Wer hat Angst vor Lokal­politik?

Voller Einsatz für die Kommunalpolitik
Wer hat Angst vor Lokal­politik?
Autorin: Carola Hoffmeister 14.03.2023

Die Politik, insbesondere die Kommunal­politik, verlangt vollen Einsatz von den Beteiligten. Hatespeech und Vorwürfe gehören mitunter zum Alltag. Warum es trotzdem gut ist, sich in seiner Stadt politisch zu engagieren, erklären zwei Frauen aus Tschechien, die an dem Projekt „Taking the fear out of local politics“ der Via Foundation teilgenommen haben – zu deutsch: keine Angst vor Lokal­politik.

Petra Korlaar und Hana Rakšány Dvořáková, das Projekt hat Sie während Ihrer Kandidatur bis zu den Kommunal­wahlen im September 2022 begleitet. Warum? Was haben Lokal­politiker*innen zu befürchten?

Petra Korlaar: 30 Jahre nach der Revolution in Tschechien ist die politische Arbeit hierzulande immer noch stark mit Stigmata behaftet. Zum einen gibt es die Furcht, in der Politik korrumpier­bar zu sein – von Geld, Macht und Beziehungen. Und zum anderen die Angst, Ziel­scheibe zu sein und verantwortlich gemacht zu werden für Missstände, die wir möglicher­weise versuchen, zu beheben.

Hana Rakšány Dvořáková: An dem Projekt „Taking the fear out of local politics“ konnten angehende Politiker*innen aus ganz Tschechien teilnehmen, egal ob sie aus kleinen Dörfern wie ich oder größeren Städten stammen. In Bezug auf den Titel habe ich in erster Linie gelernt, dass es nicht darum geht, Politik alleine zu stemmen – als einsame Macht­haber*in an der Spitze. Sondern dass Politik vielmehr Team­arbeit ist und dass wir versuchen sollten, so viele Menschen wie möglich an Bord zu holen.

Petra Korlaar

Petra Korlaar hat zuvor in einer Kunst­galerie mit Schwer­punkt auf abstrakter europäischer Nach­kriegs­kunst gearbeitet. Für ihre elfjährige Tochter macht es bislang noch keinen großen Unterschied, ob Korlaar bei Eröffnungen in einer Galerie oder im Rathaus auf der Bühne steht.

Sie haben beide die Wahl gewonnen: Petra, Sie sind nun stellvertretende Bürger­meisterin von Mikulov, einer Stadt in Südmähren in Tschechien, gar nicht weit von der Grenze zu Nieder­österreich entfernt. Hana, Sie sind Bürger­meisterin von Kanice, einer Kleinstadt etwa elf Kilometer von Brno entfernt, der zweit­größten Stadt Tschechiens. Waren Sie schon immer politisch engagiert?

Petra: Nein, gar nicht. Meine Lebenserfahrung ist irgendwie „europäisch“: Ich habe als Kind acht Jahre lang in Paris gelebt, bin in Brno aufgewachsen und habe dort studiert. Anschließend war ich fünf Jahre in London. Nach der Geburt meiner Tochter bin ich mit meinem Mann, der aus den Niederlanden stammt, nach Mikulov gezogen, also in eine touristisch sehr ansprechende, eher dörflich anmutende Gemeinde mit etwa 7.000 Einwohner*innen. Damals gab es in meinem Alltag viele Momente, in denen ich über die Abläufe in Behörden oder Institutionen gestolpert bin und dachte: Das könnte man aber so viel besser machen! So kam ich dazu, mich in die Gemeinschaft einzu­bringen und etwa für Initiativen von Bürger*innen kulturelle Events zu organisieren. Während­dessen wurde mir immer klarer, dass ich noch viel mehr erreichen könnte, wenn ich mehr Macht hätte. Wenn ich nicht einfach nur Bürgerin wäre, sondern Politikerin. Und so nahm der Wunsch in mir Gestalt an, mich politisch zu engagieren.

Hana Rakšány Dvořáková

Hana Rakšány Dvořáková ist die Bürger­meisterin von Kanice und arbeitet außerdem Vollzeit als IT-Spezialistin für einen US-amerikanischen Konzern. Als berufs­tätige Frau und Mutter dreier Kinder, zwei davon im Teen­age­-Alter, sind ihre Tage deshalb immer sehr lang.

