Unabkömmlich, aber prekär

Unabkömmlich, aber prekär
Autor: Manès Weisskircher 21.05.2021

Die deutsche Landwirtschaft ist auf Arbeitsmigration aus Mittel- und Osteuropa angewiesen. Im Zuge der Covid-19-Pandemie offenbarten sich die prekären Arbeits- und Wohnverhältnisse der saisonal angestellten Arbeitskräfte. Unser Gastautor Manès Weisskircher erklärt: Die Politik hat offene Hausaufgaben.

Die deutsche Landwirtschaft verlässt sich seit Langem auf Saisonarbeitskräfte aus Mittel- und Osteuropa: Rund 300.000 Erntehelfer*innen wirken jedes Jahr in deutschen Betrieben. Die meisten von ihnen stammen vermutlich aus Rumänien und, mit Abstand, Polen. Ihre harte, schlecht bezahlte Arbeit findet normalerweise nicht die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit. Das änderte die Covid-19-Pandemie. Ob taz oder Frankfurter Allgemeine Zeitung – über die Erntehilfe und die Arbeitsbedingungen ihrer Saisonkräfte wurde im Corona-Jahr 2020 regelmäßig berichtet.

Arbeitskräftemangel: rasch reagiert 

Der Grund – ein akutes Problem: Auf Grund der pandemiebedingten Einreisebeschränkungen drohte der deutschen Landwirtschaft ab März 2020, kurz vor Beginn der Spargelernte, die Gefahr eines massiven Arbeitskräftemangels. Viele Erntehelfer*innen konnten einfach nicht einreisen. Der Spiegel fragte Ende März sogar: „Fällt in diesem Jahr die Ernte aus?“. Die deutsche Politik reagierte rasch mit einer Reihe an Maßnahmen. Zentral waren dabei nicht nur spezielle Einreisemöglichkeiten für Erntehelfer*innen, inklusive der Organisation von Flugverbindungen, sondern auch die temporäre Liberalisierung des Arbeitsmarktes: Die Saisonarbeit ist als kurzfristige Beschäftigung (70 Tage im Jahr) nicht sozialversicherungspflichtig. Im Jahr 2020 wurde diese mögliche Zeitspanne vorübergehend auf 115 Tage erhöht.

© MIDEM
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Prekäres Wohnen und Arbeiten: War da was?

Die Debatte war jedoch auch von einem weiteren Thema geprägt: den prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen der Erntehelfer*innen. Kein akutes, sondern ein langfristiges Problem, das seit Jahren von zivilgesellschaftlichen und vor allem gewerkschaftlichen Organisationen bemängelt wird. Aktivist*innen berichten über massive Missstände, wie die Untergrabung des Mindestlohns, fehlende finanzielle Kompensation im Krankheitsfall, oder überteuerte und notdürftige Unterbringung. Auch Mehrarbeit auf Grund einer geringeren Anzahl an Arbeitskräften und mangelnde Hygienestandards am Arbeitsplatz und in den Unterbringungen wurden thematisiert.

Im Gegensatz zu ihrem raschen Handel angesichts des drohenden Arbeitskräftemangels reagierte die deutsche Politik hier nur zögerlich. Die wichtigste Maßnahme war das so genannte Arbeitsschutzkontrollgesetz, das Werkverträge und Zeitarbeit für große Schlachtbetriebe verbietet und die Frequenz betrieblicher Kontrollen erhöht. Die Fleischindustrie zählt jedoch nicht zur landwirtschaftlichen Saisonarbeit, da sie permanent tätig ist. Diese neue Mindestbesichtigungsquote von fünf Prozent bei behördlichen Kontrollen gilt zwar auch für andere landwirtschaftliche Betriebe, aber erst ab dem Jahr 2026.

Es gibt noch viel zu tun 

Eine wesentliche Herausforderung für die objektive Bewertung von Quantität und Qualität landwirtschaftlicher Saisonarbeit ist das Fehlen harter statistischer Daten. Im Moment gibt es von Seiten staatlicher Einrichtungen keine solchen Daten zum Ausmaß der innereuropäischen landwirtschaftlichen Arbeitsmigration nach Deutschland, den Herkunftsländern und dem soziodemografischen Profil der Arbeitskräfte. Ebenso fehlen Informationen zu den Arbeits- und Wohnverhältnissen der Betroffenen: Wie systematisch sind die angeprangerten Missstände? Die Verfügbarkeit solcher Informationen würde evidenzbasiertes Vorgehen erlauben, um Arbeitskräftemangel vorzubeugen, und prekäre Arbeits- und Wohnverhältnisse zu regulieren.

Das MIDEM Policy Paper „Arbeitsmigration während der Corona-Pandemie. Saisonarbeitskräfte aus Mittel- und Osteuropa in der deutschen Landwirtschaft“ ist hier verfügbar.

Mercator Forum Migration und Demokratie

Das Mercator Forum für Migration und Demokratie (MIDEM) fragt danach, wie Migration demokratische Politiken, Institutionen und Kulturen prägt und zugleich von ihnen geprägt wird. Untersucht werden Formen, Instrumente und Prozesse politischer Verarbeitung von Migration in demokratischen Gesellschaften.

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