China will’s schlichten
China engagiert sich immer häufiger als Mediator in Kriegen und Konflikten im Nahen Osten und in Asien. Warum gerade jetzt? Und warum gerade dort?
„Als Instrument der Diplomatie und Außenpolitik kommt Mediation beinahe so häufig vor wie Konflikte selbst.“ Das schrieb einer, der es wissen musste: Jacob Bercovitch war Professor für Internationale Beziehungen an der University of Canterbury in Neuseeland. Er starb 2011, seine Erkenntnisse zu Mediation und Konfliktlösung gelten jedoch weiterhin als maßgebend.
Eine Nation, die obiges Zitat zunehmend widerspiegelt, ist die Volksrepublik China. Seit 2012 hat sich die Zahl der Konflikte, in denen sie sich als Schlichter anbietet, von drei auf neun verdreifacht. Bedenkt man, dass Mediation ein freiwilliges „Zusatzgeschäft“ ist, das Zeit frisst, Risiken beinhaltet und noch dazu im Misserfolg enden kann, ist das eine beachtliche Zahl. Warum stellt sich China dieser Aufgabe?
„China will eine führende Weltmacht werden“, beginnt Helena Legarda die vielschichtige Antwort auf diese Frage. Die Harvard-Absolventin forscht am Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin zu Chinas Außen- und Sicherheitspolitik. „Dazu ist es nötig, auch das Image einer verantwortungsvollen Weltmacht zu verkörpern.“ Durch die Vermittlerrolle in Kriegen oder Konflikten, die sich so festgefahren haben, dass die beteiligten Konfliktparteien sie nicht selber lösen können, erhofft sich die Volksrepublik also einen Imagegewinn. Und je besser das Ansehen auf der Weltbühne, umso eher könne China darauf eine Rolle spielen: „China will mitreden“, fasst Legarda zusammen.
China will eine führende Weltmacht werden. Dazu ist es nötig, auch das Image einer verantwortungsvollen Weltmacht zu verkörpern.
Vielfältige Motivationen
Dass sich China aus dem Engagement überhaupt etwas erhoffen kann, liegt an einer Charakteristik von Mediation: Niemand tut etwas grundlos. „Das ultimative Ziel der Mediation ist, interne oder internationale Konflikte friedlich zu beenden oder den Weg dahin zu ebnen“, sagt Legarda, „doch natürlich verfolgt jedes Land auch seine eigenen Interessen in diesem Prozess.“ Seitdem sich das Feld professionalisiert hat, sind die Motivationen der Schlichter zum Untersuchungsgegenstand geworden. Forscher*innen wie Jacob Bercovitch nehmen den Mediationsprozess auseinander, analysieren Strategien, Rollen und die Gründe, die einen Akteur zum Mittler werden lassen.
Sie können in vielen Gewändern daherkommen. Eine Regierung kann zum Beispiel deshalb zum Mediator werden, weil sie ein klares Mandat dazu hat – vorgegeben durch die Mitgliedschaft in einem internationalen Bündnis, das ein solches Vorgehen vorsieht. Auch die direkte Anfrage einer Konfliktpartei ist nach Bercovitch ein Grund. Oder die Tatsache, dass der Disput den eigenen politischen Zielen zuwiderläuft.
Ein Blick auf die Landkarte offenbart laut Helena Legarda ein geostrategisches Ziel Chinas: „Die Länder, in denen China als Mediator aktiv ist, decken sich stark mit denen der Belt-and-Road-Initiative“, so die Wissenschaftlerin. Mit diesem riesigen Infrastrukturprojekt sollen Handelsverbindungen über Land- und Seewege nach Europa und Afrika etabliert und neue Exportgebiete erschlossen werden. „China hat ein Interesse daran, in den beteiligten Ländern für Stabilität zu sorgen, damit der Handel fließen kann.“
So ist auch der Zeitraum nicht verwunderlich, in dem die Mediationstätigkeiten zunahmen: 2012 kam Xi Jinping an die Macht, 2013 gab er den Startschuss für die „Neue Seidenstraße“, wie die Belt-and-Road-Initiative auch genannt wird. Seitdem wächst das Engagement in den nationalen und internationalen Konflikten in Nachbarländern und strategisch wichtigen Handelszentren.
