Merhaba vom Markt – so geht europäischer Austausch 2023
Was können junge Erwachsene von Gleichaltrigen aus anderen Ländern lernen, um ihre eigene Stadt zu gestalten? Dieser Frage ging eine Gruppe aus der Türkei, Deutschland und Frankreich in diesem Sommer auf einer Reise durch Europa nach. AufRuhr stellt drei der Teilnehmer*innen vor. Wie haben sie den Austausch erlebt?
Es ist ein besonderer Moment für 50 Jugendliche aus der Türkei, Frankreich und Deutschland an diesem heißen Sommertag in Osnabrück. Draußen suchen Passant*innen Schatten in den trubeligen Straßencafés. Doch im altehrwürdigen Friedenssaal des Rathauses ist von sengender Hitze nichts zu spüren. Der Saal ist ein ganz besonderer Ort. Hier saßen vor 375 Jahren die Herrschenden Europas in prächtigen Gewändern beisammen und verhandelten das Ende des Dreißigjährigen Krieges. In den Monaten von Mai bis Oktober 1648 war es dann so weit: In Osnabrück und Münster wurden die Verträge zum „Westfälischen Frieden“ beschlossen.
Heute geht es legerer zu im Friedenssaal in Osnabrück. AufRuhr trifft drei Jugendliche, die bei dem Projekt „Europa beginnt in deiner Stadt“ der Deutsch-Türkischen Jugendbrücke und dem Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW) dabei sein durften: Cemre aus Çanakkale, Martin aus Angers und Deyana aus Osnabrück. In den letzten drei Wochen sind sie Freund*innen geworden auf einer Reise quer durch Europa. Sie wanderten gemeinsam in den türkischen Bergen, besichtigten einen Windpark bei Osnabrück und absolvierten den Workshop „Wenn die Welt ein Dorf mit 100 Menschen wäre – nachhaltige Städte entwerfen“. Das war ein intensiver Austausch über Nachhaltigkeit, Integration und Inklusion. Nun übergeben sie zusammen mit den anderen Teilnehmer*innen die „Osnabrücker Erklärung“ an Bürgermeisterin Birgit Strangmann. 14 Punkte umfasst das Papier, Visionen wie mehr Natur in der Stadt oder keine Lebensmittel mehr verschwenden. Und vor allem: Frieden als alternativloses Ziel politischen und menschlichen Handelns. Es sind die Träume von Cemre, Martin und Deyana. AufRuhr hat mit den drei Europäer*innen gesprochen.
Cemre Ince Huriye aus Çanakkale, Türkei, 27 Jahre: „Beeindruckt hat mich, wie der Müll in Frankreich und Deutschland getrennt wird.“
„Nach meinem Bachelorabschluss im Fach Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen habe ich begonnen, mit Jugendlichen zu arbeiten. Dazu gehörten auch verschiedene internationale und nationale Jugendarbeitsprojekte. Für ein kurzfristiges Freiwilligenprojekt des Europäischen Solidaritätskorps war ich in Polen. Nun bin ich ehrenamtliche Mitarbeiterin des Jugendvereins Çanakkale Koza und kümmere mich dort um viele spannende Projekte.
Auf unserer Reise habe ich festgestellt, wie sehr wir alle vom Klimawandel betroffen sind: Trockenheit, Sturzfluten, Waldbrände. Wir haben alle unter ähnlichen Folgen zu leiden. Aber es gibt auch Unterschiede. Die Menschen aus Frankreich und Deutschland sind sich des Themas Umweltschutz viel bewusster, ihre Städte sind sauberer. Leider fehlt uns in der Türkei dieses Denken noch. Beeindruckt hat mich, wie der Müll in Frankreich und Deutschland getrennt wird.
Die Energie in unserer Gruppe war großartig. Alle mochten sich. Es gab keine Vorurteile. Alle waren freundlich und jederzeit offen für Gespräche. Morgens, wenn wir noch schläfrig waren, machten wir bereits Witze.“
Martin Teyssier aus Angers, Frankreich, 19 Jahre: „Es ist diese Art des Austauschs zwischen jungen Europäer*innen, die ein friedliches Zusammenleben der Menschen sichert.“
„Ich komme aus Angers, der angeblich grünsten Stadt Frankreichs. Pro Einwohner*in gibt es Grünflächen von mindestens 500 Quadratmetern. Nach der Schule habe ich ein Studium an der Universität Grenoble begonnen: Jura, Sprachen und internationales Recht. Schon immer habe ich mich für Ziele engagiert, die mir am Herzen liegen, etwa für die Rechte von Flüchtlingen, Menschen im Exil und für Umweltschutz.
