Deutschlands Comic-Therapeutin

Illustration einer Muslima, die ein Schild, auf dem #metoo steht, in der Hand hält
Deutschlands Comic-Therapeutin
Autorin: Sally Wilkens Fotos: Stefanie Loos, Comics: Tuffix 16.07.2019

Ihre Comics erzählen von Identitäts­suche, Rassismus und Islamophobie – Themen, die die Berlinerin Soufeina Hamed selbst stark beschäftigen. Die 29-jährige Zeichnerin mit dem Künstler­namen „Tuffix“ leitet Workshops und hält Vorträge darüber, wie man die Kunst einsetzen kann, um Erlebtes zu verarbeiten und um Rassismus und Hate­speech etwas entgegen­zu­setzen.

Sie erzählen mit Ihren Comics von Ihrem Alltag, zu dem neben der Suche nach der eigenen Identität leider auch Rassismus gehört. Warum?

Soufeina Hamed: Seit ich zwölf Jahre alt bin, engagiere ich mich sozial, habe immer schon gerne gezeichnet, und irgend­wann habe ich gemerkt, dass ich das sehr gut kombinieren kann. Durch das grafische Geschichten­erzählen habe ich zu mehr Verständnis angeregt. Lange habe ich das als Hobby gemacht, seit zwei Jahren zeichne ich aber haupt­beruflich. Da sind noch viele Schätze zu heben. Es macht sehr viel Spaß.

Und es läuft so gut, dass Sie derzeit eine Assistenz suchen. Aber noch mal zurück zu Ihnen: Warum haben Sie sich schon als Zwölf­jährige für andere engagiert?

Hamed: Ich wollte immer schon das Bild von Muslimas verbessern. Zusammen mit meiner Schwester gründete ich einen Verein. Wir haben zum Beispiel Essen für Obdachlose organisiert und aus­gegeben. Eigentlich ist es fast paranoid, dass man das als Kind schon aus der Perspektive sieht: „Ich werde anders wahr­genommen, muss mich beweisen, und ich muss mehr als andere machen.“ Es dauert lange, sich davon zu lösen, und manchmal begleitet mich dieses Gefühl noch heute.

Sie haben Psychologie in Potsdam und Inter­kulturelle Psychologie in Osnabrück studiert. Sind Sie Deutschlands Comic-Therapeutin?

Hamed: Ein interessanter Titel (lacht). Ich habe keine therapeutische Ausbildung, aber tatsächlich haben gerade meine Workshops therapeutischen Charakter. Denn die Teilnehmer und ich verarbeiten unsere Rassismus- oder Diskriminierungs­erfahrungen. Wir tauschen uns aus, wir verarbeiten Dinge, indem wir zeichnen. Man kann Situationen zeichnen, die so zwar nicht passiert sind, aber die man sich so gewünscht hätte, etwa Schlag­fertig­keit oder Ähnliches. Das hat einen Effekt, der einen innerlich beruhigt. Ja, man kann schon sagen, dass ich da mein Talent, mit Bildern Erlebtes zu erzählen, mit meinem Studium der Psychologe verbinde.

Soufeina Hamed
Seit sie sechs Jahre alt ist, erzählt die heute 29-jährige Soufeina Hamed mit ihren Bildern Geschichten. © Stefanie Loos
Muslima-Monroe-Comic
Warum ein Muslima-Monroe-Comic? Soufeina Hamed: „Ich wollte damit einfach zeigen, dass wir Muslimas genauso viel können, und andere empowern. In rechtsextremen Foren schrieb jemand dazu, dass ich die westlichen Kunstwerke verunstalte.“ © Tuffix

Sie leben in Berlin, seit Sie sieben Jahre alt sind, und werden trotzdem noch gefragt, woher Sie kommen.

