China will bis 2049 die führende Industrienation werden. Wichtig dafür ist die „Neue Seidenstraße“, ein Netz aus Handelswegen. Was bedeutet das für die beteiligten Länder? Wir machen uns auf den Weg.
Chinas neue Seidenstraße
China will bis 2049 die führende Industrienation werden. Wichtig dafür ist die „Neue Seidenstraße“, ein Netz aus Handelswegen. Was bedeutet das für die beteiligten Länder? Wir machen uns auf den Weg.
Was versteht man unter der „Neuen Seidenstraße“?
Bessere und engere Verbindungen zum Rest der Welt: Das ist das Ziel der Belt-and-Road-Initiative (BRI). Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping treibt das riesige politisch und geostrategisch getriebene Vorhaben voran. China finanziert seit 2013 den Ausbau von Transportwegen, Häfen, Kraftwerken und der Telekommunikationsinfrastruktur in 125 Ländern.
Die Bezeichnung „Neue Seidenstraße“ lehnt sich an die antike Seidenstraße an. Das Netz aus Karawanenstraßen, das in Teilen schon im 2. Jahrhundert v. Chr. existierte, verband Zentral- und Ostasien mit Europa. Über diese Wege florierte der Handel mit Seide, Porzellan, Edelsteinen, Gewürzen und Parfüm. Doch nicht nur Waren gelangten von A nach B, sondern auch weniger Greifbares wie Religionen, Kulturen, Ideen und Wissen.
Die Symbolik der historischen Seidenstraße nutzt China laut Thomas Eder ganz bewusst. Als Wissenschaftler am Mercator Institute for China Studies (MERICS) ist er auf die Belt-and-Road-Initiative spezialisiert. Da der landläufig genutzte Begriff „Seidenstraße“ bei den meisten Menschen Bilder von Kamelkarawanen, sanft dahinschaukelnden Dschunken und dem geheimnisvollen Orient hervorrufe, erzeuge er eine wohlwollende Stimmung gegenüber der außen- und wirtschaftspolitischen Initiative von heute. „Mit der Neuen Seidenstraße hat man eine sehr hübsche Rahmenerzählung gefunden, für Dinge, die China wohl ohnehin gemacht hätte“, so Thomas Eder.
Und warum gibt es sie?
Ein wesentlicher Treiber sind Chinas wirtschaftliche Interessen. Einerseits will die Volksrepublik die heimische Wirtschaft ankurbeln, indem sie neue Absatzmärkte erschließt und sichert. Möglichen Ziel- oder Durchgangsmärkten spendiert sie dafür Straßen, Bahnlinien, Kraftwerke. Andererseits sichert sich China auf diese Weise Beschäftigung. Denn wenn die Volksrepublik Infrastrukturprojekte in anderen Ländern finanziert, geht der Zuschlag für Bau und Betrieb meist an chinesische Unternehmen.
Damit hängt aber noch mehr zusammen: Handel fördert Austausch, und wo funktionierende Infrastruktur Verbindungen schafft, wächst man zusammen. Genau daran sei China gelegen, erklärt Thomas Eder. „Peking strebt nach wirtschaftlicher und politischer Zusammenarbeit mit China im Zentrum sowie stärkeren Beziehungen zwischen den Gesellschaften bei gleichzeitig größerem Einfluss der chinesischen Führung.“ Besagte gesellschaftliche Beziehungen sollen zum Beispiel durch die Gründung von Universitäten, Kulturinstituten oder NGOs gefördert werden. „Insgesamt gilt die Belt-and-Road-Initiative mittlerweile als wesentlicher Bestandteil von Xi Jinpings Außenpolitik“, fasst Eder zusammen.
Nicht zuletzt ginge es dem Einparteienregime auch darum, das chinesische Volk von seinen Führungsqualitäten zu überzeugen. Könne China seine Machtposition in der Welt ausbauen, spiele das in die Hände der Kommunistischen Partei, sagt Thomas Eder. „So kann man sich vor die chinesische Bevölkerung stellen und sagen: Seht her, wir haben China wieder zu jemandem gemacht, wir stehen wieder im Zentrum der Weltbühne, und nur wenn wir an der Macht bleiben, dann bleibt das auch so.“
„So kann man sich vor die chinesische Bevölkerung stellen und sagen: Seht her, wir haben China wieder zu jemandem gemacht.“
Thomas Eder, Rechtswissenschaftler
Was bedeutet das für die Länder, durch die die Neue Seidenstraße verläuft?
Auf der einen Seite erhalten die Länder Zugang zu Geld. Damit kann Infrastruktur, zum Beispiel Straßen oder Schienen, gebaut werden. Das kann die heimische wirtschaftliche Entwicklung befeuern und kommt letztendlich der Bevölkerung zugute. Dieser Mechanismus berge auf der anderen Seite aber eine gewisse Anfälligkeit im Hinblick auf Regierungen: „Sie könnten dazu neigen, aus China finanzierte Projekte im Zusammenhang mit Wahlen im eigenen Land zu planen, um sich Wählerstimmen zu sichern“, so Thomas Eder. Und: Wird ein Bauprojekt nicht offiziell ausgeschrieben, bekomme selten das beste Angebot den Zuschlag. „Es geht zwar schneller und unbürokratischer, ist aber anfällig für Korruption und endet möglicherweise in finanzieller Instabilität.“ Stichwort: Verschuldung. China gebe zwar Geld, wolle es aber auch zurück.
