Weil die Menschen dranbleiben
Vor einigen Wochen stießen die #blacklivesmatter-Demonstrationen auch in Deutschland eine Debatte über Rassismus an. Hat sich dadurch etwas verändert? Daniel Gyamerah, Vorstand des Empowerment-Vereins Each One Teach One, ist skeptisch. Eine Sache macht ihm aber Hoffnung.
Auch in Deutschland gingen Tausende auf die Straße. Nachdem der Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis von einem weißen Polizisten getötet worden war, demonstrierten hierzulande zahlreiche Menschen gegen Rassismus. „Bei uns stand in diesen Tagen das Telefon nicht mehr still“, erzählt Daniel Gyamerah. Er ist im Vorstand des Vereins Each One Teach One (EOTO), einem Bildungs- und Empowerment-Projekt. „Plötzlich wollten alle über Rassismus sprechen.“ Er hält einen Moment inne. „Aber nur kurz und nur unter dieser einen Perspektive.“
Mehrere Wochen Thema
Im Rückblick beurteilt Gyamerah die Diskussion dieser Tage zwiegespalten. „Zum ersten Mal wurde in Deutschland über mehrere Wochen hinweg über das Thema Rassismus, speziell auch Anti-Schwarzen Rassismus, gesprochen. Das war wichtig. Möglicherweise hat es bei einigen Menschen etwas angestoßen, vielleicht denken sie jetzt anders darüber.“
Mit den Inhalten der Debatte sei er aber nicht zufrieden. „Es war viel zu einfach, auf die USA zu zeigen. Wir hätten uns anschauen müssen, was Rassismus in Deutschland bedeutet.“ Viele Medien stellten in ihrer Berichterstattung die persönlichen Erfahrungen Einzelner mit Rassismus in den Mittelpunkt. Das sei problematisch, findet Gyamerah. „Es kann hilfreich sein zu sehen, wie viele betroffen sind. Das kann empowern. Aber oft wurde nur das Problem benannt. Eine Diskussion über Lösungen kam viel zu kurz. Das frustriert.“
Faible für gerechte Gesellschaft
Der 34-Jährige hat Politik- und Verwaltungswissenschaften studiert und einen Master in Public Policy absolviert. Seit Jahren engagiert er sich gegen Rassismus. Er kam dazu über den Verein Each One Teach One, der 2012 in Berlin gegründet wurde. „Am Anfang haben wir uns im Wohnzimmer getroffen. Mich hat die Vision von Vera Heyer, der Namensgeberin unserer Bibliothek überzeugt, also bin ich dabeigeblieben.“ Hauptberuflich arbeitet Gyamerah bei Citizens For Europe (CFE), einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die sich mit Forschung und Beratung gegen Rassismus und für eine inklusive Gesellschaft einsetzt.
Es reicht nicht aus, Rassismus zu erklären.
„Ich habe ein starkes Faible für eine gerechte Gesellschaft“, sagt Gyamerah. Er lebt inzwischen seit einigen Jahren in Berlin, „weil hier besonders viel in dieser Richtung passiert.“
Ehrenamtlich engagiert er sich im Vorstand von Each One Teach One. Der Verein versteht sich als Community-basiertes Bildungs- und Empowerment-Projekt. Ziel ist es, Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen zu stärken. Im Zentrum steht eine Bibliothek mit Literatur von Autor*innen afrikanischer Herkunft. Rund 8.000 Bücher umfasst die Sammlung mittlerweile. Daran anknüpfend entwickelt der Verein afrodiasporische Kulturformate wie das Kunst- und Literaturfestival Afrolution. 24 Angestellte arbeiten in den Projekten. Each One Teach One macht unter anderem Jugendarbeit und bietet eine Antidiskriminierungsberatung zu Anti-Schwarzem Rassismus an.
Gespräch beim Bundespräsidenten
In allen Bereichen gebe es einen großen Bedarf, erzählt Gyamerah. Dem Verein ist Community-Aufbau wichtig: „Unsere Aktivitäten verbindet die Möglichkeit, sich in einem geschützten Raum auszutauschen und neue Perspektiven kennenzulernen. Wir wollen eine Vernetzung ermöglichen, die die Menschen stärkt.“ Das sei die einzige Möglichkeit, nachhaltig etwas zu verändern. „Es reicht nicht aus, Rassismus zu erklären. Wir müssen ermöglichen, dass sich Schwarze Menschen gegenseitig stärken und in der Gesellschaft aktiv werden.“
Im Juni war Gyamerah bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue zu Gast. In der Runde ging es um Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung. Eine Frage sei gewesen, ob es denn in den vergangenen Jahren besser geworden sei, erzählt der 34-Jährige. Er atmet einmal tief durch. „Was soll ich dazu sagen? Besser im Vergleich zu was?“ Er denke an das Attentat von Hanau im Februar oder an den NSU. „Wir haben so viel erlebt, was die Grundpfeiler der Demokratie erschüttert. Menschen verlieren ihr Leben – wegen Rassismus. Im Verhältnis dazu passiert viel zu wenig.“
Problem anerkennen
Die UN-Generalversammlung hat 2014 die Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft ausgerufen. Ziel ist es, wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Rechte von Menschen afrikanischer Herkunft zu stärken und die gesellschaftliche Teilhabe zu fördern. Drei Ziele nennen die Vereinten Nationen: Anerkennung, Gerechtigkeit und Entwicklung. „In Deutschland hängen wir noch am ersten Ziel fest. Wir sind gerade erst dabei, den strukturellen Rassismus anzuerkennen“, sagt Gyamerah. „Der Weg ist noch sehr lang.“
Was glaubt er, wie könnte sich mehr verändern? Gyamerah verweist auf die Debatte über Geschlechtergerechtigkeit. „Bei diesem Thema hat sich viel getan. Es gibt inzwischen ein umfassendes Instrumentarium – und doch sind viele Ziele noch nicht erreicht. Beim Thema Rassismus müssen wir uns in eine vergleichbare Richtung bewegen.“ Bildung sei wichtig, Vernetzungsangebote, ein Stipendienwerk.
Bei allen Schwierigkeiten treibe ihn die Widerstandsfähigkeit vieler Schwarzer Menschen an. „Die Umstände sind schwierig, sie stoßen auf viele Hindernisse, aber sie bleiben am Ball“, sagt Gyamerah. „Egal, ob der Hype um das Thema nach #blacklivesmatter vorbei ist, die Menschen bleiben dran. Das ist es, was mir Hoffnung macht.“
neue deutsche organisationen
neue deutsche organisationen e.V. sind ein bundesweites Netzwerk von rund 100 Vereinen, Organisationen und Projekten. Der Verein sieht sich als postmigrantische Bewegung gegen Rassismus und für ein inklusives Deutschland.