Hamed: Das ist leider ein Klassiker, und deshalb ist „Woher kommst du wirklich?“ einer meiner zentralen Comics. Tunesien ist das Heimat­land meines Vaters, ich fahre da auch gerne mal hin. Ich fühle mich dem Land und der Kultur verbunden. Aber Deutschland ist meine Heimat, und hier ist sehr viel zu tun. Ich möchte meine Kraft investieren, unsere Gesellschaft zu gestalten, und meinen Beitrag dafür leisten, dass sich die unter­schiedlichen Menschen besser verstehen. Mit meinen Alltags-Comics können sich sehr viele identifizieren: Das macht was mit Menschen, wenn man sich immer beobachtet fühlt und immer wieder die­selbe Frage beantworten muss. Ich möchte mit meinen Comics zeigen, dass in Kleinig­keiten, in kleinen Gesten sehr viel steckt – Positives und Negatives. Dafür will ich die Menschen sensibilisieren. Es macht einen Unter­schied, etwa wie man deinen Namen ausspricht oder wie man zu dir steht, wenn du nicht gut behandelt wirst.

 

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Prejudice and Pride

Die Frage ist leider ein Klassiker, das hat die Künstlerin Hamed selbst unzählige Male erlebt, ihre Fans ebenso. Hamed sagt: „Das macht was mit Menschen, immer wieder dieselbe Frage beantworten zu müssen. Ich möchte mit meinen Comics zeigen, dass in Kleinigkeiten, in kleinen Gesten sehr viel steckt – Positives und Negatives. Dafür will ich die Menschen sensibilisieren.“

In einem Comic erzählen Sie die Geschichte eines Mädchens, das zum ersten Mal mit Kopf­tuch in die Schule kommt und sehr viel Angst hat …

Hamed: Ja, das ist die Geschichte einer jungen Workshop-Teilnehmerin. Sie machte sich Sorgen, dass die Mit­schüler oder der Lehrer sie kritisieren würden. Doch der rief sie nach vorne und sagte nur: „Du hast dein Äußeres geändert. Wenn irgend­jemand dir deshalb Probleme macht, dann komm bitte zu mir.“ Diese kleine Geste war für sie über­wältigend, über­raschend und ermutigend. Ich habe diese Situation gezeichnet und veröffentlicht. Der Lehrer hat meinen Comic online entdeckt, sich gemeldet und mir erzählt, das sei das Schönste, was ihm in seiner Lehrer­karriere passiert ist, und dass er gar nicht gedacht hätte, so eine wichtige Rolle im Leben dieses Mädchens gespielt zu haben. Das war eine total schöne und berührende Erfahrung.

Teachers

Kleine Geste, große Wirkung. Soufeina Hamed: „Eine junge Work­shop-Teil­nehmerin erzählte mir von ihrem ersten Tag mit Kopf­tuch in der Schule. Sie machte sich viele Sorgen, aber wurde von ihrem Lehrer positiv über­rascht.“

 

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Names

Name ist Identität. Ein Student hat der Comic-Künstlerin erzählt, dass er seinen Namen gegen­über seiner Professorin extra falsch aus­gesprochen hat, damit sie es leichter hat. Die Professorin hat darauf bestanden, die korrekte Aus­sprache zu versuchen, und diese Kleinig­keit hat sein Leben verändert.

 

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Mussten Sie sich für Jeans und Kopftuch rechtfertigen, so wie Sie es in einem anderen Comic thematisieren?

Hamed: Ja, viele forderten mich auf, ich solle mein Kopf­tuch ablegen. Eine Jeans wurde mir nie vor­geworfen. Das Thema kennt aber jede Frau, und darum geht es. Was eine Frau entschieden hat zu tragen, wird immer kommentiert. Auf diesen Sexismus mache ich aufmerksam. Ich erinnere mich gerne an eine Situation: Ich arbeitete als Werk­studentin in einer Personal­abteilung und war die Einzige mit Kopftuch. Die Kollegen hatten sich schließlich „daran gewöhnt“. Eines Morgens tuschelten sie. Sie sprachen über eine andere Kollegin – ihr Rock sei viel zu kurz. Es ist lustig, denn das war mir nicht auf­gefallen. Letztlich zeigt das nur, dass es immer die Frau ist, deren Äußeres kommentiert wird. Entweder hat sie zu wenig oder zu viel an.

