Deutschlands Comic-Therapeutin
Ihre Comics erzählen von Identitätssuche, Rassismus und Islamophobie – Themen, die die Berlinerin Soufeina Hamed selbst stark beschäftigen. Die 29-jährige Zeichnerin mit dem Künstlernamen „Tuffix“ leitet Workshops und hält Vorträge darüber, wie man die Kunst einsetzen kann, um Erlebtes zu verarbeiten und um Rassismus und Hatespeech etwas entgegenzusetzen.
Sie erzählen mit Ihren Comics von Ihrem Alltag, zu dem neben der Suche nach der eigenen Identität leider auch Rassismus gehört. Warum?
Soufeina Hamed: Seit ich zwölf Jahre alt bin, engagiere ich mich sozial, habe immer schon gerne gezeichnet, und irgendwann habe ich gemerkt, dass ich das sehr gut kombinieren kann. Durch das grafische Geschichtenerzählen habe ich zu mehr Verständnis angeregt. Lange habe ich das als Hobby gemacht, seit zwei Jahren zeichne ich aber hauptberuflich. Da sind noch viele Schätze zu heben. Es macht sehr viel Spaß.
Und es läuft so gut, dass Sie derzeit eine Assistenz suchen. Aber noch mal zurück zu Ihnen: Warum haben Sie sich schon als Zwölfjährige für andere engagiert?
Hamed: Ich wollte immer schon das Bild von Muslimas verbessern. Zusammen mit meiner Schwester gründete ich einen Verein. Wir haben zum Beispiel Essen für Obdachlose organisiert und ausgegeben. Eigentlich ist es fast paranoid, dass man das als Kind schon aus der Perspektive sieht: „Ich werde anders wahrgenommen, muss mich beweisen, und ich muss mehr als andere machen.“ Es dauert lange, sich davon zu lösen, und manchmal begleitet mich dieses Gefühl noch heute.
Sie haben Psychologie in Potsdam und Interkulturelle Psychologie in Osnabrück studiert. Sind Sie Deutschlands Comic-Therapeutin?
Hamed: Ein interessanter Titel (lacht). Ich habe keine therapeutische Ausbildung, aber tatsächlich haben gerade meine Workshops therapeutischen Charakter. Denn die Teilnehmer und ich verarbeiten unsere Rassismus- oder Diskriminierungserfahrungen. Wir tauschen uns aus, wir verarbeiten Dinge, indem wir zeichnen. Man kann Situationen zeichnen, die so zwar nicht passiert sind, aber die man sich so gewünscht hätte, etwa Schlagfertigkeit oder Ähnliches. Das hat einen Effekt, der einen innerlich beruhigt. Ja, man kann schon sagen, dass ich da mein Talent, mit Bildern Erlebtes zu erzählen, mit meinem Studium der Psychologe verbinde.
Sie leben in Berlin, seit Sie sieben Jahre alt sind, und werden trotzdem noch gefragt, woher Sie kommen.
Hamed: Das ist leider ein Klassiker, und deshalb ist „Woher kommst du wirklich?“ einer meiner zentralen Comics. Tunesien ist das Heimatland meines Vaters, ich fahre da auch gerne mal hin. Ich fühle mich dem Land und der Kultur verbunden. Aber Deutschland ist meine Heimat, und hier ist sehr viel zu tun. Ich möchte meine Kraft investieren, unsere Gesellschaft zu gestalten, und meinen Beitrag dafür leisten, dass sich die unterschiedlichen Menschen besser verstehen. Mit meinen Alltags-Comics können sich sehr viele identifizieren: Das macht was mit Menschen, wenn man sich immer beobachtet fühlt und immer wieder dieselbe Frage beantworten muss. Ich möchte mit meinen Comics zeigen, dass in Kleinigkeiten, in kleinen Gesten sehr viel steckt – Positives und Negatives. Dafür will ich die Menschen sensibilisieren. Es macht einen Unterschied, etwa wie man deinen Namen ausspricht oder wie man zu dir steht, wenn du nicht gut behandelt wirst.
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Prejudice and Pride
Die Frage ist leider ein Klassiker, das hat die Künstlerin Hamed selbst unzählige Male erlebt, ihre Fans ebenso. Hamed sagt: „Das macht was mit Menschen, immer wieder dieselbe Frage beantworten zu müssen. Ich möchte mit meinen Comics zeigen, dass in Kleinigkeiten, in kleinen Gesten sehr viel steckt – Positives und Negatives. Dafür will ich die Menschen sensibilisieren.“
In einem Comic erzählen Sie die Geschichte eines Mädchens, das zum ersten Mal mit Kopftuch in die Schule kommt und sehr viel Angst hat …
Hamed: Ja, das ist die Geschichte einer jungen Workshop-Teilnehmerin. Sie machte sich Sorgen, dass die Mitschüler oder der Lehrer sie kritisieren würden. Doch der rief sie nach vorne und sagte nur: „Du hast dein Äußeres geändert. Wenn irgendjemand dir deshalb Probleme macht, dann komm bitte zu mir.“ Diese kleine Geste war für sie überwältigend, überraschend und ermutigend. Ich habe diese Situation gezeichnet und veröffentlicht. Der Lehrer hat meinen Comic online entdeckt, sich gemeldet und mir erzählt, das sei das Schönste, was ihm in seiner Lehrerkarriere passiert ist, und dass er gar nicht gedacht hätte, so eine wichtige Rolle im Leben dieses Mädchens gespielt zu haben. Das war eine total schöne und berührende Erfahrung.
