Alle Macht der Community? Was Bitcoin & Co. mit Wikipedia gemeinsam haben

Alle Macht der Community? Was Bitcoin & Co. mit Wikipedia gemeinsam haben
Autor: Stefan Mey 11.01.2024

Kryptowährungen: Manche sind seriös, andere eher dubios. Die einen loten innovativ die Grenzen eines neuen Geldsystems aus. Andere sind mehr Schein als Sein. Schwer verständlich sind sie alle. Einen alternativen Zugang ermöglicht ein Blick auf die Organisationsmodelle der Technologien. Denn in einigen Punkten ähneln die „Coins“ den Arbeitsweisen klassischer digitaler Gemeingut-Projekte.

Der 3. Januar 2009 ist die offizielle Geburtsstunde des Bitcoins. 15 Jahre später liegt die Marktkapitalisierung der ersten funktionsfähigen Kryptowährung bei mehr als 800 Milliarden Euro. Daneben gibt es mittlerweile Hunderte anderer Coins. Sie heißen Ether, Dogecoin, Dai, Litecoin oder Monero und fungieren als digitale Zahlungsmittel auf legalen und illegalen Märkten. Sie bieten Investmentmöglichkeiten aufgrund rasant steigender (oder fallender) Wechselkurse. Oder sie nutzen das Potenzial der zugrunde liegenden dezentralen Buchhaltungstechnologie namens Blockchain. 

Diese gilt als eigentlicher Geniestreich hinter den Kryptowährungen: Es handelt sich um ein digitales Kassenbuch, bestehend aus einer Kette („Chain“) miteinander verknüpfter „Blocks“, in denen die letzten Transaktionen der jeweiligen Kryptowährung vermerkt sind. Dieses Kassenbuch liegt verteilt auf Tausenden Rechnern.

Bitcoin & Co. als digitale Gemeingut-Projekte

Typischerweise handelt es sich bei Blockchain-Technologien um Softwareprojekte unter freien Lizenzen. Deshalb haben Kryptowährungen überraschend viel mit nichtkommerziellen Gemeingut-Projekten gemeinsam. 

Diese entstehen in typischen Konstellationen, bestehend aus verschiedenen Akteursgruppen. Die meist wichtigste Säule bildet eine Community, die über gemeinsame Werte und Interessen zusammengehalten wird. Als zweite Säule kommen oft formale Non-Profit-Organisationen mit Angestellten hinzu. Manchmal sind als ein Teil dieser Akteure außerdem Unternehmen mit im Spiel, die über spezifische Geschäftsmodelle Geld mit digitalen Gemeingütern verdienen. Viertens spielen mitunter auch prominente Einzelpersonen eine Rolle. Diese Säulen aus Akteur*innen bilden die Architektur eines digitalen Gemeingut-Projektes. 

Portraitfoto von Stefan Mey
© Sergei Magel / HNF

Stefan Mey ist freier Technologiejournalist in Berlin. 2023 beschäftigte er sich während eines Mercator-Journalist in Residence-Aufenthalts am Zentrum verantwortungsbewusste Digitalisierung (Zevedi) mit den Governance-Modellen großer Kryptowährungen.

Wikipedia, Firefox und Linux

Wikipedia etwa basiert auf zwei Säulen. Die Inhalte der Online-Enzyklopädie entstehen in den Communitys der verschiedenen Sprachversionen. Für die technologischen Grundlagen sorgt eine globale Mutterorganisation, die US-amerikanische Wikimedia Foundation. Der freie Browser Firefox entsteht – ohne nennenswerte Einbindung einer Community – fast ausschließlich innerhalb einer Organisation, der ebenfalls US-amerikanischen Mozilla Foundation. Die PC-Betriebssystemfamilie Linux ist ein Mit- und Nebeneinander von Communitys, Organisationen und Unternehmen. Das bei IT-Laien besonders beliebte Betriebssystem Linux Ubuntu beispielsweise wird federführend vom Unternehmen Canonical Limited mit Sitz auf der Isle of Man entwickelt, angeführt vom Ubuntu- und Canonical-Gründer Mark Shuttleworth. Eine angeschlossene Community kann über pseudodemokratische Gremien mitbestimmen.  

Eine ähnliche Akteurskonstellation weisen Kryptowährungen auf. So auch die drei größten Kryptowährungen nach Marktkapitalisierung.  

Bitcoin: fünf „Maintainer“ und eine Infrastruktur-Community 

Der Quellcode der Bitcoin-Technologie liegt auf der in IT-Kreisen oft verwendeten Plattform Github. Das Bitcoin-Projekt lädt alle Interessierten ein, sich an der Weiterentwicklung zu beteiligen. Das oberste Machtgremium der Community sind fünf „Maintainer“. Diese haben Schreibrecht am Code: Sie können – eigene oder fremde – neue Programmierbeiträge nach Konsultation der Community einbauen oder verwerfen. 

