„Wir müssen nur wollen“

„Wir müssen nur wollen“
Autorin: Matthias Klein 12.05.2021

Corona hat die wahren gesellschaftlichen Verhältnisse wie unter einem Brennglas hervortreten lassen: Wir bewegen uns bei der Geschlechtergerechtigkeit rückwärts, sagt die Soziologin Jutta Allmendinger im Interview. „Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem.“

Frau Allmendinger, seit etwas mehr als einem Jahr sitzen viele von uns im Homeoffice. Auch viele Väter arbeiten von zu Hause – was heißt das für die Geschlechtergerechtigkeit?

Jutta Allmendinger: Wir fragen uns seit Langem, wie wir jungen Männern helfen können, das zu tun, was sie uns immer wieder sagen: partnerschaftlich zu leben, gemeinsam Sorge zu tragen, füreinander da zu sein, wenn es um die Erwerbskarriere des Partners oder der Partnerin geht. Stellen wir uns einmal vor, bei einer Veranstaltung der Stiftung Mercator 2019 wäre die Idee aufgekommen, flächendeckend das Arbeiten in den Betrieben ins Homeoffice zu verlegen, also möglichst viele Menschen von Zuhause arbeiten zu lassen.

Was hätte man für diesen Versuch unternommen? Man hätte den Menschen sicherlich entsprechende Rahmenbedingungen geboten, um das Arbeiten von Zuhause so zu organisieren, dass Paare etwaige Belastungen partnerschaftlich aufteilen können, damit beide mit der Situation zurecht kommen. Das Modellprojekt hätte man dafür langfristig vorbereitet: Bereitstellung der notwendigen Ausstattung für Zuhause, wie etwa Schreibtische oder Laptops; Kinderbetreuung für die Kleinen, Ganztagsschulen; Neuregelung von Elternzeit und Besteuerung; Tipps für strukturierte Arbeitstage; Unterstützung der Arbeitgeber. Die Pandemie bescherte uns eine Situation, in der wir von jetzt auf gleich mit dem Szenario umgehen mussten, aber eben ohne die nötigen Vorbereitungen. Tatsächlich traf das Homeoffice auf zementierte Strukturen und Kulturen. Damit wurde die Ungleichheit in der unbezahlten und mental höchst belastenden Sorgearbeit zwischen jungen Müttern und Vätern deutlich verschärft.

Auf welchen langfristigen gesellschaftlichen Entwicklungen basiert das?

Allmendinger: In Deutschland werden Kinder noch immer den Frauen zugewiesen, oft ohne groß nachzudenken, ganz selbstverständlich. Das Bild der „Rabenmutter“ hat sich noch nicht überlebt. Die Strukturen unseres Sozialstaates gehen damit Hand in Hand. Zumindest ökonomisch gesehen fährt eine Familie zunächst meist dann am besten, wenn der Mann Vollzeit, die Frau Teilzeit erwerbstätig ist. Die Väter sind meist etwas älter, im Beruf oft etablierter, zudem in sogenannten Männerberufen, die meist besser vergütet als sogenannte Frauenberufe sind, und mit Berufsaussichten, die auf der Karriereleiter bis ganz nach oben führen.

Die kurzfristig durchaus nachvollziehbaren ökonomischen Verlockungen führen mittelfristig zu hohen und alles andere als gleich verteilten Kosten. Karrieren in Teilzeit sind leider noch immer schlecht möglich, sie führen eher auf Mummy Tracks: Laufbahnen, die weniger gut bezahlt sind, kaum Aufstiegschancen bieten. Die Zuordnungen, wer für was in der Familie zuständig ist, verfestigen sich dadurch, sind deswegen kaum aufzubrechen.

Wenn aber die Partnerschaft scheitert, müssen beide nach drei Jahren auf eigenen Beinen stehen. Für viele Mütter ist das alles andere als einfach. Ich illustriere dies nach wie vor gerne anhand der Altersrente, die das Erwerbsleben knallhart bilanziert. Und die fällt für Frauen immer noch deutlich niedriger aus als für Männer. Und wenn wir nicht bald etwas ändern, dann bleibt diese Unwucht. Aktuelle Berechnungen zeigen: Mütter des Jahrgang 1985 mit zwei Kindern verdienen etwa eine Million Euro weniger über ihr gesamtes Erwerbsleben als Väter. Für die einen reicht die Rente nicht zum Leben, für die anderen schon.

