Eine Frage der Solidarität

Eine Frage der Solidarität
Autor*innen: Dennis J. Snower, Markus Engels 23.06.2020

Auch, wenn anfangs nationale Reflexe vorherrschten: Nur durch internationale Zusammenarbeit wird sich die Corona-Krise lösen lassen. Ein Plädoyer für internationale Zusammenarbeit von Dennis Snower und Markus Engels.

Es gibt Probleme, die Nationalstaaten selbst lösen können. Sie können Straßen bauen, Schulen betreiben oder auch ältere oder sozial schwache Mitglieder der Gesellschaft unterstützen. Globale Probleme jedoch – und dazu gehört die Corona-Pandemie – kann kein Nationalstaat dieser Welt allein lösen. Sie bedürfen einer globalen Antwort. Dann kommt es auf internationale Organisationen wie die WHO an, auf Zusammenarbeit von Regierungen beim Informationsaustausch, bei der Bereitstellung von Schutzausrüstung und bei der Forschungszusammenarbeit für die Entwicklung neuer Arzneimittel. Nur durch Solidarität und gegenseitige Abstimmung lässt sich das Virus besiegen.

 

 

Gleiches gilt für die wirtschaftliche Folgen der Pandemie: Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Virus, wie die Schließung von Geschäften, Restaurants oder Schulen, haben eine tiefe Wirtschaftskrise ausgelöst. Sie verschont, wie das Virus selbst, kein Land der Welt. Die Industrieproduktion und der internationale Handel gehen zurück, die Arbeitslosigkeit steigt. Nur durch Solidarität und gegenseitige Abstimmung kann sich die Weltkonjunktur nach Eindämmung der Pandemie wieder erholen.

Ein globales Problem erfordert eine globale Antwort

Aber auch wenn die Erkenntnis auf der Hand liegen mag, dass ein globales Problem auch eine globale Antwort erfordert: Die ersten Reflexe gingen genau in die entgegengesetzte Richtung. Statt zusammenzuarbeiten, schlossen Staaten Grenzen, Regierungen kauften einander die Schutzmasken weg. US-Präsident Donald Trump suchte die Schuld für das Versagen seiner Regierung bei China, den Europäern, der WHO – und wollte so vom eigenen, mangelhaften Krisenmanagement ablenken. China nutzte seinen Erfolg bei der Eindämmung der Pandemie für eine gegen den Westen gerichtete Propagandakampagne. Russland schickte seine Internettrolle los, um Fake News zu verbreiten. Und auch innerhalb der Europäischen Union war zu Beginn der Pandemie von Gemeinsamkeit wenig zu spüren.

Nur durch Solidarität und gegenseitige Abstimmung lässt sich das Virus besiegen.

Doch mittlerweile hat ein Umdenken eingesetzt: 23 Staaten haben sich in der von Deutschland geführten „Allianz für Multilateralismus“ hinter die von US-Präsident Trump so harsch attackierte WHO gestellt. China hat Spanien und Italien mit medizinischer Ausrüstung unterstützt. Russland und Kuba haben medizinische Teams nach Italien entsandt. Deutschland hat Patienten aus Italien und Frankreich aufgenommen und versorgt, denen angesichts der überfüllten Krankenhäuser in ihren Heimatländern nicht mehr geholfen werden konnte.

Das sind Zeichen der Solidarität, die die Krise überdauern können. Außerdem zahlt sich der Erfahrungsaustausch auf internationaler Ebene aus. Ärzte und Wissenschaftler sammeln Wissen über das Virus und wie wir es bekämpfen können. Diverse internationale Teams arbeiten gemeinsam an Impfstoffen und Medikamenten.

Wir brauchen ein Narrativ der Gemeinsamkeit

Das sind zarte Pflänzchen, die gehegt und gepflegt werden müssen, damit am Ende dieser Krise die internationale Zusammenarbeit neue Stärke gewinnt. Und dafür können wir etwas tun: Wir setzten dem Narrativ einer Bedrohung, die von außen in das jeweilige Land gekommen ist und in einer Art Krieg besiegt werden muss, eine andere Erzählung entgegen, bei der Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, um die medizinischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie zu bewältigen. Eine Erzählung, die zeigt, wie sich die Welt in einer gemeinsamen Kraftanstrengung von einer Bedrohung befreit.

Blick über den Tellerrand, oder aus dem Fenster? Wichtig sind neue Einblicke – und Perspektivwechsel. © Getty Images

Dafür wiederum ist mehr internationaler Austausch erforderlich: einerseits natürlich von medizinischer Ausrüstung, Daten, wissenschaftlichen Erkenntnissen und Technologien, die unmittelbar zur Bewältigung der Pandemie genutzt werden können. Längerfristig geht es aber auch darum, ein breiteres Verständnis für die jeweiligen anderen Kulturen zu fördern. Denn nur, wenn wir einander besser verstehen, können wir uns und diese Welt besser als Ganzes sehen, uns miteinander verbinden und gemeinsame Ziele erkennen.

Eine einfache Möglichkeit, um das zu fördern, wäre beispielsweise ein Europäisches Soziales Jahr für alle Schulabgänger. Die Teilnehmer*innen würden in einem anderen Land bei Menschen leben, die einer anderen Kultur, Religion und sozialen Klasse angehören als sie selbst und dabei an gesellschaftlich relevanten Projekten arbeiten. Denn wer die Erfahrung macht, bei Menschen zu Gast zu sein, die anders sind als man selbst, gewinnt nicht nur neue Einblicke, sondern sieht auch die Welt durch die Augen des anderen. Und wer die Welt durch die Augen des anderen sieht, ist in der Lage, Empathie für andere zu empfinden – und in der Folge auch bereit für grenzüberschreitende Zusammenarbeit.

Herausforderungen bewältigen

Die Herausforderungen des Klimawandels oder der Migration sind weitere globale Herausforderungen, für die wir Solidarität, internationalen Austausch, gegenseitige Abstimmung und Unterstützung brauchen. So können wir langfristig wirksame und menschengerechte Lösungen erreichen. Dafür brauchen wir internationale Organisationen, um die jeweiligen Maßnahmen zu bündeln. Dies gilt auch bei der drohenden Verschärfung von sozialen Spaltungen, die durch COVID-19 und den Klimawandel befördert werden könnten. Nur wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen und zusammenarbeiten, statt der jeweiligen Anstrengungen gegenseitig zu untergraben und den kurzfristigen eigenen Vorteil zu suchen, kann es gelingen, auch diese Herausforderungen zu bewältigen.

Wenn wir lernen, dass wir globale Probleme nur lösen können, indem wir global zusammenarbeiten, wenn entsprechende Konsequenzen gezogen werden und die Solidarität die Oberhand über den zerstörerischen Nationalismus gewinnt – dann würde die Corona-Krise einen Lerneffekt hin zu einer geeinten Menschheit haben. Nach den Schrecken des 2. Weltkrieges gab es mit der Gründung der UNO, der WHO und anderen internationalen Organisationen einen solchen Effekt. Bis eine nächste globale Krise die Welt treffen wird, ist es nur eine Frage der Zeit. Diese Zeit gilt es zu nutzen, damit die Weltgemeinschaft dann von Beginn an als Gemeinschaft handelt.

Global Solutions Initiative

Die Global Solutions Initiative sucht Antworten auf wichtige globale Probleme, indem sie Forschende mit politischen und zivilgesellschaftlichen Entscheidungsträgern vernetzt.

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