Comic
Für eine Jeans musste sich die Comic-Künstlerin Soufeina Hamed nie rechtfertigen. Aber sie erlebt oft, dass kommentiert wird, was Frauen anziehen – entweder ist es zu wenig oder zu viel. © Tuffix
Soufeina Hamed
Hamed alias „Tuffix“ © Stefanie Loos
Hamed bei der Arbeit.
Die Comic-Künstlerin bei der Arbeit. © Stefanie Loos
Comic
Warum die „We can do it“-Powerfrau mit Kopftuch? Hamed erklärt: „Meine Remake-Werke nehme ich gerne mit in meine Ausstellungen und frage ganz offen, ob es die Besucher stört oder nicht, dass ich westliche Kunst verändere. Manche irritiert das wirklich und regt sie zum Nachdenken an. Und genau das ist mein Ziel.“ © Tuffix

Also ein Comic für alle Frauen, ob Muslima oder nicht …

Hamed: Genau. Ich möchte solche wertvollen Momente einfangen und aufzeigen, was für eine große Bedeutung sie haben. Gerne würde ich mal eine Graphic Novel heraus­bringen, also eine lange Comic-Geschichte in Buch­form. Aber das ist sehr arbeits­intensiv. Gerade über­lege ich, ob ich vorher einen monothematischen Sammel­band über eines meiner Projekte veröffentliche. Ich habe bei Instagram dazu aufgerufen, dass Menschen mir ihre Geschichten erzählen, die ich dann in einem Comic verarbeite. Über 200 Fans haben sich mir anvertraut. So habe ich mein Repertoire erweitert: nicht nur muslimische Themen, nicht nur meine Geschichten, sondern die vieler verschiedener Minder­heiten. Ein Student etwa hat mir erzählt, dass er seinen Namen gegen­über seiner Professorin extra falsch aus­gesprochen hat, damit sie es leichter hat. Die Professorin hat aber darauf bestanden, es zu versuchen, und diese Kleinig­keit hat sein Leben verändert. Seitdem stellt er sich mit seinem echten Namen vor. Oder ein Freund, der abends aufgrund seiner Herkunft nicht in einen Klub rein­gekommen ist, woraufhin alle Kumpels den Laden verlassen haben. Das hat ihm viel bedeutet.

Wie kam es zu Ihrem Muslima-Monroe-Comic oder der „We can do it“-Power­frau mit Kopftuch?

Hamed: Ich wollte damit einfach zeigen, dass wir genauso viel können, und andere empowern. Mir hat es großen Spaß gemacht, diese Klassiker in meinem Stil zu zeichnen. In rechts­extremen Foren schrieb jemand dazu, dass ich die westlichen Kunstwerke verunstalte. Seither nehme ich diese Werke mit in meine Ausstellungen und frage ganz offen, ob es die Besucher stört oder nicht. Manche irritiert das wirklich und regt sie zum Nach­denken an. Und genau das ist mein Ziel.

Welcher Ihrer Comics liegt Ihnen noch am Herzen?

Hamed: Einen, den ich sehr schnell und emotional eines Nachts gezeichnet habe, als es wieder einen schrecklichen Anschlag des IS gab. Ich grabe ein Loch, um den friedlichen Islam sicht­bar zu machen, und dann kommt ein Bagger mit einer schwarzen Flagge und schüttet es zu. Es fühlt sich so an, als wäre meine Arbeit umsonst. Doch das ist sie hoffentlich nicht!

Comic über den friedlichen Islam
Eines Nachts, nach einem schrecklichen Anschlag des IS, zeichnete Soufeina Hamed diesen Comic. Sie gräbt ein Loch, um den friedlichen Islam sichtbar zu machen, und dann kommt ein Bagger mit einer schwarzen Flagge und schüttet es zu. © Tuffix

Junge Islam Konferenz

Die „Junge Islam Konferenz“ bietet jungen Menschen mit und ohne Migrations­hinter­grund eine Platt­form für Erkenntnis­gewinn und den Austausch und die Teil­nahme an Debatten zur Gestaltung des Zusammen­lebens in einer viel­fältigen Gesellschaft. Soufeina Hamed engagierte sich als Sprecherin auf der JIK Bundes­konferenz in Berlin.

www.junge-islam-konferenz.de