© Getty Images

Als Sie Ihre Beobachtungen vor rund einem Jahr zum ersten Mal veröffentlicht haben, stießen Sie auch auf viel Kritik. Hat Sie das überrascht?

Allmendinger: Über viele Kommentare zu meiner Retraditionalisierungsthese habe ich mich gefreut. Da hieß es dann „Papas auf dem Spielplatz“ und ähnliches, immer mit dem Tenor, Väter übernähmen doch schon viel mehr Betreuungsarbeit als zu Zeiten vor Corona. Wer das schreibt, akzeptiert zumindest die Forderung nach vergleichbaren Lebensverläufen. Ein wichtiger Schritt. Viele Kommentare fand ich etwas naiv, zumindest dann, wenn man mit dem proportional doch viel höheren Anstieg der Betreuungsarbeit von Männern argumentierte. Proportionale Steigerungen sind dann möglich, wenn man von einem sehr niedrigen Niveau aus startet.

Bei Frauen gibt es dagegen Grenzlasten, da sie schon vor der Pandemie bereits einen Großteil der Sorgearbeit übernahmen. Der Tag hat aber nunmal nur 24 Stunden. Die zusätzlichen Stunden der Hausarbeit und Kinderbetreuung gingen deshalb oft an die Substanz der Mütter. Überrascht war ich immer dann, wenn man Homeoffice mit einem mehr an Geschlechtergerechtigkeit gleich setzte. Klar machen es flexible Arbeitszeiten, leichter, Beruf und Familie zu vereinbaren, man spart auch jede Menge Pendelzeit. Aber warum und wie das Homeoffice den Gender Wage Gap, den Pension Gap oder den Position Gap schließen soll, erschließt sich mir nicht. Um beruflich vorwärtszukommen, brauchen Frauen Sichtbarkeit. Die Pandemie hat ihnen diese Sichtbarkeit genommen.

Nach der Coronakrise wird die Arbeitswelt eine andere sein, heißt es oft. Sehen Sie Chancen für positive Veränderungen in Sachen Geschlechtergerechtigkeit?

Allmendinger: Klar. Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem. Wir müssen nur wollen. Deshalb sind die Frauen dabei, sich generationsübergreifend, sektorenübergreifend, parteiübergreifend und religionsübergreifend zusammenzuschließen. Dass sie zusammen etwas erreichen können, zeigte die Initiative zum Führungspositionsgesetz II. Ich denke, das war nur der Anfang.

Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen – Digitaler Mercator Salon mit Jutta Allmendinger

18. Mai 2021, 18:00 Uhr

Mit dem Moderator und Politikwissenschaftler Louis Klamroth diskutiert Jutta Allmendinger, warum wir uns von einer geschlechtergerechten Gesellschaft eher weiter entfernen. Ursachen und Folgen, aber auch Lösungsperspektiven sollen aufgezeigt werden. Mehr Informationen finden Sie hier.

Sie schreiben in Ihrem Buch, Kamala Harris sei als US-Vizepräsidentin ein positives Zeichen. Ihr Amtsantritt liegt nun ein bisschen zurück – hat sich seitdem etwas verändert?

Allmendinger: Dass Kamala Harris Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten geworden ist, das ist noch immer ein sehr positives Zeichen für einen Wandel. Ich sehe solche Zeichen auch diesseits des Atlantiks, in unserem Land: Annalena Baerbock ist Kanzlerkandidatin, Anna-Nicole Heinrich ist Präses der Evangelischen Kirche, Katja Becker ist Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Martina Brockmeier ist als Kandidatin für das höchste Amt der Leibniz-Gemeinschaft nominiert. Wir brauchen diese und viele weitere Zeichen. Sie formen unsere Erwartungshaltungen und, noch wichtiger, die unserer Kinder und der Menschen, die nach Deutschland kommen.

Damit es bei der Geschlechtergerechtigkeit kurzfristig Verbesserungen gibt: Wer muss dafür aus Ihrer Sicht nun etwas tun? Die Männer? Oder die Frauen?

Allmendinger: Es geht nur gemeinsam.


Literatur:

Jutta Allmendinger: Es geht nur gemeinsam!, Ullstein Taschenbuch, 2021