Die echten Probleme besprechen
Während des Corona-Lockdowns konnten sich auch die Parlamentarier*innen aus der Europäischen Union nicht mehr treffen. Der Mercator European Dialogue (MED) brachte Volksvertreter*innen trotzdem zusammen – digital. Drei Abgeordnete berichten von europäischer Annäherung in Pandemie-Zeiten.
Miguel Costa Matos, Portugal
Die Corona-Krise hat nicht nur Tod, Krankheit und Angst in unsere Gesellschaften gebracht. Sie führte auch zu einer tiefen Wirtschaftskrise, von der wir uns noch jahrelang erholen müssen. Das hat Regierungen dazu veranlasst, neue politische Antworten zu entwickeln. Die Höhe der Ausgaben, um sich gegen die Pandemie zu stemmen, sind beispiellos. Noch vor wenigen Monaten wäre eine solche Reaktion undenkbar gewesen – und wäre zudem sicherlich durch die konservativen Haushaltsregeln Europas gestoppt worden.
Diplomat*innen werfen sich gern gegenseitig offizielle Amtssprache an den Kopf, haben dabei eher das eigene, nationale Publikum im Sinn als den Drang, Brücken zu bauen und Lösungen zu finden. Dagegen haben die informellen Treffen, die vom Mercator European Dialogue organisiert wurden, einen Kontext geschaffen, in dem sich Parlamentarier*innen sicher fühlen können, echte Probleme anzugehen und damit Vertrauen zwischen Ländern und Völkern zu verbreiten. Der MED hat früh alle Funktionen der Videoplattform Zoom übernommen und uns so mithilfe eines Moderators in kurzer Zeit zu viel Austausch gebracht.
Bei diesen Gesprächen habe ich Arbeitsbeziehungen zu Parlamentarier*innen aus Irland, den Niederlanden, Deutschland, Finnland und vielen anderen Ländern aufgebaut, die sich als nützlich erwiesen haben, um Gesetze zu verfassen und die Kontrolle über nationale und europäische Vorhaben zu verstärken.
Àgnes Vadai, Ungarn
Die Corona-Krise hat eines klar gezeigt: Die EU muss sich – nach wirtschaftlicher und politischer Integration – stärker auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Bürger*innen konzentrieren. Daher brauchen wir eine viel engere Zusammenarbeit, beispielsweise in den Bereichen des Gesundheitswesens, der Bildung oder des Umweltschutzes.
Schöne diplomatische Erklärungen helfen keiner europäischen Bürgerin, keinem europäischen Bürger. Allein klare Aussagen und starke Maßnahmen werden unsere Europäische Union den Menschen näherbringen – denn für sie wurde die Union immerhin geschaffen.
Ich habe eine wichtige Lektion aus der Corona-Krise gelernt, aber auch aus den darauffolgenden Schritten der EU. Wenn wir, die Bürger*innen Ungarns, Rechtsstaatlichkeit, Presse-, Religions- und Redefreiheit sowie Demokratie und Solidarität in unserem Land wollen, dann müssen wir selbst dafür kämpfen, allein. Es ist enttäuschend zu sehen, mit welchem Mangel an Solidarität die antidemokratischen Schritte der Regierung (Viktor Orbáns; Anm. d. Red.) aufgenommen wurden. Ich muss für Ungarn in Anbetracht des eben Erwähnten sagen: Es waren die europäischen Parlamentarier*innen, die die hilfreichsten Akteure während der gesamten Corona-Krise waren. Und das ungeachtet ihrer politischen Verortung. Sie zeigten sich solidarisch und geschlossen. Sie machten deutlich, dass keine Krise als Grundlage dienen kann, um die demokratischen Grundlagen der EU zu untergraben.
Dank des Mercator European Dialogue habe ich, durch formelle und informelle Online-Treffen, mein Wissen über das Krisenmanagement einzelner Länder erweitert. Diese digitalen Meetings haben mir geholfen, viele personenorientierte Lösungen zu formulieren. Ich bin dem Mercator European Dialogue sehr dankbar, dass er Abgeordnete aus ganz Europa – wie mich – sowie Expert*innen zusammengebracht hat. Ich muss aber abschließend klar sagen: Online-Meetings sind in Krisenzeiten gut. Aber ein persönliches Treffen können sie nicht ersetzen.
Margareta Cederfelt, Schweden
Eine Demokratie basiert auf dem Willen der Mitbürger*innen. Als gewähltes Mitglied des nationalen Parlaments Schwedens trage ich meinen Wähler*innen gegenüber Verantwortung. Die heutigen Herausforderungen hören nicht an den Landesgrenzen auf. Eine internationale Zusammenarbeit ist erforderlich, um viele dieser Probleme anzugehen.
Der Ausbruch der CoViD-19-Pandemie ist eine humanitäre Krise. Betroffen sind dabei die schwächsten Menschen in unserer Gesellschaft, unter ihnen vor allem die Älteren. Die Reaktion auf diese schwere Krankheit erfordert internationale Zusammenarbeit. Und zwar nicht nur beim Schutz vor einem erneuten Ausbruch, einer zweiten Welle, sondern auch in Fragen der Wirtschaft, der Finanzen, der Impfstoff-Forschung sowie bei der Bekämpfung der Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und den Unternehmenssektor.
Unsere Regierungen halten natürlich internationale Kontakte und verhandeln mit ihren Kolleg*innen. Wenn wir Parlamentarier*innen allerdings in der Lage sein sollen, die Regierung zu hinterfragen und Gesetze zu verabschieden, müssen wir Kenntnisse über andere Länder und ihre Rechtssysteme haben sowie über persönliche Beziehungen dorthin verfügen.
Ich habe festgestellt, dass die Regierungen in einigen Ländern ihre Machtstellung gegenüber dem Parlament ausgebaut haben. Als Parlamentarier*in ist man sehr einsam, wenn so etwas passiert. Es ist positiv, auf ein etabliertes Netzwerk aufbauen zu können, in dem es möglich ist, eine solche Entwicklung zu besprechen und darüber zu diskutieren, wie die Situation in anderen Ländern ist. Es kann sogar zu Aktionsplänen und zur Unterstützung der Demokratie auf nationaler Ebene führen. Als Parlamentarier*innen haben wir begrenzte internationale Beziehungen. Wenn wir Beiträge von Volksvertreter*innen aus anderen Ländern erhalten, steigt unsere Fähigkeit, auf nationaler Ebene zu handeln. Am nützlichsten war der Austausch im Mercator European Dialogue für mich beim Brexit oder bei Migrationsfragen. Ich fand auch die Diskussion über Demokratie, politische Theorie und internationale Beziehungen sehr nützlich.
Ich habe es zudem sehr genossen, Parlamentarier*innen über Grenzen hinweg in Europa kennenzulernen. Denn wir sind zwar durch die EU verbunden, sehen uns aber dennoch selten. Der Mercator European Dialogue hat das ermöglicht. Ich freue mich darauf, diesen fruchtbaren Dialog fortzusetzen.
Mercator European Dialogue
Der Mercator Europa Dialog ermöglicht nationalen Abgeordneten aus europäischen Staaten, einander kennenzulernen und gegenseitiges Vertrauen auszubauen. Über die Grenzen von Parteien, Ausschüssen und Staaten hinweg werden die Teilnehmer*innen in maßgeschneiderten Seminaren dazu ermutigt, gemeinsam an aktuellen Herausforderungen zu arbeiten.
www.mercatoreuropeandialogue.org