Ein Ziel für alle
Wenn es um große gesellschaftliche Probleme geht, können Einzelkämpfer wenig ausrichten. Mehr Erfolg verspricht „Collective Impact“, das gemeinsame Wirken. Was man dafür braucht? Ein verpflichtendes Ziel. Und etwas Ausdauer.
Wie sehr Dranbleiben sich lohnt, erleben sieben Hochschulen des Ruhrgebiets gerade ganz direkt. Um herauszufinden, wie sie ihre Studierenden besser unterstützen können, haben sie sich 2014 darauf eingelassen, eine hochschulübergreifende Studierendenbefragung zu etablieren. Das klingt zunächst mal gar nicht so schwierig – bis man mit Markus Küpker von der Bildungsinitiative RuhrFutur darüber spricht. Er koordiniert die Maßnahme und kennt den Umfang des Projekts bis ins kleinste Detail. „Am Anfang stand erst mal das Bekenntnis aller: Wir wollen mehr über unsere Studierenden wissen“, berichtet Küpker. Doch welche Auskünfte sind gewünscht? Wann und wie soll befragt werden? Und was passiert mit den gesammelten Daten? Das festzulegen setzte einen langen Prozess in Bewegung. Klar war von Beginn an aber eins: Die Hochschulen arbeiten zusammen an gemeinsam gesteckten Zielen.
Zusammenarbeit mit Methode
Die Verpflichtung zu gemeinsamen Zielen ist der Kern von „Collective Impact“. Die Idee dieser Methode haben John Kania und Mark Kramer 2011 im Stanford Social Innovation Review formuliert. Ihre These: Bei großen gesellschaftlichen Herausforderungen nützt isoliertes Engagement wenig. Viel stärker wird der Effekt, wenn die verschiedenen Institutionen sich zusammenschließen, die auf die eine oder andere Weise an dem besagten Problem beteiligt sind. Im Bereich Bildung etwa kann eine Schule allein wenig ausrichten, wenn die Kommune, die die Rahmenbedingungen setzt, nicht am selben Strang zieht. Gerade weil eine Schule und eine Kommune jedoch ganz verschieden funktionieren, braucht es übergeordnete Strukturen und eine koordinierte Zusammenarbeit. Und genau das leistet „Collective Impact“.
Die Verpflichtung zu gemeinsamen Zielen ist der Kern von „Collective Impact“.
Wie eine ganze Region von dieser Methode profitieren kann, zeigt sich im Ruhrgebiet. Mit seinen 5,1 Millionen Einwohner*innen in vier Kreisen und elf Städten kommen hier die verschiedensten Akteure und Verwaltungsstrukturen zusammen. Das Bildungssystem dieses Ballungsraums zu verändern kann sich nur vornehmen, wer so groß denkt, wie die Region ist. Die Bildungsinitiative RuhrFutur hat sich dieser Mammutaufgabe gestellt. Als Zusammenschluss von mehreren Kommunen, Hochschulen, des Regionalverbands Ruhr, der nordrhein-westfälischen Landesregierung und der Stiftung Mercator hat sie eine Gesamtstrategie entwickelt, um das System gerechter und leistungsfähiger zu machen. Jede Maßnahme – wie etwa die Studierendenbefragung – ist Teil dieser Strategie. Mit ihr sollen Strukturen nachhaltig verändert werden. Ohne eine organisierte und koordinierte Zusammenarbeit, wie sie „Collective Impact“ bietet, ist daran nicht zu denken. Um den Ansatz effektiv nutzen zu können, müssen allerdings einige Voraussetzungen erfüllt werden.
Vertrauen aufbauen
Zentral ist die separate Instanz, die eine übergreifende Strategie entwickelt und die daraus folgenden Prozesse ermöglicht, begleitet und moderiert. RuhrFutur gestaltet und bietet also den Rahmen, damit sich die Hochschulspitzen und operativen Arbeitsgruppen regelmäßig an einem Tisch versammeln können. Schritt für Schritt ist bei diesen Treffen zum Projekt Studierendenbefragung dann auch entstanden, was ebenfalls essenziell ist: Vertrauen. „Leider kann man nicht sagen: ,Dreimal treffen‘ – und dann läuft das“, berichtet Markus Küpker. Immerhin stoßen meist Fremde aufeinander, die alle verschieden arbeiten. Einen langen Atem braucht es zudem, da in der Anfangsphase selten Ergebnisse zu sehen sind. Stattdessen wird Zeit investiert, um Prozesse und Strukturen aufzubauen, also zu klären, wie man miteinander arbeiten will. Für Küpker zahlte sich das aus: „In unserer Arbeitsgruppe herrscht ein ganz besonderer Geist, den man nirgendwo vertraglich fixieren kann“, erzählt er. „Dieses Wirgefühl ist ganz klar durch die intensive Zusammenarbeit entstanden und die Bereitschaft, sich auf die anderen einzulassen.“
Förderlich ist hierbei auch die Transparenz, für die der RuhrFutur-Mann sorgt. Offene und kontinuierliche Kommunikation, die alle einbezieht, ist so wertvoll wie nötig. Und was müssen die Akteure mitbringen, damit die spezielle Form der Kooperation klappt? „Erst mal ein Bekenntnis zu Ziel und Prozess“, so Küpker. Und dann müsse jeder ein wenig abrücken vom eigenen Klein-Klein und der Art und Weise, wie man Dinge allein machen würde. Die große, gesamte Idee zählt. Bei den Ruhrgebiets-Hochschulen war das Bewusstsein schon verankert, dass man eine gemeinsame Verantwortung für die Region trägt und daher zusammen handeln sollte. Nicht immer ist das so. Aber an dieser Bereitschaft entscheidet sich, ob „Collective Impact“ funktioniert.
