Es ist was faul im Online-Wahlkampf – immer noch

Es ist was faul im Online-Wahlkampf – immer noch
Autor: Michael Meyer-Resende 24.09.2021

Desinformation, Hassrede, Radikalisierung: Der Bundestagswahlkampf war geprägt von Sorgen um unsere Demokratie. Michael Meyer-Resende von Democracy Reporting International blickt in einem Gastbeitrag zurück auf die Online-Debatten der letzten Monate.

Die Befürchtungen waren groß: Könnte die Bundestagswahl durch Online-Desinformation, oder durch Veröffentlichungen von gehackten Dokumenten manipuliert werden? Würden sich gewalttätige Gruppen organisieren, um den Wahlprozess zu stören? Würden Frauen oder Minderheiten durch Hassrede aus Online-Diskussionen verdrängt? Die Liste an Risiken war lang.

Eine zusätzliche Verschärfung brachte die Corona-Pandemie: Sie ließ große Wahlkampfveranstaltungen nicht zu. Die Entwicklung hin zum digitalen Wahlkampf hat sich beschleunigt.

Noch nicht entschieden

Nun ist der Wettbewerb um die Gunst der Wähler*innen fast vorbei. Haben sich unsere Befürchtungen bewahrheitet? Abschließend können wir das noch nicht sagen. Denn Forschung braucht Zeit. Und natürlich ist die Wahl noch nicht entschieden. Gerade die letzten Tage vor dem Wahltag begünstigen Desinformationskampagnen. Inhalte, die in dieser Zeit verbreitet werden, können nur noch schwer geprüft und gegebenenfalls korrigiert und ausgeräumt werden. Auch die Verhandlungen zur Regierungsbildung im Nachgang sind ein sensibler Teil des Prozesses.

Trotzdem wissen wir schon einiges. Eine weitreichende, systematische Desinformationskampagne wurde bislang nicht aufgedeckt. Die Probleme politischer Debatten sind vielschichtig. Wir müssen differenzieren.

Hass und Hetze richteten sich im Wahlkampf gegen einzelne: Vor allem gegen Annalena Baerbock. Mehr als alle anderen Spitzenkandidat*innen erfuhr sie Beleidigungen und war Ziel von hasserfüllter Sprache. Falschmeldungen über ihre politischen Pläne waberten durch die Sozialen Medien. Trotz vollmundiger Ankündigungen zu Schutzmaßnahmen hat Facebook es nicht geschafft, schnell und ausreichend zu reagieren, beispielsweise durch Kennzeichnung solcher Posts,   was ihre schnelle Verbreitung gebremst hätte.

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Unklare Regeln, fragwürdige Inhalte

Kampagnen wurden im Graubereich der Plattform-Regeln geführt, über verschiedene Kanäle hinweg. Fragwürdige YouTube-Videos gewannen durch häufiges Verbreiten auf Facebook Popularität, vor allem auch durch Gruppen, die von AfD-Sympathisant*innen betrieben werden. Oft haben diese Gruppen dieselben Administratoren. Facebooks Regeln verbieten Versuche, Beliebtheit vorzutäuschen, selbst, wenn sie von echten Nutzer*innen (statt Bots) ausgehen. Die Grenzen dieser Regeln sind allerdings unscharf.

Auch pseudo-journalistische Webseiten bleiben ein Problem – vor allem auch die Angebote von RT Deutsch, finanziert vom russischen Staat. Wie der German Marshall Fund zeigte, erzielt RT Deutsch große Reichweiten.

Der Weg von der Radikalisierung im Netz hin zu physischen Gewalttaten bleibt eine große Gefahr.  Der schockierende Mord in Idar-Oberstein hat das wieder gezeigt.  Facebook löschte zwar „Querdenker“-Kanäle, allerdings erst sehr spät. In den USA hatte die Firma tatenlos zugesehen, wie sich radikale Gruppen auf ihrer Plattform zur Stürmung des Kapitols verabredeten.

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Etwas mehr Licht im Dunkeln

Positiv ist zu verbuchen, dass viele Organisationen und Forscher*innen den digitalen Wahlkampf beobachtet und analysiert haben. Hier ist Deutschland besser aufgestellt als die meisten Länder. Die Blackbox Online-Debatte ist besser ausgeleuchtet als früher.

Zusammen mit dem Tagesspiegel haben wir das Social-Media-Dashboard zur Bundestagswahl entwickelt. Damit können alle Bürger*innen einen Einblick in den Online-Wahlkampf erhalten. Der bietet Überraschungen: Zum Beispiel, dass die AfD besonders viele Likes und Re-posts in Bayern und Hessen bekommt, aber nur wenige in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Eine Ost-/Westspaltung ist nicht erkennbar.

Und welche*r Kandidat*in hat die meisten Follower*innen auf Facebook? Jürgen Todenhöfer. Hier zeigt sich eine positive Seite sozialer Medien: Auch Außenseiter können sich Gehör verschaffen.

Die Analyse von Debatten im digitalen Raum bleibt allerdings schwierig. Den Zugang zu ihren Daten regeln die Plattformen selbst. Facebook hat Forschung zu Instagram-Algorithmen oder gezielter Wahlwerbung unterbunden. Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Ohne Forschungserkenntnisse haben Debatten über den Online-Diskurs und seine Regulierung keine Grundlage.

Es ließen sich viele weitere Beispiele aufführen. Sie alle würden zeigen: Es ist vieles faul im Online-Wahlkampf. Und wir haben noch viel zu tun.

Social Media Monitoring im Kontext der Bundestagswahl 2021

Wahlen sind angewiesen auf den Zugang zu verlässlichen und vielfältigen Informationen. Democracy Reporting International hat dafür gemeinsam mit dem Tagesspiegel eine Echtzeit-Analyse des Social-Media-Wahlkampfs zur Bundestagswahl 2021 entwickelt. Mithilfe automatischer Datenabfragen beobachten und analysieren sie den Online-Wahlkampf.