Dribbeln auf Chinesisch

Basketball
Dribbeln auf Chinesisch
Autorin: Katja Gartz Fotos: Ronny Hartmann 18.11.2022

China kennen viele deutsche Jugendliche nur aus Filmen, dem Fernsehen oder Internet – in der Schule ist das Land häufig kaum ein Thema. Im Projekt „Basketball baut Brücken“ von Alba Berlin kommen Schüler*innen beider Länder zusammen und erfahren viel über die andere Kultur und Sprache. Basketball verbindet – denn auch in China ist der Sport sehr beliebt.

„Stellt euch schulterbreit hin, verlagert das Gewicht im Wechsel von einem Bein auf das andere, jetzt einen Schritt mit dem rechten Bein nach vorne und den rechten Arm auf Schulter­höhe anheben und den Unterarm aufdrehen“, erklärt Dirk Ritt, Bundes­trainer für Kung-Fu und Tai-Chi. Während Jemil Yildirim die Bewegungs­abläufe zusammen mit anderen Schüler*innen aus Deutschland in einer Sporthalle in Hildesheim probiert, ist vor ihm auf der Wand Jingyao Li aus China virtuell zugeschaltet. Sie nimmt wie ihre chinesischen Mitschüler*innen vor dem eigenen Bildschirm von Shanghai aus am Tai-Chi-Training teil.

Der Tai-Chi-Lehrer führt eine neue Bewegungsfolge vor und hat dabei nicht nur die deutschen, sondern auch die chinesischen Schüler*innen im Blick. „jīng yào, Füße parallel stellen“, ruft Dirk Ritt, der auch an Schulen unterrichtet, der Schülerin aus Shanghai zu. Er achtet darauf, dass alle gut mitkommen und seine Ansagen verstehen. Die fließende Bewegungs­form Tai-Chi, die auf eine alte Kampf­kunst zurück­geht, ist heute in China ein verbreiteter Volksport. Der Tai-Chi-Workshop mit den Schüler*innen ist als Unterrichts­einheit ein Teil des Projektes „Basketball baut Brücken“, das vom deutschen Basketball-Bundesligist Alba Berlin und dem Bildungs­netz­werk China veranstaltet wird. Der frühere deutsche National­spieler Henning Harnisch hatte als China-Botschafter bei Alba Berlin die Idee für das Projekt.

Per Videocall trainieren Schüler*innen aus Deutschland und China bei einem Workshop des Projekts „Basketball baut Brücken“. Mit dabei ist auch Jingyao Li aus Shanghai (unten links).
Per Videocall trainieren Schüler*innen aus Deutschland und China. Mit dabei ist auch Jingyao Li aus Shanghai (oberste Reihe, Mitte). © Ronny Hartmann
Jemil Yildirim (rechts) studiert die Bewegungs­abläufe in einer Sporthalle in Hildesheim ein.
Jemil Yildirim (rechts) studiert die Bewegungs­abläufe in einer Sporthalle in Hildesheim ein. © Ronny Hartmann
Dirk Ritt ist Bundestrainer in Tai-Chi und weiß alles über das „weiche Schattenboxen“. Die fließenden Bewegungen gehen auf eine alte chinesische Kampfkunst zurück.
Dirk Ritt ist Bundestrainer in Tai-Chi und weiß alles über das „weiche Schattenboxen“. Die fließenden Bewegungen gehen auf eine alte chinesische Kampfkunst zurück. © Ronny Hartmann

Kai Fleischer von Alba Berlin steht am Rand der Tai-Chi-Runde und hilft mit Übersetzungen aus. „xī gài wān qū“ – auf Deutsch „Knie beugen“ – ruft der 29-Jährige den chinesischen Schüler*innen zu. Auch „bié wàng jì hū xī“ betont er, was übersetzt heißt: „Nicht vergessen, zu atmen!“ Der leidenschaftliche Basketballer und Philosophie­student hat Wurzeln in China und Deutschland und spricht beide Sprachen. Er ist Projekt­mitarbeiter und bringt als Trainer den Jugendlichen sowohl Basketball als auch die chinesische Kultur und Sprache näher.

