Mit der Bibel die Mobilität verändern

Mit der Bibel die Mobilität verändern
Autor: Matthias Klein 15.04.2021

Eine sozial- und klimaverträgliche Mobilitätswende: Das fordert ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis. Ruth Gütter vertritt die Evangelische Kirche in Deutschland. Sie sagt: Besonders wichtig ist ein Kulturwandel.

Warum engagiert sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) im Bereich Mobilitätspolitik, Frau Gütter?

Ruth Gütter: Wir sehen das in einem größeren Zusammenhang. Der Einsatz für Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung sind Kernaufgaben des christlichen Glaubens. In der Bibel gibt es viele Geschichten dazu: Es geht darum, sich für die Armen einzusetzen, ein gutes und gerechtes Miteinander zu pflegen, mit der Schöpfung achtsam umzugehen. Aus diesem biblischen Auftrag leitet sich unser Engagement ab. Und das schon sehr lange: Seit Jahrzehnten setzen wir uns durch viele Initiativen und Partnerschaften für globale Gerechtigkeit und für Umweltschutz ein. Der Klimawandel trifft weltweit besonders die Ärmsten der Armen hart, obwohl sie – anders als wir in den reichen Ländern – kaum etwas dazu beigetragen haben.

Ruth Gütter

Dr. Ruth Gütter ist Referentin für Fragen der Nachhaltigkeit bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Wir sind deshalb in Deutschland besonders in der Pflicht. Es ist somit folgerichtig, dass sich die EKD auch für Klimaschutz einsetzt. 2008 hat die Synode der EKD eigene CO2-Einsparziele für die kirchliche Praxis beschlossen. Daraus geht hervor, wie wir bis 2050 klimaneutral werden wollen. Alle drei Jahre berichten wir der Synode, wie weit wir gekommen sind.

Warum ist aus Ihrer Sicht der Bereich Mobilität wichtig?

Gütter: Der Sektor Mobilität ist entscheidend im Kampf gegen den Klimawandel. Und da dieser bislang kaum zur Reduktion von CO2 beigetragen hat, ist hier eine Wende besonders dringlich. Deshalb hat sich die EKD entschieden, bei diesem Bündnis mitzumachen. Hinzu kommt: Auch wir diskutieren darüber, wie wir unsere eigene Mobilität verändern können.

Wie sieht das konkret aus?

Gütter: Die evangelischen Landeskirchen machen ganz unterschiedliche Sachen. Sie unterstützen beispielsweise Jobtickets. Sie fördern den Kauf von E-Bikes für den dienstlichen Gebrauch. Oder sie überarbeiten die Reisekostenverordnungen so, dass auch Mitarbeitende Geld bekommen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad dienstlich unterwegs sind. Im Kirchenamt haben wir zudem unseren Fuhrpark verkleinert: Unseren Transporter haben wir durch ein Lastenfahrrad ersetzt.

© Getty Images

Was macht den Zusammenhang zwischen sozialer Gerechtigkeit und einer Mobilitätswende aus?

Gütter: Auch in Deutschland leiden Menschen, die unter schwierigen sozioökonomischen Bedingungen leben, stärker unter den Folgen des Klimawandels. Wir haben in dem gemeinsamen Papier festgehalten, dass sie gerade bei den negativen Auswirkungen der aktuellen Mobilität betroffen sind: Sie leben beispielsweise besonders oft an viel befahrenen Straßen, leiden stärker unter Lärm und Schadstoffen. Wir müssen den Kampf gegen den Klimawandel so gestalten, dass besonders diese Menschen davon profitieren. Das ist unser Anliegen.

Sie sind Referentin für Fragen der Nachhaltigkeit. Auf welche Resonanz stoßen Sie mit diesem Thema innerhalb der evangelischen Kirche?

