„Chinas Auftreten hat viel Skepsis aufkommen lassen“
Peking zwischen Social-Media-Kampagnen und Masken-Diplomatie. In einem Spezialbericht des European Think-tank Network on China (ETNC) analysieren Expert*innen die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Beziehungen zwischen China, der EU und deren Mitgliedstaaten. Die Wissenschaftlerin Lucrezia Poggetti vom beteiligten Mercator Institute for China Studies (MERICS) über die veränderten Beziehungen zu China in der Pandemie.
China hat sich lange auf wirtschaftliches Wachstum konzentriert – doch die geopolitischen Ambitionen und das internationale Selbstbewusstsein des Staates sind in den letzten Jahren gewachsen. Wie war Chinas Selbstverständnis um 2019/20 zu Beginn des Corona-Ausbruchs?
Lucrezia Poggetti: Chinas politische Ambitionen und Selbstsicherheit sind in den vergangenen Jahren immer weitergewachsen. Das sieht man seit dem 19. Parteikongress der Kommunistischen Partei im Oktober 2017. Staatschef Xi Jinping gab die vorherige außenpolitische Strategie von Deng Xiaoping endgültig auf, wonach China seine „Stärken verborgen zu halten“ habe. Stattdessen signalisierte er der Partei, dass China jetzt auf der internationalen Bühne mitspiele. Chinas größere Ambition ist auch in Europa sichtbar. Das sieht man auch daran, dass chinesische Diplomaten ein selbstsicheres, ein gar aggressiveres Auftreten an den Tag legen. Gleichzeitig zeigten sich am Anfang der Pandemie daneben auch Unsicherheiten im Regime. Es lag ganz klar der Fokus darauf, das eigene Image zu wahren, statt sofort mit aller Macht das Coronavirus zu bekämpfen.
Lucrezia Poggetti
Lucrezia Poggetti beschäftigt sich in ihrer Forschung vor allem mit den Beziehungen zwischen der EU und China. Vor ihrem Einstieg bei MERICS war Poggetti in der Delegation der Europäischen Union in China tätig.
Die EU hat China im Frühjahr 2019, also vor der Pandemie, als „Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen“ definiert. Wie hat sich das Bild Pekings während der Covid-19-Krise in der EU gewandelt?
Poggetti: Diese drei Pfeiler der Sicht auf China sind immer noch gegeben. Aber ich denke, das Bild Chinas hat sich unter europäischen Entscheider*innen gewandelt. Da können wir aber zusätzlich zwischen Regierungen und Öffentlichkeit unterscheiden. Bei Regierungen hat sich das Bild Chinas als Rivale während der Pandemie gefestigt. Es gibt zwar weiterhin einen starken Willen zur Zusammenarbeit bei internationalen Problemen, zum Beispiel beim Kampf gegen den Klimawandel oder bei Fragen von internationaler Sicherheit. Aber: Chinas Auftreten während der Pandemie hat viel Skepsis aufkommen lassen – schon durch die anfänglichen Versuche Pekings, die Informationen zur Ausbreitung des Coronavirus in Wuhan zu vertuschen. Dazu kommt, dass das vermutlich die Ausbreitung des Virus im Rest der Welt begünstigt hat.
Nichtsdestotrotz hat die EU China zu Beginn der Pandemie mit medizinischen Gütern geholfen. Welche Auswirkungen hatte dies im Verlauf der Krise, als die Pandemie Europa erreichte?
Poggetti: Auch die „Masken-Diplomatie“ Chinas hat dieses kritische Bild Chinas unter Entscheidungsträger*innen verstärkt. Im Januar hat die EU zusammen mit den Mitgliedstaaten rund 52 Tonnen medizinische Güter als Spende verschifft. China bat die EU, das nicht öffentlich breitzutreten. Einige Monate später hat China dann Maskenlieferungen in europäische Staaten mit viel Propaganda und Desinformation begleitet. Das hat Entscheidungsträger*innen in der EU die Grenzen der möglichen Zusammenarbeit mit Peking aufgezeigt – weil sie nicht auf China als einen verlässlichen Partner vertrauen können.
China hat also mit dem starken Einsatz von Social Media versucht, die Narrative rund um Covid-19 zu beeinflussen. Wie erfolgreich waren die Maßnahmen?