Pandemie: Austausch in Hildesheim statt Shanghai

„Basketball baut Brücken“ basiert auf drei Säulen: In einem regel­mäßigen Nach­mittags­programm für Chinesisch und Basketball vermitteln die Basketball- und China­expert*innen von Alba ein Schuljahr lang Jugendlichen aus Deutschland Sprache, kulturelles Wissen und sportliche Fähigkeiten. Über eine digitale Plattform können sie sich mit den chinesischen Schüler*innen aus­tauschen und inter­aktive Lehr­materialien nutzen. Bei einer mehr­tägigen Begegnungs­reise pro Jahr sollen sich die Schüler*innen aus beiden Ländern persönlich kennen­lernen, gemeinsam Basketball spielen und in die jeweils andere Kultur eintauchen können.

In China ist Basketball sehr verbreitet und vor allem bei Jugendlichen sehr beliebt. Viele der deutschen Schüler*innen haben die Sportart erst durch dasProjekt für sich entdeckt.
In China ist Basketball sehr verbreitet und vor allem bei Jugendlichen sehr beliebt. Viele der deutschen Schüler*innen haben die Sportart erst durch das Projekt für sich entdeckt. © Ronny Hartmann
Vokabeln
Doch nicht nur der Sport, auch die chinesische Sprache steht bei „Basketball baut Brücken“ auf dem Programm... © Ronny Hartmann
...Mithilfe von Karteikarten, auf denen die Vokabeln in lateinischer und chinesischer Schrift zu lesen sind, üben die deutschen Schüler*innen.
...Mithilfe von Karteikarten, auf denen die Vokabeln in lateinischer und chinesischer Schrift zu lesen sind, üben die deutschen Schüler*innen. © Ronny Hartmann

Eigentlich war in diesem Sommer eine Begegnungs­reise für die deutschen Schüler*innen nach Shanghai und für die chinesischen Schüler*innen nach Berlin vorgesehen. Doch diese mussten pandemie­bedingt ausfallen. Um dennoch mehr Zeit für das Projekt zu haben, verbringen die Jugendlichen vier Tage mit einem vollen Programm in Hildesheim. Dreimal tauschen sie sich in dieser Zeit mit den Schüler*innen aus Shanghai aus. „Der Tai-Chi-Workshop hat Spaß gemacht, ich habe viel gelernt“, sagt die 16-jährige Jingyao Li. Sie habe bisher nur wenig über Tai-Chi gewusst und freue sich darüber, dass sie durch das Projekt die chinesische Bewegungs­kunst gemeinsam mit den deutschen Schüler*innen kennen­lernen könne. Deutschland entdeckte sie durch einen Dokumentar­film. „Die schöne Landschaft, die vielen Schlösser, die Graffiti und die moderne Kunst faszinierten mich, ich wollte mehr über dieses Land erfahren“, sagt Jingyao Li. Als ihre Deutsch­lehrerin ihr von dem Projekt „Basketball baut Brücken“ erzählte, habe sie sofort gewusst, dass sie dabei sein möchte. Sie ist begeistert vom regel­mäßigen Kontakt zu den deutschen Jugendlichen, mit denen sie sich über die beiden Kulturen austauscht und gemeinsam Aufgaben löst. Die Schülerin hofft, dass sie bald auch endlich zusammen Basketball spielen können.

