Wie gesund klingt Bochum?
Die rauschende Umgehungsstraße, kreischende Kinder, dröhnende Baustellengeräte, ein zwitschernder Vogel oder alles zusammen – jede Stadt ist voller Soundkulissen. Doch was stellen diese Klangteppiche mit der Gesundheit der Städter*innen an? Das hat noch kaum jemand untersucht, und darum geht es in einem neuen Forschungsprojekt. Übrigens: Leser*innen dieses Textes können sich auch beteiligen – zwei Hörproben stellt AufRuhr in Rücksprache mit den Wissenschaftler*innen für einen kleinen interaktiven Test bereit.
Ganz Bochum ist derzeit eine gigantische Messstation. Die gesammelten Daten sind unsichtbar, mitunter registrieren wir sie gar nicht, und doch nehmen wir sie wahr – Geräusche, von denen wir permanent umgeben sind. „Keine Stadt ist leise“, sagt Projektleiterin Susanne Moebus. Sie ist Biologin und leitet an der Universität Duisburg-Essen das Zentrum für Urbane Epidemiologie. Ihr Team zeichnet seit Anfang 2019 an über 730 Stellen in Bochum Unmengen solcher Klangdaten auf.
Zum einen werden diese automatisiert zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten und über alle vier Jahreszeiten hinweg von Messgeräten gesammelt, zum anderen testen rund 300 Proband*innen manuell, wie sie an den jeweiligen Spots die urbane Akustik wahrnehmen. „Die gehen zwischen zwölf und 16 Kilometer Fußweg ab, das ist eine im Detail mühsame Arbeit“, erzählt die Projektleiterin. Doch die Sammlung dieses gigantischen Datensatzes bildet das Fundament einer interdisziplinären Pilotstudie, deren Ziel es ist, nicht nur herauszufinden, inwieweit sich derartige Klanglandschaften auf die Gesundheit auswirken, sondern inwiefern dieses Wissen auch dafür genutzt werden kann, Räume in der Stadt künftig schon bei der Planung so zu beeinflussen, dass sie positiv auf Lebensqualität und Gesundheit der Bewohner*innen einwirken.
Lärm ist im Gegensatz zur Feinstaubbelastung im Zusammenhang mit Gesundheit in Städten bis heute gar nicht so häufig wissenschaftlich untersucht worden.
Hier wird gemessen
Im Forschungsprojekt werden an über 730 Punkten in Bochum Geräuschkulissen aufgezeichnet. Dazu gehören zum Beispiel Wohn- und Gewerbegebiete, Wald und landwirtschaftlich genutzte Flächen. Im folgenden Bild können Sie lauschen, wie solche Orte klingen. Weiter unten können Sie auswählen, wie diese Klanglandschaften auf Sie wirken.
Klanglandschaft und Gesundheit
Warum das Wissen um Geräusche bei der Raumplanung eine Rolle spielen sollte? Susanne Moebus wundert sich eher, dass „im Gegensatz zur Feinstaubbelastung Lärm im Zusammenhang mit Gesundheit in Städten bis heute gar nicht so häufig wissenschaftlich untersucht worden ist.“ Dabei sei längst erwiesen, dass Lärm krank mache. Als Stressfaktor schlage er sich negativ auf Herz und psychisches Wohlbefinden nieder, und insbesondere Verkehrslärm könne zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Depressionen führen. Entsprechend hoch war auch die Resonanz, als Professor Moebus ihr innovatives Forschungsprojekt „Akustische Qualität und Gesundheit in urbanen Räumen“ (kurz SALVE) bei einer internationalen Konferenz im Sommer 2019 vorstellte. Das Besondere daran ist nicht nur der „weltweit einmalige Datensatz“, sondern auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Raumplaner*innen der Technischen Universität Dortmund unter der Federführung von Professor Dietwald Gruehn forschen gemeinsam mit den urbanen Epidemiolog*innen der Universität Duisburg-Essen. Die Zusammenarbeit wird vom Mercator Research Center Ruhr (MERCUR) gefördert. Dessen Geschäftsführer Dr. Gunter Friedrich sieht im Projekt nicht nur fachliches Potenzial. Die Kooperation sei auch ein gutes Beispiel dafür, dass der Wissensaustausch nicht nur die beteiligten Disziplinen weiterbringe, sondern die Wissenschaftsregion Ruhr generell: „Sie kann nationale und sogar internationale Standards setzen.“
Wie empfinden Sie diese urbane Geräuschkulisse?
