„Chinas Auftreten hat viel Skepsis aufkommen lassen“

Ein gerissener blau-roter Mundschutz bestehend aus der EU-Flagge und der China-Flagge.
„Chinas Auftreten hat viel Skepsis aufkommen lassen“
Autorin: Julien Wilkens Illustrationen: Samy Löwe 29.07.2020

Peking zwischen Social-Media-Kampagnen und Masken-Diplomatie. In einem Spezial­bericht des European Think-tank Network on China (ETNC) analysieren Expert*innen die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Beziehungen zwischen China, der EU und deren Mitglied­staaten. Die Wissenschaftlerin Lucrezia Poggetti vom beteiligten Mercator Institute for China Studies (MERICS) über die veränderten Beziehungen zu China in der Pandemie.

China hat sich lange auf wirtschaftliches Wachstum konzentriert – doch die geopolitischen Ambitionen und das inter­nationale Selbst­bewusst­sein des Staates sind in den letzten Jahren gewachsen. Wie war Chinas Selbst­verständnis um 2019/20 zu Beginn des Corona-Ausbruchs?

Lucrezia Poggetti: Chinas politische Ambitionen und Selbst­sicherheit sind in den vergangenen Jahren immer weiter­gewachsen. Das sieht man seit dem 19. Partei­kongress der Kommunistischen Partei im Oktober 2017. Staatschef Xi Jinping gab die vorherige außen­politische Strategie von Deng Xiaoping endgültig auf, wonach China seine „Stärken verborgen zu halten“ habe. Statt­dessen signalisierte er der Partei, dass China jetzt auf der inter­nationalen Bühne mitspiele. Chinas größere Ambition ist auch in Europa sichtbar. Das sieht man auch daran, dass chinesische Diplomaten ein selbst­sicheres, ein gar aggressiveres Auftreten an den Tag legen. Gleich­zeitig zeigten sich am Anfang der Pandemie daneben auch Unsicherheiten im Regime. Es lag ganz klar der Fokus darauf, das eigene Image zu wahren, statt sofort mit aller Macht das Corona­virus zu bekämpfen.

Porträt von der Wissenschaftlerin Lucrezia Poggetti vom Mercator Institute for China Studies (MERICS)
© MERICS

Lucrezia Poggetti
Lucrezia Poggetti beschäftigt sich in ihrer Forschung vor allem mit den Beziehungen zwischen der EU und China. Vor ihrem Einstieg bei MERICS war Poggetti in der Delegation der Europäischen Union in China tätig.

Die EU hat China im Frühjahr 2019, also vor der Pandemie, als „Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen“ definiert. Wie hat sich das Bild Pekings während der Covid-19-Krise in der EU gewandelt?

Poggetti: Diese drei Pfeiler der Sicht auf China sind immer noch gegeben. Aber ich denke, das Bild Chinas hat sich unter europäischen Entscheider*innen gewandelt. Da können wir aber zusätzlich zwischen Regierungen und Öffentlichkeit unterscheiden. Bei Regierungen hat sich das Bild Chinas als Rivale während der Pandemie gefestigt. Es gibt zwar weiterhin einen starken Willen zur Zusammen­arbeit bei inter­nationalen Problemen, zum Beispiel beim Kampf gegen den Klima­wandel oder bei Fragen von inter­nationaler Sicherheit. Aber: Chinas Auftreten während der Pandemie hat viel Skepsis aufkommen lassen – schon durch die anfänglichen Versuche Pekings, die Informationen zur Ausbreitung des Coronavirus in Wuhan zu vertuschen. Dazu kommt, dass das vermutlich die Ausbreitung des Virus im Rest der Welt begünstigt hat.

Eine rote Versandbox mit einem Sticker, der aussieht wie die Chinesische Flagge, aus dem Masken herausgucken und herausfallen.
© Samy Löwe

Nichtsdestotrotz hat die EU China zu Beginn der Pandemie mit medizinischen Gütern geholfen. Welche Auswirkungen hatte dies im Verlauf der Krise, als die Pandemie Europa erreichte?

Poggetti: Auch die „Masken-Diplomatie“ Chinas hat dieses kritische Bild Chinas unter Entscheidungs­träger*innen verstärkt. Im Januar hat die EU zusammen mit den Mitglied­staaten rund 52 Tonnen medizinische Güter als Spende verschifft. China bat die EU, das nicht öffentlich breit­zu­treten. Einige Monate später hat China dann Masken­lieferungen in europäische Staaten mit viel Propaganda und Desinformation begleitet. Das hat Entscheidungs­träger*innen in der EU die Grenzen der möglichen Zusammen­arbeit mit Peking aufgezeigt – weil sie nicht auf China als einen verlässlichen Partner vertrauen können.

China hat also mit dem starken Einsatz von Social Media versucht, die Narrative rund um Covid-19 zu beeinflussen. Wie erfolgreich waren die Maßnahmen?

