Freiwillige for Future
Gemeinnützige Initiativen, die bei Hackathons entstehen und ihre Ideen mit öffentlichen Institutionen umsetzen – das ist Open Social Innovation. Die von der Bundesregierung unterstützten Programme „UpdateDeutschland“ und „#WirVsVirus“ machten das Konzept hierzulande bekannt. Prof. Johanna Mair hat gemeinsam mit Prof. Dr. Thomas Gegenhuber beide Prozesse wissenschaftlich begleitet und erklärt, wie Open Social Innovation eine Gesellschaft voranbringen kann.
Ist Open Social Innovation eine neue Form eines Innovationsprozesses?
Johanna Mair: Open Social Innovation ist eine Zusammenführung verschiedener Bausteine. Open Innovation als Konzept kommt aus der Wirtschaft, wo es gängige Praxis ist, in bestimmten Phasen des Entwicklungsprozesses die späteren Nutzer*innen eines Produktes einzubeziehen, um ihre Bedürfnisse frühzeitig mitzudenken. Im Unterschied zur Open Social Innovation ist dabei aber klar, was am Ende herauskommt.
Wann kann man Open Social Innovation sinnvoll einsetzen?
Mair: Wenn ein gesellschaftliches Problem noch nicht klar definiert ist. Durch Open Social Innovation kann man ein Thema in die Breite tragen, wenn bisher nur Expert*innenkreise damit zu tun hatten. Die Methode eignet sich auch, um die Dringlichkeit zu unterstreichen und den Druck auf die Politikschaffenden zu erhöhen. Viele soziale Probleme werden von unterschiedlichen Teilen der Bevölkerung differenziert wahrgenommen. Durch Open Social Innovation werden diese Probleme von mehreren Seiten beleuchtet.
Johanna Mair ist Professorin für Organization, Strategy and Leadership an der Hertie School in Berlin.
Hat es einen Effekt, wer ein Open-Social-Innovation-Format initiiert?
Mair: Bei #WirVsVirus hat der gemeinsame Aufruf von sieben zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Bundesregierung die Glaubwürdigkeit und den Mobilitätsgrad extrem erhöht. Ich erinnere mich an ein Interview mit einem Teilnehmer von #WirVsVirus, der während des Gesprächs einen Anruf erhielt. Er hat den Anrufer schnell abgewimmelt und ihm erklärt, er könne jetzt nicht telefonieren, er arbeite gerade im Auftrag der Bundesregierung. Das hatte für ihn den Charakter einer Mission.
Was wissen Sie über die Teilnehmenden von UpdateDeutschland und #WirVsVirus?
Mair: Bei #WirVsVirus waren die Teilnehmenden sehr heterogen, von jung bis alt, von technikaffin bis technikfern, von Unternehmensberater*innen bis zu Studierenden. #WirVsVirus hat gezeigt, dass man so ein Format nicht ohne den öffentlichen Sektor durchführen kann, um eine maximale Wirkung zu erreichen. Deshalb wurden bei UpdateDeutschland vor allem Mitarbeiter*innen der Verwaltung auf kommunaler Ebene mobilisiert. Dabei gab es regionale Schwerpunkte: Nordrhein-Westfalen und das Saarland waren stark, Berlin eher schwach vertreten.
Wie schafft man es, bei Open Social Innovation möglichst viele Teile der Gesellschaft zu mobilisieren?
Mair: Es ist eine Illusion, dass Open-Social-Innovation-Prozesse total inklusiv sind, nur weil sie partizipativ sind. Es gibt immer Leute, die draußen bleiben, etwa weil sie nicht an einem Hackathon teilnehmen wollen oder können. Der Hackathon bei UpdateDeutschland wurde deshalb als „48h-Sprint“ bezeichnet, um den technisch vorbelasteten Begriff zu vermeiden.
Wie wird ein Open-Social-Innovation-Prozess erfolgreich?
Mair: Open Social Innovation ist kein Wunderwuzzi, den man anwendet, und dann kommt etwas Tolles heraus. Jeder Prozess ist anders, man kann Erfahrungen mitnehmen, aber es gibt keine Schablonen zur Wiederverwendung. Das Besondere an #WirVsVirus und UpdateDeutschland war, dass es nicht nach dem Hackathon endete, sondern die Initiativen kuratiert wurden. Wirkung erreicht nur, wer von der Innovation zur Skalierung kommt.
Open Social Innovation ist kein Wunderwuzzi, den man anwendet, und dann kommt etwas Tolles heraus.
Was heißt das, „zur Skalierung kommen“?
