Lokale Ideen für globale Probleme
Frischen Gründungsgeist braucht die Welt! Aber wie findet er seinen Weg in die Wirklichkeit? Eine Möglichkeit bietet der Global Solutions Summit in Berlin, ein internationales Forum von Politiker*innen aus den G7- und G20-Staaten. Auf der Konferenz am 15. und 16. Mai stellen 100 „Young Global Changers“ aus aller Welt ihre Projekte vor.
Mitte Mai werden Juliet Namujju, Noel Ifeanyi Alumona und Osei Boateng nach Berlin aufbrechen. Dort werden die drei jungen Menschen aus Afrika – eine Modemacherin, ein Sozialunternehmer und ein Humanbiologe – auf dem Global Solutions Summit sprechen. Und 100 Spitzenvertreter*innen aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft sowie 1.000 Gäst*innen ihre Lösungen für brennende globale Probleme vorstellen. Sie kommen auf Einladung der Global Solutions Initiative (GSI). Anlässlich der deutschen G20-Ratspräsidentschaft hat der deutsch-US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Dennis J. Snower 2017 die GSI gegründet und ist bis heute ihr Präsident. Ziel der Initiative ist es, Lösungen für globale Probleme zu finden, indem sie Forschende mit politischen und zivilgesellschaftlichen Entscheidungsträger*innen vernetzt.
Es geht der GSI darum, wirtschaftlichen Fortschritt mit sozialem und ökologischem Wohlstand zu verbinden und den Alltag der Menschen auf der ganzen Welt zu verbessern. Die jährliche Agenda gipfelt im Global Solutions Summit. In diesem Jahr beschäftigen sich Führungskräfte, Entscheider*innen und Vordenker*innen mit der Frage, welche Auswege es aus den gegenwärtigen Krisen gibt – aus der Klima-, der Post-Pandemie- und der Ukraine-Krise, die Russland durch seinen flächendeckenden Angriffskrieg gegen das Land ausgelöst hat. Am Ende der Analysen der derzeitigen Systemkrisen werden politische Handlungsempfehlungen erarbeitet, die sich an Entscheider*innen in den Industriestaaten und Schwellenländern richten. Auch die Stimmen der jungen Generation werden gehört. So nehmen durch das GSI-Nachwuchsprogramm 100 junge Menschen aus Forschung, Politikberatung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft am Summit teil, die mit ihren Ideen und Projekten die Welt bereits heute zu einem besseren Ort machen. Juliet Namujju aus Uganda, Noel Ifeanyi Alumona aus Nigeria und Osei Boateng aus Ghana gehören zu diesen „Young Global Changers“. AufRuhr hat sie vorab gesprochen.
Juliet Namujju: Modeschöpferin und Umweltaktivistin
Ihre Großmutter nähte ihr Spielsachen aus Dingen, die andere wegwarfen. Heute ist Juliet Namujju Gründerin eines inklusiven Ökomodelabels aus Uganda, das sich mit Kleidung und Accessoires aus recyceltem Plastikmüll für den Umweltschutz einsetzt. Dafür entwirft die international preisgekrönte Designerin langlebige Artikel wie leuchtend gelbe Regenmäntel für Kinder und Erwachsene, Einkaufs- und Laptoptaschen aus Zucker- und Zementsäcken oder Milchbeuteln. Die Materialien findet sie auf Baustellen und Müllhalden rund um Ugandas Hauptstadt Kampala. „Mein Ziel ist es, mit einem inklusiven Ökomodelabel gegen die Plastikmüllkrise in Afrika zu kämpfen und gleichzeitig Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung sowie für Jugendliche zu schaffen“, sagt sie. „Deshalb freue ich mich über die Gelegenheit, mich bei den ‚Young Global Changers‘ beim Global Solutions Summit mit anderen jungen Menschen zu vernetzen und vielleicht Investor*innen zu finden, die mein Projekt unterstützen.“