Regierungen könnten dazu neigen, aus China finanzierte Projekte im Hinblick auf Wahlen zu planen.
Beispiel Pakistan
Im südwestlichen Nachbarland bauten chinesische Firmen Kraftwerke, die sie auch betreiben. Den Firmen wurden für 30 Jahre garantiert hohe Strompreise vertraglich zugesichert – die müssen jedoch auf die Endkunden umgelegt werden. „Für pakistanische Industrieunternehmen kann das ein großes Problem werden. Sie sind gezwungen, diese Preise zu zahlen, worunter ihre Wettbewerbsfähigkeit leidet. Und natürlich sind auch die privaten Verbraucher betroffen“, erklärt Thomas Eder.
Beispiel Bosnien und Serbien
Wie weit die Folgen chinesischer Investitionen reichen können, zeigt ein Beispiel aus dem Energiesektor in Bosnien und Serbien. China finanziert dort neue Kohlekraftwerke und die Modernisierung von alten Anlagen. Sie erfüllen zum Teil nicht die aktuellen EU-Standards und verkörpern zudem das Gegenteil der EU-Pläne, auf regenerative Energiequellen wie Sonne und Wind umzusteigen. „Das kann sich negativ auf den EU-Beitrittsprozess auswirken, in dem sich Serbien befindet und den Bosnien gerne beginnen will“, fasst Thomas Eder zusammen.
Wie steht die EU zur Neuen Seidenstraße?
Neben den USA ist China der wichtigste Handelspartner der EU – und andersherum. Ohne einander wäre es also schwierig. Das Miteinander sei aber nicht so ausgewogen, wie es in einer gleichberechtigten Kooperation sein sollte. Die EU ist durchaus interessiert am Aufbau von Infrastruktur, die den interkontinentalen Handel leichter macht. Allerdings hat sie gewisse Bedingungen und Standards, nach denen sie Handel betreibt und die beide Seiten erfüllen müssen. Benannt wurden diese zum Beispiel in einer Strategie für Konnektivität zwischen Europa und Asien von 2018. Auf einem Gipfeltreffen zwischen der EU und China im April 2019 gaben beide eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie sich zu einer ausgewogeneren strategischen Partnerschaft bekannten. Wie es weitergeht, entscheidet sich laufend neu.
Jenseits der übergreifenden Position entscheidet jedes EU-Mitgliedsland selbst, wie es mit China zusammenarbeitet. Manche tun mehr, andere weniger. Ungarn, Griechenland und zeitweilig Italien öffneten ihre Arme weit, sagt Thomas Eder. Deutschland bliebe verhalten. Was zu beobachten ist: „Länder, die BRI-Investitionen aus der Volksrepublik einzuwerben versuchen, ändern ihre Haltung gegenüber China“, so der MERICS-Wissenschaftler. Ein Beispiel lieferte Griechenland, dessen Hafen von Piräus dank Geldern der BRI zu einer Drehscheibe chinesischer Exporte in die EU wurde. 2017 weigerte sich die griechische Regierung, eine EU-Stellungnahme im UN-Menschenrechtsrat zu Menschenrechtsverletzungen in China zu unterzeichnen. Jo Leinen, damals Vorsitzender der China-Delegation des Europäischen Parlaments, kommentierte: „Schon öfter ist aufgefallen, dass EU-Mitgliedsländer, in denen China in größerem Stil investiert, sich scheuen, auch EU-Werte oder EU-Interessen gegenüber China zu vertreten.“
Was zu beobachten ist: „Länder, die BRI-Investitionen aus der Volksrepublik einzuwerben versuchen, ändern ihre Haltung gegenüber China“
Handelspartner der EU
Seit dem Jahr 2000 hat sich der Anteil Chinas am Handel der EU fast verdreifacht: Von mehr als 5 und gut 15 Prozent im vergangenen Jahr. China ist somit der zweitwichtigste Handelspartner der EU. Quelle: eurostat
Und Deutschland?
Hierzulande gibt es geteilte Meinungen zum Seidenstraßen-Projekt. Offiziell hat sich die Bundesregierung gegen eine Teilnahme an der Initiative ausgesprochen. Innerhalb der Wirtschaft richtet sich der Blick jedoch auf das Potenzial für den transkontinentalen Handel. Einige Unternehmen haben sich 2019 zum „Bundesverband Deutsche Seidenstraße-Initiative“ zusammengeschlossen, der die Zusammenarbeit mit China vorantreiben will. „Wie in Europa gibt es auch in Deutschland punktuell großen Zuspruch für ‚One Belt, One Road‘, je nachdem, was eine Region, eine Stadt oder ein Unternehmen sich davon verspricht“, so Thomas Eder.