Beim Bitcoin überprüfen „Miner“ für jede geplante Transaktion, ob ein bestimmter Coin oder Coin-Bruchteil tatsächlich einem bestimmten Bitcoin-Nummernkonto gehört und ob die Geldeinheit noch nicht ausgegeben wurde. Im Anschluss schreiben sie den transferierten Betrag dem Empfänger-„Wallet“ gut. 

© getty images

Würde das formal so mächtige Fünf-Personen-Gremium der Maintainer eine Entscheidung treffen, ohne dafür die Unterstützung der Miner zu haben, könnte sich die kommerzielle Infrastruktur-Community für eine digitale Abspaltung entscheiden. Die Miner würden dann ihre Dienste einer anderen Version der Bitcoin-Software mit neuer Führungsstruktur zur Verfügung stellen. Eine solche stets mögliche Abspaltung begrenzt bei vielen Blockchain-Projekten die – wie auch immer gestaltete – Macht der formal obersten Institutionen. 

Ether: ein Guru und eine Schweizer Stiftung  

Die Nummer Zwei in der Rangfolge nach Marktkapitalisierung ist der Ether, die eingebaute Währung des Ethereum-Projekts. Dieses versucht, das Potenzial der Blockchain für verschiedene Zwecke nutzbar zu machen – z.B. um über NFTs („Non Fungible Tokens“) das Eigentum an digitalen Kunstwerken zu dokumentieren oder in Form von „Smart Contracts“ Programmcode zu hinterlegen und auszuführen. 

Der Hauptakteur ist eine Organisation mit Angestellten. Die Stiftung Ethereum mit Sitz im schweizerischen Zug finanziert die Kern-Entwicklung. Diese verfügt laut dem Jahresbericht der Organisation für 2022 über Rücklagen in Höhe von 1,6 Milliarden US-Dollar. Der Präsident des Stiftungsrats der Stiftung Ethereum ist Vitalik Buterin – einer der „Gurus“ der Krypto-Szene: Mastermind, öffentliches Gesicht und Hauptgründer des Ethereum-Projekts.  

Blockchain-Technologie © getty images

Tether USDt: Stablecoins und ein umstrittenes Unternehmen

Auf Platz drei der größten Kryptowährungen steht Tether USDt. Dieser Coin verfügt über kein eigenes Infrastruktur-Netzwerk, sondern bedient sich anderer Blockchains. Tether USDt ist ein „Stablecoin“. Der Wechselkurs ist also an eine klassische Währung gekoppelt: Man überweist tatsächliche US-Dollar an das Mutter-Unternehmen Tether Holdings Limited, das im Gegenzug so etwas wie digitale Schuldscheine ausgibt. Diese können Nutzer*innen an andere transferieren und als Zahlungsmittel verwenden oder an das Unternehmen zurückgeben, das den Gegenwert an Dollar zurückzahlt. (Es kursieren allerdings Zweifel, ob tatsächlich alle Stablecoins – wie versprochen – mit in Reserve gehaltenen Dollars gedeckt sind.). Hinter Tether steht die Tether Holdings Limited mit Sitz auf den British Virgin Islands (BVI). 

Der Bitcoin ist im Geist klassischer freiheits- und gleichheitsliebender Hackerideologien geboren.

Stefan Mey

Ein Blick hinter die Coin-Kulissen

Der Bitcoin ist im Geist klassischer freiheits- und gleichheitsliebender Hackerideologien geboren. Auch viele andere Kryptowährungsprojekte berufen sich auf solche Ideale: Die verwendete dezentrale Technologie stelle Transparenz und Partizipation sicher und mache Betrügereien und illegitime Einflussnahmen unmöglich. 

Ein Blick auf die Governance-Strukturen erlaubt zu schauen, wie viel von den oft großen Versprechungen der Realität entsprechen und wie seriös und nachhaltig die Coin-Modelle tatsächlich sind. Selbst dann, wenn man die jeweilige technische Umsetzung nur rudimentär versteht. 


Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors – eFin & Demokratie

Mit dem Diskursprojekt Demokratie­fragen des digitalisierten Finanz­sektors – eFin & Demokratie setzen sich Zevedi und die Stiftung Mercator dafür ein, digitale Technologien im Einklang mit demokratischen Rechten und Werten weiter­zu­entwickeln. Innerhalb dieses Projekts arbeiten Mercator-Journalists in Residence an spezifischen gesellschaftlichen, sozio­ökonomischen und technologie­politischen Fragestellungen.

Mercator-Journalists in Residence – Zentrum verantwortungsbewusste Digitalisierung (zevedi.de)