Weltklimabericht: Gegen „Ja, aber“ hilft kein Faktencheck
Die Veröffentlichung des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC wurde mit Spannung von der Fachwelt erwartet. Doch ein großes mediales oder politisches Echo blieb aus. Ist es uns am Ende egal, dass das Klima sich weiter aufheizt, Fluten, Stürme, Dürreperioden häufiger werden und nicht nur unsere Umwelt aus dem Gleichgewicht gerät, sondern auch soziale Ungleichheiten sich verstärken? Unser Gastautor Carel Mohn sucht nach Antworten.
Stellen Sie sich vor, demnächst würde ein internationaler Forschungsbericht veröffentlicht, der den aktuellen wissenschaftlichen Sachstand zu den Gesundheitsrisiken des Rauchens und zur Prävention von Suchtgefahren zusammenfassen soll. Würden Sie von dieser Veröffentlichung einen Schub für den Nichtraucherschutz erwarten?
Die Gefahren sind seit Jahren bekannt
Vermutlich eher nicht. Die Gefahren des Rauchens sind seit Jahren und Jahrzehnten bekannt. Neue Fakten, oder vielmehr die Bestätigung seit langem bekannter Zusammenhänge zwischen Rauchen und Krebserkrankungen, dürften kaum zu einer zusätzlichen Mobilisierung für Gesundheitsschutz führen.
Carel Mohn ist Chefredakteur von klimafakten.de. In Kürze erscheint das von klimafakten.de herausgegebene Handbuch der Klimakommunikation – es setzt sich mit der Frage auseinander, wie man jenseits von Fakten Menschen für Klimaschutz gewinnen kann (ab 7.7. im Oekom-Verlag).
Nimmt man dieses – fiktive – Beispiel zum Maßstab, so überrascht, welche hohen Erwartungen mit der jüngst erfolgten Veröffentlichung des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC verbunden waren. In der Klimaschutz-Community haben wir uns lange und gründlich auf diesen gemeinhin als Weltklimabericht bezeichneten Report vorbereitet. Verbunden damit war wohl die Hoffnung oder Erwartung, der Bericht könne dem Klimaschutz so etwas wie einen Booster an öffentlicher Aufmerksamkeit und politischer Beachtung geben.
Kein Wumms, kein Wirbel, kein politischer Diskurs
Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Tatsächlich sorgte der IPCC-Bericht kaum für Medien-Schlagzeilen und eine intensive politische Debatte löste er schon gleich gar nicht aus. Diese Nicht-Aufmerksamkeit ist auch einigen Klimaschutz-Aktiven aufgefallen, viele reagierten bestürzt bis empört. Diese Enttäuschung, über die geringe Resonanz auf den IPCC-Bericht gibt mir zu denken.
Oberflächlich betrachtet war für das Ausbleiben eines kommunikativen Wirbels rund um den Weltklimabericht der Krieg gegen die Ukraine verantwortlich, der die öffentliche Aufmerksamkeit geradezu aufsog. Besteht also Anlass besorgt zu sein, dass der seit Jahren wichtigste Zustandsbericht zum Stand des Klimawandels und zu den Handlungsoptionen im Klimaschutz medialer Mißachtung anheimfällt – und vom Kriegsgeschehen verdrängt wird?
Ich denke nein. Zum einen, weil der neue Weltklimabericht kaum Aussagen über die Gefährlichkeit des Klimawandels enthält, die nicht seit langem bekannt wären. Auch die im IPCC-Report analysierten Maßnahmen für den Klimaschutz werden hierzulande seit Jahr und Tag diskutiert und teils auch bereits umgesetzt, wenn auch in viel zu beschränktem Maße und in einem indiskutabel langsamen Tempo. Um es überspitzt zu formulieren: Der IPCC-Bericht ist ein extrem wertvolles Dokument, weil er das Weltwissen in Sachen Klimawandel auf den Punkt bringt. Damit bietet er einen höchst verlässlichen Maßstab für jegliches Handeln.
