Digitales Geld – Desinteresse hilft uns nicht weiter
Der Grafikdesigner Martin Karcher hat für das Projekt „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors – eFin & Demokratie“ am Zentrum verantwortungsbewusste Digitalisierung (ZEVEDI) den „BitBlockKryptoComic“ entwickelt. Mit der Graphic Novel will Karcher besonders bei jungen Menschen Interesse für die Digitalisierung des Finanzsektors wecken. Im Interview erklärt er zusammen mit der Projektmitarbeiterin und Wissenschaftskommunikatorin Caroline Marburger, weshalb die Gesellschaft vor dieser Debatte nicht die Augen verschließen darf.
Frau Marburger, für das Diskursprojekt „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors – eFin & Demokratie“ hat Martin Karcher mit der Idee für eine Graphic Novel den Zuschlag als Mercator-Journalist in Residence erhalten. Weshalb hat er mit seinem Vorschlag einen Nerv getroffen?
Caroline Marburger: Weil wir uns für Botschafter*innen interessieren, die für unsere Themen neue Zielgruppen erschließen. Dass wir uns für medienschaffende Künstler*innen öffnen, war nicht von Anfang an vorgesehen. Aber wir haben erlebt, wie fruchtbar diese Kombination ist. Für Martin Karchers Idee sprach, dass das Thema eben auch eine Generationenfrage ist: Wer wird abgehängt? Wer darf mitsprechen?
Haben Sie schon Antworten auf diese Fragen gefunden?
Marburger: Über die Digitalisierung des Finanzsektors wird vor allem in Expert*innenkreisen gesprochen, und aus deren Blase dringt relativ wenig nach außen. Deswegen haben wir beispielsweise ganz konkret das Gespräch mit Oberstufenschüler*innen gesucht. Gerade auch weil ihnen der Umgang mit der Digitalisierung nicht fremd ist und sie deswegen ein guter Maßstab sind. Außerdem sind sie diejenigen, deren Leben am längsten von der Digitalisierung des Finanzsektors beeinflusst sein wird. Uns interessiert: Was wissen junge Menschen wirklich über das Thema digitale Finanzen?
Martin Karcher: Für junge Menschen war die Digitalisierung ja immer da, und entsprechend unbedarft gehen sie möglicherweise damit um. Deswegen ist meine Hoffnung, dass wir mit dem „BitBlockKryptoComic“ besonders Jugendliche erreichen und für das Thema sensibilisieren. Sie sollen über die Geschichte einen Ansporn erhalten, sich selbstständig weiter zu informieren.
Weshalb ist das notwendig?
Karcher: Wir haben den jungen Menschen gegenüber eine gewisse Verantwortung. Es geht darum, eine kritische Haltung gegenüber dem Digitalen zu bewahren. Das bedeutet nicht, dass sie Digitalisierung ablehnen sollen, sondern dass wir sie auf die Risiken vorbereiten, denen sie durch einen digitalisierten Finanzsektor ausgesetzt sind.
Marburger: Wir haben festgestellt, dass es zur Digitalisierung des Finanzsektors nahezu keine öffentliche Auseinandersetzung gibt. Das mag die bewusste Abgrenzung einer Elite oder ein strukturelles Problem sein. Wir wünschen uns jedenfalls, dass verschiedene wissenschaftliche Disziplinen mehr miteinander über dieses Thema reden. Aber bislang werden Diskussionen und Erkenntnisse aus einzelnen Fachbereichen heraus kaum an andere Disziplinen, geschweige denn an eine breitere Öffentlichkeit kommuniziert. Der Comic ist ein wichtiges Medium, mit dem sich das ändert.
Caroline Marburger ist beim Diskursprojekt „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors – eFin & Demokratie“ des Zentrums verantwortungsbewusste Digitalisierung der Technischen Universität Darmstadt verantwortlich für die Wissenschaftskommunikation.
Martin Karcher ist freischaffender Illustrator, Grafikdesigner und Comiczeichner. Mit zweifachem Diplom in Kommunikationsdesign der FH Konstanz und der Kunsthochschule Berlin-Weißensee arbeitete er als freier Mitarbeiter in diversen Berliner Agenturen. Ausstellungen hatte er im gesamten Bundesgebiet und in Dänemark.
Herr Karcher, Sie kommen aus dem Grafikdesign und wollten sich im Rahmen des Projektes den Dystopien des digitalisierten Finanzsektors nähern. Mit welchem Gefühl haben Sie das getan?
Karcher: Ich muss ehrlich zugeben, dass mich eine negative Voreingenommenheit erfasst hatte. Nehmen Sie den Begriff Bitcoin. Den habe ich mit einem halbkriminellen Milieu assoziiert. Aber das hat mich natürlich auch motiviert, zu erfahren, was das eigentlich genau ist und wie es funktioniert.
Den Bitcoin habe ich mit einem halbkriminellen Milieu assoziiert.
Seit Jahrzehnten benutzen wir EC-Karten. Auch das war eine Veränderung, die uns keine große Angst gemacht hat. Gab es für Sie einen Schlüsselmoment, der Ihre Sorge um die Digitalisierung des Finanzsektors initiiert hat?
Karcher: Der Prozess war wohl eher schleichend. Aber bei mir hat die Skepsis wohl begonnen, als das Onlinebanking in unseren Alltag eingezogen ist. Das war zwar irgendwie ganz nützlich, aber mich beschlich auch das Gefühl, dass ich diesen ganzen Finanzkram eigentlich lieber nicht zu Hause haben wollte. Was mich heute ärgert, ist die Alternativlosigkeit, mit der uns digitale Angebote über Anbieter zugetragen werden. Ich habe häufig nicht die Wahl, mich gegen die Freigabe meiner Daten zu entscheiden.
