Das beschäftigt uns 2022 in Europa

Europaflagge vor blauer Wand
Das beschäftigt uns 2022 in Europa
Autorin: Sophie Pornschlegel 24.03.2022

Krieg in der Ukraine, Klimawandel und Digitalisierung, anstehende Wahlen in der Europäischen Union und welche weiteren europapolitischen Herausforderungen und Themen in diesem Jahr wichtig werden – erklärt EU-Expertin Sophie Pornschlegel.

Am 24. Februar erlebte Europa eine „Zeitenwende“: Mit der russischen Invasion in die Ukraine wurde die europäische Sicherheitsarchitektur grundlegend in Frage gestellt. Wie reagiert die EU auf diese neue Situation?

Frieden und Stabilität wiederherstellen

Die Antwort der EU auf den russischen Angriffskrieg war unerwartet schnell: Die EU-Entscheidungsträger*innen einigten sich auf umfassende Sanktionsmechanismen sowie humanitäre und militärische Hilfe für die Ukraine. Doch die Auswirkungen der Invasion werden sich nicht nur in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bemerkbar machen: Der Krieg hat bereits zu einer Infragestellung der bisherigen Handlungsweise in zahlreichen anderen Bereichen geführt, von der europäischen Energiepolitik hin zur Industrie-, Handels- und Wirtschaftspolitik.

Die Beziehungen zu unseren Nachbarländern sowie weiterer Akteur*innen in diesem Konflikt, nicht zuletzt China, wurden ebenfalls in Frage gestellt. Dieses Thema wird mit großer Wahrscheinlichkeit alle anderen Themen überschatten und in den nächsten Monaten weit oben auf der Agenda der Staats- und Regierungschefs stehen.

Foto von Sophie Pornschlegel
© Frederike van der Straeten

Sophie Pornschlegel ist Senior Policy Analyst beim Brüsseler Think Tank European Policy Centre (EPC) und Projekt­leiterin von “Connecting Europe”

Nachhaltigkeit und Wohlstand in einer digitalen Zukunft

Neben den weiteren diplomatischen und wirtschaftlichen Bemühungen, die in diesem Jahr stattfinden werden, steht für die europäische Kommission weiterhin die „twin transition“ – die digitale und grüne Transformation – auf der Agenda.

2022 sollten wir zwei Gesetzesvorlagen besondere Beachtung schenken: Dem “Digital Services Act“ (DSA) der den Umgang mit personenbezogenen Daten regulieren soll. Und dem „Digital Markets Act“ (DMA), der den mangelnden Wettbewerb im digitalen Markt adressiert. Die französische Regierung, die zurzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, möchte noch vor April eine Einigung finden. Im Februar hat die EU-Kommission den “European Chips Act” vorgestellt, mit dem die Europäische Kommission die Halbleiterproduktion und -versorgung sichern will.

Im Rahmen des European Green Deals wurde im Sommer 2021 das “Fitfor55” Paket vorgestellt. Mit diesen Gesetzesvorschlägen will die Europäische Union den Ausstoß von Treibhausgasen um 55 Prozent senken. Bislang konnten sich die Verhandler*innen nicht einigen.  2022 wollen sie weiterdiskutieren. Zwar ist der Green Deal eine der Top-Prioritäten der EU-Kommission, doch bisher wurden ihr erst ein Drittel der Vorschläge vorgestellt, und davon wiederum erst ein Drittel von dem Parlament und dem Rat angenommen. Insbesondere die Abhängigkeit von russischem Gas hat die Frage nach der Energiesicherheit in den Mittelpunkt der Diskussionen gestellt. Dies könnte zu einem schnelleren Umbau hin zu erneuerbaren Energien führen, sofern die Politik sich dazu entscheidet.

Der Einmarsch Russlands hat die Frage nach der ‚strategischen Souveränität‘ zu einer absoluten Priorität gemacht.

Ein neuer Schwung in vielen Bereichen

Das sind nicht die einzigen Vorhaben auf EU-Ebene. In der EU-Außenpolitik soll in Zukunft enger zusammengearbeitet werden: Der Einmarsch Russlands hat die Frage nach der „strategischen Souveränität“ zu einer absoluten Priorität gemacht. Besonders herausfordernd wird es sein, die Stabilität auf dem europäischen Kontinent zu wahren, und in der EU-Außenpolitik mit einer Stimme zu sprechen.