Kurzfristige Lösungen
Dass China zur Lösung von Kriegen und Konflikten beitragen möchte, wirkt nach Legarda auf den ersten Blick genauso verantwortungsvoll, wie die Volksrepublik sich in den Augen der Welt gern widergespiegelt sähe. Sie beobachtet jedoch eine Problematik: „China engagiert sich überwiegend in den ersten Phasen der Konfliktlösung, indem es zum Beispiel die Kommunikation zwischen den Konfliktparteien vorantreibt und alle an einen Tisch bringt“, erklärt die MERICS-Wissenschaftlerin. Was dann aber ausbliebe, seien die notwendigen Schritte, um eine langfristige Lösung zu finden – sprich andere Akteure einzubeziehen, Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten oder an der Bildung von Übergangregierungen mitzuwirken. „Darin war China bislang erfolglos.“ Ein Beispiel ist der Krieg in Syrien: „China ist an einem Waffenstillstand interessiert. An der Bildung von demokratischen Institutionen oder einer Übergangsregierung, wie es zum Beispiel die EU verfolgt, würde es sich nicht beteiligen,“ so Legarda.
Hier wird auch deutlich, dass China in einigen Fällen einen Alleingang unternimmt. Koordination mit anderen Akteuren im Mediationsprozess findet nicht immer statt. „Das war der Fall zwischen der Taliban und Kabul. China lud die beiden Konfliktparteien nach Peking ein, um dort Gespräche zu führen, während die USA und andere Akteure das Gleiche versuchten.“ Ein einheitliches, abgestimmtes und koordiniertes Vorgehen, wie es der erwähnte UN-Guide anregt, zeige China eher nicht. Problematisch sei laut Legarda, dass China derzeit keine großen Anstrengungen unternähme, um langfristige Lösungen zu finden.
Mediationsmethoden
Shuttle diplomacy
Mediator*innen reisen zwischen den Konfliktparteien hin und her und versuchen, die Kommunikation zu etablieren, zu der die Parteien bis dato noch nicht bereit sind.
Leverage aid
Hilfe, zum Beispiel in Form von Geldern, wird als Druckmittel benutzt, um Konfliktparteien zur Mediation zu bewegen.
Document diplomacy
Das Teilen von Informationen (etwa Guidelines, Friedensverhandlungsangebote) zwischen den Konfliktparteien wird etabliert bzw. erhöht.
Multilateral contact groups
Mehrere verschiedene Akteure sind an einer Mediation beteiligt und diskutieren multilateral im Gremium.
Top-level visits
Hochrangige Regierungsmitglieder besuchen sich, um die Konfliktlösung voranzutreiben.
Special envoy diplomacy
Besondere Gesandte besuchen die Konfliktzonen und betreiben Mediation vor Ort.
Host diplomacy
Das Gegenteil von Top-level visits: Die Konfliktparteien werden von Mediatoren in deren Land eingeladen, um dort Gespräche zu führen.
Hohe Besuche, hohe Sichtbarkeit
China setze nach Legardas Recherchen auf Mediationsmethoden, die sich auf höchster Ebene abspielen: Besuche hoher Regierungspersönlichkeiten, Einladungen der Konfliktparteiobersten nach Peking statt Mediation „im Feld“ oder „document diplomacy“, also das Etablieren eines Informationsaustausches zwischen Konfliktparteien. China favorisiere bilaterale Wege mit hoher Sichtbarkeit in der Welt. „Sie erfüllen gleich zwei Zwecke“, so Helena Legarda, „den diplomatischen und die Arbeit an einem besseren Image.“ Zudem seien Kontakte zu anderen Regierungen förderlich, wenn es um den Ausbau der Neuen Seidenstraße ginge, für dessen Teilprojekte die Zustimmung von Staatsoberhäuptern essenziell sei.
Insgesamt gesehen bilde Mediation zwar nur einen Teil von Chinas Außen- und Sicherheitspolitik. Doch er spiele sich genau dort ab, wo China einen Platz anstrebt: in der ganzen Welt.
Mercator Institute for China Studies (MERICS)
Die Partnergesellschaft der Stiftung Mercator forscht zu China und den Beziehungen des Landes zu Deutschland und der Welt. Seit 2013 liefert sie Analysen, Informationen und Expert*innenwissen an Entscheidungsträger*innen aus Politik und Wirtschaft sowie an die Medien.