Erfolge messen
Das weiß auch Delia Temmler. Bei RuhrFutur ist sie verantwortlich für das Handlungsfeld Frühkindliche Bildung. Und damit für ihre persönliche Herzensangelegenheit: die Kinderstuben nach dem Dortmunder Modell. In fünf Kommunen des Ruhrgebiets gibt es diese Betreuungsform für Kinder unter vier Jahren mittlerweile. Die Besonderheit: maximal zehn Kinder pro Gruppe, drei Tagespflegepersonen, sozialpädagogische Betreuung – und Einbeziehung der Eltern. Denn die Kinderstuben richten sich explizit an geflüchtete Familien, deren Alltagsfragen hier Platz finden.
„Der Bedarf an solchen Betreuungsformen war in allen Kommunen vorhanden“, erzählt Delia Temmler. Doch wie verpflanzt man die preisgekrönte Idee aus Dortmund mit gleichen Standards in andere Kommunen? Eingebettet in die Gesamtstrategie von RuhrFutur griff auch hier das gemeinsame Wirken: Akteure aus den Kommunen versammeln, gemeinsam für alle geltende Rahmenbedingungen und Ziele entwickeln und darauf aufbauend loslegen – Räume suchen, renovieren, Mitarbeiter*innen rekrutieren. „Fertig ist man jedoch nie“, weiß Temmler, die den Prozess koordiniert. Alles, was unternommen wird, zielt auf Nachhaltigkeit. Für die Kinderstuben bedeutet das: die Verfestigung der Maßnahme, den Transfer in weitere Stadtteile und die ständige Weiterentwicklung. Unverzichtbar dafür: die Evaluation, ein fixer Bestandteil von „Collective Impact“. Sie deckt einerseits auf, ob man sich noch auf der festgelegten Zielgeraden befindet. Andererseits zeigt sie, wo darüber hinausgehend gehandelt werden muss. „Wir haben so zum Beispiel erfahren, dass wir den Tagespflegepersonen mehr Austausch untereinander ermöglichen müssen“, berichtet die Kinderstuben-Verantwortliche. Der nächste Schritt im Projekt steht somit fest.
„Critical Friends“ werden
Ohne ein gemeinsames System zur Beurteilung des Erreichten seien gemeinsame Ziele illusorisch, schreiben Kania und Kramer in ihrem Konzept. Die Evaluation ist aber noch in anderer Hinsicht wichtig. Da sie erst geschieht, wenn die Zusammenarbeit bereits eingespielt ist, eröffnet sie die Chance, ohne Verdruss voneinander zu lernen. Einander „critical friends“ zu sein, wie Markus Küpker es nennt. Weil jeder Akteur zudem andere Aufgaben übernimmt, muss sichergestellt sein, dass die einzelnen Aktivitäten ineinandergreifen und sich so gegenseitig verstärken. Ohne engen und reflektierenden Austausch geht das nicht. Was einer tut, geht alle an. Und was alle angeht, hinterlässt mehr Wirkung – gemeinsame Wirkung eben.
Die 5 Erfolgsfaktoren von Collective Impact
- Gemeinsame Ziele
- Gemeinsame Systeme zur Wirkungsmessung
- Sich gegenseitig verstärkende Aktivitäten
- Kontinuierliche Kommunikation
- Eine unterstützende Organisation als Rückgrat für die geplante Initiative
RuhrFutur
Die RuhrFutur gGmbH ist unsere Partnergesellschaft und Trägerin der Bildungsinitiative RuhrFutur, die das Bildungssystem der Metropole Ruhr leistungsfähiger und gerechter gestalten möchte. Ihr Ziel: Allen Kindern und Jugendlichen der Region sollen Bildungszugang, Bildungsteilhabe und Bildungserfolg in gleichem Maß ermöglicht werden. Dazu wirken verschiedene Akteure gemeinsam, um systemische Veränderungen zu etablieren.