„AfD nutzt Parlament als Bühne“
Mit Provokationen im Plenarsaal hat die AfD viel Aufmerksamkeit bekommen. Wie können die anderen Fraktionen reagieren? Das sei noch immer umstritten, sagt Anna-Sophie Heinze vom Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM). Sie hat die Strategien der Parteien erforscht und erklärt, was erfolgversprechend ist.
Die AfD ist inzwischen seit längerem in vielen Parlamenten vertreten. Zunächst war in der öffentlichen Debatte die Frage sehr präsent, wie die anderen Parteien darauf reagieren sollen. Wie ist das heute, Frau Heinze?
Anna-Sophie Heinze: Ich beobachte, dass diese Frage immer noch sehr viel diskutiert wird. Und das überrascht mich zu einem gewissen Grad. Es ist offenbar noch nicht klar, wie man auf die AfD reagieren möchte. Denken Sie an die Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten in Thüringen. Oder denken Sie an das Verhalten der AfD während der Coronakrise. Es gibt immer wieder mediale Aufschreie. Abgesehen davon sind aber auch Ermüdungserscheinungen zu sehen, auch in den sozialen Medien. Es ist schon oft sichtbar geworden, wie die AfD agiert.
Dr. Anna-Sophie Heinze
Dr. Anna-Sophie Heinze ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM).
Wie war die Situation, als die AfD nach und nach in immer mehr Parlamente einzog?
Heinze: Das lässt sich am Beispiel Thüringen gut zeigen. Dort zog die AfD 2014 in den Landtag ein. Die Akteur*innen waren zu diesem Zeitpunkt weitestgehend unbekannt, niemand kannte Björn Höcke. Die Abgeordneten der anderen Fraktionen wussten nicht, welche Standpunkte die AfD-Abgeordneten inhaltlich vertreten, ob sie überhaupt eine gemeinsame Linie haben. So war das in anderen Bundesländern auch. Teilweise reagierten die anderen Fraktionen zunächst auch mit Offenheit: Sie versuchten, die AfD als neuen parlamentarischen Herausforderer zu Wort kommen zu lassen. Es gab keinen strikten cordon sanitaire. Dennoch gab es Unterschiede, Grüne und Linke haben von Anfang an viel stärker Kontra gegeben. Auf der formalen Ebene haben alle Parteien nahezu jede Zusammenarbeit ausgeschlossen.
Wie umstritten war der Umgang mit der AfD innerhalb der anderen Fraktionen?
Heinze: Das war und ist bis heute sehr umstritten. Die anderen Fraktionen haben kein festes Regelwerk beschlossen, sondern nur nach und nach grobe Linien festgelegt. Die Frage des Umgangs bleibt immer ein Ringen im Einzelfall. Gerade am Anfang schaukelten sich parlamentarische Debatten oft hoch: Jemand von der AfD machte einen scharfen Zwischenruf, andere reagierten heftig.
Sie sprechen es an, welche Rolle spielen Provokationen in der Strategie der AfD?
Heinze: Zunächst gewinnt die AfD durch ihre parlamentarische Vertretung finanzielle und personelle Ressourcen – das darf man nicht vergessen. Zudem bekommt sie dadurch mediale Aufmerksamkeit. Und ein Mittel dafür ist die Provokation. Die AfD setzt das ganz gezielt ein. Es läuft in drei Schritten ab: Die AfD provoziert, zum Beispiel mit einer Unterstellung oder Beleidigung. Jemand aus einer anderen Fraktion reagiert empört. Die AfD rudert zurück, relativiert ihre Aussage.
Die AfD hat die Polarisierung verstärkt.
Was bringt dieses Vorgehen der AfD?
Heinze: Die AfD profitiert dreifach. Erstens bekommt sie medial Aufmerksamkeit. Zweitens versteht sie es, die Provokationen außerparlamentarisch zu nutzen: Sie macht daraus Video-Schnipsel, die sie sehr erfolgreich über soziale Medien verbreitet. Sie stellt sich darin als Opfer dar, das von den anderen Parteien ausgegrenzt wird – eine klassische Strategie populistischer Parteien. Und drittens verschiebt sie den Diskurs nach rechts. Es ist zum Beispiel inzwischen fast normal geworden, von der „Flüchtlingskrise“ 2015 zu sprechen, dabei ist das ein Begriff der radikalen Rechten.