Maria Schmidt ist bei Alba Berlin für die Organisation und Entwicklung internationaler Sportprojekte wie „Basketball braut Brücken“ zuständig. Sport hält sie für eines der besten Mittel, um Menschen zu verbinden.
Maria Schmidt ist bei Alba Berlin für die Organisation und Entwicklung internationaler Sportprojekte wie „Basketball braut Brücken“ zuständig. Sport hält sie für eines der besten Mittel, um Menschen zu verbinden. © Ronny Hartmann

Basketball als Brücke zwischen Deutschland und China

„Basketball ist in China ein sehr beliebter und verbreiteter Sport, fast alle Schüler*innen und Student*innen spielen Basketball“, erklärt Maria Schmidt, die bei Alba Berlin inter­nationale soziale Sport­projekte wie „Basketball baut Brücken“ leitet. „Sport ist eines der wirksamsten Mittel, um Menschen weltweit niedrig­schwellig und friedlich miteinander zu verbinden. Als eine Art universelle Sprache kann er eine Plattform für den Dialog über andere Themen schaffen wie Esskultur, Diversität, Geschichte oder Nachhaltigkeit.“ Die Themen und die Arbeits­materialien für die einzelnen Unterrichts­einheiten des Projektes hat das Bildungs­netz­werk China entwickelt. Es ist in dessen Konzeption und Umsetzung involviert und unter­stützt bei den digitalen Austausch­begegnungen.

Die Projektorganisation bringt für Maria Schmidt einige Heraus­forderungen mit sich. „In China sind die Wege oftmals länger, bis Entscheidungen getroffen werden können“, sagt die 30-jährige Projekt­leiterin. Lösungen für die Unterschiede zwischen den beiden Ländern zu finden – für sie eine „spannende Aufgabe“. Es sei wichtig, mit der Partner­organisation Lösungen im stetigen Austausch zu finden. „Entscheidend ist, positiv und diplomatisch miteinander zu reden, andere Standpunkte zu akzeptieren, die eigene Sicht­weise zu reflektieren und gemeinsam Kompromisse zu finden.“ Laut Maria Schmidt fördert das Projekt auf beiden Seiten Perspektiv­wechsel, interkulturelle Kompetenz sowie Respekt und Verständnis.

Interkulturelles Verständnis stärken

Dass der Schulalltag in China völlig anders als in Deutschland abläuft, weiß Projekt­mitarbeiter Kai Fleischer aus eigener Erfahrung. „Es ist einfach strenger dort. In China haben die Schüler*innen deutlich mehr Unterrichtszeit- und -stoff sowie mehr Leistungs­druck“, sagt er. Die Schulen seien größer, der Respekt vor Autoritäten sei deutlich höher, es werde mehr auswendig gelernt und Sport wie Basketball in der Schule gemacht. In Deutschland hätten die Schüler*innen mehr Freiheit und weniger Druck.

Kai Fleischer weiter: „Ich erhoffe mir, dass wir über Austausch­projekte wie unseres dafür sorgen können, dass wir zu einem besseren gegen­seitigen Verständnis in den zukünftig mitbestimmenden und die Gesellschaft prägenden Generationen beitragen können.“

Bei der Kampfkunst Tai-Chi geht es wie beim Basketball auch um Verteidigung und Körperspannung. „Man muss spüren, wo der andere hin will“, sagt Trainer Dirk Ritt.
Bei der Kampfkunst Tai-Chi geht es wie beim Basketball auch um Verteidigung und Körperspannung. „Man muss spüren, wo der andere hin will“, sagt Trainer Dirk Ritt. © Ronny Hartmann

„Sport und China klingen spannend“

In Hildesheim geht es nach Tai-Chi und Mittagspause wieder um Basketball. Am Vorabend hatten sich die Berliner Schüler*innen einen chinesischen Film angeschaut: Kinder, die auf dem Land leben, entwickeln durch Basketball Teamgeist, Verantwortung und Selbst­bewusst­sein und werden trotz mangelnder finanzieller Mittel zur erfolgreichsten Mannschaft. Die Schüler*innen sollten dazu Fragen auf einem Arbeits­bogen beantworten, beispiels­weise: Worum geht es für dich in diesem Film? Was nimmst du mit, was hast du gelernt? Heute treffen sie virtuell die Film­regisseurin Tang Dan, die in China und Deutschland studiert hat. Im Online-Meeting sprechen sie mit ihr über den Film, ihre Arbeit und Erfahrungen mit China und Deutschland.

