Wie gesund klingt Bochum?

Klingel, Megafon, Töne, Lärm. Ein Wimmelbild
Wie gesund klingt Bochum?
Autorin: Cornelia Heim Illustrationen: Jochen Schievink 25.02.2020

Die rauschende Umgehungs­straße, kreischende Kinder, dröhnende Bau­stellen­geräte, ein zwitschernder Vogel oder alles zusammen – jede Stadt ist voller Sound­kulissen. Doch was stellen diese Klang­teppiche mit der Gesundheit der Städter*innen an? Das hat noch kaum jemand untersucht, und darum geht es in einem neuen Forschungs­projekt. Übrigens: Leser*innen dieses Textes können sich auch beteiligen – zwei Hör­proben stellt AufRuhr in Rück­sprache mit den Wissenschaftler*innen für einen kleinen inter­aktiven Test bereit.

Ganz Bochum ist derzeit eine gigantische Messstation. Die gesammelten Daten sind unsichtbar, mitunter registrieren wir sie gar nicht, und doch nehmen wir sie wahr – Geräusche, von denen wir permanent umgeben sind. „Keine Stadt ist leise“, sagt Projekt­leiterin Susanne Moebus. Sie ist Biologin und leitet an der Universität Duisburg-Essen das Zentrum für Urbane Epidemiologie. Ihr Team zeichnet seit Anfang 2019 an über 730 Stellen in Bochum Unmengen solcher Klangdaten auf.

Zum einen werden diese automatisiert zu verschiedenen Tages- und Nacht­zeiten und über alle vier Jahres­zeiten hinweg von Mess­geräten gesammelt, zum anderen testen rund 300 Proband*innen manuell, wie sie an den jeweiligen Spots die urbane Akustik wahr­nehmen. „Die gehen zwischen zwölf und 16 Kilo­meter Fuß­weg ab, das ist eine im Detail mühsame Arbeit“, erzählt die Projekt­leiterin. Doch die Sammlung dieses gigantischen Daten­satzes bildet das Fundament einer inter­disziplinären Pilot­studie, deren Ziel es ist, nicht nur heraus­zufinden, inwieweit sich derartige Klang­landschaften auf die Gesundheit auswirken, sondern inwiefern dieses Wissen auch dafür genutzt werden kann, Räume in der Stadt künftig schon bei der Planung so zu beeinflussen, dass sie positiv auf Lebens­qualität und Gesundheit der Bewohner*innen einwirken.

Lärm ist im Gegen­satz zur Fein­staub­belastung im Zusammen­hang mit Gesundheit in Städten bis heute gar nicht so häufig wissenschaftlich unter­sucht worden.

Susanne Moebus, Projekt­leiterin „Akustische Qualität und Gesundheit in urbanen Räumen“ an der Universität Duisburg-Essen

Portrait Susanne Möbus
© privat

Hier wird gemessen

Im Forschungsprojekt werden an über 730 Punkten in Bochum Geräuschkulissen aufgezeichnet. Dazu gehören zum Beispiel Wohn- und Gewerbegebiete, Wald und landwirtschaftlich genutzte Flächen. Im folgenden Bild können Sie lauschen, wie solche Orte klingen. Weiter unten können Sie auswählen, wie diese Klanglandschaften auf Sie wirken.

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Auch Naturgeräusche gehören zur Stadt:

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Auf landwirtschaftlich genutzten Flächen ist es eher ruhig:

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Der Verkehr in Bochum klingt zum Beispiel so:

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Der Verkehr in Bochum klingt zum Beispiel so:

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Klanglandschaft und Gesundheit

Warum das Wissen um Geräusche bei der Raum­planung eine Rolle spielen sollte? Susanne Moebus wundert sich eher, dass „im Gegen­satz zur Fein­staub­belastung Lärm im Zusammen­hang mit Gesundheit in Städten bis heute gar nicht so häufig wissenschaftlich unter­sucht worden ist.“ Dabei sei längst erwiesen, dass Lärm krank mache. Als Stress­faktor schlage er sich negativ auf Herz und psychisches Wohl­befinden nieder, und insbesondere Verkehrs­lärm könne zu Herz-Kreis­lauf-Erkrankungen, Diabetes oder Depressionen führen. Entsprechend hoch war auch die Resonanz, als Professor Moebus ihr innovatives Forschungs­projekt „Akustische Qualität und Gesundheit in urbanen Räumen“ (kurz SALVE) bei einer inter­nationalen Konferenz im Sommer 2019 vor­stellte. Das Besondere daran ist nicht nur der „welt­weit einmalige Daten­satz“, sondern auch die inter­disziplinäre Zusammen­arbeit. Raum­planer*innen der Technischen Universität Dortmund unter der Feder­führung von Professor Dietwald Gruehn forschen gemeinsam mit den urbanen Epidemiolog*innen der Universität Duisburg-Essen. Die Zusammen­arbeit wird vom Mercator Research Center Ruhr (MERCUR) gefördert. Dessen Geschäfts­führer Dr. Gunter Friedrich sieht im Projekt nicht nur fachliches Potenzial. Die Kooperation sei auch ein gutes Beispiel dafür, dass der Wissens­aus­tausch nicht nur die beteiligten Disziplinen weiter­bringe, sondern die Wissen­schafts­region Ruhr generell: „Sie kann nationale und sogar inter­nationale Standards setzen.“

Wie empfinden Sie diese urbane Geräuschkulisse?

