Klimarisiken und Konflikte: Weltklimakonferenz und ihre Auswirkungen auf betroffene Länder
Der Klimawandel gefährdet den Frieden weltweit. Doch Länder, die von politischen Konflikten betroffen sind, leiden besonders unter den Klimarisiken. Warum die Ergebnisse der Weltklimakonferenz COP28 Mut machen, aber nicht ausreichen, erklären zwei Experten der International Crisis Group.
Die Weltklimakonferenz COP28 fand im Dezember 2023 in Dubai statt. Wie zufrieden sind Sie mit den Ergebnissen?
Ulrich Eberle: Zum ersten Mal in der 28-jährigen COP-Geschichte war das Thema Frieden ein offizieller Agendapunkt. 82 Länder haben die Declaration on Climate, Relief, Recovery and Peace unterzeichnet, das hat die Erwartungen vieler sicherlich übertroffen. Die Erklärung setzt sich für Klimamaßnahmen und deren Finanzierung in von Konflikten betroffenen Ländern ein. Dies ist ein willkommener und notwendiger erster Schritt. Denn: Länder, die sowohl von politischen Konflikten als auch vom Klimawandel betroffen sind, erhalten etwa 5 US-Dollar pro Kopf an Klimafinanzierung für die Anpassung, verglichen mit 15 US-Dollar für Länder, die nicht mit aktiven Konflikten zu kämpfen haben. Unter anderem haben auch China, das sich im UN-Sicherheitsrat kritisch über die Klimasicherheitsdiskussion geäußert hat, und Aserbaidschan, der COP-29-Gastgeber, unterzeichnet. Multilaterale internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbank, regionale Entwicklungsbanken sowie der Grüne Klimafonds (Green Climate Fund) und der Anpassungsfonds sind ebenfalls an Bord. In Summe ist sehr viel Schwung in das Thema gekommen.
Ulrich Eberle ist Direktor des Forschungsprojektes „Klima, Umwelt und Konflikt“ bei der ICG. Zuvor forschte Eberle unter anderem als Senior Analyst und Postdoctoral Fellow im Rahmen des Empirical Studies of Conflict Project der Princeton University.
Andrew Ciacci: Zusätzlich wurde schon am ersten Tag der Fonds für Verluste und Schäden durch den Klimawandel (Loss and Damage Fund) verabschiedet, der international mehr als 700 Millionen US-Dollar für den Umgang mit Klimaschäden bereitstellt. Das war eine große Überraschung und ein Jahr zuvor noch vollkommen undenkbar. Neben Deutschland haben sich überraschenderweise auch die USA beteiligt.
Um die weltweiten Verluste und Schäden durch den Klimawandel zu finanzieren, brauchen wir mehrere Hundert Milliarden US-Dollar jährlich.
Sind 700 Millionen US-Dollar genug?
Ciacci: Die Summe reicht bei Weitem nicht aus. Wir brauchen ein Vielfaches davon, um die weltweiten Verluste und Schäden durch den Klimawandel zu finanzieren: mehrere Hundert Milliarden US-Dollar jährlich. Es ist ein wichtiger erster Schritt, dass der Fund und die dazugehörige Organisationsstruktur überhaupt aufgesetzt werden. Doch in der Folge ist es entscheidend, dass eine Form von kontinuierlicher Finanzierung entwickelt wird. Also regelmäßige Beiträge der beteiligten Länder anstatt einmaliger Summen, die von der Großzügigkeit der jeweiligen Regierung abhängen. So könnte man den Loss and Damage Fund nachhaltig und skalierbar machen. Außerdem hätten wir uns gewünscht, dass es einen Leitfaden für die Beantragung von Fund-Geldern gibt, der den Prozess für von Konflikten betroffene Länder vereinfacht.
Andrew Ciacci ist bei der ICG seit 2022 als Forscher im Projekt „Klima, Umwelt und Konflikt“ tätig. Zuvor hat Ciacci unter anderem im Rahmen eines Fulbright-Stipendiums im Kosovo geforscht und im US-Senat gearbeitet.
Mehr Geld, weniger Bürokratie: Was brauchen diese Länder außerdem, um in Zukunft mit Klimarisiken umgehen zu können?
Eberle: Länder wie Afghanistan oder der Südsudan brauchen nicht nur Gelder, um Klimaschäden auszugleichen, sondern insbesondere auch Geld für Anpassungsmaßnahmen, um Überschwemmungen und Dürren bewältigen zu können. Zum Beispiel muss in Frühwarnsysteme und Infrastruktur sowie Deiche, Dämme und Wasserbewirtschaftungssysteme investiert werden. Fragile Länder haben oft jedoch nur reduzierten Zugang zu Geldern und technischem Wissen. Daher ist die Bevölkerung in diesen Ländern oft nicht vorbereitet auf die Klimaveränderungen, wodurch sich die humanitäre und Konfliktsituation noch verschlimmern kann.
Im Rahmen der COP28 haben mehrere Länder, darunter Deutschland, neue Gelder für den globalen Adaptation Fund (Klimaanpassungsfonds) versprochen, in Summe mehr als 190 Millionen US-Dollar. Ist das ausreichend?