Teachers
Kleine Geste, große Wirkung. Soufeina Hamed: „Eine junge Workshop-Teilnehmerin erzählte mir von ihrem ersten Tag mit Kopftuch in der Schule. Sie machte sich viele Sorgen, aber wurde von ihrem Lehrer positiv überrascht.“
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Names
Name ist Identität. Ein Student hat der Comic-Künstlerin erzählt, dass er seinen Namen gegenüber seiner Professorin extra falsch ausgesprochen hat, damit sie es leichter hat. Die Professorin hat darauf bestanden, die korrekte Aussprache zu versuchen, und diese Kleinigkeit hat sein Leben verändert.
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Mussten Sie sich für Jeans und Kopftuch rechtfertigen, so wie Sie es in einem anderen Comic thematisieren?
Hamed: Ja, viele forderten mich auf, ich solle mein Kopftuch ablegen. Eine Jeans wurde mir nie vorgeworfen. Das Thema kennt aber jede Frau, und darum geht es. Was eine Frau entschieden hat zu tragen, wird immer kommentiert. Auf diesen Sexismus mache ich aufmerksam. Ich erinnere mich gerne an eine Situation: Ich arbeitete als Werkstudentin in einer Personalabteilung und war die Einzige mit Kopftuch. Die Kollegen hatten sich schließlich „daran gewöhnt“. Eines Morgens tuschelten sie. Sie sprachen über eine andere Kollegin – ihr Rock sei viel zu kurz. Es ist lustig, denn das war mir nicht aufgefallen. Letztlich zeigt das nur, dass es immer die Frau ist, deren Äußeres kommentiert wird. Entweder hat sie zu wenig oder zu viel an.
Also ein Comic für alle Frauen, ob Muslima oder nicht …
Hamed: Genau. Ich möchte solche wertvollen Momente einfangen und aufzeigen, was für eine große Bedeutung sie haben. Gerne würde ich mal eine Graphic Novel herausbringen, also eine lange Comic-Geschichte in Buchform. Aber das ist sehr arbeitsintensiv. Gerade überlege ich, ob ich vorher einen monothematischen Sammelband über eines meiner Projekte veröffentliche. Ich habe bei Instagram dazu aufgerufen, dass Menschen mir ihre Geschichten erzählen, die ich dann in einem Comic verarbeite. Über 200 Fans haben sich mir anvertraut. So habe ich mein Repertoire erweitert: nicht nur muslimische Themen, nicht nur meine Geschichten, sondern die vieler verschiedener Minderheiten. Ein Student etwa hat mir erzählt, dass er seinen Namen gegenüber seiner Professorin extra falsch ausgesprochen hat, damit sie es leichter hat. Die Professorin hat aber darauf bestanden, es zu versuchen, und diese Kleinigkeit hat sein Leben verändert. Seitdem stellt er sich mit seinem echten Namen vor. Oder ein Freund, der abends aufgrund seiner Herkunft nicht in einen Klub reingekommen ist, woraufhin alle Kumpels den Laden verlassen haben. Das hat ihm viel bedeutet.
Wie kam es zu Ihrem Muslima-Monroe-Comic oder der „We can do it“-Powerfrau mit Kopftuch?
Hamed: Ich wollte damit einfach zeigen, dass wir genauso viel können, und andere empowern. Mir hat es großen Spaß gemacht, diese Klassiker in meinem Stil zu zeichnen. In rechtsextremen Foren schrieb jemand dazu, dass ich die westlichen Kunstwerke verunstalte. Seither nehme ich diese Werke mit in meine Ausstellungen und frage ganz offen, ob es die Besucher stört oder nicht. Manche irritiert das wirklich und regt sie zum Nachdenken an. Und genau das ist mein Ziel.
Welcher Ihrer Comics liegt Ihnen noch am Herzen?
Hamed: Einen, den ich sehr schnell und emotional eines Nachts gezeichnet habe, als es wieder einen schrecklichen Anschlag des IS gab. Ich grabe ein Loch, um den friedlichen Islam sichtbar zu machen, und dann kommt ein Bagger mit einer schwarzen Flagge und schüttet es zu. Es fühlt sich so an, als wäre meine Arbeit umsonst. Doch das ist sie hoffentlich nicht!
Junge Islam Konferenz
Die „Junge Islam Konferenz“ bietet jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund eine Plattform für Erkenntnisgewinn und den Austausch und die Teilnahme an Debatten zur Gestaltung des Zusammenlebens in einer vielfältigen Gesellschaft. Soufeina Hamed engagierte sich als Sprecherin auf der JIK Bundeskonferenz in Berlin.