Nani Jansen Reventlow: Kämpferin für digitale Menschenrechte
In mehr als 50 Ländern kämpfte sie als Anwältin vor Gericht gegen Menschenrechtsverletzungen. Heute arbeitet Nani Jansen Reventlow im Spannungsfeld zwischen Menschenrechten, sozialer Gerechtigkeit und Technologie.
„Als schwarze Frau einfach ihre normale Arbeit zu machen, das bedeutet, dass man von Berater*innen, die man engagiert hat, untergraben wird, dass man von Mitarbeiter*innen, Stipendiat*innen, Kolleg*innen und Geldgeber*innen angefeindet wird und dass man gegen tief verwurzelte Vorurteile ankämpfen muss, wodurch man nur Gefahr läuft, sie zu verstärken. Ich habe mich oft gefragt, wie viel ich erreichen könnte, wenn ich nicht Zeit, Energie und Gehirnschmalz für solche Dinge aufwenden müsste.“ So blickt Nani Jansen Reventlow, eine erfolgreiche, weltweit arbeitende Menschenrechtsanwältin, in ihrem Abschiedsgruß an den Digital Freedom Fund (DFF) auf ihre bisherigen 20 Jahre in dem Feld zurück. Dabei ist es nicht so, dass Jansen Reventlow wenig erreicht hätte: Sie vertrat erfolgreich eine Lehrerin und Bloggerin, die in Äthiopien wegen Terrorismus inhaftiert war, eine bahrainische Reporterin, die von der Polizei gefoltert wurde, und zwei ruandische Journalistinnen, die beschuldigt wurden, durch ihre Berichterstattung die nationale Sicherheit zu gefährden. Viel mediales Echo bereitete ihr die aserbaidschanische Investigativjournalistin Khadija Ismayilova, die sie zusammen mit der prominenten Juristin Amal Clooney vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertrat. Sie wurde von der Harvard-Universität mit dem Titel „Women Inspiring Change“ ausgezeichnet, bekam den „Internet & Society Award“ vom Oxford Internet Institute, die US-amerikanische Tageszeitung „Politico“ nahm sie in die Top 10 der visionären Technologieführer*innen in Europa auf.
Katze statt Computer
Jansen Reventlow lebt in Berlin. Dort hat sie den DFF gegründet, in der „Hauptstadt der digitalen Rechte“, wie sie es sagt. Ihre Kindheit verbrachte sie im Amsterdam der 80er-Jahre. „Damals war die unausgesprochene Regel, dass es keine Probleme mit Rassismus gibt. Doch dann wurde ich älter und merkte: Das stimmt nicht“, sagt sie und kann darüber lachen. Ihren Spitznamen Nani, den sie heute als Rufnamen trägt, bekam sie schon da. Er bedeutet „Die, die nach Oma benannt ist“, erklärt sie. In ihrem Lebenslauf benennt sie sich Yakaré-Oulé (Nani) Jansen Reventlow.
Dass sie sich heute mit Menschenrechten im Technologieumfeld beschäftigt, war ihr nicht in die Wiege gelegt. „Ich erinnere mich noch daran, dass meine Schwester und ich an einem Weihnachtsfest sehr aufgeregt waren, weil unsere Mutter uns ein großes Geschenk angekündigt hatte. Wir dachten, es würde ein Computer sein. Aber es war … eine Katze!“, erzählt sie rückblickend. Erst auf der Uni bekam sie ihr erstes E-Mail-Konto.
Auch der Weg zur Karriere als Menschenrechtsanwältin war nicht vorgezeichnet. Als Kind wollte sie unbedingt Zahnärztin zu werden. Doch nach zwei Semestern der Zahnmedizin wechselte sie zu Jura – und verliebte sich in die Menschenrechte. Am Anfang arbeitete sie in einer großen Anwaltskanzlei. „Genau vier Jahre und zwei Monate waren das. Und dass ich das noch so genau weiß, zeigt nur, wie sehr es mir dort missfallen hat.“ Von rund 300 Angestellten war sie eine von fünf Person of Color. Ihre Berufung fand Jansen Reventlow in London bei der Media Legal Defence Initiative (MLDI), einer Organisation, die sich auf Pressefreiheit konzentriert. Obwohl das zu dem Zeitpunkt nicht wirklich ihr Feld war, bewarb sie sich – und bekam den Job.
