„In manchen Monaten verdiene ich 50 Euro“ – wie prekär ist Plattformarbeit?

Eine Hand auf der Tastatur
„In manchen Monaten verdiene ich 50 Euro“ – wie prekär ist Plattformarbeit?
Autorin: Michelle Maier 30.04.2024

Nadine und Antonia arbeiten als Clickworkerinnen – über sogenannte Mikrojobs trainieren sie Suchmaschinen oder Künstliche Intelligenz, indem sie ihre Leistung bewerten. Die Bezahlung dafür variiert stark – mal kann es für einen Auftrag 100 Euro geben, mal 7 Cent. Die spontanen Aufträge bieten zwar flexible Arbeits­zeiten, können jedoch prekäre Arbeits­verhältnisse verstärken. AufRuhr hat die beiden Frauen bei ihrer Arbeit begleitet.

Dass im Internet alles rundläuft, ist der Arbeit vieler Menschen zu verdanken: von Programmier*innen, Entwickler*innen oder Grafiker*innen. Ein wichtiger Teil der Arbeits­kette bleibt jedoch unsichtbar: die Click­worker*innen und Crowdworker*innen. Sie trainieren unter anderem Algorithmen und Künstliche Intelligenz (KI), indem sie die Leistungen solcher Anwendungen bewerten und sie damit besser machen. Sie sind als Free­lancer*innen tätig und bearbeiten Tag für Tag Aufträge von Plattformen wie Click­worker, Fiverr oder Amazon Mechanical Turk. Laut neuen Studien des Forschungs­projektes „Chancen­gerechte Platt­form­arbeit“ von Minor – Projekt­kontor für Bildung und Forschung sind die Arbeits­bedingungen der sogenannten Platt­form­arbeit oft prekär. Diese frei­beruflichen Tätigkeiten versprechen zwar große Flexibilität, bieten allerdings kaum soziale und arbeits­rechtliche Absicherung.

AufRuhr hat zwei Clickworkerinnen begleitet, um mehr über den Alltag der Plattformarbeit zu erfahren.

„Du hast kaum Sicherheit“

Wenn Nadine (Name geändert) ihren Arbeitstag beginnt, ist es früh am Morgen. Die 52-Jährige fährt ihren PC hoch, ihr rot getigerter Kater Kasimir spielt während­dessen mit dem Lade­kabel. Nadine arbeitet haupt­beruflich als Click­workerin, seitdem sie aus gesundheitlichen Gründen keinen Job auf dem regulären Arbeits­markt finden konnte. Ihre Aufgaben als Freelancerin sind unterschiedlich: Mal fertigt sie Sprach­aufnahmen an, ein anderes Mal beurteilt sie Audio­aufnahmen danach, ob sie künstlich oder menschlich klingen. Oft nimmt Nadine an Umfragen teil, die von Forschungs­einrichtungen und Studierenden in Auftrag gegeben werden.

Eine Frau am Arbeitsplatz
Ein Vorteil des Clickworks: Arbeitszeiten sind individuell einteilbar. © Louisa Stickelbruck
Eine Maus und ein Tee am Computer-Arbeitsplatz
Clickwork findet meist in den eigenen vier Wänden statt. © Louisa Stickelbruck

An manchen Tagen kommt sie vor lauter Aufgaben nicht hinterher, an anderen wiederum klickt sie sich vergeblich durch die sieben Clickwork-Plattformen auf der Suche nach Aufträgen. „In den letzten Jahren ist es weniger geworden, sowohl an Aufträgen als auch an Bezahlung“, berichtet Nadine. Die Anzahl an verfügbaren Aufträgen variiert stark – Plan­barkeit gibt es für Click­worker*innen nicht wirklich. „Es gibt Monate, in denen ich 50 Euro verdiene, und Monate, in denen ich 300 Euro verdiene“, erzählt die 52-Jährige. „Du hast keine Sicherheit.“

Warum die Arbeitsbedingungen der Platt­form­ökonomie oftmals prekär sind, weiß Anna-Elisabeth Hampel. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Chancen­gerechte Platt­form­arbeit“ von Minor. Der Projekt­kontor für Bildung und Forschung untersucht die Arbeits­bedingungen der Plattformarbeit. „Es gibt kaum lang­fristig planbare Löhne, hohe Konkurrenz um Aufträge, fehlende soziale Sicherung, meist einseitige Bewertungs­systeme, ein undurch­schaubares algorithmisches Management, und es mangelt an Möglichkeiten zum sozialen Austausch und zur professionellen Weiter­entwicklung“, sagt Hampel.
Weil die Bezahlung und die Verfügbarkeit von Aufträgen so schwer planbar sind, haben Click­worker*innen meist keine andere Wahl, als den ganzen Tag vor dem PC zu verbringen und nach neuen Aufträgen zu suchen. Nadine arbeitet manchmal bis in die Nacht, oft am Wochenende oder an Feiertagen. Es könnte ja sein, dass ein neuer Auftrag ausgeschrieben wird – und den möchte sie nicht verpassen: „70 Prozent der Zeit verbringe ich mit Suchen, 30 Prozent der Zeit verdiene ich wirklich Geld“, sagt Nadine. Sie berichtet, dass sie seit Anfang dieses Jahres bis Mitte März 1.029 Euro durch Clickwork verdient habe. Mit Clickwork allein kann sie sich ihren Lebens­unterhalt kaum finanzieren.