Im Wirtschaftsbereich werden mit großer Sicherheit viele Entscheidungen getroffen. Mit den steigenden Energiepreisen aufgrund des Kriegs werden auch die Fragen nach Subventionen und weiterer europäischer Hilfen für die Wirtschaft diskutiert . Bisher gab es in diesem Bereich schon Fortschritte: Neben dem EU-Wiederaufbaufonds nach der Corona-Krise wurden über zwei Drittel der Kommissionsvorschläge von den Mitgesetzgeber*innen angenommen.

Frauen auf einer Demonstration gegen den Krieg
Weltweit demonstrieren Menschen für ein Ende des Ukraine-Krieges © Mondadori Portfolio / Getty Images

Bei der „Förderung unserer europäischen Lebensweise“ ist die EU in einem wichtigen Punkt vorangekommen: Um ukrainischen Flüchtlingen unkompliziert die Aufenthaltserlaubnis zu ermöglichen, wurde am 8. März einstimmig eine Richtlinie über vorübergehenden Schutz  beschlossen – obwohl eine Kompromissfindung in der Migrationspolitik zwischen den Regierungen in den Jahren zuvor unmöglich war. Es steht dennoch nicht fest, ob das neue Asyl- und Migrationspaket, das im September 2020 von der Kommission vorgestellt wurde, ebenso einfach von den Staats- und Regierungschefs im europäischen Rat angenommen wird.

Wichtige Wahlen für die Zukunft Europas

In diesem Jahr finden darüber hinaus in einigen Mitgliedstaaten Wahlen statt, die die Machtverhältnisse im Rat verändern werden. Am 3. April wählen die Ungar*innen ihr neues Parlament. Premierminister Viktor Orbán tritt gegen den neuen Oppositionsführer Peter Marki-Zay an. Es ist das erste Mal, dass die Fidesz-Partei von Orbán auf eine Opposition stößt, die die Wahl gewinnen könnte. In Slowenien ist 2022 ein Superwahljahr: Parlaments-, Kommunal- und Präsidentschaftswahlen stehen an. Die Regierungspartei, des derzeitigen Premierministers Janez Jansa, der in den letzten Jahren zunehmend aufgrund seiner rechtspopulistischen Äußerungen und Handlungen der EU auffiel, führt in den Umfragen zur Parlamentswahl am 24. April.

Für den 10. und 24. April sind die französischen Präsidentschaftswahlen angesetzt. Emmanuel Macron befindet sich in den Umfragen bei etwa 30 Prozent. Zwar hat der Krieg in der Ukraine dem Präsidenten zu einer größeren Popularität verschafft, auch weil die rechtsextremen Parteien aufgrund ihrer Russland-Nähe in schwieriges Fahrwasser geraten sind. Doch  die Gefahr des Rechtspopulismus schwebt weiter über diese wichtige Wahl.

Jubiläumsjahr der europäischen Integration

Es ist zwar aufgrund des Krieges in der Ukraine in den Hintergrund geraten, doch 2022 ist ein Jubiläumsjahr für die EU. Vor genau 30 Jahren, im Jahr 1992, wurde der Maastricht-Vertrag unterschrieben, der die EU-Staatsbürgerschaft eingeführt und die Weichen für die Währungsunion gestellt hat. Vor 20 Jahren, im Jahr 2002, ging der Euro als Bargeld in Umlauf. Vor 25 Jahren, im Jahr 1997, wurde der Amsterdamer Vertrag unterschrieben, der die Schengen-Zusammenarbeit in die EU-Verträge festgeschrieben und die gemeinsame Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres vorangebracht hat. Apropos Verträge: Im Mai dieses Jahres endet die Konferenz zur Zukunft Europas. Während dieses einjährigen Prozesses, wurden Bürger*innen in den EU-Entscheidungsprozess eingebunden. Ein wichtiger Moment, um sich mit der Zukunft der EU auseinanderzusetzen – und der Frage, ob Vertragsänderungen in naher Zukunft möglich wären.

Connecting Europe

Das Projekt Connecting Europe will die Kluft zwischen der EU und ihren Bürger*innen überbrücken und aktives Engagement von Zivilgesellschaft, Aktivist*innen, Bürger*innen, Think Tanks und der akademischen Welt in Entscheidungsprozessen der EU ermöglichen. Connecting Europe ist eine Initiative vom European Policy Centre (EPC) und von uns. Das EPC feiert im Jahr 2022 sein 25-jähriges Jubiläum.

https://www.epc.eu

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