„Rassismus endlich kein Tabu mehr“
Seit Tagen gehen Tausende in Deutschland gegen Rassismus auf die Straße. „Rassistische Vorkommnisse sind an der Tagesordnung“, sagt Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Aktuell sehe er indes eine positive Entwicklung.
Nachdem der Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis von einem weißen Polizisten getötet wurde, demonstrieren inzwischen auch in Deutschland Tausende gegen Rassismus. Warum hat gerade dieser Fall die Menschen auch hierzulande so bewegt, Herr Della?
Tahir Della: Ich habe mich das auch gefragt. Mein Telefon steht seitdem nicht mehr still. Es ist erstaunlich, dass dieser Fall, der sich einreiht in ähnliche Fälle von Polizeigewalt, so viele Menschen mobilisiert. Es kommen mehrere Faktoren zusammen. Inzwischen ist deutlich geworden, dass Polizeigewalt nicht nur ein Problem in den USA ist, sondern weltweit. Hinzu kommt, dass die Auswirkungen von Covid19 marginalisierte Gruppen besonders hart treffen. Und schließlich ist vielen Menschen klargeworden, was passieren kann, wenn Institutionen rassistisch handeln. In Ansätzen ist zu erkennen, dass sich Politik und Behörden in den USA auf den Weg machen, das Problem in Augenschein zu nehmen. Das ist gut, denn bislang hatten sie es eher abgewiegelt.
Tahir Della
Tahir Della ist Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, die sich bei den neuen deutschen organisationen (ndo) engagiert.
Sie sprechen es an, Rassismus ist weltweit ein Problem. Wie erleben Sie die Situation in Deutschland?
Della: Ich habe den Eindruck, dass die Bereitschaft wächst, über Rassismus zu sprechen – sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft insgesamt. Nach dem Attentat von Hanau wurde zum ersten Mal sehr schnell von Rassismus gesprochen. Zuvor wurde das oft mit Begriffen wie „fremdenfeindlich“ oder „ausländerfeindlich“ verharmlost. Rassismus ist endlich kein Tabuthema mehr. Und das erleben wir auch jetzt in der aktuellen Debatte. Deutlich wird: Wenn wir über Rassismus in Deutschland sprechen, können wir nicht Behörden und Institutionen aussparen. Und diese können sich auch nicht einfach davon freisprechen, was lange Jahre möglich war. Rassismus prägt auch in Deutschland den Alltag Schwarzer Menschen, auch und vor allem in Institutionen und Strukturen, die das gesellschaftliche Leben organisieren – Wohnungsmarkt, Arbeitssektor, Bildungskontext und Polizei und Sicherheitsbehörden.
Da stellt sich doch für jeden die Frage: Bist du bereit hinzuschauen? Oder willst du weiter wegschauen?
Wie prägt Rassismus Ihren Alltag?
Della: Ich engagiere mich politisch seit 35 Jahren in diesem Kontext. Ich habe dafür ein waches Auge. Auch ich persönlich treffe immer wieder auf Vorbehalte. Rassistische Vorkommnisse sind an der Tagesordnung. Rassismus ist beispielsweise zu erleben bei Polizeikontrollen, wenn anlasslos Schwarze Menschen kontrolliert werden. Rassismus in Deutschland ist vielschichtig: Es geht los bei Polizeikontrollen, geht weiter im Bildungssystem und endet noch lange nicht, wenn Schwarze Menschen einen Job oder eine Wohnung wegen ihrer Hautfarbe nicht bekommen. Und nicht zuletzt werden auch hierzulande Menschen bedroht oder angegriffen. Auch Menschen, die nicht selbst betroffen sind, können sehen, dass so etwas in Deutschland passiert. Ich frage mich, warum es vielen so schwerfällt, das zu thematisieren.
Was glauben Sie, woran liegt das?
Della: Weil diejenigen, die nicht betroffen sind, den Luxus haben, sich entscheiden zu können: Sie können sich damit beschäftigen, müssen es aber nicht. Ich bin jedoch der Auffassung, Diskriminierung im Allgemeinen und rassistische Diskriminierung im Besonderen betrifft uns alle. Denn wir müssen uns fragen, in welcher Art von Gesellschaft wir leben wollen. Da stellt sich doch für jeden die Frage: Bist du bereit hinzuschauen? Oder willst du weiter wegschauen? Es ist eine Frage der gemeinsamen Verantwortung.
Sie haben es angesprochen, Sie engagieren sich seit Jahrzehnten für das Thema. Was hat sich in dieser Zeit geändert?
Della: In den Anfängen Mitte der 1980er Jahre hatten wir ein dickes Brett zu bohren, überhaupt deutlich zu machen, dass Deutschland ein Rassismusproblem hat. Der Reflex, das abzustreiten, war sehr stark. Das hat fast jede Debatte unmöglich gemacht. Das hat sich schon zum Positiven verändert. Und trotzdem: Die Attentate im Laufe der Jahre, der NSU – all das hat kaum Konsequenzen gehabt. Die Bekundungen danach waren immer gleich. Wir haben einen großen Nachholbedarf.
Vor zwei Jahren berichteten Tausende auf Twitter unter dem Hashtag #MeTwo von alltäglichen Erfahrungen mit Rassismus. Können solche Aktionen jenseits von Symbolhandlungen echte Veränderungen anstoßen?
Della: Die Wirkung von symbolischen Aktionen ist aus meiner Sicht ambivalent. Man darf die Wirksamkeit nicht unterschätzen – immerhin fangen Menschen an, ein Problem überhaupt wahrzunehmen. Ich glaube schon, dass viele Menschen davon ergriffen sind. An dieser Stelle dürfen sie aber nicht stehenbleiben. Wir müssen in den Blick nehmen, was wir konkret ändern können.
Wie kann das gelingen?
Della: Indem daraus Initiativen für gesetzliche Rahmenbedingungen werden. Das ist das, was auch zivilgesellschaftliche Organisationen fordern. In Berlin wurde ein neues Landes-Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet. Das ermöglicht, dass Betroffene nun gegen Behörden gerichtlich vorgehen können. Und sie müssen nicht mehr beweisen, dass jemand rassistisch gehandelt hat. Sondern umgekehrt müssen die Beschuldigten nachweisen, dass sie nicht rassistisch gehandelt haben. Das ist ein wichtiger Schritt. Zwar läuft die Polizei dagegen Sturm, aber das kann ich nicht nachvollziehen. Es ist ja nicht so, als würden Schwarze Menschen nur darauf warten, die Polizei ohne jeden Grund vor Gericht zu bringen. Wir müssen zu dem Punkt kommen, dass die Aussagen der Betroffenen die Grundlage für Verfahren werden. Bislang wird oft diskutiert, ob jemand absichtlich rassistisch gehandelt hat. Aber darum geht es doch gar nicht. Für rassistische Handlungen braucht es keine Intention.
neue deutsche organisationen
neue deutsche organisationen e.V. sind ein bundesweites Netzwerk von rund 100 Vereinen, Organisationen und Projekten. Der Verein sieht sich als postmigrantische Bewegung gegen Rassismus und für ein inklusives Deutschland.