Freiheit fürs Internet

Freiheit fürs Internet
Autor: Julien Wilkens Illustrationen: Sebastian König 25.08.2022

Studien zeigen ein „blindes Vertrauen“ in Suchmaschinen bei rund drei von vier Anwender*innen – dabei sind die angezeigten Ergebnisse nicht neutral. Die Open Search Foundation will einen Index fürs Internet auf Basis europäischer Werte aufbauen. Wie kann das angesichts der Giganten im Such­maschinen­markt gelingen?

Mehr als neun von zehn Internetsuchen in Europa laufen über Google: Die Such­maschine des zur neu benannten Dach­­gesellschaft „Alphabet“ gehörenden Tech-Riesen bestimmt unsere Sicht auf das Internet, wie wir es im Westen kennen. Google ist so omnipräsent, dass der Duden den Namen des US-Unternehmens 2004 als Verb aufnahm: Deutschland „googelt“ seitdem semantisch hoch­­offiziell.

Daten in der Blackbox

Der neutrale, transparente und uneingeschränkte Zugang zu Daten, Information und Wissen – ein Grundrecht für alle Bürger*innen Europas – läuft über die Server einer US-Firma, die eigene wirtschaftliche und politische Ziele verfolgt. Alphabet besitzt einen sich laufend aktualisierenden Index über die im Internet verfügbaren Seiten und ist damit Teil eines sehr exklusiven Tech-Klubs. Daneben haben das US-Technologie­unternehmen Microsoft mit Bing, das russische Yandex und das chinesische Baidu noch einen Index. So weit die Karto­grafie des World Wide Webs.

Jede Suche kostet Google etwas: Nach eigenen Angaben schlägt ein Such­vorgang mit rund 0,0003 Kilowattstunden zu Buche, produziert werden dabei 0,3 Gramm CO2 – und doch ist die Nutzung für uns User*innen augen­scheinlich kosten­los. Aber: „Wir zahlen mit unseren Daten“, sagt Christine Plote, Vorstandsmitglied bei der Open Search Foundation (OSF). Diese Informationen, also was wir wann mit welchem Browser auf welchem Gerät von wo gesucht haben, verschwinden in einer Art Blackbox. „Wer von uns weiß schon, welche Daten Google über uns hat und was der Konzern damit macht? Denken Sie mal an sehr persönliche Themen, zum Beispiel Krankheiten, die wir im Internet recherchieren“, fragt die Expertin. Das öffne Tür und Tor für gewollte oder ungewollte Manipulation und Missbrauch. „Wollen wir als freie Gesellschaft diesen Verlust unserer Privatheit akzeptieren? Was wir mit der Internet­suche über uns preis­geben, sollten wir selbst in der Hand haben.“

Christine Plote
© privat

Christine Plote
ist studierte Betriebswirtschaftlerin, Gründungsmitglied der Open Search Foundation und im OSF-Vorstand. Außerdem ist Plote Co-Leiterin von #ethicsinsearch und gleichzeitig Geschäfts­führerin von Plote Kommunikations­beratung.

Ein Suchindex mit europäischen Werten

Die OSF will einen eigenen offenen Index schaffen, der auf europäischen Werten fußt. Es geht um nichts Geringeres als das Verankern von Ethik in der Internet­suche. Ein Web-Index ist eine Art Kartei aller Informationen und Dokumente im Netz. Ohne Index müssten Such­maschinen jedes Mal Aber­millionen von Seiten durch­suchen – ein irrsinnig lang­wieriges Unter­fangen. Die durch Algorithmen erstellte Karteikarte des Internets weist den direkten Weg, die Suchmaschine kann das Ergebnis in wenigen Mikro­sekunden liefern.

Da das Internet stetig wächst, müssen spezielle Programme, die sogenannten Webcrawler, durch das Internet „krabbeln“ und neue Seiten und Änderungen erfassen. Google und Co. nutzen für die Internet­verzeichnisse riesige Rechen­zentren. Die OSF skizziert eine dezentrale Lösung: Dafür soll die verfügbare Rechen­leistung dieser Zentren gebündelt werden – im Netz. Datacenter wie das Leibniz-Rechen­zentrum in Garching bei München, eines der größten wissenschaftlichen Rechen­zentren Europas, und das für den Teilchen­beschleuniger weltweit bekannte CERN bei Genf katalogisieren bereits erste Teile des Internets für den Index.

