Fortbildung mit Hindernissen
Lehrer*innen lernen ständig dazu, um ihre Schüler*innen mit neuen, kreativen Lehrmethoden besser zu erreichen. Damit Fortbildung trotz Pandemiebeschränkungen weitergehen kann, hat das Hessische Kultusministerium Online-Formate speziell für die Krise entwickelt. Aber: Wie lernt es sich auf Distanz und am Bildschirm? AufRuhr hat beim Workshop „OBS? – Lehrvideos aus dem Homestudio“ hospitiert.
Olaf Mönch ist ein Theatermann. Er liebt den körperlichen Ausdruck und die Aufregung, bevor es auf die Bühne geht – das Knistern, die Spannung. Das Virus habe die Kunst, so sagt der Lehrer und Fortbilder, in eine Schockstarre versetzt. Aber wie schlimm wäre es, „wenn alle im Isolationsmodus verharrten?“ Das Büro Kulturelle Bildung des Hessischen Kultusministeriums habe in einer „Notfallsitzung“, wie Mönch sagt, schon im April reagiert und neue Formate für die Fortbildung entwickelt. Lehrerinnen und Lehrer können sich seit Beginn dieses Schuljahres online fortbilden. Eine ganze Reihe von Themen steht unter dem Oberbegriff „Kreative Unterrichtspraxis“ zur Auswahl. Es gibt dafür keinen vorab feststehenden Terminplan. Sobald sich eine Gruppe für ein Angebot interessiere, könne der Workshop-Leiter per Mail angeschrieben, kostenlos gebucht und ein gemeinsamer Termin vereinbart werden.
Und so sitzen eines Mittwochnachmittags im November neun Lehrer*innen aus dem Gymnasium Philippinum Weilburg vor ihren privaten Bildschirmen und harren der Dinge. Gebucht haben sie den Kurs „OBS? – Lehrvideos aus dem Homestudio“ aus der Medien-Spezialsparte. Hinter OBS verbirgt sich das frei verfügbare Programm „Open Broadcaster Software“, mit dem auch professionelle YouTuber*innen arbeiten, um qualitativ hochwertige Tutorials zu fabrizieren. Großer Vorteil: Die Software ist kostenlos.
Eine Leiste mit den Teilnehmer*innen
14 Uhr, in der Leiste oben am Bildschirm erscheinen nacheinander die Köpfe der sich zuschaltenden Lehrer*innen. Fröhliche Hallos, die Gesichter kennen sich, nur der Moderator ist fremd und – erst einmal nicht zu vernehmen. Silbenfetzen tackern aus dem Lautsprecher wie auf einer verzerrten Tonspur, Worte verpuffen im virtuellen Nirwana. Nach kurzer stiller Verzweiflung kommt Leben in die Gruppe, und der Chat auf der linken Bildschirmseite nimmt Fahrt auf: „Ich kann leider kaum etwas verstehen“ – „Knackt“ – „Jetzt ist es gut!“ – „Nein!“ So geht es hin und her, etwa 30 Minuten.
Der Moderator wird hinterher erzählen, wie ihn dieses technische Chaos mitgenommen habe, er sei schwer ins Schwitzen gekommen: „Das war unglaublich anstrengend!“ Als Theatermann mit Improvisationstalent gesegnet, leitet Olaf Mönch seine Gruppe schließlich per neuem Link auf eine andere Plattform um. Mittlerweile hat jedoch eine*r nach dem anderen die Kamerafunktion ausgeklickt, die Leiste mit den Mini-Monitoren ist verwaist. Graue Rechtecke und rot durchgestrichene Mikrofonsymbole stehen wie eine Trennwand zwischen Fortbilder und seinen Teilnehmer*innen.