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Insgesamt untersucht die Studie gar nicht den eigentlichen Lärm, der sich schlicht in Dezibel ausdrückt, sondern „alles, was nach dem Lärm kommt“. Damit meint Susanne Moebus „die gesamte Palette der Geräusche zwischen laut und still“. Selbst eine verkehrsberuhigte Fußgängerzone sei nicht ruhig, obwohl wir das so empfänden. Moebus zitiert einen Klangkünstler aus Zürich, der ihrer Ansicht nach so passend von „hörblind“ spricht in Bezug auf die Stadtbewohner*innen: Das menschliche Hirn könne ein Klangwirrwarr von Vogelgezwitscher, Maschinen und menschlichen Stimmen nicht mehr filtern oder gar benennen. Alles verschwinde hinter einem Klangteppich. Menschen in der Stadt registrierten folglich nur noch unangenehm (laut) oder angenehm (leise). „Wenn Sie die Gelegenheit haben, gehen Sie doch mal bei einem geführten Klangspaziergang durch Ihr Viertel mit“, rät die Expertin. Hinterher würde man staunen, welche Vielfalt an Klangnuancen normalerweise nur im Hintergrund rauschten. Projektleiterin Susanne Moebus spricht deshalb auch nicht von dem Lärm der Stadt, sondern von einer „akustischen Umwelt“ – oder „urbanen Soundscapes“, kombiniert aus sound für Klang und (land-)scape für Landschaft.
Ein gigantischer Akustik-Datensatz
Hier setzt die Studie der Ruhrgebietsforscher*innen an: Zunächst werden unterschiedliche urbane Soundscapes in Typen eingeteilt. Für deren Kategorisierung übernehmen die Forscher*innen Einteilungen aus der Landschaftsökologie wie zum Beispiel „reines Wohngebiet“, „Mischnutzung“, „Friedhof“, „Industrieansiedlung“ oder „Park“. Im Anschluss wird die massive Datenmenge, die noch bis März dieses Jahres zusammengetragen wird, ausgewertet und die Wirkung der Soundscapes auf die menschliche Gesundheit analysiert. „Das wird sicherlich der schwierigste Aspekt der Arbeit, Gesundheitsdaten und Soundscapes-Indizes in Zusammenhang zu bringen“, vermutet Projektleiterin Moebus. Mit ersten Erkenntnissen rechnet sie frühestens im Herbst 2020. Doch von Anhaltspunkten kann sie schon berichten: Klanglandschaften, die von Proband*innen mit der Farbe Grün assoziiert würden, wirkten sich immer gut aufs seelische Wohlbefinden aus. Wenig Grün hingegen korreliere mit einer depressiven Symptomatik und könne deshalb als ungesunde Klangumgebung für Menschen definiert werden.
Wie wirkt diese Soundscape auf Sie?
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Ein neues Forschungsfeld?
Die Ursache für negativ besetzte Klangbilder kann in der Art der Bebauung und der verwendeten Materialien liegen: So lösen zum Beispiel große Glasfassaden einen „unangenehmen, harten Hall“ aus. Das Ziel der Studie ist für Forscherin Moebus aber gar nicht die komplett geräuscharme Stadt. „Ganz wenig Geräusch muss nicht automatisch viel besser sein.“ Da aber immer mehr Menschen in Zukunft in Städten leben wollen, werde es immer wichtiger, Raum- und Städteplaner*innen vorab Erkenntnisse an die Hand zu geben, sodass unangenehme Schallereignisse schon am Reißbrett verhindert werden. Projektleiterin Susanne Moebus hofft zudem, dass sich aus diesem „Vorzeigeprojekt“ ein neues, interdisziplinäres Forschungsfeld „Healthy Urban Soundscapes“ etabliert, das dann mithilfe von künstlicher Intelligenz Big Data noch gezielter aufarbeiten kann. Internationale Anfragen und Kontakte gebe es auch bereits. Das begrüßen die Ruhrgebietsforscher*innen sehr, denn „das Thema ist einfach sehr komplex.“
Mercator Research Center Ruhr (MERCUR)
MERCUR wurde 2010 von der Stiftung Mercator und den in der Universitätsallianz Ruhr (UA Ruhr) zusammengeschlossenen Hochschulen Ruhr-Universität Bochum, Technische Universität Dortmund und Universität Duisburg-Essen gegründet. Mit verschiedenen Förderprogrammen für gemeinsame Vorhaben unterstützt MERCUR die strategische Zusammenarbeit der Universitätsallianz und managt weitere Vernetzungsaktivitäten, um die Wissenschaftsregion Ruhr zu fördern.
www.mercur-research.de