„Mir hat der Mut der Kinder gefallen, die alles gegeben haben, um am Ende Champion zu werden“, erzählt Jemil Yildirim der Regisseurin. Der Berliner Schüler hatte von seinem Sport­lehrer von „Basketball baut Brücken“ gehört. China fand er spannend, und auch die Möglichkeit, mehr Sport treiben zu können, gefiel ihm. „Ich habe von meinem chinesischen Freund schon viel über das Land erfahren“, sagt der 15-Jährige, der Basketball erst durch das Projekt entdeckt hat. „Mir gefällt der digitale Austausch“, berichtet Jemil Yildirim. „Außerdem erfahre ich durch das Projekt viel über die Geschichte Chinas, über das alte Kaiserreich, den chinesischen Bürger­krieg, die Kultur­revolution und das Tiananmen-Massaker.“ Am Training gefällt ihm, dass Kai Fleischer dabei auch mit Worten spielt und auf diese Weise versucht, ihnen chinesische Vokabeln beizubringen, die mit Basketball zu tun haben. „Ich hoffe, dass wir bald nach Shanghai reisen können – und ich wünsche mir mehr chinesisches Essen in Hildesheim“, sagt Yildirim.

Sein Favorit der chinesischen Küche: Hot Pot, eine Art chinesisches Fondue. Li wiederum mag Haxe, die als deftiges deutsches Gericht im Ausland bekannt ist. Die Schüler*innen hatten für einen Tag ihre Ernährung mit Fotos und Texten dokumentiert und dies über die digitale Austausch­plattform „DINA.international“ miteinander geteilt. „Interessant fand ich, dass man in China dreimal am Tag warm isst und in Deutschland in der Regel nur einmal“, sagt Jemil Yildirim.

Beim Dribbeln Chinesisch lernen

Nach einer kleinen Pause auf der Wiese vor der Jugend­herberge und einer Stunde Sprachkurs geht es in die Sporthalle. Kaum haben die Schüler*innen die Basket­bälle in der Hand, sind sie nicht mehr zu halten. „Dribbeln, dribbeln, yùn qiú, Schritt zum Korb und werfen, tóulán“, ruft Basket­ball­trainer Kai Fleischer. Zum Warm­machen spielen sie fünf gegen fünf, aber diesmal ohne Dribbeln. Jemil Yildirim läuft los und trifft als Erster den Korb. „Ihr müsst den Ball halten, sehen, wo ein*e Mitspieler*in über­nehmen kann“, erklärt der Trainer und bringt dabei immer wieder chinesische Vokabeln ins Spiel. Danach dreht sich alles um Verteidigung, um Seitschritte und Deckung, fángshǒu, mit ausgestreckten Armen.

Für das nächste Spiel bilden die Schüler*innen Mannschaften, nennen sich Drachen und Schlange, und Kai Fleischer übersetzt wieder. Nach eineinhalb Stunden sind alle reif für eine Dusche. „Gut gespielt“, sagt er, bevor die Spieler*innen sich gegen­seitig abklatschen und in ihre Zimmer verschwinden. Sie sind schnell zurück, denn heute geht es zum Abendessen in ein chinesisches Restaurant.


Basketball baut Brücken

Seit Anfang des Schuljahres 2021/22 läuft das Projekt „Basketball baut Brücken“ mit mehr als 20 sport- und kultur­begeisterten Jungen und Mädchen der 9. Klassenstufe der Kurt-Tucholsky-Oberschule in Berlin und der Cao Yang No. 2 High School in Shanghai. Es geht auf eine Initiative des früheren deutschen National­spielers und China-Botschafters bei Alba, Henning Harnisch, zurück. Alba Berlin hat das Projekt zusammen mit dem Bildungs­netz­werk China entwickelt, das 2020 als gemeinsame Initiative der Stiftung Mercator und des Goethe-Instituts gegründet wurde.
bildungsnetzwerk-china.de

Logos Bildungsnetzwerk China und Alba Berlin