. „Ich suche immer wieder neue Herausforderungen. Die Teleskope und Antennen finde ich so spannend, weil kein Projekt einem anderen gleicht. Man kann stolz sein, an so etwas Komplexem jeglicher Form beteiligt zu sein.“

Chancen hoch 2

Das Programm bietet Schüler*innen aus Nicht-Akademikerhaushalten und besonders mit Migrationshintergrund eine Förderung von der Oberstufe bis zum Hochschulabschluss. Im Fokus stehen Schüler*innen, die ihr Potenzial aus den unterschiedlichsten Gründen zuvor nicht ausschöpfen.

www.uni-due.de/chancehoch2/


 

Logo Chance Hoch 2. Das Programm für Bildungsaufsteiger/-innen