Ein „Marshall-Plan“ gegen die Coronakrise?

Ein „Marshall-Plan“ gegen die Corona-Krise?
Ein „Marshall-Plan“ gegen die Coronakrise?
Autorin: Sophie Pornschlegel 14.04.2020

Die Krise wird die bestehenden Interessenskonflikte rund um das EU-Budget nicht auflösen, schreibt EU-Expertin Sophie Pornschlegel in einem Gastbeitrag. Trotzdem könnte die außergewöhnliche Situation genutzt werden, um die EU zukunftsfit zu machen.

Es war wohl eines der letzten großen Treffen bevor COVID-19 Brüssel lahmlegte: Ende Februar trafen sich alle Staats- und Regierungschefs für einen zweitägigen Sondergipfel, um über das nächste EU-Budget zu verhandeln. Die Staats- und Regierungschefs reisten schon früh in ihre Hauptstädte zurück, da ein Kompromiss noch in weiter Ferne lag – und das trotz der immer näher rückenden Frist. Damit die EU auch nach 2020 handlungsfähig bleibt, sollte bis Ende 2020 ein Kompromiss zum Budget 2021 bis 2027 gefunden werden – so zumindest die Lage vor dem Ausbruch von COVID-19.

Nur einige Wochen nach dem EU-Gipfel brach die globale Pandemie aus, die ganz Europa lahmlegte, Gesundheitssysteme auf die Probe stellte und die Wirtschaft in eine Rezession stürzte. Brüssel war nun vor allem damit beschäftigt, Maßnahmen zu koordinieren, medizinisches Versorgungsmaterial zu beschaffen oder Exportverbote aufzuheben. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten und anhaltenden Diskussionen rund um die „Corona-Bonds“ ist die Antwort der EU auf die globale Pandemie nicht zu vergleichen mit vorherigen Krisensituationen.

Neuer Vorschlag

Die EU rief zahlreiche Initiativen ins Leben: Zunächst starteten die „Corona Response Investment Initiative“ sowie das „SURE“-Instrument der Kommission zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Darüber hinaus lockerte die EU die Kriterien des Stabilitäts- und Wirtschaftspakts sowie die geltenden Regeln für Beihilfen, die europäische Zentralbank beschloss ein 750 Mrd. Euro schweres „Pandemic Emergency Purchase Programme“, während die Europäischen Investitionsbank Garantien an Banken versicherte, damit kleine und mittelständige Unternehmen weiterhin Kredite aufnehmen können. Auch der europäische Rettungsschirm wird voraussichtlich wiedereingesetzt, mit Kreditlinien für Gesundheitskosten.

Somit war das EU-Budget, auch “mehrjähriger Finanzrahmen” (MFR) genannt, erst einmal kein Thema mehr. Bis Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anfang April von einem „Marschall-Plan“ für Europa in einem Meinungsbeitrag sprach. Damit schlug sie eine Ummünzung der Investitionsprioritäten im nächsten EU-Budget vor, um auf die Krise zu antworten. Zwar ist der Vergleich historisch und kontextuell nicht besonders gelungen, doch eins soll damit klar werden: Europäische Solidarität soll nicht bloß eine Floskel sein.

Statt mit den bestehenden Vorschlägen die Verhandlungen zum EU-Budget weiterzuführen, wird die EU-Kommission nun bis Ende April einen neuen Vorschlag vorlegen. Es ist zu erwarten, dass das EU-Budget nicht nur deutlich höher ausfällt, als es bisher geplant war, und es soll in den nächsten Jahren auch so genutzt werden, dass es auf die akuten Bedürfnisse der EU-Mitgliedsstaaten eingeht, die mit der Krise entstanden sind: die europäische Wirtschaft wiederaufbauen, Sozialsysteme aufrechterhalten und Arbeitsplätze sichern. Die EU-Finanzminister konnten sich Mitte April darauf einigen, dass ein solches „Krisen-Budget“ das wichtigste Instrument in der Krisenbewältigung werden soll. Die offene Frage bleibt allerdings, ob die EU Staats- und Regierungschefs sich vor der Frist Ende 2020 darauf einigen werden können – oder ob die regulären Verhandlungen verschoben werden sollten.