Haben Sie Angst vor einer weitgehenden Kontrolle?
Karcher: Nein, das nicht. Es ist eher eine Angst vor der vermeintlichen Notwendigkeit, dass ich gewisse Dinge benötige und sich mein Alltag dadurch verkompliziert. Also eine Art Verlust der Unabhängigkeit meiner Entscheidungen, die mir durch die Digitalisierung abgerungen wird.
„Hm.“
„Oaah, das ist echt nur was für Nerds ...“
„Immerhin gibt's den Hype schon seit 2008!“
„Ja und? Online-Banking ist doch schon digital!“
Ihnen gefallen die Comics? Hier finden Sie eine längere Leseprobe.
Haben Sie Ihr Verhalten im digitalen Raum verändert?
Karcher: Ehrlich gesagt, nein. Aber mein Bewusstsein für die Bedeutung des Themas ist stark gestiegen. Ich beschäftige mich jetzt auch deutlich mehr mit wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Themen, weil ich verinnerlicht habe, welchen Einfluss sie auf mein Leben haben.
Können Sie der Digitalisierung des Finanzsektors nach Ihrer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema auch etwas Positives abgewinnen?
Karcher: Ja, ich habe mich beispielsweise näher mit der Blockchain-Technologie beschäftigt. Ich habe festgestellt, dass sie wirklich sicher sein kann. Ich musste mein Vorurteil also revidieren. Das Thema Blockchain nimmt im Comic deshalb eine ganze Doppelseite ein. Der Comic versucht, die Grundzüge der Blockchain-Technologie in vereinfachter Weise zu schildern. Aber es gibt auch hier eine Einschränkung. Nämlich dass ich die Blockchain zwar in ihrem Wesen verstehe, aber auch bei dieser Einschätzung abhängig bin von Meinungen und Erklärungen von Expert*innen.
Marburger: In gewisser Weise ist Martin Karcher damit ja auch ein repräsentatives Beispiel für jene Nutzer*innen, denen wir durch unser Projekt mehr Aufklärung ermöglichen wollen.
Martin Karcher ist ein repräsentatives Beispiel für jene Nutzer*innen, denen wir durch unser Projekt mehr Aufklärung ermöglichen wollen.
Steuern wir unaufhaltsam auf eine Technokratie zu?
Marburger: Der Begriff ist etwas überladen, und wenn eine solche Entwicklung unaufhaltsam wäre, gäbe es unser Projekt nicht. Aber wenn eine derart tiefgreifende Veränderung unseres Zusammenlebens bloß in Expert*innenkreisen diskutiert und zudem einigen wenigen Disziplinen die Deutungshoheit überlassen wird, bleiben erst mal ganz viele Fragen ungeklärt. Mangels externer Vermittlung bleibt zudem eine breitere Öffentlichkeit außen vor. Bürger*innen bekommen keine Chance, diese Transformation zumindest in Ausschnitten nachzuvollziehen und kritisch mitzugestalten.
Wie kann eine Wissensvermittlung in die breite Öffentlichkeit aussehen?
Marburger: Wir leben in einer zunehmend spezialisierten und von Expert*innen vermittelten Welt. Die entscheidende Frage, die ich mir im Rahmen des Projektes stelle, ist, welche Rolle die Öffentlichkeit bei dieser Entwicklung spielen kann und sollte. Wir müssen uns mit der Herausforderung auseinandersetzen, ob wir irgendwann noch eine Öffentlichkeit haben, die diesen Namen verdient. Trotz der Notwendigkeit eingehender Expertise braucht eine kritische Öffentlichkeit die Möglichkeit, dass sich auch Nichtexpert*innen in Grundzügen informieren können. Dazu müssen Barrieren abgebaut und Fachwissen zugänglich und verständlich gemacht werden, sodass sich jede*r informieren kann. Und wenn wir schon nicht daran vorbeikommen, uns in zuweilen schwierige Materie einzuarbeiten, dann müssen wir Formate finden, die das Interesse dafür wecken. Genau an dieser Stelle setzt Martin Karcher mit seiner Graphic Novel an. Der verarbeitete Comic wird digital verlegt und auch als Buch erscheinen. Außerdem soll der Comic über die Bundeszentrale für politische Bildung verbreitet und für Schulen zugänglich gemacht werden.
Um was genau geht es in der Graphic Novel?
Karcher: Vier Jugendliche diskutieren bei einem Stadtbummel über die Bedeutung von Bargeld und digitalen Zahlungsmitteln. Sie wägen Argumente gegeneinander ab und entwerfen Zukunftsvisionen. Die Kernaussage ist, dass die Digitalisierung unserer Finanzen Risiken mit sich bringt, aber deswegen nicht automatisch schlecht sein muss. Stattdessen kann sie auch positive Aspekte mit sich bringen. Auf der Metaebene vermittelt die Geschichte, dass wir keine andere Wahl haben, als uns intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors – eFin & Demokratie
Mit dem Diskursprojekt „Demokratiefragen des digitalisierten Finanzsektors – eFin & Demokratie“ setzt sich das Zentrum verantwortungsbewusste Digitalisierung ZEVEDI dafür ein, digitale Technologien im Einklang mit demokratischen Rechten und Werten weiterzuentwickeln. Innerhalb dieses Projektes arbeiten Mercator-Journalists in Residence an spezifischen gesellschaftlichen, sozioökonomischen und technologiepolitischen Fragestellungen.
zevedi.de