Poggetti: China hat eine zum Teil schamlose PR-Kampagne gefahren. Die meisten Lieferungen von Masken und medizinischen Gütern, die auf Social Media, in diplomatischen Presse­mitteilungen und Staats­medien als Wohltaten Pekings verkauft wurden, waren ganz einfach Bestellungen. Peking hat Exporte und Spenden in seinen öffentlichen Stellung­nahmen vermengt, um so das Bild eines Wohltäters zu erzeugen. Beispiel Italien: Nur rund zehn Prozent der medizinischen Güter aus China waren Teil eines Hilfs­pakets, also Spenden – der große Rest: Exportgüter, also bezahlte Bestellungen. Das half ja auch den chinesischen Unternehmen, nach dem Lockdown wieder die Produktion hoch­zu­fahren. Eine Studie hat zuletzt ergeben, dass 77 Prozent der Italiener glauben, die Masken aus China waren ein Akt der Großzügigkeit. Aber: Rund 70 Prozent glauben zugleich, dass China an der Pandemie Schuld hat. Die Resultate der Desinformations­kampagne waren in der öffentlichen Wahrnehmung also gemischt.

Ein Smartphone mit einer chinesischen Flagge, die 100.000 Likes hat und eine Europäische Flagge, die 734 Likes auf dem Display anzeigt.
© Samy Löwe

Ist dies in der gesamten EU der Fall?

Poggetti: Insgesamt hat China es geschafft, sich als Freund der EU und deren Mitglied­staaten darzu­stellen. Das war insbesondere erfolgreich in Staaten, in denen sowieso anti­europäische Tendenzen existieren, wie Italien, Ungarn und Serbien. Dort haben einige nationale Entscheidungs­träger*innen zudem die Idee verbreitet, dass europäische Solidarität nicht funktioniert und diese Staaten stattdessen für Hilfe auf China angewiesen sind. Dabei ist das genaue Gegenteil der Fall: Italien beispiels­weise hat sehr viel Hilfe aus Frankreich, Deutschland und der EU bekommen. Trotzdem bleibt die vorherrschende Meinung, vor allem China hätte geholfen.

In den USA hat Präsident Donald Trump versucht, Covid-19 zu einem chinesischen Virus zu machen, nannte es zum Beispiel „Kung Flu“. Inwiefern hat das Virus auch Auswirkungen auf anti­chinesische Ressentiments in der Europäischen Union?

Poggetti: Am Anfang der Pandemie haben wir viele Fälle von Ausländer­feindlichkeit gegenüber Menschen chinesischer oder einfach nur asiatischer Abstammung fest­gestellt. Das war unter anderem in Italien, in Frankreich, in Großbritannien der Fall. Ich erinnere mich an den Fall eines italienischen Konservatoriums, das asiatisch­stämmige Student*innen aus Angst vor dem Virus vom Unterricht ausschloss. Diese xenophoben Auswüchse gab es vor allem am Anfang der Pandemie. Dann aber wurde Italien besonders hart vom Corona­virus getroffen, und die Menschen haben gemerkt, dass das Virus nicht nach Herkunft oder Aussehen unterscheidet.

Eine hellblaue Vase, auf der ein roten Drache, Meer und Wolken abgebildet sind.
© Samy Löwe
Ein dunkelblauer Umriss des Landes Frankreich und eine Spritze mit der französischen Flagge, aus der dunkelblaue Flüssigkeit auf den Umriss Frankreichs tropft.
© Samy Löwe

Die Abhängigkeit Europas – und der Welt – von Chinas medizinischen Gütern ist während der Corona-Krise in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt. Kann das zu einer Deglobalisierung einzelner Sektoren führen?

Poggetti: In der Wirtschaft gibt es kein großes Interesse, China bei Versorgungs­ketten aus­zu­schließen, auch wenn versucht wird, sie zu diversifizieren. Aber europäische Macht­haber*innen wie beispiels­weise der französische Präsident Emmanuel Macron drängen darauf, bei wichtigen Gütern wie Masken und medizinischem Equipment eigenständig und souverän zu sein. Und das wird sich wahrscheinlich auf weitere kritische und strategische Güter ausweiten. Großbritannien hat das „Project Defend“ gestartet, bei dem geguckt wird, in welchen Sektoren eine zu große Abhängigkeit von China besteht.

Auch Deutschland befürchtet und reglementiert Firmenübernahmen aus dem Ausland, insbesondere mit Blick auf China. Ist Deutschland von China abhängig?

Poggetti: Deutschland betreibt innerhalb der EU den größten Handel mit China, hat sogar einen Handels­über­schuss. Trotzdem: Deutschland ist nicht abhängig von China. Während mehr als die Hälfte des deutschen Exports in den gemeinsamen europäischen Markt geht, sind es bei China rund sieben Prozent. Manche Sektoren sind trotzdem sehr gefährdet, wie die Auto­mobil­branche. Das sollte man im Hinter­kopf behalten, vor allem wenn man sieht, wie unzuverlässig Peking in Krisen­zeiten sein kann. Schon vor der Pandemie gab es Droh­briefe aus China rund um die Huawei-Frage beim 5G-Netz­aus­bau, bei dem der Absatz von deutschen Autos als politisches Argument in die Waagschale geworfen wurde. Ich glaube, dieses politische Risiko, bei gewissen Sektoren Peking ausgeliefert zu sein, ist durch die Covid-19-Krise stärker ins Bewusstsein der Politik gerückt.

Mercator Institute for China Studies (MERICS)

Die Partnergesellschaft der Stiftung Mercator forscht zu China und den Beziehungen des Landes zu Deutschland und der Welt. Seit 2013 liefert sie Analysen, Informationen und Expert*innen­wissen an Entscheidungs­träger*innen aus Politik und Wirtschaft sowie an die Medien.
www.merics.org