Welche Rolle spielt Duisburg?
In Duisburg ist die Stimmung gut. Denn im „Duisport“, dem Hafen der Stadt, rollen jede Woche 35 bis 40 Züge aus China an. Sie kommen unter anderem aus Chongqing, einer Stadt mit knapp 30 Millionen Einwohner*innen im Südwesten der Volksrepublik. Als mittlerweile größter Binnenhafen Europas ist der Duisport für China äußerst attraktiv: Rund 100 Unternehmen und Weltkonzerne wie Mitsubishi oder Siemens haben sich im Hafengebiet angesiedelt, einige davon mit Verteilzentren oder Großlagern. China steuert Duisburg seit Beginn der Seidenstraße-Initiative an – Anteile am Hafen hält die Volksrepublik jedoch nicht.
Ein Hafen bringt Wandel
Bis 1993 war das Areal im Stadtteil Rheinhausen ein Hüttenwerk der Firma Krupp, im Hafen selbst wurden Kohle, Erz und Stahl umgeschlagen. Der Niedergang der Eisen- und Stahlindustrie führte trotz langer Streiks zur Stilllegung des Werks. Für Duisburg bedeutete das: Arbeitslosigkeit, Verfall, Zukunftsangst. Eine Lösung musste her, der Duisport brachte sie. Die Zusammenarbeit mit China ist ein wichtiger Baustein dieses Wandels, die chinesischen Züge sind daher willkommen.
Was brauchen wir aus China?
Was braucht China von uns?
Der Handel ist in beide Richtungen mittlerweile sehr diversifiziert.
Was wir voneinander wollen, ist unterschiedlich. Aber es sei nicht mehr so, dass eine Seite Rohstoffe liefere und die andere Seite fertige Produkte, sagt Thomas Eder. Gleiches gelte für teure und billige Produkte. Der Handel ist in beide Richtungen mittlerweile sehr diversifiziert. In den Zügen nach Duisburg findet man überwiegend fertige Elektronik, also Tablets, Laptops, Smartphones. Für sie lohnt sich der Bahntransport, der teurer ist als der Seeweg, aber billiger als per Flugzeug. Zurück fahren die Züge allerdings noch nicht immer voll beladen. „Was aus Deutschland und Europa schon geliefert wird und auch Zukunftshoffnungen sind, sind Luxusprodukte im Bereich Lebensmittel und Textilien“, so Thomas Eder.
Der Seeweg ist gegenüber der Schiene noch immer dominant. Per Schiff importiert China derzeit vor allem Hochtechnologie. „Das hat mit seiner Industriestrategie ‚Made in China 2025‘ zu tun“, weiß Thomas Eder. Innerhalb der nächsten fünf Jahre will Xi Jinping zehn Wirtschaftsbereiche zur Weltspitze treiben, darunter zum Beispiel Automatisierung und Robotik, Energieversorgung und Luftfahrt. Noch müsse China sich bestimmte Technologien ins Land holen, um international wettbewerbsfähig zu werden. Produkte und Technologien aus Deutschland sind daher stark gefragt.
Handel bedeutet Austausch: Nähern China und wir uns an?
Sprache, Religion, Wissen, selbst Krankheiten wie die Pest: Über die antike Seidenstraße wanderten nicht nur Waren. Wo Menschen hin- und herzogen und in unwirtlichen Gebieten aufeinandertrafen, tauschte man sich automatisch aus.
China geht die zwischengesellschaftlichen Beziehungen strategischer an. „Sie herzustellen und zu fördern ist eine feste Säule der Seidenstraße-Initiative“, sagt Thomas Eder. Im Rahmen dieser Säule gründe China in anderen Ländern Universitäten, Thinktanks, Kulturinstitute oder sogar Festivals mit dem Ziel, das Image Chinas zu verbessern. Thomas Eder vermutet, dass die gezielte „PR-Arbeit“ Chinas eher ins Gegenteil umschlägt: „In Europa wird den Menschen zunehmend bewusst, wer hinter diesen Initiativen und Veranstaltungen steht und auch, dass streng reglementiert ist, was dort gesagt werden darf. Das ist nicht unbedingt der vielversprechendste Zugang, um die chinesische Kultur näherzubringen.“
Mehrere Mächte nebeneinander
Zudem ist es eine Tatsache, dass Austausch und Einflüsse heute viel wechselseitiger und globaler geworden sind. Es gebe in Zukunft keine einzelne Großmacht mehr, die den Globus regiere und beeinflusse, so Thomas Eder. Stattdessen stünden mehrere starke Mächte nebeneinander. Welche das sein werden, zeigt die Zeit.
Mercator Institute for China Studies (MERICS)
Die Partnergesellschaft der Stiftung Mercator forscht zu China und den Beziehungen des Landes zu Deutschland und der Welt. Seit 2013 liefert sie Analysen, Informationen und Expert*innenwissen an Entscheidungsträger*innen aus Politik und Wirtschaft sowie an die Medien.
Bild- und Videoquellen: © Getty Images, © shutterstock, © laif