Die Geschichte ihres Modelabels beginnt in ihrer Kindheit. Juliet Namujju war fünf Jahre alt, als ihrem Vater nach einem schweren Verkehrsunfall beide Beine amputiert werden mussten. Er verlor seinen Job und die gesellschaftliche Anerkennung. „Ich war noch klein, aber ich erinnere mich daran, wie er deprimiert im Rollstuhl saß. Denn Menschen mit Behinderung haben es schwer in Uganda, sie erhalten keinerlei Unterstützung und gelten als wertlos. Auch mein Vater war überzeugt, nichts mehr im Leben erreichen zu können, und starb ein Jahr nach dem Unfall. Deshalb beschäftige ich mich heute mit der Frage, wie ich Menschen mit Behinderung helfen kann“, erzählt Juliet Namujju selbstbewusst. Die 25-Jährige wuchs bei der Großmutter in einem abgelegenen Dorf Ugandas auf, und weil das Geld an allen Ecken und Enden fehlte, nähte die Großmutter Spielsachen aus Müll. „Wir haben Puppen gemacht und Kleidung für sie hergestellt, besonders die Anziehsachen haben mich immer sehr fasziniert. Irgendwann saß ich selbst an der Nähmaschine.“
Juliet Namujju konnte sich durch den Verkauf von selbst genähten Kreationen ihre Ausbildung an der Highschool finanzieren und anschließend einen Kurs in Mode und Design belegen. Außerdem schloss sie sich der Social Innovation Academy an, einer gemeinnützigen Organisation, die benachteiligten Jugendlichen hilft, ihr Potenzial auszuschöpfen. In Maya, einer Kleinstadt etwa 15 Kilometer von Kampala entfernt, gründete die junge Frau 2017 ihr Unternehmen „Kimuli Collections“, mit dem sie und ihr Team Textil- und Plastikabfälle in nachhaltige und wasserfeste Kleidungsstücke und Accessoires verwandeln und gleichzeitig Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung bieten. Kimuli bedeutet in der Bantu-Sprache Luganda Blume. „Weil wir das, was andere als Müll ansehen, in etwas Schönes verwandeln.“
Mittlerweile hat Juliet Namujju 96 Schneider*innen ausgebildet, etwa 40.000 Kilogramm Plastikmüll zu 15.000 Kleidungsstücken recycelt und ihre Produkte in 15 Geschäften mit mehreren großen Partner*innen verkauft. Auszeichnungen fliegen ihr nur so zu: So erhielt die Designerin den ugandischen Ye! Community Award 2018, der junge Unternehmer*innen mit Vorbildfunktion auszeichnet. Sie war Tony Elumelu Foundation Fellow für die Herstellung umweltfreundlicher Gesichtsmasken für Menschen mit Behinderung und wurde vom südkoreanischen Politiker Ban Ki-moon mit dem „Global Greenpreneur Award“ 2019 geehrt.
Ihre Kreationen kaufen hauptsächlich Ausländer*innen, aber Juliet Namujjus Ziel ist es, zunehmend die Menschen in ihrer Heimat von ihrem modischen Umweltschutz zu überzeugen. Dafür besucht sie Schulen in Uganda und klärt über Nachhaltigkeit auf. Im Mai 2022 kam ihr Sohn Gabriel David zur Welt: „Er soll genau wie ich mit ganz viel Kreativität aufwachsen“, sagt die Designerin. „Und natürlich von mir lernen, dass sich Müll in viele modische und nützliche Dinge verwandeln lässt.“
Noel Ifeanyi Alumona: Sozialunternehmer mit prominenter Unterstützung
Ein Treffen mit Barack Obama brachte Noel Ifeanyi Alumona auf die Idee, eine Bildungsinitiative für Jungen aus seiner Heimat zu gründen. Der Sozialunternehmer aus Nigeria setzt sich mit seinen spendenfinanzierten Organisationen „Boys Champions“ und „Hope for African Children“ dafür ein, Kindern und Jugendlichen Zugang zu Bildung und Sport zu verschaffen und ihnen dadurch neue Zukunftschancen zu eröffnen. Von der Teilnahme beim Nachwuchsprogramm „Young Global Changers“ im Rahmen des Global Solutions Summit erhofft er sich, neue Kontakte zu knüpfen und sein Netzwerk durch Unterstützer*innen und Sponsor*innen zu erweitern.
