Brücke über den Bosporus

Fuat Keyman
Brücke über den Bosporus
Autorin: Anna E. Poth 27.10.2022

Als Direktor der Istanbul Policy Center–Sabancı University–Stiftung Mercator Initiative ist Fuat Keyman ein Brückenbauer zwischen der Türkei, Deutschland und dem Rest Europas. Was hat sich verändert in den vergangenen zehn Jahren seit Gründung der Initiative? Wo bröckeln die akademischen, sozialen und politischen Verbindungen, und wie viel Kitt existiert trotz Krisen?

Bevor Fuat Keyman sein Büro in der Sabancı University betritt, hält er inne. Er öffnet seine Tasche und blickt hinein. Hat er seine Brille dabei? Sie hat ein schmales Gestell und bedeutet ihm viel. Keyman hat gleich mehrere Exemplare. Ohne Brille wäre seine Arbeit nicht machbar. Kein Lehren. Kein Schreiben. Kein Lesen. Dass er mehrere Brillen desselben Typs hat, wissen im Istanbul Policy Center alle. Brillen, die an einer Kette um den Hals hängen, könne er nicht ausstehen, genauso wenig wie starke hierarchische Strukturen in der Wissenschaft, sagt er.

Guter Standort, guter Austausch

Fuat Keyman ist seit über zehn Jahren Direktor des Istanbul Policy Centers der Sabancı University. Die Istanbul Policy Center–Sabancı University–Stiftung Mercator Initiative möchte die akademischen, sozialen und politischen Verbindungen zwischen der Türkei und Deutschland sowie dem Rest Europas stärken. Im Mittelpunkt stehen dabei der Austausch von Forschenden und die wissenschaftliche Zusammenarbeit, beispielsweise bei Themen wie Klima oder kulturelle Vielfalt. Dieses Jahr feiert die Initiative ihr zehnjähriges Bestehen. Fuat Keyman erzählt im Zoom-Interview, dass vor dem Start der Kooperation viel Wert auf eine gute Verkehrsanbindung und einen guten Standort gelegt wurde. Das Istanbul Policy Center ist mit Straßenbahn, Fähre oder Bus perfekt zu erreichen. Ein guter Ausgangspunkt für Austauschprogramme und internationale Projekte.

Der Direktor in seinem Büro: Fuat Keyman führt seit über zehn Jahres das IPC.
Der Direktor in seinem Büro: Fuat Keyman führt seit über zehn Jahres das IPC. © Tolga Sezgin

Aufbruchstimmung in Istanbul

Offiziell startete die Initiative im Januar 2012. Damals war Recep Tayyip Erdoğan bereits AKP-Vorsitzender. In Istanbul herrschte Aufbruchstimmung. Viele Menschen orientierten sich westlich und glaubten an eine bessere Zukunft. Die Clubs und Bars waren voll mit Tourist*innen und Studierenden aus aller Welt. Doch im Mai 2013 ging die Regierung gewaltsam gegen Demonstrierende vor. Dabei wurde deutlich, dass der Staat nun einen anderen politischen Kurs verfolgte. Für das starke und gewaltsame Eingreifen der Polizei und Gendarmerie im Gezi-Park und bei weiteren Demonstrationen erntete Erdoğan internationale Kritik. Auch die Bürger*innen in der Türkei verurteilten sein Vorgehen. Zudem sorgte der andauernde Konflikt mit der kurdischen Minderheit im Osten des Landes für weitere Spannungen. Es folgten der Bürgerkrieg in Syrien, das Flüchtlingsabkommen mit der Europäischen Union, die Terroranschläge in Frankreich und Deutschland und der Fall Khashoggi in Istanbul. Nicht zuletzt belastet die Inhaftierung und Verurteilung des Künstlers und Bürgerrechtlers Osman Kavala die Beziehungen. Die Inflation in der Türkei ist auf einem neuen Rekordniveau. Kürzlich besuchte Erdoğan den Kronprinzen Mohammed bin Salman in Saudi-Arabien. Der Fall Khashoggi war kein Thema mehr. Erdoğan strebt mit Saudi-Arabien eine engere Zusammenarbeit an. Dahinter steckt wohl der Wunsch, die Türkei zu einer Regionalmacht auszubauen.