Über Social Media auf Clickwork gestoßen

Auch Antonia (Name geändert) ist Clickworkerin. Sie hat während der Pandemie mit Crowdwork – einer Art des Clickworks – angefangen, als sie über Social Media darauf aufmerksam wurde. Click- und Crowdwork werden oft synonym verwendet, doch es gibt Unterschiede. Anders als beim klassischen Clickwork bearbeiten Crowd­worker*innen meistens Aufträge, die umfang­reicher sind und mehr Qualifikationen voraus­setzen. Die 39-Jährige ist allein­erziehende Mutter von zwei Kindern im Alter von zehn und zwölf Jahren und hat zuvor im Einzel­handel gearbeitet. Nachdem sie sich mehrere Jahre der Erziehung ihrer Kinder gewidmet hatte, hat sie kaum noch Chancen auf dem Arbeits­markt. Hat sie morgens ihre Kinder für die Schule fertig gemacht, setzt sie sich an den Computer und schaut nach Aufträgen. Wenn mal nicht so viel los sei, erledige sie ihre Einkäufe oder kümmere sich um den Haushalt, sagt Antonia.

Ein leerer Arbeitsplatz
Ein Blick auf Antonias Home-Office für Clickwork. © Louisa Stickelbruck

Die hohe Flexibilität sei einer der wichtigsten Gründe, warum Menschen in die Platt­form­arbeit einstiegen, meint auch Anna-Elisabeth Hampel: „Das Modell verspricht zeitliche und örtliche Flexibilität. Es gibt auch keine lang­wierigen Bewerbungs­prozesse. Dadurch bietet sich Platt­form­arbeit für Menschen an, deren Zugangs­möglichkeiten zum regulären Arbeits­markt eingeschränkt sind. Je stärker Menschen für ihren Lebens­unterhalt auf Platt­form­arbeit angewiesen sind, desto mehr geht jedoch die Flexibilität verloren, weil sie ständig verfügbar sein müssen.“

Mal spricht Antonia Texte für die Entwicklung von KI ein, mal beurteilt sie die Ergebnisse von Suchmaschinen und hilft so, deren Funktions­weise zu optimieren. In letzter Zeit sei zu den typischen Clickwork-Aufgaben noch Game Testing dazu­gekommen, sagt Antonia. Manchmal gibt es allerdings auch Aufträge, die nicht zwangs­weise am Computer erledigt werden müssen – zum Beispiel, wenn Firmen sie Produkte wie Shampoo oder Süßigkeiten testen lassen. Gerade über Letzteres freuen sich Antonias Kinder sehr.

„In Gedanken ist man immer beim Job“

Als Crowdworkerin verdient Antonia in der Regel 600 bis 700 Euro im Monat. Sie erzählt, dass sie damit über die Runden komme – zumal sie auch Wohngeld, Unterhalt und Kindergeld erhalte. „Ich habe gelernt, smart hauszuhalten“, sagt die 39-Jährige. Genauso wie Nadine sitzt Antonia von morgens bis abends vor dem PC, um gut bezahlte Aufträge nicht zu verpassen. Mit Familie und Arbeit bleibt Antonia am Ende des Tages nicht viel Zeit für andere Dinge. Wenn sie sich dann doch mal mit Bekannten trifft, ist sie oft gedanklich bei der Arbeit. „Du denkst dir dann: Das ist jetzt Geld, das dir eigentlich fehlt“, sagt Antonia.

Mehr Mitbestimmung bei der Platt­form­arbeit

Antonia möchte für diesen Beitrag unerkannt bleiben. © Louisa Stickelbruck
Brille und Maus am Computer-Arbeitsplatz
Antonias Arbeitsplatz in ihrem Wohnzimmer. © Louisa Stickelbruck

Trotz des Fortschritts von KI ist die Zuarbeit von Menschen auch in absehbarer Zukunft unverzichtbar. Deshalb sei es umso wichtiger, sich verstärkt für die Rechte von Platt­form­arbeiter*innen stark zu machen, findet Anna-Elisabeth Hampel von Minor. Mitbestimmungsrechte für analoge Berufs­felder seien bisher schlecht an die Arbeits­verhältnisse im digitalen Raum angepasst sowie die Rechts- und Sozial­schutz­systeme von Selbst­ständigen und die Mitbestimmungs­rechte in digitalen Arbeits­verhältnissen nicht deckungsgleich: „Selbstständige Platt­form­arbeiter*innen müssen besser in unsere Rechts- und Sozial­schutz­systeme integriert werden.“ Zwar hat die EU gerade eine Richtlinie zur Platt­form­arbeit beschlossen. Ob diese die Arbeits­bedingungen der Platt­form­arbeit wirksam verbessert und weitere Regelungen erarbeitet werden, bleibt abzuwarten. Die Studien zur chancen­gerechten Platt­form­arbeit bilden schon heute eine wissenschaftliche Grundlage, um die Arbeits­verhältnisse von Platt­form­arbeiter*innen wie Antonia und Nadine nachhaltig zu verbessern.

In unseren FAQ beantworten Anna-Elisabeth Hampel und Franziska Loschert, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen bei der Studie „Neue Formen, Akteure und Koalitionen der Interessensvertretung in der Plattformarbeit“, die wichtigsten Fragen rund um Clickwork.


Chancen­gerechte Platt­form­arbeit

Faire Teilhabe von Platt­form­beschäf­tigten entwickeln

Das Projekt nimmt den Arbeits­markt der Platt­form­öko­nomie als Gesamt­system und die Teil­habe­chancen von Platt­form­arbeiter*innen anhand verschiedener Forschungs­ansätze in den Blick. Es bringt Akteur*innen aus Platt­formöko­nomie, Politik und Wissen­schaft in den Austausch und stellt eigene Analysen und Forschungen an.

Mehr Informationen und Erkenntnisse aus der aktuellen Studie des Projektes finden Sie hier: https://minor-kontor.de/interessensvertretung-in-der-plattformarmarbeit/