Engagiert für Europapolitik: Besa Shahini
Als Teenager floh Besa Shahini aus dem Kosovo. Mit 36 Jahren wurde sie Ministerin in Albanien. Heute lebt sie als Forscherin wieder in Pristina und kämpft für die EU-Erweiterung auf dem Westbalkan. Eine Begegnung in Berlin.
Politik ist Leben und Leben ist Politik. Ein Kalenderspruch. Und doch so viel mehr, wenn man Besa Shahini zuhört. Etwa wenn sie die potenziellen Auswirkungen von EU-Lebensmittelsicherheitsgesetzen auf albanische Kleinbäuer*innen ausführt. Oder die Vorzüge des Bildungswettbewerbes zwischen EU-Staaten erläutert. Das könnte ziemlich langatmig werden. Ist es dann aber nicht. Denn Besa Shahini brennt für diese Themen und kennt sich aus. Die 42-Jährige ist Politikforscherin, Ex-Bildungsministerin und, so sagt sie selbst, ein „Policy Geek“ – eine Herzblutpolitikerin.
Es ist ein regnerischer Frühsommertag kurz vor den EU-Wahlen, und Shahini sitzt in der Bibliothek der Hertie School in Berlin. Regen und die aktuellen Wahlprognosen trüben ihre Laune nicht. Heute Abend wird sie hier, an ihrer Alma Mater, mit dem albanischen Außenminister über die EU-Erweiterung diskutieren. Mit der Veranstaltung wolle sie vor allem die Studierenden erreichen, sagt sie: „Diese intelligenten jungen Menschen werden die Politik der Zukunft mitgestalten.“
Shahinis Ziel: die EU-Erweiterung auf dem Westbalkan
Politik verstehen und Politik selbst in die Praxis umsetzen – das zieht sich als roter Faden durch Besa Shahinis Biografie. Die gebürtige Kosovarin zog 1999 mit ihrer Familie nach Kanada, studierte Politikwissenschaften an der York University und schloss ihre Studien 2009 mit dem Master of Public Policy an der Hertie School in Berlin ab. Heute forscht sie zur EU-Erweiterung auf dem Westbalkan. Dazwischen liegt eine politische Blitzkarriere: Denn zwischen ihren beiden Studiengängen ging sie nach Albanien, wurde dort mit 34 Jahren Vizeministerin für Bildung, Sport und Jugend, und zwei Jahre später sogar Ministerin. Für ihr Engagement, das albanische Bildungssystem zu modernisieren, wurde sie 2019 mit dem Hertie School Alumni Achievement Award ausgezeichnet.
Von September 2023 bis Mai 2024 war sie Henrik Enderlein Fellow der Hertie School. Eine Gelegenheit für ein Wiedersehen mit der deutschen Hauptstadt nach 15 Jahren. Hat sich Berlin seit ihren Studientagen verändert? Shahini lächelt: „Es ist teurer geworden.“ Dann wird sie ernst: „Damals herrschte viel mehr Optimismus, was die EU-Erweiterung angeht. Obwohl die Wähler*innen skeptisch waren, hat die politische Elite die Erweiterung vorangetrieben.“ So wurden 2004 zehn Länder in die EU aufgenommen, darunter Polen und Ungarn. 2007 folgten Bulgarien und Rumänien, 2013 Kroatien in der bisher letzten Erweiterungsrunde. „Spitzenpolitiker*innen sind heute sehr sensibel für Stimmungen der Wählerschaft“, erklärt Shahini. „Denn die Wähler*innen haben angefangen, gefährliche populistische Politiker*innen an die Macht zu bringen.“
Ein Podcast gegen Abschottung und Nationalismus
Im Rahmen ihres Stipendiums als Henrik Enderlein Fellow hat Shahini den Podcast „EU to go – Towards Enlargement“ produziert. Für diesen bat sie Expert*innen aus unterschiedlichen Balkanländern zum Thema EU-Erweiterung zum Gespräch. Der Podcast setzt ein Zeichen gegen die EU-weiten Tendenzen zu Abschottung und Nationalismus. „Ich denke, dass die EU-Erweiterungspolitik so wichtig sein sollte wie der Green Deal oder die Migrationspolitik“, sagt sie. „Die Wähler*innen müssen überzeugt werden, dass ein stark entwickelter Westbalkan mit stabilen Institutionen im Interesse der EU ist.“ Sonst würde die Region anfällig für russische und chinesische Einflussnahme, so die Politikwissenschaftlerin.
