Stronger together – Kristina Lunz über Netzwerken und das große Ganze

Stronger together – Kristina Lunz über Netzwerken und das große Ganze
Autorin: Dorothée Hübscher 09.01.2024

Sie kommt aus einem 80Seelen-Dorf in Oberfranken, bezeichnet sich selbst als Arbeiterkind und hat eine fulminante Karriere hingelegt: Hat in Oxford mit Auszeichnung studiert, für renommierte internationale Organisationen weltweit gearbeitet und vor rund fünf Jahren selbst eine gegründet: das Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP), das auch die Bundesregierung in Sachen feministischer Außenpolitik berät. Für viele ist sie nicht nur Vorbild, was das Voranbringen von Frauenrechten betrifft, sondern auch eines des sozialen Aufstiegs: Kristina Lunz.  

In einem Artikel in der ZEIT zum Thema Bildungs(un)gerechtigkeit von 2019 schreiben Sie, „Ja, vielleicht habe ich es geschafft. Aber nicht wegen, sondern trotz des Systems“. Wie wichtig sind aus Ihrer Sicht Förderprogramme, wie Stipendien und Fellowships, gerade für Menschen, die nicht in Akademiker*innen-Haushalten groß geworden sind?  

Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus wahnsinnig wichtig. Ich persönlich hätte ohne Stipendium niemals eine Summer School zu Political Psychology in Stanford besucht oder wäre nach Valencia für ein Auslandssemester gegangen. Ohne Begabtenförderung hätte ich niemals eine so gute politische Bildung neben meinem Studium genossen. Ich hätte auch niemals in London meinen Master gemacht und in Oxford einen zweiten. 

Für mich haben Stipendien einfach alles verändert. Gleichzeitig war meine Erfahrung damals, dass die deutschen Begabtenförderungswerke einen sehr hohen Bias und Zahlenverzerrung bezüglich Akademikerkindern haben und eben nicht diesem Wunsch, dieser Hoffnung nachkommen, Bildungsaufstieg zu ermöglichen. Es ist häufig so, dass diejenigen, die ohnehin Wissen, Zugänge zu Netzwerken und finanzielle Mittel haben, auch hier häufiger vertreten sind wodurch ihre Privilegien weiter verstärkt werden 

Es wäre daher wünschenswert, dass das Thema Klassismus und Bildungsgerechtigkeit bei der Vergabe von Stipendien und Förderprogrammen eine noch viel größere Rolle spielt. Auch in meiner Zeit als Mercator Stipendiatin am Mercator Kolleg, erinnere ich mich nicht an ein großes Bewusstsein dafür, dass zum Beispiel in meiner Gruppe die allermeisten Akademikerkinder waren. Ich habe das Gefühl, dass es mittlerweile ein größeres Bewusstsein dafür gibt – und das ist wichtig. 

© Stevy Hochkeppel

Kristina Lunz ist mehrfach ausgezeichnete Unternehmerin, Politikwissenschaftlerin, Autorin und Aktivistin. Sie ist Mitgründerin und Co-CEO des Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP). 2016 war Lunz Fellow am Mercator Kolleg für internationale Aufgaben und ist der Stiftung seitdem als Alumna verbunden geblieben.

In ihrer Berliner Altbau-Wohnung kann Kristina Lunz Kraft tanken. Seit vielen Jahren setzt sie sich aktiv für die Rechte von Frauen und marginalisierten Gruppen ein. © Stevy Hochkeppel

Sie setzen sich seit Jahren für die Förderung von Frauenrechten ein, gehören zu den Vordenkerinnen feministischer Außenpolitik und haben mit „Unidas“ ein feministisches Netzwerk für das Auswärtige Amt aufgebaut. Auf Ihrem LinkedIn-Profil schreiben Sie vor ein paar Monaten „Netzwerken unter Frauen ist ein feministischer Akt“. Wieso sind Netzwerke, insbesondere unter Frauen, so wichtig?