Noel Ifeanyi Alumona kam 1992 im Bundesstaat Enugu in Nigeria zur Welt. Einen Teil seiner Kindheit verbrachte er in einem Flüchtlingslager, in dem er und seine Familie Zuflucht vor der islamistischen Gruppierung Boko Haram suchten. Die Terrormiliz versucht mit Gewalt, in Nigeria, im Tschad, Niger und in Kamerun ein Verbot westlicher Bildung und die Einführung der Scharia durchzusetzen. Als Noel Ifeanyi Alumona neun Jahre alt war, mussten er und seine beiden jüngeren Schwestern mitansehen, wie Männer, die nachts ins Haus eingedrungen waren, seine Mutter brutal vergewaltigten. Sie war damals mit dem vierten Kind hochschwanger. Ausgelöst durch die Vergewaltigung, setzten nach zwei Wochen die Wehen ein. „Sie starb an den Folgen der Geburt, ebenso wie mein ungeborenes Geschwisterchen. Dieser Vorfall hat mein Leben für immer verändert“, erzählt Noel Ifeanyi Alumona – und teilt damit den wohl traumatischsten Moment seines Lebens.
Die Familie wanderte in die Vereinigten Staaten von Amerika aus. Noel Ifeanyi Alumona studierte Sonderpädagogik an der Vanderbilt University in Nashville im US-Bundesstaat Tennessee und erhielt als erster Student aus Nigeria ein Stipendium. Als Stipendiat des African Leaders Program der gemeinnützigen Obama Foundation traf er 2018 auf Barack Obama: „Ich saß mit Barack Obama zusammen, und er wollte von mir wissen, wie ich meine jungen Mitbürger*innen in Nigeria fördere – eine gute Frage! Diese Begegnung und meine Erfahrungen als neunjähriger Junge brachten mich dazu, ‚Boys Champions‘ zu gründen“, sagt Alumona. „Boys Champions“ ist eine Initiative, die durch Mentoren- und Führungsprogramme sowie Sport und psychosoziale Beratung junge Männer darin unterstützt, eine gesunde Männlichkeit zu entwickeln und Frauen mit Respekt zu behandeln. Auf diese Weise sollen geschlechtsspezifische Gewalt und Verbrechen verhindert werden. „Boys Champions“ ist das erste Programm dieser Art in Afrika und hat seit der Gründung im Jahr 2018 schon mehr als 10.000 jungen Männern in Nigeria positive soziale Alternativen zur Gewalt geboten.
Wir sind davon überzeugt, dass unsere Arbeit mit Männern nicht nur positive Auswirkungen auf das Leben von Frauen und Mädchen hat, sondern sich auch auf die Zufriedenheit der Männer selbst auswirkt. Denn so werden sie von schädlichen, einschränkenden Aspekten der Männlichkeit befreit.
„Wir sind davon überzeugt, dass unsere Arbeit mit Männern nicht nur positive Auswirkungen auf das Leben von Frauen und Mädchen hat, sondern sich auch auf die Zufriedenheit der Männer selbst auswirkt. Denn so werden sie von schädlichen, einschränkenden Aspekten der Männlichkeit befreit“, erklärt Noel Ifeanyi Alumona. Auf seinem Instagram-Profil veröffentlicht der 31-Jährige private Schnappschüsse genauso wie beruflich bedeutsame Momente seines Lebens – beispielsweise das Foto von ihm und dem Dalai Lama, der ihn gerade segnet. Alumona hat das spirituelle und weltliche Oberhaupt Tibets letztes Jahr getroffen, nachdem er für seinen Einsatz mit „Boys Champions“ mit dem American Field Service (AFS) Award for Young Global Citizens gewürdigt worden war – als erster Afrikaner und Nigerianer. Der AFS ist eines der weltweit größten Netzwerke von gemeinnützigen Austauschorganisationen für junge Menschen, die als Austauschschüler*innen oder Freiwillige in sozialen oder ökologischen Projekten längere Zeit im Ausland verbringen. Mit dem Award zeichnet er junge Menschen aus, die sich für die globale Gemeinschaft engagieren. „Wir alle sehnen uns nach Veränderung in der Welt – und ich habe beschlossen, die Veränderung zu sein, die ich in der Welt sehen möchte“, sagt Noel Ifeanyi Alumona und lächelt. „Ich freue mich, diesen Wandel in meiner Gemeinde anzuführen und auch andere junge Menschen und meine Generation dazu zu bringen, Verantwortung zu übernehmen.“
Osei Boateng: Gesundheitsexperte mit Kontakten zu Dorfältesten
In Ghana gibt es pro 1.000 Einwohner*innen weniger als ein Krankenhausbett, in Deutschland sind es fast acht Betten. An diesem katastrophalen Zustand möchte Osei Boateng etwas ändern. Der 29-jährige Unternehmer aus Ghana lebt in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Westafrika. Mit seiner OKB Hope Foundation hat er es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen in ländlichen Gemeinden seiner Heimat Zugang zur Gesundheitsversorgung zu verschaffen – und zwar durch ein Krankenhaus auf Rädern. Bislang ist ein Transporter als Minihospital in Ghana unterwegs, einem Land am Golf von Guinea, das in etwa so groß wie Großbritannien ist. Aber langfristig möchte Osei Boateng 16 solcher Vans durch Ghana schicken – einen mobilen Service für jede Region. „Um dieses Ziel erreichen zu können, hoffe ich, auf dem Global Solutions Summit Partner*innen, Geldgeber*innen und Unterstützer*innen für meine Idee zu gewinnen“, sagt er.