Alte Konfliktlinien nicht verschwunden

Angesichts der bestehenden Interessenskonflikte wäre es angebrachter, die regulären Verhandlungen zu einem späteren Zeitpunkt zu führen, und sich zunächst auf das Krisenmanagement zu konzentrieren – damit die EU ab 2021 handlungsfähig bleibt.

Ursula von der Leyen im Europäischen Zentrum für Prävention und die Kontrolle von Krankheiten.
Ursula von der Leyen im Europäischen Zentrum für Prävention und die Kontrolle von Krankheiten. ©  Getty Images

Die Verhandlungen zum EU-Budget waren nämlich vor der Krise zäh. Nicht nur konnten sich die Länder nicht auf die Höhe des Budgets einigen, sondern es gab noch zahlreiche weitere Konfliktpunkte: die Rabatte, von denen einige Netto-Zahler profitieren und sie nicht abschaffen möchten; die Verteilung des Budgets auf die verschiedenen Politikbereiche; die Einführung „eigener Ressourcen“ für die EU, beispielsweise durch eine Plastiksteuer, und schließlich die Konditionalitätsklausel für Rechtsstaatlichkeit.

Gerade letzterer Punkt sollte auch in einem „Krisen-Budget“ nicht zu kurz kommen: Das in Ungarn eingeführte Notstandsgesetz hat Regierungschef Viktor Orbán endgültig zu einem autoritären Machthaber gemacht. Aber auch die Einschränkungen von individuellen Freiheiten in zahlreichen europäischen Ländern ist besorgniserregend, insbesondere die neu eingeführten digitalen Überwachungsmethoden. Die EU sollte deshalb konkret sicherstellen, dass demokratische Werte während der Krisensituation nicht beschnitten werden. Dabei wäre eine Verknüpfung von Geldern an Rechtsstaatlichkeit eine der effizientesten Maßnahmen.

Bisher ist noch nicht vorherzusehen, ob das nächste EU-Budget zukunftsorientiert gestaltet wird.

Ein „modernes“ Budget?

Auch wenn die bestehenden Konflikte aufgrund der Coronakrise nicht verschwunden sind, bietet die außergewöhnliche Situation auch eine einmalige Gelegenheit, den Status Quo zu überwinden. Die EU-Kommission wünscht sich ein möglichst „modernes“ Budget, das heißt genügend Ressourcen für die neuen strategischen Prioritäten der EU-Kommission, statt Gelder für „alte“ Programme wie beispielsweise Landwirtschaft oder Kohäsionsfonds. Die EU solle sich dem Klimaschutz widmen, sich “fit für das digitale Zeitalter” machen und ihre strategische Autonomie stärken, sowohl im Bereich der Sicherheits- und Außenpolitik als auch der Handel- und Industriepolitik. Obwohl die EU-Mitgliedstaaten diese “modernen” Prioritäten öffentlich unterstützten, schienen sie aber vor der Krise nicht in die Tasche greifen zu wollen, um dieses Arbeitsprogramm auch mit Ressourcen auszustatten.

Bisher ist noch nicht vorherzusehen, ob das nächste EU-Budget zukunftsorientiert gestaltet und klar auf eine nachhaltige und soziale Wirtschaft umgemünzt wird, die weder fossile Energieträger subventioniert noch Gelder an korrupte Machthaber verteilt. Ob es der EU-Kommission gelingen wird, sowohl auf die Coronakrise zu antworten als auch die Prioritäten – Digitalisierung, Dekarbonisierung und Resilienz – weiterhin zu verfolgen, bleibt offen. Man kann nur hoffen, dass die EU-Staats- und Regierungschefs das Budget für 2021 – und möglicherweise 2022 – zunächst verlängern und sich anschließend mit den Prioritäten der EU auseinandersetzen, wenn das Gröbste der Krise vorbei ist.

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