Eberle: Nein, zum einen ist die Summe nicht ausreichend, zum anderen gibt es bisher keine Garantie dafür, dass diese Gelder dort ankommen, wo sie am meisten gebraucht werden. Beispielsweise sind in Afghanistan 40 Millionen Menschen von Klimarisiken bedroht. Doch der politische Wille, mit den Taliban bei der Klimafinanzierung zusammenzuarbeiten, ist aktuell gering. Diese Position ist aus menschenrechtlichen Gründen nachvollziehbar, aber aus humanitärer Sicht unrealistisch. Afghanistan hat sehr wenig zum Klimawandel beigetragen, und es wird erhebliche internationale Hilfe benötigen, um damit fertigzuwerden. Ein weiteres Problem: Es gibt kein verbindliches systematisches Reporting für den Einsatz von Klimaanpassungsgeldern. Es ist nicht immer klar, welche Maßnahmen unter Anpassung laufen dürfen und wofür die Gelder verwendet werden. Daher wissen wir auch nicht genau, in welchen Ländern es welche Finanzierungslücken gibt. Ich hoffe, dass es zumindest für den neuen Loss and Damage Fund ein besseres Reporting geben wird.
Die Crisis Group analysiert weltweit, wie sich Klimarisiken auf Konfliktländer auswirken. Gibt es ein Patentrezept, das allen hilft?
Ciacci: Es ist richtig, dass diese Länder generell deutlich zu wenig Gelder erhalten. Wir müssen in Zukunft jedoch stärker differenzieren, wie sich die jeweiligen Konflikte in den Ländern auf die Klimafinanzierung auswirken. Afghanistan braucht Geld und weiß, wie es einzusetzen wäre. Doch die Gelder wurden eingefroren, seit die Taliban die Macht übernommen haben. In Somalia möchte die Regierung Klimamaßnahmen durchführen, doch ihr fehlt die Kontrolle und der Zugang – große Teile des Landes und der Bevölkerung werden von der Terrororganisation Al-Shabaab und anderen nicht staatlichen Akteuren kontrolliert. Im Südsudan wiederum herrscht oft Missmanagement, es gibt Korruption und verschiedene regionale Konflikte. Das erschwert dort die Klimaanpassung. Helfen würden hier internationale Klimaprogramme, die Konflikte stärker berücksichtigen, und eine bessere Koordination zwischen humanitären Organisationen, Entwicklungsbanken und Friedensakteur*innen.
Eberle: Die Amazonasgebiete in Brasilien, Kolumbien und Peru stehen wiederum vor ganz anderen Herausforderungen, die in der Declaration on Climate, Relief, Recovery and Peace nicht erwähnt wurden. Hier geht es nicht nur um Klimaanpassungsmaßnahmen, sondern auch um die Bewahrung und die Wiederherstellung des Regenwaldes. Dies wird erschwert durch organisierte Kriminalität, die zu hohen Mordraten und Umweltzerstörung durch Landwirtschaft und illegalen Bergbau führt. All das hat einen großen Einfluss auf die Natur und beeinträchtigt vor allem indigene Stämme, die schon sehr lange im Regenwald leben und wissen, wie man ihn bewahrt. Ich hoffe, dieses Thema wird spätestens bei der COP 30 mehr Aufmerksamkeit bekommen, wenn Brasilien die Präsidentschaft übernimmt.
Herr Ciacci, Sie waren im Oktober 2023 drei Wochen im Südsudan. Werden die Beschlüsse der COP28 dort etwas verändern?
Ciacci: Ehrlich gesagt bin ich unsicher, ob es dort eine echte Veränderung geben wird. Es gibt sehr unterschiedliche Interessen. Im Bundesstaat Jonglei leben 1,5 Millionen Menschen, die seit 2019 von Überflutungen betroffen sind. Sehr viele wurden aus ihrer Heimat vertrieben und konkurrieren nun mit ihren Nachbar*innen um Land und Ressourcen. Es gibt Spannungen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen, die durch die Fluten verstärkt werden. Wir haben eine Gruppe getroffen, die die Überflutungen positiv bewertete, weil so Angriffe durch andere Gruppen verhindert würden. Für andere Gemeinschaften waren die Fluten extrem gefährlich, andere wiederum ziehen sie zumindest den Dürren vor. Entscheidungsträger*innen müssen daher sicherstellen, dass die politischen Ambitionen der COP-28-Friedensinitiative in effektive Klimaprogramme transformiert werden, welche die oft komplexe Situation vor Ort berücksichtigen.
Die Crisis Group setzt sich für Frühwarnsysteme in Ländern wie dem Südsudan ein.
Ciacci: Diese Systeme sollen frühzeitig vor Klimafolgen warnen und bestenfalls helfen, die Menschen zum Beispiel vor bevorstehenden Überschwemmungen via Radio und anderen Medien zu warnen. Sie sind relativ kosteneffizient. Doch im Südsudan haben wir beobachtet, dass manche Bevölkerungsgruppen die Informationen aus Frühwarnsystemen von den Behörden erhalten haben, andere nicht. Die Frage, wer welche Informationen erhält, ist in Ländern, die von Konflikten und Klimawandel betroffen sind, eine sehr politische. Daher ist es wichtig, dass Frühwarnbenachrichtigungen unabhängig sind und ein freier Zugang zu diesen wichtigen Informationen gewährleistet ist. Gleichzeitig müssen Frühwarnsysteme Konfliktpotenziale besser in Betracht ziehen, um Konflikte wegen knappen Landes und Wasser vorhersagen zu können. Neue Technologien geben hier Grund für Optimismus: Die neueste Generation von Satelliten und Klimamodellen erlaubt eine recht präzise Klimakatastrophenvorhersage und -beobachtung – auch dort, wo der Zugang durch Konflikte und Fluten beeinträchtigt ist.
International Crisis Group
Die International Crisis Group (ICG) ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die globale Konflikte vor Ort erforscht, analysiert und Lösungen entwickelt. Sie finanziert sich über Spenden von Regierungen, Stiftungen, Privatpersonen und Unternehmen. ICG berät Institutionen wie die Vereinten Nationen und die Europäische Union zu aktuellen oder drohenden Konflikten.