Neue Nähe zu Schüler*innen durch vertraute Medien
Dennoch startet er nun seine Präsentation. Der Moderator erzählt vom Zuwachs an Medienkompetenz und der neuen Nähe zu den Schüler*innen, wenn man ihnen den Unterrichtsstoff über ein Medium vermittele, das der jungen Generation vertraut sei. Von einem „Vorteil“ in der Kommunikation ist die Rede und einer „großen Wirkung“, sofern die technischen Dinge auch klappten. Aber, das erzählt Olaf Mönch auch, niemand erwarte eine perfekte Lösung. Und dann beschreibt er die einzelnen technischen Tools und klickt auf die jeweiligen OBS-Bearbeitungsfenster. Er spricht davon, dass man ein Storyboard brauche, bevor man ein eigenes Video starte, und als zweiten Baustein das Material, die Quellen.
Anschließend wird es in einer Fragerunde kurz interaktiv: „Muss ich jede Szene einzeln abspeichern?“, will jemand wissen. „Wo speichere ich die Aufnahme?“, fragt ein anderer. Und eine Dritte gesteht, sie konnte das Programm gar nicht starten. Freundlich und hilfsbereit geht Olaf Mönch jedem Problem nach. Er redet, erläutert, gibt Tipps, zwischendrin seufzt er auch mal auf, „ich bekomme so wenig Rückmeldung“. In der Tat, außer seinem eigenen Gesicht ist niemand auf dem Rechner zu sehen. „Irritierend“, gesteht der Lehrer, der jeden Mittwoch für solche und andere Fortbildungen freigestellt ist, später im Telefongespräch. „An der Mimik kann ich normalerweise ablesen, ob der Stoff verstanden wird.“ Wenn die Körpersprache fehle, spule er seinen Text in einen luftleeren Raum ab.
Dramaturgie im Video
Kurze Kaffeepause, um 15:45 Uhr geht’s weiter: „Sind alle da?“ – Keine Antwort, die Mikros sind aus. Olaf Mönch spricht weiter von der dramaturgischen Komposition, die ein Lehrvideo ausmacht. Er skizziert das klassische Drama und das aristotelische Dreieck mit den fünf Akten, beginnend mit der Vorstellung des Konflikts, der Zuspitzung, der vermeintlichen Auflösung, der Verzögerung und der tatsächlichen Lösung im Finale. Seinen anschließenden Vorschlag, jede*r solle nun für 20 Minuten still ein Konzept für ein solches Storyboard erstellen, wird aus dem grauen Plenum mit „gute Idee“ quittiert. Erleichtert sagt der Moderator: „Schön, von euch was zu hören.“
Zum Abschluss wird deutlich, wie unterschiedlich die Erfolgserlebnisse hinter der grauen Wand ausgefallen sind. Eine Lehrerin beichtet, sie komme sich jetzt vor wie ihre Schüler*innen, wenn diese Ausreden vortragen, aber: „Ich habe echt nichts geschafft.“ Eine andere drückt es so aus: „Ich brauche mehr Übung.“ Ohne technische Routine fühle sie sich in ihrer „Kreativität blockiert“. Andere wiederum haben doch ziemlich konkrete Ideen entwickelt. Ein Politiklehrer hat seine Einstiegsszene vor Augen: ein riesiger Haufen Plastikspielzeug, dann das Etikett „Made in China“. Ein bestehendes Video will er einbauen und die Schüler*innen mit einem Arbeitsauftrag einbinden.
Der Moderator verabschiedet sich fürs Erste: „Schade, dass wir anfangs solche Verbindungsprobleme hatten.“ Aber das sei ja irgendwie auch „typisch und digitaler Alltag“. Hausaufgabe für nächste Woche: ein kleines Lehrvideo basteln.