Hana: Bei mir war es ähnlich. Genau wie Petra bin ich viel gereist und habe an verschiedenen Orten auf der Welt gelebt und gesehen, wie Gemeinschaften funktionieren. Dann bin ich als Mutter von drei Kindern – zwei Töchtern im Teen­age­-Alter und einem elf­jährigen Sohn – nach Kanice gezogen. Nach 40 Jahren kommunistischer Herrschaft in unserem Land vermisste ich den kommunalen Enthusiasmus und die Hingabe, die ich kannte.

Zum Beispiel?

Hana: Als die Renovierung eines Spiel­platzes in Kanice anstand, hat der Bürger­meister einfach entschieden, welche Geräte anzuschaffen sind. Als älterem Herrn fehlte ihm aber der praktische Bezug. Deswegen hatten wir schließlich einen Spiel­platz, der nur für ältere Kinder geeignet war, für kleinere war er nicht sicher genug. Ich habe deshalb an einer Umfrage unter Müttern teilgenommen und dem Bürger­meister unsere Wünsche kommuniziert. Aber er hat nicht wirklich zugehört, sondern meine Mit­streiterinnen und mich als hysterisch abgestempelt. Es gebe doch alles, was wir bräuchten, hieß es aus dem Rathaus. Im Endeffekt konnten wir unsere Ideen und Vorschläge zwar noch umsetzen, aber das war eine zähe Gedulds- und Verhandlungs­arbeit. Da ist mir die Kluft und die fehlende Interaktion zwischen den Generationen ganz besonders bewusst geworden. Hinzu kam natürlich, dass ich wie Petra neu in die Dorf­gemeinschaft gekommen bin. Es ist sicher überall schwer, in einer bestehenden und alt­eingesessenen Gemeinde Anschluss zu finden.

Petra: Absolut. Mikulov war von seiner ganzen Infrastruktur her nicht auf ehemalige Groß­städter*innen vorbereitet. Es gab beispiels­weise keine Betreuung für Kinder unter zwei Jahren und keine Freizeit­angebote. Und als meine Tochter in den Kinder­garten ging, musste ich enttäuscht fest­stellen, dass sich seit meiner Kindheit in den 1980er-Jahren nichts geändert hatte. Genauso wenig in der Grund­schule. Die Übungen stammten aus den 1970er-Jahren, und mit ihnen wurde eine Ideologie vermittelt, die einfach nicht mehr zeitgemäß ist und die ich sehr problematisch finde. Den anderen Müttern ging es ähnlich wie mir. Als wir uns im Rathaus mit unseren Sorgen zu Wort meldeten, haben die Verantwortlichen uns angesehen wie Außer­irdische und gesagt: „Wo ist das Problem, es gibt doch alles!“ Daher war ich sehr froh, als mich ein Freund auf das Programm „Taking the fear out of local politics“ aufmerksam gemacht hat. Das war genau die Unter­stützung, die ich in dem Moment brauchte, um wirklich politisch aktiv zu werden.

In der internationalen und lokalen Politik sind Frauen ja unter­repräsentiert. Hatten Sie auch das Gefühl, es als Frau besonders schwer zu haben?

Hana (lacht): Unser Bürgermeister hat Kanice 30 Jahre lang mit ziemlich „eiserner Faust“ regiert. Und ich als Frau und Neu­ankömmling musste wirklich viel Zeit investieren, um akzeptiert zu werden. Ich sage bewusst nicht respektiert, weil das vermutlich schon zu viel verlangt gewesen wäre. Und trotz der Wahl zur Bürger­meisterin akzeptieren mich nicht alle.

Wir stärken Demokratie

Petra: Hier war es ähnlich. Ich versuche es aber als meinen Vorteil zu nutzen, eine Frau und ein Neuankömmling im Dorf zu sein, indem ich Fragen stelle, die andere nicht stellen. Diese Fragen können mitunter ein Augenöffner sein: „Du fragst, weil du denkst, es könnte anders sein?“ Und dann setzt der Denkprozess ein: Ja, es könnte anders sein! Natürlich ist es für Menschen, die in der ehemaligen Sowjetunion groß geworden sind, eine neue Erfahrung, in Entscheidungs­prozesse involviert zu werden.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Loslösung von der Slowakei ist Tschechien seit 1993 ein eigener Staat, eine Demokratie, in der die Menschen ihre Meinung, Wünsche und Visionen äußern können.