Der IPCC-Bericht ist ein extrem wertvolles Dokument, weil er das Weltwissen in Sachen Klimawandel auf den Punkt bringt.
Besorgniserregender Optimismus
Doch weniger geeignet ist er, die in Deutschland dringend notwendige Debatte über eine beschleunigte Transformation substanziell voranzubringen. Tatsächlich sind beachtliche Teile der Gesellschaft schon viel bereiter zum Handeln, als das von der Klimaschutz-Community gelegentlich wahrgenommen wird. Das Problem liegt also weniger im Wachrütteln. Stattdessen geht es um Debatten und Vorschläge, wie sich Klimaschutz schneller umsetzen lässt.
Kann man den IPCC-Bericht 2022 also einfach abhaken? Nun, was mich besorgt, ist der Optimismus, um nicht zu sagen: die Gutgläubigkeit, mit der weite Teile der um Klimaschutz besorgten Öffentlichkeit weiterhin darauf setzen, ein Dokument wie der jahrelang erwartete IPCC-Bericht könne den weniger um Klimaschutz besorgten Teil der Öffentlichkeit ins Handeln bringen.
Vom Wissen zum Handeln
Genau dies wird nicht geschehen. Die Wissenschaft wird uns hier nicht retten und auch nicht den gesellschaftlichen Willen „produzieren“ können, schnellstmöglich aus Kohle, Öl und Gas auszusteigen oder eine Landwirtschaft zu beenden, die Biodiversität killt und den Klimawandel antreibt. Diese Aufgabe wird uns kein IPCC-Bericht abnehmen können und sie lässt sich auch nicht klinisch und sauber an die Forschung delegieren, der wir dann im Sinne von „follow the science“ einfach folgen müssten.
Statt klinisch und sauber wird es kontrovers und haarig werden in den klimapolitischen Debatten, die wir führen müssen – „haarig“ jedenfalls in dem Sinne, dass diejenigen, die sich dem Klimaschutz aus welchen Gründen auch immer verweigern oder entgegenstellen, auch durch eine wissenschaftlich noch so saubere Argumentation kaum zu erreichen sein werden.
Werte und Normen als Treiber des Wandels
Und doch ist es ja möglich, diejenigen zu erreichen, die sich mit harten Fakten und rationalen Argumenten nicht erreichen lassen. Dabei geht es weniger um ein Überzeugen als darum, das Gegenüber für etwas zu gewinnen. Oder haben wir es nicht hierzulande erlebt, dass beispielsweise manch eine*r, die/der gestern noch die Kohle für unverzichtbar erklärte, inzwischen zu einem überzeugten Verfechter erneuerbarer Energien geworden ist? Und haben wir nicht erfahren, dass in einem Land, in dem gestern noch Wahlchancen mit der Aufregung über einen „Veggie Day“ zerstört wurden, heute landauf, landab Speisekarten und Einkaufszettel neu geschrieben werden? Beim Ingangsetzen gesellschaftlichen Wandels sind weniger wissenschaftliche Fakten als sich verändernde gesellschaftliche Normen entscheidend. Oder ein Wertewandel – also ein veränderter Blick auf das, was uns wirklich etwas „wert“ ist.
Im Ringen mit denjenigen, die beim Klimaschutz bremsen oder zögern, sind wir in den vergangenen zehn Jahren einen großen Schritt weitergekommen. Auf die Frage „Müssen wir beim Klimaschutz schnell handeln?“ lautete die Antwort einstmals „Nein“. Auch dank einer hoch robusten Wissenschaft und dank engagierter Wissenschaftler*innen sind wir inzwischen bei einem „Ja, aber“ angekommen. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir uns dem „Aber“ widmen.
klimafakten.de
Um die Debatte über die besten Wege für den Klimaschutz konstruktiv führen zu können, müssen die grundlegenden Fakten stimmen. Darauf zielt die von der Stiftung Mercator geförderte Organisation klimafakten.de ab, indem sie die komplexen Ergebnisse der Klimaforschung verständlich aufbereitet und dabei offene Fragen und kritische Einwände aufnimmt.
www.klimafakten.de