Netzwerke ermöglichen Zugang, Austausch, Halt, Unterstützung und können ein wundervoller und wichtiger „Care-Moment“ sein. Unter Frauen sind sie besonders wichtig, da es in unseren patriarchalen Gesellschaften, in denen wir alle seit 4000- 6000 Jahren leben, die historische Norm ist, dass mit der Eheschließung die Netzwerke der Frauen zerstört wurden – und in vielen Teilen der Erde ist das heute noch so. In patriarchalen Gesellschaften gibt es die Komponenten der Patrilokalität und Patrilinearität:

Patrilinearität ist die Tatsache, dass die Erbfolge und auch die Namensfolge vom Mann abhängt. Patrilokalität bedeutet, dass mit der Eheschließung die Frau in den Haushalt und in die Familie des Mannes überführt wird. Dadurch wurden bewusst Netzwerke und Care-Systeme von Frauen zerstört. Weshalb mich auch Aussagen sehr ärgern wie „Frauen sind nicht so gut im Netzwerken“. Das ist falsch: Die Netzwerke von Frauen wurden in patriarchalen Gesellschaften bewusst zerstört. Deswegen ist Netzwerken unter Frauen so wichtig. Es ist ein feministischer Akt, weil es dem patriarchalen Vorgehen widerstrebt, und weil Netzwerke Unterstützung und Halt geben, gemeinsame Interessen zu vertreten und voranzubringen.

Kristina Lunz liest gerne und ist inzwischen selbst erfolgreiche Autorin. Zuletzt erschienen ist die englische Version ihres Buchs „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ (Ullstein, 2022) © Stevy Hochkeppel
© Stevy Hochkeppel

In Ihrem Buch „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ beschreiben Sie wie eng verknüpft das Thema Frauenrechte zum Beispiel mit den Themen Klimaschutz und Sicherheit ist und wie am Ende alles miteinander zusammenhängt. Wieso ist es so wichtig all diese Dinge gemeinsam zu betrachten?

Wir leben in einer komplexen Welt, in der Dynamiken miteinander zusammenhängen. Die Tatsache, dass die Unterdrückung von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen Teil des gesellschaftlichen Aufbaus sind, bedeutet, dass alle Aspekte des Zusammenlebens – von Gesundheit, Aufrüstung, Menschenrechtsverteidigung etc. – eine feministische Perspektive haben. Die Unterdrückung von Frauen und marginalisierten Gruppen verstärkt die bestehenden Probleme und Krisen nochmal. Der weltweite Ruck hin zu autokratischen Staaten funktioniert deswegen so gut, weil z. B.  Frauenrechte und Marginalisiertenrechte hier bereits am Rand sind. Der internationale Trend zur Aufrüstung nimmt zum einen Gelder für soziale Themen weg und gefährdet zum anderen die Sicherheit von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen noch zusätzlich. Auch die Ausbeutung von Frauen und sogenannter „Mutter Natur“ passieren nicht losgelöst voneinander: Das Beherrschen von Frauen und das Beherrschen der Natur stehen in direktem Zusammenhang. Wenn wir all das nicht im gesamten Kontext betrachten, laufen wir Gefahr, beim Versuch, komplizierte Probleme zu bewältigen, die Komplexität derart zu reduzieren, dass wir gesellschaftliche Diskriminierungsstrukturen weiter aufrechterhalten und vielleicht sogar noch verstärken, indem wir vermeintliche Lösungen anwenden wollen, die nur die Probleme von morgen werden.

„Ohne Feminismus gibt es keinen Frieden“: Das Porträt von Kristina Lunz mit diesem Zitat ist Teil des „Follow Women“-Kalenders von Nadia Linek, der zum 7. Mal erschienen ist und inspirierende Frauen ehrt, die Besonderes in Sachen Gleichstellung bewirkt haben. © Stevy Hochkeppel
© Stevy Hochkeppel

Mutig sein, laut sein, sich zeigen – um wichtige Anliegen voranzubringen, macht man sich notgedrungen auch sehr verletzlich. Im Podcast mit Schauspielerin und Regisseurin Minh-Khai Phan-Thi („Anders sein“) erzählen Sie, wie Sie mit anfänglicher Naivität an z.B. die Anti-Sexismus Petition gegen die BILD-Zeitung 2014 herangegangen sind und von Hass-Kommentaren im Netz überrannt wurden als Reaktion auf Ihre Courage. Wie gehen Sie heute mit Hate Speech um? Wie nah lassen Sie das an sich ran und was lässt Sie trotz allem weitermachen?