Hana: So ist es. Entsprechend ermutige ich mein Team und die Menschen in Kanice zur Teilhabe und schaffe Möglichkeiten und rufe Veranstaltungen ins Leben, bei denen sie sich Gehör verschaffen können. „Frag nicht, was dein Land für dich tun kann. Frage, was du für dein Land tun kannst“, lautete das Motto des 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, das ich gerne auf mein Dorf übertrage. Entsprechend versuche ich, meine Nachbar*innen in den politischen Diskurs einzubinden.

Hände hoch zur Abstimmung. Warum es gut ist, sich in seiner Stadt politisch zu engagieren, zeigen die Lokalpolitikerinnen Petra Korlaar und Hana Rakšány Dvořáková aus Tschechien
Hände hoch zur Abstimmung. Warum es gut ist, sich in seiner Stadt politisch zu engagieren, zeigen die Lokalpolitikerinnen Petra Korlaar und Hana Rakšány Dvořáková aus Tschechien © Getty Images

Hat Ihnen das Programm dabei geholfen?

Hana: Ja, es hat mir viel Selbst­vertrauen gegeben. Und natürlich praktische Werkzeuge und den Rahmen für einen Austausch. Dadurch konnte ich sehen, dass wir alle mit ähnlichen Heraus­forderungen zu kämpfen haben – egal ob wir uns in kleinen Dörfern oder größeren Städten engagieren.

Petra: Durch den Austausch zwischen den Teilnehmenden des Programms wurde mir auch die Angst genommen, über nicht hinreichend lange Erfahrung in der Politik zu verfügen. Denn alle Menschen sind gerade mit neuen Heraus­forderungen konfrontiert. Als das Projekt startete, befanden wir uns im ersten Jahr der Corona­pandemie. Inzwischen ist so viel passiert, der Ukraine-Krieg in Europa, die Inflation. Alle Menschen müssen sich momentan neuen Heraus­forderungen stellen, in der Politik ist es nicht anders. Die Workshops zu konkreten Themen, zum Beispiel zur Kommunikation, waren auch sehr hilfreich.

In Deutschland ist in jüngster Zeit mitunter ein veränderter Kommunikations­stil in der Politik zu beobachten, insbesondere bei jüngeren grünen Politiker*innen: Statt als allwissende*r Politiker*in aufzutreten, ist es heute üblicher, Fehler einzugestehen oder über Unsicherheiten zu sprechen. Ist eine solche Kommunikation auch für Ihre politische Arbeit wichtig?

Petra: Ja, sehr. Ich denke, damit einher geht ein verändertes Verständnis von Führung, das im Projekt „Taking the fear out of local politics“ immer wieder zur Sprache kam. Als stell­vertretende Bürger­meisterin wundert es mich schon, wie stark die Vorstellung von Politiker*innen als die „da oben“ oder „die auf der anderen Seite“ in den Köpfen der Menschen verankert ist. Als gäbe es ein „wir“ und ein „die“. So empfinde ich meine politische Arbeit nicht, und natürlich muss es auch in der Politik, komplex wie die Welt inzwischen ist, möglich sein, Fehler öffentlich zuzugeben und zu korrigieren.

Hana: Dem kann ich mich nur anschließen. Kommunikation, Transparenz, andere über die eigenen Pläne und Visionen zu informieren und ihnen mitzuteilen, wenn etwas nicht so klappt, wie ich es mir erhofft habe – all das trägt dazu bei, gegen­seitiges Vertrauen aufzubauen. Ich versuche auch, einen Teil der Arbeit zu delegieren und im Team zu arbeiten. So können möglichst viele Menschen teilhaben. Und anders wäre es für mich auch gar nicht zu schaffen.


Civic Europe

Civic Europe ist ein Inkubator für lokale zivil­gesell­schaftliche Initiativen, Organisationen und Einzel­personen in Zentral-, Ost- und Südeuropa, umgesetzt durch den Verein MitOst und die Sofia Platform Foundation. Mit dem Projekt „Taking the fear out of local politics“ der Via Foundation unterstützt Civic Europe Gemeinde­leiter*innen dabei, für Ämter zu kandidieren.

civic-europe.eu/ideas/taking-the-fear-out-of-local-politics/