Der Podcast soll insbesondere junge Wähler*innen in der EU über den Erweiterungsprozess und die jüngere Geschichte der Westbalkanländer aufklären: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien und den Kosovo, Shahinis Heimat. „Mit den Geschichten, die ich im Podcast erzähle, will ich zeigen, wie essenziell es für die Region ist, Teil dieses unglaublichen Projektes Europäische Union zu werden“, sagt Besa Shahini. Eine Aufnahme in die EU würde diesen Ländern den europäischen Binnenmarkt und den Zugriff auf Fördergelder und Wissen eröffnen. Doch auch schon die Aussicht auf einen EU-Beitritt setzt in den Kandidatenländern Reform- und Modernisierungsprozesse in Gang. Sie ergänzt: „Die EU ist das erfolgreichste State-Building-Projekt der Welt.“
Shahini will da leben, wo sie am meisten erreichen kann
Selten hört man jemanden so über die EU sprechen: mit echter Begeisterung statt mit Beschwerden über die Bürokratie. Und das obwohl Besa Shahini als frühere Spitzenpolitikerin weiß, wie mühsam echter politischer Fortschritt sein kann – schon ohne EU-Verordnungen. Doch sie weiß auch, was es bedeutet, in einem Land ohne stabile Institutionen und Sicherheit zu leben. Sie wuchs in Pristina auf, der Hauptstadt des Kosovo, erlebte den Zerfall der Sowjetunion und die Serbisierung ihrer Heimat unter Slobodan Milošević. 1999 floh Shahini mit ihrer Familie vor dem Kosovokrieg nach Kanada.
Heute lebt die Politikanalystin mit ihrer Familie wieder in Pristina. „Ich könnte mit meinem kanadischen Pass überall auf der Welt leben“, sagt sie. „Aber ich habe mich für den Kosovo und Albanien entschieden, weil ich hier mit meiner Arbeit und meiner Erfahrung am meisten beitragen kann.“ Sie möchte in der Region die Entwicklung sehen, die andere ehemalige Ostblockstaaten nach dem EU-Beitritt gemacht haben. Fortschritt durch Transformation – daran glaubt sie.
Für Shahini geht die EU-Erweiterung zu langsam voran
Aktuell, so Shahini, seien es vor allem drei Faktoren, die den Prozess der EU-Erweiterung und damit die Transformation der Westbalkanländer lähmten: die diffuse Angst der EU-Wähler*innen, bilaterale Konflikte zwischen EU-Mitgliedstaaten und EU-Beitrittskandidaten und der fehlende politische Wille in Ländern wie Deutschland und Frankreich, die Erweiterung zur Priorität zu machen. Oft würde argumentiert, dass die Beitrittskandidaten sich nicht genügend reformierten, sagt Shahini. Doch den Regierungen des Westbalkans fiele es schwer, die nötigen und schwierigen Reformen innenpolitisch durchzusetzen, solange es keine Zusage der führenden EU-Länder zur Erweiterung gebe.
Im Gespräch mit Besa Shahini erahnt man, warum der EU-Erweiterungsprozess so komplex ist – und wie lang der Atem der Beteiligten sein muss, um ihn weiter zu verfolgen. Ein Blick aus dem Fenster der Bibliothek der Hertie School: immer noch Regen, trotz Frühsommer. Letzte Frage: Sind Sie optimistisch, Frau Shahini? „Ja, ich bin zuversichtlich, dass es mit der EU-Erweiterung vorangehen wird“, sagt sie. „In Teilen, weil ich es sein muss.“
Henrik Enderlein Fellowship
Das Henrik Enderlein Fellowship wird jedes Jahr an Personen vergeben, die sich für eine starke Europäische Union einsetzen. Wissenschaftler*innen, Akademiker*innen und politischen Entscheidungsträger*innen ermöglicht es Forschungsaufenthalte an der Hertie School. Das Stipendium bietet den Träger*innen Raum für Vernetzung und ermöglicht es ihnen, dringende Fragen der europäischen und nationalen Agenda anzugehen. Das Henrik Enderlein Fellowship erinnert an den verstorbenen Präsidenten der Hertie School und Gründer des Jacques Delors Centre, Henrik Enderlein. Gefördert wird es von der Stiftung Mercator.
www.hertie-school.org/henrik-enderlein-fellowship