„Video wird für Schüler*innen immer wichtiger“
Thorsten Rohde, 42, ist in der ersten Kurshälfte relativ weit gekommen, er habe „fleißig gebastelt und dann aber einen Absturz generiert“. Nein, sagt er, eigentlich sei er kein technikaffiner Mensch. Seine Unterrichtsfächer: Geschichte, Politik und Wirtschaft sowie Ethik. Doch Corona habe seinen Ehrgeiz angestachelt, „es gibt ja keine andere Form der Weiterbildung“. Das habe bei ihm eine Offenheit für digitale Themen erzeugt. Sechs, sieben Kurse habe er in den letzten Wochen gebucht, hauptsächlich Vorträge, Webinare, das hier sei das erste so richtig interaktive. „Gut“, fällt sein Fazit aus, aber man müsse bereit sein, sich darauf einzulassen. „Video wird ja für Schüler*innen als Medium immer wichtiger.“ Nachteilig, so bewertet er es im Nachhinein, dass der erste Workshop-Tag mit der komplexen technischen Einführung nicht wie ursprünglich gedacht in der Schule vor Ort stattfinden konnte. Rückfragen und Erklärungen, das sei auf digitalem Weg schon umständlich und über den Chat zeitverzögert. Andererseits spare man auch Zeit, die Fortbildung finde in privater Umgebung statt, man müsse sich nicht mehr woandershin bewegen.
Nötig: Eine gemeinsame Lernplattform fürs ganze Land
Olaf Mönch, der tapfere Moderator, fühlt sich ein bisschen allein gelassen – auch von den Behörden: „Wir möchten als Fortbilder*innen doch nur die ästhetischen Zugänge vermitteln.“ Dazu gehöre nicht, sich immer und immer wieder mit technischen Dingen herumschlagen zu müssen. „Wir arbeiten schließlich mit unseren privaten Lösungen“, dem eigenen Mac, der eigenen Kamera. Fragen des Datenschutzes und des technischen Equipments stellten sich aber jedes Mal bei jeder Schule, bei jedem einzelnen Lehrer und jeder Lehrerin neu und anders. Sein dringender Appell: „Wir bräuchten eine gemeinsame Lernplattform für das gesamte Land mit gesicherter Übertragungsgeschwindigkeit.“ Aber wie schön, sagt er, dass trotz aller Widrigkeiten alle bei der Stange geblieben seien.
Fast jedenfalls. Eine Woche später präsentiert sich die Runde deutlich zupackender, aber auch verkleinert. Olaf Mönch teilt die Gruppe in zwei virtuelle Räume auf: Die einen werkeln in Ruhe am Feinschliff ihres Videos, die anderen erhalten direkte Hilfestellung, um überhaupt eine filmische Sequenz starten zu können. Der Moderator hat dazugelernt: „Bitte macht eure Kameras an, damit ich euch sehen kann.“ Für die Fortgeschrittenen gibt es noch Tipps, wie die Audioqualität durch zusätzliche Podcast-Mikrofone verbessert werde und wie man Tasten belege, um die Aufnahme vor den Schüler*innen mit einem Klick starten, pausieren oder beenden zu können.
Induktion in 35 Sekunden
Und auch die letzte Hürde ist genommen: Nach ersten Fehlversuchen konnten Videos Einzelner in einer Cloud von allen angeklickt und bestaunt werden. Das Tutorial der Physiklehrerin ist nur wenige Sekunden lang, aber gelungen. Ihre Einstiegsszene kombiniert Fisch in der Pfanne, elektrische Zahnbürste und ein Smartphone beim kabellosen Aufladen. Die weiteren Szenen führen hin zum innewohnenden Prinzip der Induktion – viel gelernt in 35 Sekunden. Fazit nach zwei Tagen Workshop aus der Ferne: „Vor Ort wäre es vermutlich noch besser gewesen“, meint die Physiklehrerin. Der Kollege mit dem Spielzeug-Video findet es gar nicht schlecht, so auf sich allein gestellt zu sein: „So musste ich selbst was zu Potte bringen.“ Und ein unsichtbarer Kollege fragt, ob man Olaf Mönch bei weiteren Fragen noch per Mail kontaktieren dürfe.
Kreativpotentiale
Das Rahmenprogramm der Stiftung Mercator hat das Ziel, kulturelle Bildung nachhaltig in den Schulstrukturen zu verankern. Die Stiftung unterstützt die Bundesländer dabei, landeseigene Programme zu entwickeln, die im Schulsystem implementiert werden.
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