Gütter: Ich will daran erinnern, dass die Kirchen im Ökumenischen Rat schon 1975 eine nachhaltige Gesellschaft gefordert haben. Das war lange bevor die Vereinten Nationen überhaupt angefangen haben, sich mit dem Thema zu befassen. Das Thema ist inzwischen in der Breite in der Kirche angekommen – wenn auch sicherlich nicht in jeder Gemeinde, das will ich nicht beanspruchen. Allerdings haben 16 der 20 Landeskirchen Klimaschutz-Konzepte beschlossen. Sie legen darin Maßnahmen fest, um CO2 einzusparen, beispielsweise bei den Gebäuden, bei der Mobilität oder bei der Beschaffung von Materialien. Mein Eindruck ist: Es passiert eine ganze Menge bei uns in der Kirche. Man muss aber auch sehen: Wir sind eine sehr große Organisation mit mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Natürlich gibt es da verschiedene Meinungen. Manche sagen: Warum muss sich Kirche denn auch noch damit beschäftigen? Es solle mehr um Spiritualität und um die Bibel gehen.

Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können

Wie kann eine sozial gerechte und ökologische Mobilitätswende gelingen? Dieser Frage widmet sich das Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende und formuliert in diesem Papier konkrete Vorschläge. Das gemeinsame Papier des Bündnisses zeigt: Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit schließen sich nicht aus, sondern ergänzen und bedingen sich mancherorts sogar.

Sie finden die Publikation hier.

Was antworten Sie darauf?

Gütter: Für mich ist das kein Gegensatz. Im Gegenteil: Der Glaube an Gott gibt uns gerade die Kraft und die Motivation, bei diesem Thema aktiv zu werden. Ich habe vor zwei Jahren eine Publikation herausgegeben mit Entwürfen für Gottesdienste zu den Nachhaltigkeitszielen. Diese ist sehr stark nachgefragt worden, sie wurde bereits mehrfach neu aufgelegt. Es gibt also in der Kirche Interesse an der Verbindung von Spiritualität und ökologischen Themen.

Wie schätzen Sie das ein: Kann das Thema Mobilitätswende ein Einstieg für Kirchenmitglieder sein, um sich mit dem größeren Thema Klimaschutz intensiver zu befassen?

Gütter: Ja. Ich erhoffe mir drei Effekte. Die Menschen sollen erstens sehen, dass es sich lohnt, sich mit Mobilität zu beschäftigen und eine sozialverträgliche und ökologische Mobilitätswende herbeizuführen. Und zweitens können wir unseren Mitgliedern zeigen: Wir sind mit vielen anderen gemeinsam aktiv. Gerade junge Menschen könnten sich angesprochen fühlen, weil sie sehen, dass Kirche bündnisfähig ist. Zusammen können wir etwas erreichen. Ein wichtiger Motivationsfaktor kann drittens sein: Man lernt voneinander. Wenn eine Landeskirche sieht, dass eine andere schon viel mehr macht, dann kann sie sich angespornt fühlen.

Der Glaube an Gott gibt uns die Kraft und die Motivation, bei diesem Thema aktiv zu werden.

Sie sind nun Teil eines breiten Bündnisses. Wie haben Sie als Kirchenvertreterin die Debatte erlebt?

Gütter: Klar, man hat gemerkt, dass wir aus unterschiedlichen Kulturen kommen und unterschiedliche Mandate haben. Der Austausch war jedoch harmonisch und konstruktiv. Wir als EKD sagen in einem Grundsatztext zur Nachhaltigkeit, wir wollen Mahner, Mittler und Motor für eine nachhaltige Entwicklung sein. Alle drei Rollen kamen in der Debatte mit den anderen Organisationen zum Einsatz. Vielleicht waren manche überrascht, dass wir von der Kirche uns inhaltlich mit Fragen der Mobilität auseinandergesetzt haben. Ich erlebe oft, dass man uns das gar nicht zutraut. Mir ist besonders wichtig, dass es im Kampf gegen den Klimawandel einen Kulturwandel gibt. Damit sich etwas ändert, müssen wir unsere Leitbilder hinterfragen, die unseren Lebensstil und unseren Konsum prägen. Die Vorstellung, wir Menschen müssten immer mehr konsumieren, schadet nicht nur der Umwelt – sie schadet auch unserer Seele.