Poggetti: China hat eine zum Teil schamlose PR-Kampagne gefahren. Die meisten Lieferungen von Masken und medizinischen Gütern, die auf Social Media, in diplomatischen Pressemitteilungen und Staatsmedien als Wohltaten Pekings verkauft wurden, waren ganz einfach Bestellungen. Peking hat Exporte und Spenden in seinen öffentlichen Stellungnahmen vermengt, um so das Bild eines Wohltäters zu erzeugen. Beispiel Italien: Nur rund zehn Prozent der medizinischen Güter aus China waren Teil eines Hilfspakets, also Spenden – der große Rest: Exportgüter, also bezahlte Bestellungen. Das half ja auch den chinesischen Unternehmen, nach dem Lockdown wieder die Produktion hochzufahren. Eine Studie hat zuletzt ergeben, dass 77 Prozent der Italiener glauben, die Masken aus China waren ein Akt der Großzügigkeit. Aber: Rund 70 Prozent glauben zugleich, dass China an der Pandemie Schuld hat. Die Resultate der Desinformationskampagne waren in der öffentlichen Wahrnehmung also gemischt.
Ist dies in der gesamten EU der Fall?
Poggetti: Insgesamt hat China es geschafft, sich als Freund der EU und deren Mitgliedstaaten darzustellen. Das war insbesondere erfolgreich in Staaten, in denen sowieso antieuropäische Tendenzen existieren, wie Italien, Ungarn und Serbien. Dort haben einige nationale Entscheidungsträger*innen zudem die Idee verbreitet, dass europäische Solidarität nicht funktioniert und diese Staaten stattdessen für Hilfe auf China angewiesen sind. Dabei ist das genaue Gegenteil der Fall: Italien beispielsweise hat sehr viel Hilfe aus Frankreich, Deutschland und der EU bekommen. Trotzdem bleibt die vorherrschende Meinung, vor allem China hätte geholfen.
In den USA hat Präsident Donald Trump versucht, Covid-19 zu einem chinesischen Virus zu machen, nannte es zum Beispiel „Kung Flu“. Inwiefern hat das Virus auch Auswirkungen auf antichinesische Ressentiments in der Europäischen Union?
Poggetti: Am Anfang der Pandemie haben wir viele Fälle von Ausländerfeindlichkeit gegenüber Menschen chinesischer oder einfach nur asiatischer Abstammung festgestellt. Das war unter anderem in Italien, in Frankreich, in Großbritannien der Fall. Ich erinnere mich an den Fall eines italienischen Konservatoriums, das asiatischstämmige Student*innen aus Angst vor dem Virus vom Unterricht ausschloss. Diese xenophoben Auswüchse gab es vor allem am Anfang der Pandemie. Dann aber wurde Italien besonders hart vom Coronavirus getroffen, und die Menschen haben gemerkt, dass das Virus nicht nach Herkunft oder Aussehen unterscheidet.
Die Abhängigkeit Europas – und der Welt – von Chinas medizinischen Gütern ist während der Corona-Krise in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt. Kann das zu einer Deglobalisierung einzelner Sektoren führen?
Poggetti: In der Wirtschaft gibt es kein großes Interesse, China bei Versorgungsketten auszuschließen, auch wenn versucht wird, sie zu diversifizieren. Aber europäische Machthaber*innen wie beispielsweise der französische Präsident Emmanuel Macron drängen darauf, bei wichtigen Gütern wie Masken und medizinischem Equipment eigenständig und souverän zu sein. Und das wird sich wahrscheinlich auf weitere kritische und strategische Güter ausweiten. Großbritannien hat das „Project Defend“ gestartet, bei dem geguckt wird, in welchen Sektoren eine zu große Abhängigkeit von China besteht.
Auch Deutschland befürchtet und reglementiert Firmenübernahmen aus dem Ausland, insbesondere mit Blick auf China. Ist Deutschland von China abhängig?
Poggetti: Deutschland betreibt innerhalb der EU den größten Handel mit China, hat sogar einen Handelsüberschuss. Trotzdem: Deutschland ist nicht abhängig von China. Während mehr als die Hälfte des deutschen Exports in den gemeinsamen europäischen Markt geht, sind es bei China rund sieben Prozent. Manche Sektoren sind trotzdem sehr gefährdet, wie die Automobilbranche. Das sollte man im Hinterkopf behalten, vor allem wenn man sieht, wie unzuverlässig Peking in Krisenzeiten sein kann. Schon vor der Pandemie gab es Drohbriefe aus China rund um die Huawei-Frage beim 5G-Netzausbau, bei dem der Absatz von deutschen Autos als politisches Argument in die Waagschale geworfen wurde. Ich glaube, dieses politische Risiko, bei gewissen Sektoren Peking ausgeliefert zu sein, ist durch die Covid-19-Krise stärker ins Bewusstsein der Politik gerückt.
Mercator Institute for China Studies (MERICS)
Die Partnergesellschaft der Stiftung Mercator forscht zu China und den Beziehungen des Landes zu Deutschland und der Welt. Seit 2013 liefert sie Analysen, Informationen und Expert*innenwissen an Entscheidungsträger*innen aus Politik und Wirtschaft sowie an die Medien.
www.merics.org