Keymann verfolgt den Weg von BioNTec-Gründer Uğur Şahin. Beide Männer sind in der Türkei geboren – Şahin in İskenderun, Keymann in Ankara.
Keymann verfolgt den Weg von BioNTec-Gründer Uğur Şahin. Beide Männer sind in der Türkei geboren – Şahin in İskenderun, Keymann in Ankara. © Tolga Sezgin
Fuat Keyman ist der Stadt Istanbul sehr verbunden.
Fuat Keyman ist der Stadt Istanbul sehr verbunden. © Tolga Sezgin

Erdoğans Kurs gefährdet wissenschaftliche Freiheit

Heute – zehn Jahre später – ist die Stimmung im Stadtteil Karaköy in Istanbul eine andere. Im Zoom-Gespräch in englischer Sprache fällt immer wieder der Begriff „Environment“, der hier noch viel mehr umschreibt als nur das Umfeld und die politische Lage in der Türkei. Auch eine Umschreibung von Gefühl, Atmosphäre und Temperatur stecken in diesem Begriff. Keyman beschreibt, wie die Terroranschläge und der politische Kurs Erdoğans die Zusammenarbeit mit Europa und vor allem mit Deutschland negativ beeinflusst haben. Er spricht in einem ruhigen und analytischen Ton

Große Verantwortung gegenüber Studierenden

Der Kurs der aktuellen türkischen Regierung ist im Istanbul Policy Center zu spüren. Keyman fügt hinzu, dass er sich immer wieder abgrenzen müsse. Er kennt viele, die ihren Job verloren haben und von der türkischen Regierung verklagt wurden. Oftmals haben sie nicht nur ihren Job verloren, sondern auch ihren Pass und somit einen großen Teil ihrer Rechte. Teilweise hätten sie in den vergangenen Jahren von „Scholars at Risk“ gesprochen, betont Keyman. Er spürt eine große Verantwortung gegenüber seinen Studierenden. Er hilft ihnen, so viel er kann. Manche seien bereits nach Berlin oder außerhalb Europas gezogen, um nicht sich oder ihre Familien zu gefährden.

Trotz der angespannten politischen Lage sagt Keymann: „Wir haben in Istanbul immer noch eine exzellente Universität mit wissenschaftlicher Freiheit.“
Trotz der angespannten politischen Lage sagt Keymann: „Wir haben in Istanbul immer noch eine exzellente Universität mit wissenschaftlicher Freiheit.“ © Tolga Sezgin

Keyman bleibt optimistisch

Keyman richtet seine Brille und atmet tief ein und aus. Er blickt auf seine Notizen, die er vor dem Gespräch aufgeschrieben hatte. „Wissen Sie, ich habe entschieden, weiterzuarbeiten und zu lehren. Lehren kann ich immer.“ Trotz der angespannten politischen Lage bleibt er optimistisch: „Wir haben in Istanbul immer noch eine exzellente Universität mit wissenschaftlicher Freiheit.“

„Was hast du heute Gutes getan?“

Die positive und optimistische Einstellung habe er von seiner Mutter mitbekommen, ergänzt Keyman. Sie habe ihre Kinder dazu motiviert, sich abends vor dem Schlafengehen zu fragen: „Was hast du heute Gutes getan?“ Dadurch sei er zu einem positiven und konstruktiven Menschen geworden, so Keyman. Diese Einstellung beflügelt ihn bis heute. Obwohl es durch Erdoğans Kurs in den letzten Jahren schwieriger wurde, haben sich das Team um Fuat Keyman und die Stiftung Mercator entschlossen, die Initiative weiter fortzuführen. Gemeinsam treibt sie die Überzeugung an, dass die Türkei eine bessere Zukunft hat, wenn der politische Kurs demokratischer wird und sie sich wieder mehr an der Europäischen Union und am Westen orientiert. Mittlerweile ist die 10-jährige Partnerschaft weltweit bekannt. Keyman sieht seine Überzeugung dadurch bestätigt, dass sie es in schwierigen Zeiten geschafft haben, weiterhin Brücken zwischen der Türkei, Deutschland und der EU zu bauen: „Wir sind hoffnungsvoll und weniger ängstlich.“

Erstmals verbündet: oppositionelle Parteien

In der Türkei ist die politische Opposition gewachsen. Für die kommenden Wahlen im Jahr 2023 hat sich erstmals in der türkischen Geschichte eine Allianz der oppositionellen Parteien gebildet. Zusammen möchten sie erreichen, dass die aktuelle Regierung die Wahlen verliert. Keyman hofft, dass das Vorhaben gelingt und die Türkei einen „U-Turn“ macht. Er blickt noch einmal kurz auf seine Notizen, bevor er seine Brille absetzt. „Wenn 2023 Erdoğan doch im Amt bleibt, werden wir uns kurz umorientieren und weitermachen.“


Istanbul Policy Center

Das Istanbul Policy Center (IPC) fördert den Austausch von Menschen und Ideen in der Türkei. Als Thinktank forscht es zu Themen wie Klimawandel, institutionelle Reformen, Energiewende, Urbanisierung oder Konfliktlösungen. Herzstück der Initiative mit der Stiftung Mercator bildet das Fellowship-Programm.

https://ipc.sabanciuniv.edu/en