Könnte es helfen, einfach nicht auf Provokationen zu reagieren?
Heinze: Wenn die anderen Abgeordneten gar nicht reagieren, dann steigt die Gefahr, dass sich Begriffe und Framings der AfD normalisieren. Insofern ist das grundsätzlich keine Lösung.
Wie ist Ihr Eindruck, hat sich durch die AfD die Arbeit in den Parlamenten inzwischen verändert?
Heinze: Die AfD nutzt das Parlament vor allem als Bühne. Die Bereiche, die medial wenig Beachtung finden, wie beispielsweise die Arbeit in den Ausschüssen, interessieren sie wenig. Sie setzt auf symbolische Aktionen, auf Provokationen im Plenarsaal. Damit hebt sie sich klar von den anderen Parteien ab. Das passt dazu, dass sie sich eher als politische Bewegung versteht. Hinzu kommt: Sie untergräbt die parlamentarische Arbeit, wie sie in der Vergangenheit funktioniert hat. Die formalen Regeln wurden zwar kaum geändert. Aber die AfD hat die Polarisierung verstärkt. Die Debatten sind erheblich heftiger geworden, es gibt auch für Abgeordnete anderer Fraktionen inzwischen deutlich mehr Ordnungsrufe. Insofern hat sich die Debattenkultur deutlich verschlechtert.
Hat die AfD im Laufe der Zeit ihre Strategie verändert?
Heinze: Die AfD nutzt ihre Möglichkeiten inzwischen konsequent. Neben den Provokationen spielen Kleine Anfragen eine große Rolle. Damit können Abgeordnete von der Regierung Auskunft über bestimmte Sachverhalte verlangen. Die AfD nutzt das Instrument, um ihre Themen zu spielen. Sie setzt es zudem gezielt ein, um Ressourcen zu binden und das System dadurch an seine Grenzen zu bringen. Das ist gefährlich. Die Forschung zeigt allerdings: Die Gesetzgebung ist durch die AfD nicht beeinträchtigt. Die Parlamente bleiben handlungsfähig.
Reagieren die anderen Fraktionen nun anders auf die Strategie der AfD?
Heinze: Die anderen Abgeordneten zügeln sich deutlich häufiger. Sie lernen, mit der AfD umzugehen. Wir sehen, dass sie souveräner werden. Inzwischen ist klarer, wofür die AfD steht. Sie hat sich eindeutig radikalisiert, rechtsextreme Positionen sind deutlich lauter als in den Anfangsjahren. Die anderen Fraktionen reagieren darauf verstärkt mit Ausgrenzung und inhaltlicher Abgrenzung.
Welche Strategie im Umgang mit der AfD ist aus Ihrer Sicht am erfolgversprechendsten?
Heinze: Es wird schwierig bleiben. Wichtig ist, die AfD nicht von Provokationen und symbolischen Aktionen profitieren zu lassen. Dafür sollten die anderen Abgeordneten den angesprochenen Dreischritt nicht mitmachen, sondern die AfD eher souverän ins Leere laufen lassen. Erfolgversprechend ist auch, den Positionen der AfD sachlich entgegenzuhalten. Ein pauschales Abtun der Vorschläge und Positionen bringt nichts.
Die anderen müssen genau hinschauen: Was macht die AfD mit welchem Ziel? Darauf müssen sie differenziert reagieren. Das ist ohne Frage sehr anstrengend. Die Auseinandersetzung sollte möglichst sachlich geschehen, um der AfD nicht die Möglichkeit zu geben, die Debatte hochzuschaukeln. Und schließlich sollten die anderen Parteien selbst überzeugende Politik machen. Sie brauchen klare Standpunkte. Der tiefgreifende Vertrauensverlust in die anderen Parteien ist ja ein wichtiger Grund für den Erfolg der AfD. Dagegen hilft ein eigenes gutes Politikangebot.
Mercator Forum Migration und Demokratie
Das Mercator Forum für Migration und Demokratie (MIDEM) fragt danach, wie Migration demokratische Politiken, Institutionen und Kulturen prägt und zugleich von ihnen geprägt wird. Untersucht werden Formen, Instrumente und Prozesse politischer Verarbeitung von Migration in demokratischen Gesellschaften.
Literatur
Anna-Sophie Heinze: Strategien gegen Rechtspopulismus? Der Umgang mit der AfD in Landesparlamenten. Baden-Baden: Nomos.