Später möchte ich einmal für eine Organisation wie Amnesty International arbeiten. Ich glaube, dass nachhaltige Entwicklung die größte Herausforderung für die Menschheit ist – sowohl unter Berücksichtigung ökologischer als auch sozialer Aspekte. Deshalb war diese Reise für mich die perfekte Gelegenheit, mein Engagement umzusetzen und andere Kulturen – insbesondere die türkischen und deutschen Vorstellungen des ökologischen Wandels – zu entdecken. Ich bin sehr glücklich, Teil dieser Gruppe zu sein. Es war eine großartige Erfahrung, die unbedingt gefördert werden sollte. Ich denke, es ist diese Art des Austauschs zwischen jungen Europäer*innen, die ein friedliches Zusammenleben der Menschen sichert. Trotz unserer Unterschiede können wir alle zusammenarbeiten.
In Osnabrück gefiel mir der öffentliche Nahverkehr besonders gut. In Çanakkale fiel mir auf, dass die Wasserqualität schwankt, weshalb die Menschen lieber Wasser kaufen als das aus der Leitung zu trinken wie bei uns in Frankreich. Leider sammeln sich dadurch mehr Plastikflaschen an.
Ich halte die Arbeit auf lokaler Ebene für sehr wichtig. Wenn dort allen klar wird, wie immens wichtig Umweltschutz ist, dann wird die Regierung auch auf nationaler Ebene reagieren.“
Deyana Mohammad aus Osnabrück, Deutschland, 21 Jahre: „Ich hatte im Leben selten die Gelegenheit, so viele Menschen mit so vielen unterschiedlichen Erfahrungen kennenzulernen.“
„Ich arbeite ehrenamtlich für die Stadt Osnabrück. Gerade habe ich mein Abitur erfolgreich absolviert. Im Herbst möchte ich ein Pharmaziestudium anfangen – am liebsten in Hamburg. Am Projekt ,Europa beginnt in deiner Stadt‘ habe ich teilgenommen, um neue Menschen kennenzulernen und meinen Beitrag für Frieden zwischen Menschen und Ländern zu leisten. Als gebürtige Syrerin weiß ich, wie wichtig das ist. Ich spreche sechs Sprachen und konnte viel davon nutzen. Es ging für mich auch um den Austausch über Probleme wie Geschlechterungleichheit in der Bildung oder darum, wie ich meine Stadt verschönern kann.
Gemeinsam mit anderen jungen Menschen will ich ein starkes Zeichen setzen, dass wir für ein gerechtes und friedliches Europa stehen. Wir haben viel über Politik gesprochen. Unsere Politiker*innen arbeiten hart, aber nicht genug, um den Klimawandel zu verhindern. Wir selbst können durch kleine Schritte viel verändern und unsere Umwelt schützen.
Çanakkale ist eine sehr schöne Stadt. Ein paar Dinge könnten noch weiterentwickelt werden: Weniger Plastikflaschen wären gut. Und der Müll müsste sortiert werden – auch wenn wir Deutschen da etwas pingelig sind.
An Angers hat mir sehr gefallen, dass die Stadtverwaltung sehr offen ist und nichts hinter verschlossenen Türen verbirgt. Es hört sich banal an, dass wir als junge Menschen aus verschiedenen Ländern zusammengekommen sind. Ist es aber nicht. Ich hatte im Leben selten die Gelegenheit, so viele Menschen mit so vielen unterschiedlichen Erfahrungen kennenzulernen. Wir haben viel voneinander gelernt zu Nachhaltigkeit und Klimawandel. Wir wollen auch nach dem Treffen den Kontakt halten. Es sind Freundschaften entstanden, die ich ein Leben lang pflegen möchte.“
Deutsch-Türkische Jugendbrücke
Die Deutsch-Türkische Jugendbrücke und das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) bringen mit Unterstützung der Stiftung Mercator im Rahmen der Initiative „Europa beginnt in deiner Stadt“ junge Europäer*innen im Alter von 13 bis 30 Jahren in den Austausch. Ziele der Initiative sind die Wiederbelebung des europäischen Jugendaustauschs, die Stärkung der Jugendpartizipation sowie die Integration und die Inklusion von Jugendlichen in politische Prozesse auf kommunaler Ebene.