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Insgesamt untersucht die Studie gar nicht den eigentlichen Lärm, der sich schlicht in Dezibel ausdrückt, sondern „alles, was nach dem Lärm kommt“. Damit meint Susanne Moebus „die gesamte Palette der Geräusche zwischen laut und still“. Selbst eine verkehrs­beruhigte Fußgänger­zone sei nicht ruhig, obwohl wir das so empfänden. Moebus zitiert einen Klang­künstler aus Zürich, der ihrer Ansicht nach so passend von „hör­blind“ spricht in Bezug auf die Stadt­bewohner*innen: Das menschliche Hirn könne ein Klang­wirr­warr von Vogel­gezwitscher, Maschinen und menschlichen Stimmen nicht mehr filtern oder gar benennen. Alles verschwinde hinter einem Klang­teppich. Menschen in der Stadt registrierten folglich nur noch unangenehm (laut) oder angenehm (leise). „Wenn Sie die Gelegen­heit haben, gehen Sie doch mal bei einem geführten Klang­spazier­gang durch Ihr Viertel mit“, rät die Expertin. Hinterher würde man staunen, welche Vielfalt an Klangnuancen normaler­weise nur im Hinter­grund rauschten. Projekt­leiterin Susanne Moebus spricht deshalb auch nicht von dem Lärm der Stadt, sondern von einer „akustischen Umwelt“ – oder „urbanen Soundscapes“, kombiniert aus sound für Klang und (land-)scape für Landschaft.

Bochum Stadt Panorama
In ganz Bochum wurden verschiedene Geräuschkulissen aufgenommen. © Getty Images

Ein gigantischer Akustik-Datensatz

Hier setzt die Studie der Ruhrgebiets­forscher*innen an: Zunächst werden unter­schiedliche urbane Soundscapes in Typen eingeteilt. Für deren Kategorisierung übernehmen die Forscher*innen Einteilungen aus der Land­schafts­ökologie wie zum Beispiel „reines Wohn­gebiet“, „Misch­nutzung“, „Friedhof“, „Industrie­ansiedlung“ oder „Park“. Im Anschluss wird die massive Datenmenge, die noch bis März dieses Jahres zusammen­getragen wird, aus­gewertet und die Wirkung der Soundscapes auf die menschliche Gesundheit analysiert. „Das wird sicherlich der schwierigste Aspekt der Arbeit, Gesund­heits­daten und Sounds­capes-Indizes in Zusammen­hang zu bringen“, vermutet Projekt­leiterin Moebus. Mit ersten Erkenntnissen rechnet sie frühestens im Herbst 2020. Doch von Anhalts­punkten kann sie schon berichten: Klang­landschaften, die von Proband*innen mit der Farbe Grün assoziiert würden, wirkten sich immer gut aufs seelische Wohl­befinden aus. Wenig Grün hingegen korreliere mit einer depressiven Symptomatik und könne deshalb als ungesunde Klang­umgebung für Menschen definiert werden.

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Ein neues Forschungsfeld?

Die Ursache für negativ besetzte Klang­bilder kann in der Art der Bebauung und der verwendeten Materialien liegen: So lösen zum Beispiel große Glas­fassaden einen „unangenehmen, harten Hall“ aus. Das Ziel der Studie ist für Forscherin Moebus aber gar nicht die komplett geräusch­arme Stadt. „Ganz wenig Geräusch muss nicht automatisch viel besser sein.“ Da aber immer mehr Menschen in Zukunft in Städten leben wollen, werde es immer wichtiger, Raum- und Städte­planer*innen vorab Erkenntnisse an die Hand zu geben, sodass unangenehme Schall­ereignisse schon am Reiß­brett verhindert werden. Projekt­leiterin Susanne Moebus hofft zudem, dass sich aus diesem „Vorzeige­projekt“ ein neues, inter­disziplinäres Forschungs­feld „Healthy Urban Soundscapes“ etabliert, das dann mit­hilfe von künstlicher Intelligenz Big Data noch gezielter aufarbeiten kann. Inter­nationale Anfragen und Kontakte gebe es auch bereits. Das begrüßen die Ruhr­gebiets­forscher*innen sehr, denn „das Thema ist einfach sehr komplex.“

Mercator Research Center Ruhr (MERCUR)

MERCUR wurde 2010 von der Stiftung Mercator und den in der Universitäts­allianz Ruhr (UA Ruhr) zusammen­geschlossenen Hoch­schulen Ruhr-Universität Bochum, Technische Universität Dortmund und Universität Duisburg-Essen gegründet. Mit verschiedenen Förder­programmen für gemeinsame Vorhaben unter­stützt MERCUR die strategische Zusammen­arbeit der Universitäts­allianz und managt weitere Vernetzungs­aktivitäten, um die Wissen­schafts­region Ruhr zu fördern.
www.mercur-research.de