Osai Boateng wuchs in einer Region Ghanas auf, die keinen nennenswerten Zugang zur Gesundheitsversorgung hatte. Deswegen war er in seiner Kindheit nie bei Ärzt*innen. „Wenn meine Geschwister oder ich krank waren, haben meine Eltern eine Selbstdiagnose gestellt und anschließend in einer Drogerie die Medikamente gekauft, die sie für richtig hielten“, erzählt er. „So handhaben es die meisten Menschen in Ghana. Denn ein Besuch in den wenigen Privatpraxen ist teuer, und nur diejenigen, die wirklich große gesundheitliche Probleme haben, fahren ins Krankenhaus. Das führt oftmals zu einer späten Diagnose und manchmal zu vermeidbaren Todesfällen.“
Dass die Gesundheitsversorgung anders aussehen kann, fiel Osei Boateng auf, als er 2014 als 19-Jähriger mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten von Amerika auswanderte. Die Eltern wollten ihm eine gute Bildung ermöglichen, und Osei Boateng begann, Humanbiologie an der Cornell University in New York zu studieren, inspiriert durch seine Schwester, eine Krankenpflegerin. In jener Zeit verstarb seine Großmutter in Ghana an den Folgen eines Herzinfarktes, vermutlich ausgelöst durch Bluthochdruck. „Vielleicht hätte sich ihr Tod durch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen und Medikamente verhindern lassen“, sagt Osei Boateng und spricht damit ein Schicksal an, das stellvertretend für viele steht. Denn in Ghana liegt die Lebenserwartung von Männern bei 63,4 Jahren und von Frauen bei 68,4 Jahren. In Deutschland werden Männer im Durchschnitt 78,5 Jahre und Frauen 83,4 Jahre alt. Vor allem Bluthochdruck gilt als eine der häufigsten Ursachen für vermeidbare Todesfälle in Ghana. So kam Osei Boateng auf die Idee, ein mobiles Krankenhaus in ländliche Regionen des Landes zu schicken und so einkommensschwachen Familien Zugang zu medizinischer Versorgung zu verschaffen. Er steckt sein ganzes Geld, das er inzwischen bei der gemeinnützigen Gesundheitsorganisation Henry Ford Health verdient, sowie sein Fachwissen in das Projekt und reist immer wieder nach Ghana, um mit seinem Team für eine hochwertige medizinische Versorgung der Menschen zu sorgen. Seine Vision: 35 Millionen Menschen in Ghana zu besserer Gesundheitsversorgung zu verhelfen.
Global Solutions Initiative
Die Global Solutions Initiative (GSI) ist eine unabhängige gemeinnützige Organisation. Dennis J. Snower, deutsch-US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und ehemaliger Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel, hat die GSI 2017 gegründet. Durch die Begleitung von internationalen Foren wie den G20 und G7 hat sich die Initiative als anerkannter Akteur in der globalen Politik etabliert. Mit einem umfangreichen Programm aus Forschung, Öffentlichkeitsarbeit und Beratung bringt die GSI Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zusammen. Die jährliche Agenda gipfelt im Global Solutions Summit.
www.global-solutions-initiative.org/