Ich gehe mal besser und mal schlechter damit um. In den guten Zeiten kommt es wirklich wenig an mich heran, weil ich inzwischen ein gutes Support-Netz aufgebaut habe. Das besteht zum Beispiel aus meinem Therapeuten/Coach, meinem Zugang zu und Zusammenarbeit mit HateAid, dem Austausch mit meinen feministisch-aktivistischen Freundinnen und meinem Wissen über die Funktionsweise und das Ziel von „Silencing“ – also dem Tool, mit dem Frauen zum Schweigen gebracht werden sollen, die den Status Quo in Frage stellen.  Das ist in guten Zeiten der Werkzeugkoffer, der mir hilft, gut weiter voranschreiten zu können. In nicht so guten Zeiten ist das natürlich auch alles da. Gleichzeitig sind dann aber die Anfeindungen und der kurzfristige Zweifel an großen Teilen der Menschheit so groß, dass für mich in diesen Zeiten eher ein kurzfristiger Rückzug die Lösung ist, um wieder Kraft zu tanken.

Was würden Sie Frauen raten, die, wie Sie die Ungerechtigkeit der Welt erkannt haben – die bislang aber noch etwas davon abhält, selbst aktiv zu werden? Wo anfangen?

Ich glaube, ich würde erstmal mit großer Empathie und Verständnis auf diese Zurückhaltung schauen und den Frauen mitgeben wollen, dass ich verstehe, dass das alles überwältigend wirkt. Nicht nur die Komplexitäten, die Problemlagen, die multiplen Krisen, sondern auch das Echo und die Gegenreaktion, die man dann abbekommt. Zuallererst ist da also der Blick mit Güte auf diese Zurückhaltung. Im zweiten Schritt, denke ich, ist das Schlauste am Anfang, der Zusammenschluss mit anderen: Das kann mit anderen Individuen sein, das kann der Anschluss an eine Organisation sein, Volunteering oder auch hauptberuflich, wenn das eine Möglichkeit ist. Ich glaube, es ist wichtig, das Gefühl zu haben, nicht allein mit den Dingen zu sein, die man anfangs vielleicht erfahren könnte. Und da sind wir auch schon wieder bei den Netzwerken: groß(artige) Netzwerke helfen da. Es ist ratsam anzuerkennen und zu akzeptieren, dass die Herausforderungen sehr, sehr groß sind und diejenigen, die progressives und feministisches Denken nicht sehen wollen, auch sehr meinungsstark. Deshalb ist für den Anfang mein Rat, den Zusammenschluss mit anderen zu suchen und sicherzustellen, gut eingebettet zu sein, in ein wohlwollendes Caring-System.

© Stevy Hochkeppel
© Stevy Hochkeppel
„Only the strong stay soft!” – das ist Kristina Lunz' innere Antwort auf den Hass, den sie als feministische Aktivistin oft erfährt. Statt auf Ellenbogen setzt sie auf Warmherzigkeit. © Stevy Hochkeppel

In Ihrem Buch porträtieren Sie zwischen den Kapiteln inspirierende Frauen, die maßgeblich am rechtlichen und politischen Fortschritt beteiligt waren, von dem alle Frauen heute profitieren. Sie fragen sie darin abschließend nach ihren Lieblingsbüchern und- autor*innen. Daher an Sie als letzte Frage: Haben Sie ein Lieblingsbuch oder Lieblingsautor*in? Was lesen Sie gerade?

Ich lese gerade wieder mehrere Bücher: Ich habe gerade die Britney-Spears-Biografie angefangen, um mal wieder etwas Leichteres zu lesen, und parallel „How to Stand Up to a Dictator“ von Maria Ressa. Was ich die Tage beendet habe und auch eine große Empfehlung ist: „Der Chauvinismus Russlands“ von Sabine Fischer. Die Frage nach meiner Lieblingsautorin ist da schon schwieriger (lacht): Dazu zählen in jedem Fall Isabel Allende, Eva Menasse, Naomi Klein und Zadie Smith.


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