© Sebastian König

Vielfalt und Teilhabe statt Macht­monopol

„Wir denken im Alltag nicht so oft daran“, sagt Expertin Plote, „aber Google hat eine enorme Macht über uns.“ Wir haben uns so sehr an Google als Synonym für die Internet­suche gewöhnt, dass kaum vor­zu­stellen ist, was ohne wäre. Dieser Marktmacht ist sich Google bewusst: Anfang 2021 drohte der US-Riese in Australien im Streit um ein neues Medien­gesetz der Regierung unverfroren mit der Abschaltung seiner Such­maschine. Hintergrund: Google und Facebook sollten dazu verpflichtet werden, lokale Medien­unternehmen zu bezahlen, wenn sie deren Inhalte verbreiteten. Das Beispiel zeigt: „Schon allein um eine Alternative zu haben, ist solch ein neuer Index sinnvoll“, so Plote. Denn aktuell hat Alphabet das Monopol: Google dominiert den europäischen Such­maschinen­markt mit mehr als 93 Prozent, gefolgt von Bing mit knapp über zwei Prozent, auf das russische Yandex entfallen etwas unter zwei. Der Rest wie Ecosia, DuckDuckGo und Co. – die übrigens den Index von Microsoft nutzen – kommt nicht mal auf einen halben Prozent­punkt. Dass das russische Yandex keine Alternative zu Google in Europa darstellt, ist nicht erst seit dem Angriffs­krieg Russlands auf die Ukraine und der darauf­folgenden flächen­deckenden Zensur im Land spürbar.

© Sebastian König

Ethik von Anfang an mitgedacht

Die OSF will die Ethik in der Internetsuche verankern. „Es ist wichtig, dass wir bei der Internet­suche ethische Werte von Anfang an mit­denken“, erklärt Plote. „Wir sprechen von ‚ethics by design‘.“ Studien zeigen regel­mäßig ein „blindes Vertrauen“ in Such­maschinen bei rund drei von vier Anwender*innen. Der Grund: Die Ergebnisse erscheinen neutral und universell. „Dabei bekommen wir unter­schiedliche Such­ergebnisse ausgespielt, allein schon, wenn wir in einem anderen Land sind“, sagt die Expertin, „und auch abhängig davon, was wir vorher gesucht haben.“

Schnell vergessen ist, dass zwar ein Algorithmus die Suche ausführt. „Den hat aber jemand programmiert – und wir wissen nicht, nach welchen Kriterien“, so Plote. Wie genau das die Such­ergebnisse beeinflusst? „Dafür müsste Google seinen Algorithmus zugänglich machen, sein Innen­leben offenlegen.“ Schon 2013 hat eine Kampagne der UN auf die Macht der Google-Suche aufmerksam gemacht: Auf den Plakaten sind vier Frauen unter­schiedlicher Herkunft abgebildet, die anstelle des Mundes ein Google-Such­fenster haben. Eingegeben sind Satz­anfänge wie „Frauen können nicht …“, „Frauen sollten nicht …“, „Frauen sollten …“ und „Frauen müssen …“. Die Ergebnisse der automatischen Google-Vervollständigung: „Frauen können nicht Auto fahren“, „Frauen sollten nicht wählen“, „Frauen sollten in der Küche bleiben“ und „Frauen sollten Sklaven sein“. Den Satzanfang „Frauen müssen …“ vollendete Google mit „diszipliniert werden“. Inzwischen kann man bei Google unangemessene Vervoll­ständigungen melden.

Internetsuche der nächsten Generation

Um solche Suchmaschinen-Bias, also Verzerrungen, zu umgehen, will die OSF ähnlich wie die offene Enzyklopädie Wikipedia vorgehen: „Wissenschafts­zentren, Bibliotheken und die Öffentlichkeit könnten die Internet­suche mitgestalten, zum Beispiel, indem sie Daten­bank­strukturen, thematische Fragen und Algorithmen überprüfen“, erläutert Plote. So werde die Infra­struktur im besten Sinne ein öffentliches europäisches Gut und damit das Fundament für eine Vielfalt von transparenten und neuartigen Such­maschinen. Wobei auch völlig neuartige Dienste auf den Index aufgesetzt werden könnten – und dieser sich sogar als Booster für die europäische Innovations­landschaft erweisen könnte. „Transparenz, Vielfalt und Unabhängigkeit sind wichtige Werte. Deshalb bauen wir bei unserer Arbeit auf die öffentliche Moderation, einen verteilten Index und den Open-Source-Gedanken“, so OSF-Vorstands­mitglied Plote. Immer mit dem Ziel einer offenen, freien und verteilten Infrastruktur für die Suche im Netz. Damit die Gemeinschaft – und nicht das Geld – der Treiber für den Aufbau einer neuen Internetsuche wird.


Open Search Foundation

Die Open Search Foundation (OSF) setzt sich für eine offene, transparente und unabhängige Internetsuche in Europa ein. Daran arbeiten Menschen unter­schiedlicher fachlicher Ausrichtung sowie Forschungs­einrichtungen und Rechen­zentren.

opensearchfoundation.org/