Mair: Oft beschäftigen sich mehrere Stellen bereits mit einem Problem, auf das eine Initiative abzielt – der Staat, die Länder, die Wohlfahrtsverbände. Das Andocken der Initiative an bestehende Stellen und Systeme ist wichtig. Das nennen wir Skalieren.
Das klingt, als müsste man nur die richtigen Leute miteinander vernetzen.
Mair: Die Organisator*innen müssen die Teilnehmenden in ihren Welten abholen. Es braucht gegenseitiges Verständnis: bei der Verwaltung dafür, dass diese Initiativen wichtig sind, und bei den Initiativen dafür, wie die Systeme der Verwaltung arbeiten. Einfaches Beispiel: Sie können keinen Call mit der Verwaltung um 18 Uhr aufsetzen, wenn die Beteiligten der Initiative keine Zeit haben, weil sie tagsüber arbeiten.
Das steht im Learning Report zu #WirvsVirus
Seit dem Start der ersten bundesweiten Open Social Innovation #WirvsVirus begleiteten Johanna Mair (Hertie School und Stanford University), Thomas Gegenhuber (Leuphana Universität und JKU Linz) den #WirvsVirus Hackathon und das Umsetzungsprogramm.
Ziel war es zu erforschen, welche Lehren aus diesem Experiment für künftige Initiativen gezogen werden können. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Learning Reports startete der Open Social Innovation Prozess #UpdateDeutschland – das #WirvsVirus-Folgeprojekt.
Die Umsetzungsprogramme von #WirVsVirus und UpdateDeutschland gelten als sehr erfolgreich. Was haben die Organisator*innen richtig gemacht?
Mair: Sie haben sich um die Teilnehmenden gekümmert. Um den Enthusiasmus hoch zu halten, müssen sie ihnen zeigen, dass ihre Idee wertvoll ist. Da spielt auch Geld eine Rolle.
Im Learning Report zu #WirVsVirus haben Sie geschrieben: „Es geht um das Handeln und Experimentieren, anstatt am perfekten Umsetzungsplan zu basteln.“ Das ist nicht unbedingt die typisch deutsche Herangehensweise.
Mair: Das ist das Spannende! Open Social Innovation ist keine Methode, die man anwendet, und am Ende steht ein fertiges Produkt. Es ist ein Prozess, es braucht dauerndes Bemühen, damit sich das entstandene Potenzial entfalten kann.
Wenn man einen Rückschlag nicht als Misserfolg betrachtet, sondern als Möglichkeit, etwas daraus zu lernen, frustriert das weniger.
Nicht alle Ideen gelangen zur Umsetzung. Wie hält man die Motivation für Open-Social-Innovation-Prozesse bei den Bürger*innen hoch?
Mair: Erstens: Wenn man einen Rückschlag nicht als Misserfolg betrachtet, sondern als Möglichkeit, etwas daraus zu lernen, frustriert das weniger. Ich vermisse in Deutschland manchmal diesen Hunger, etwas zu lernen. Zweitens: Die Organisator*innen müssen die verschiedenen Erwartungen der Teilnehmer*innengruppen erkennen und orchestrieren. Drittens: Die Systeme müssen klar sein, innerhalb derer Initiativen umgesetzt werden können. Bei UpdateDeutschland hieß es, der Rechnungshof erlaube nicht, dass eine Idee in NRW entsteht und dann auch in Hamburg angewendet wird. Diese Systeme muss man aufdröseln: Wieso geht etwas nicht, und was kann man daran ändern?
Wo wird Open Social Innovation in Zukunft eingesetzt?
Mair: Wahrscheinlich eher auf kommunaler Ebene. Damit man die Bürger*innen nicht vergrault, die sich einbringen wollen, müssen Kommunen, Länder und Bund passende Rahmenbedingungen schaffen.
Geschieht das bereits?
Mair: Das Bundeskanzleramt hat für UpdateDeutschland einen Learning Report beauftragt. Und unser Positionspapier zu einem Open-Social-Innovation-Ökosystem, das zur Modernisierung der Verwaltung beitragen kann, wurde bei den Koalitionsverhandlungen behandelt. Wir sind zuversichtlich, dass politische Entscheidungsträger*innen das Potenzial von Open Social Innovation erkennen.
UpdateDeutschland
UpdateDeutschland ist ein Zukunftslabor, bei dem Bürger*innen in Teams Lösungen für verschiedenste gesellschaftliche Probleme entwickeln und umsetzen können. Vielversprechende Ansätze für ein „Update“ Deutschlands sollen in die breite Umsetzung gelangen, in enger Zusammenarbeit mit Partner*innen aus Bund, Ländern und Kommunen. Die Stiftung Mercator fördert das von ProjectTogether umgesetzte Programm.
updatedeutschland.org