Diskriminierende Algorithmen
Der wachsende Einsatz digitaler Technologien durch Staat und Wirtschaft brachte neue Herausforderungen für die Ausübung, Durchsetzung und den Schutz von Menschenrechten mit sich. Zum Schutz dieser Rechte im Digitalen gründete die gebürtige Niederländerin 2017 den Digital Freedom Fund (DFF) und leitete ihn bis Ende 2021. „Fünf Jahre, das hatte ich von Anfang an gesagt, dann muss die Organisation stehen und ohne mich funktionieren“, erklärt die 43-Jährige im Zoom-Interview. Bis heute hat der DFF 60 Projekte unterstützt – von der Anfechtung der Onlineprofilerstellung durch Regierungen über Onlinezensur und AdTech bis hin zum Datenschutz von Asylbewerber*innen.
„Wir gehen den Weg der strategischen Prozessführung“, erklärt Jansen Reventlow. Zuletzt unterstützte der DFF niederländische Kläger*innen vor Gericht gegen die Regierung in Den Haag: Bei dem Fall ging es um einen Algorithmus, der erkennen sollte, ob jemand einen Betrug begehen wird – und vor allem in Gemeinden mit einer hohen Einwanderungsrate und einem niedrigen Einkommen eingesetzt werden sollte. Die Anwendung war also schlicht diskriminierend, sagt sie. Daraufhin taten sich verschiedene Nichtregierungsorganisationen zusammen und zogen vor Gericht, finanziert vom DFF, und sie bekamen Recht. Es sind die kleinen, wiederholten, ausdauernden Schritte, die Jansen Reventlow geht, um das Große zu erreichen: das gleiche Recht für alle.
„Am Anfang bestand der DFF aus meinem Laptop und mir. Wir hatten große Ziele im Kopf“, blickt Nani Jansen Reventlow zurück. Und doch waren es die kleinen Probleme, die besondere Kopfschmerzen machten. „Ich hatte zum Beispiel den finanziellen Aspekt einer solchen Organisation komplett unterschätzt. Plötzlich musste ich eine Finanzmanagerin suchen“, sagt sie und lacht ein mitreißendes Lachen.
Am Anfang bestand der DFF aus meinem Laptop und mir. Wir hatten große Ziele im Kopf.
Divers im Digitalen
Ein besonderes Anliegen ist Jansen Reventlow das Projekt der Dekolonisierung der digitalen Rechte. „Die Idee für den Dekolonisierungsprozess entstand, als ich mir das Gruppenfoto des ersten DFF-Strategietreffens 2018 ansah und bemerkte, dass ich die einzige Person of Color war … Nicht gerade ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.“ Immer mehr Belege zeugen davon, dass die Nutzung digitaler Technologien das Potenzial hat, bestehende Formen der Unterdrückung wie Rassismus, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit, Homophobie und Transphobie nicht nur zu reproduzieren, sondern auch zu verstärken, erklärt sie. Jansen Reventlow will dies im Kern bekämpfen – und das Diverse der Gesellschaft auch in den digitalen Rechten geschützt wissen. Dafür braucht es ein Sprachrohr: „Wir haben 2019 begonnen, mit Organisationen und Einzelpersonen zu sprechen, die derzeit nicht als Teil der Diskussion über digitale Rechte wahrgenommen werden“, erklärt sie. Das sind Organisationen, die sich für Rassengerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Gerechtigkeit oder Klimagerechtigkeit einsetzen. „Wir fragten sie, wie und ob sie sich mit digitalen Themen befassen, was sie in diesem Zusammenhang ansprechen würden.“
Präzedenzfälle für Menschenrechte
Sie führte Prozesse in mehr als 50 Ländern – das sind 50 verschiedene Gesetzgebungen. „Ich bin immer etwas traurig, wenn manche Fälle eine große mediale Aufmerksamkeit bekommen und andere genauso wichtige nicht“, betont sie. Besonders stolz ist sie auf ihren Sieg in einem Strafverfahren wegen Verleumdung vor dem Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker, dem afrikanischen Pendant des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Sie vertrat einen Journalisten aus Burkina Faso, der wegen eines kritischen Beitrags über einen Staatsanwalt des Landes ins Gefängnis musste. Das Land musste seine Gesetzgebung ändern. Das sind die nachhaltigen Erfolge, die sie mit der strategischen Prozessführung erreichen will.
Nani Jansen Reventlow hat den Digital Freedom Fund Ende 2021 verlassen und baut seitdem die neue Organisation Systemic Justice auf. Mauricio Lazala Leibovich übernimmt seitdem beim DFF. Jansen Reventlows Vision aber bleibt: die Sicherung der digitalen Rechte für alle.
Kommunikation und Netzwerkarbeit: Safeguarding Digital Rights for All
Die Initiative von European Digital Rights (EDRi) und Digital Freedom Fund (DFF) sensibilisiert Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaft für die Wechselwirkungen zwischen digitalen Technologien und bestehenden Benachteiligungen. Zugleich unterstützt sie Organisationen, die digitalisierungsbedingten Herausforderungen in ihren Kernthemen zu adressieren.
digitalfreedomfund.org/